Die älteste und volkstümlichste Kirche der Stadt München, der St. Peter, konnte in diesem Sommer auf ein 700jähriges Bestehen zurückblicken.
Aus den Berichten des alten Aktenmaterials im Kreisarchiv zu Landshut und aus denen des bayerischen Reichs- bezw. Stadtarchives geht hervor, dass 1222 der Hl. Franziskus Seraphikus den P. Kastinus nach München schickte, um dort die Seelensorge der seinerzeit ausserhalb der Stadt auf einem Anger liegenden Jakobskapelle zu übernehmen. Aus ihr hat Kastinus die Jakobskirche mit daranschliessendem Kloster gemacht, die sich bis auf den heutigen Tag am St. Jakobsplatz erhalten hat. Eine gleiche Wandelung machte die Peterskirche durch. Sie bestand auch aus einer kleinen, im Jahre 1181 gegründeten Kapelle, auf deren Grund und Boden ein spätromanisches Gotteshaus erbaut wurde, dessen Einweihung am 28. Juli 1222 stattfand.
Bei der 1902 erfolgten Restaurierung sind im Innern nicht nur alte Gebäudemalereien, sondern auch Struktur- bezw. Architekturteile ans Tageslicht gekommen, die uns, mit dem aus mehreren Jahrhunderten stammenden Mauerwerke, ein Bild von der hochinteressanten, aber sehr komplizierten Baugeschichte geben. Denn die vielen, sich oftmals widersprechenden archivalischen Mitteilungen über den Werdegang des Baues müssen mit dem Studium der verschiedenen Bauglieder und des Mauerwerkes, desgleichen mit Hilfe des Sandtnerschen Stadtmodells vom Jahre 1572 in Zusammenhang und Einklang gebracht werden, um ein richtiges Bild von der Entstehung der hochinteressanten, für die Kunstgeschichte wertvollen Kirche zu bekommen.
Aus der ganzen Anlage der Rundbogenpfeiler im Inneren der Kirche, die nach dem jeweiligen Zeitgeschmacke umgewandelt wurde und sich uns seil dem 18. Jahrhundert in einem barocken Gewände zeigt, geht hervor, dass das Gotteshaus einst bis zu seiner jetzigen Hälfte eine spätromanische Basilikenkirche war, deren Grundmauern mit den Türmen die alten sind. Ziehen wir noch die Mitteilung in Betracht, dass Anfang der sechziger Jahre, gelegentlich der Neulegung eines Fussbodens, die Fundamente der alten Apsiden zutage traten, so erhalten wir den genauen Umfang und die Grösse der ursprünglichen alten Peterskirche, deren Ausdehnung bis zum jetzigen fünften Hofe reichte. Nach Osten schlossen sich drei Apsiden an und nach Westen zwei Türme, die jetzt schräg abgedeckt sind. Die Kirche war also eine vollkommene dreischiffige Basilika. Lange Zeit scheint jedoch diese erste Anlage nicht bestanden zu haben, denn schon Ende des 13. Jahrhunderts tauchen Mitteilungen über einen „Neubau“ auf, wobei jedoch nur von einer Erweiterung und Veränderung der Türme die Rede sein kann, deren alte Höhe, wie ich aus dem Mauerwerke anlässlich der Blosslegung vor 18 Jahren ersah, beibehalten blieb.
Am 14. Februar 1327 wurde München von einem grossen Brande heimgesucht, bei dem auch die Peterskirche arg gelitten hat. Es wird von der Erhaltung des Petersturmes nebst Katharinenkapelle berichtet, woraus man entnehmen kann, dass schon bei der ersten Erweiterung im 13. Jahrhundert die beiden Türme in einen verwandelt wurden. Trotz grosser Zuwendung der Patrizier Ridler und Schrenk. die den Wiederaufbau der Kirche förderten, vergingen doch 38 Jahre, ehe sie beendet wurde.
Die erwähnten Patrizierfamilien stifteten 1331 bis 1341 die Kapelle der Heiligen Felix und Audaktus, das „Kupfergewölbe“, steinerne Fenster mit Glasgemälden und Kirchtürme. Besonders zu erwähnen ist hier der Schrenkaltar, ein Altaraufsatz von 5 Meter Höhe und 2 Meter Breite. Der Aufsatz besteht aus einem Doppelstreifen in Hochrelief im unteren Teil und einem dreieckigen Giebel im oberen Teil. Im Tympanon Christus als Weltrichter in der Mandorla, zu Füssen kmeend Maria und Johannes. Rechts und links posaunenblasende Engel und daneben das Wappen Schrenk und Riedler.
In dem oberen Reliefbild unter Dreipassbögen der Höllenrachen, Teufel und Verdammte, gegenüber die Himmelsburg Jerusalem mit Mauern und Türmen. In langer Prozession ziehen die Seligen an das Stadttor, das Petrus oben mit seinem grossen Schlüssel zu öffnen sich anschickt. In der Mitte die Särge mit den Auferstehenden, darüber die 12 Apostel in zwei Reihen übereinander sitzend Christus am Kreuze, daneben Maria und Johannes, daneben rechts Petrus mit dreifacher Krone und Bischof Ulrich, links der hl. Martin zu Pferde, dem Bettler den Mantel teilend.
Das Werk ist in Aufbau, Darstellung und Komposition ganz eigenartig, vollkommen alleinstehend. Wie man es auch betrachten mag, überall finden sich neue und überraschende Kriterien. Die figurenreiche Erzählung in Stein ist ein erstes Moment. Man würde dergleichen auf einem Altar eher in Malerei auf Tafeln erwarten, allenfalls in Holz. Hier hat ein Steinbildner in höchst selbständiger Ergänzung das unendlich oft dargestellte Thema des Jüngsten Gerichtes mit frappanten Einzelzügen in einer ikonographischen Bilderfolge als Ganzes auf den Altar gebracht, wie sie an den Portalen in den Giebelfeldern üblich war. Dann zeichnet ein tiefes Gemüt und starke Empfindung — und das ist ein zweites Moment — die Darstellung aus.
Ueber die Datierung bestehen noch Zweifel. Gewöhnlich wird das 14. Jahrhundert angegeben, doch scheint die Angabe von 1407 der Fixpunkt, an dem man festhalten sollte. In der Abschrift einer Urkunde von 1407 (die notariell bestätigt ist) heisst es, dass Bischof Berthold von Freising dem Bartholomäus Schrenk (gestorben 1433) und dessen Brudersohn Lorenz Schrenk die Konfirmation für Altar, Messe und Benefizium in St. Peter erteilt.
Der beim Brande verschont gebliebene Turm, der bei der ersten Erweiterung zwischen das romanische Turmpaar hineingebaut wurde, ist, wie man aus dem blossgelegten Mauerwerke des Turmes vor 18 Jahren ersehen konnte, erhöht worden und reichte bis zur jetzigen Galerie, wo man ihn über dem Turmzimmer mit zwei Helmen und goldenen Knöpfen bekrönte. Ein Zustand, den das Münchener Stadtmodell vom Jahre 1572 im Nationalmuseum zeigt. Die beiden Seitentürme wurden schräg abgedeckt und mit Friesen verziert. Es wird angegeben, dess erst die Kirchenpröpste Hanns, Rudolf und Konrad Hauser die Kirche vollendet, 1378 bis 1379 noch zwei Gewölbe (Joche) angebaut, den Schlussstein mit den eingehauenen Worten: „U. Herren Barmherzigkeit und U. L. Frau“ errichtet, desgleichen die innere Einrichtung vervollständigt haben.
Aeusserlich ist die Erweiterung durch den Absatz am Dachfirst gekennzeichnet. Die beiden malerisch vorspringenden eckigen Treppentürmchen zu beiden Seiten des Hauptportales stammen den Formen nach aus gleicher Zeit, nur hat man später die Hauben verändert. Die einzig wirklich massgebende äussere Ansicht der Kirche, ungefähr am Ende des 14. Jahrhunderts bis 1607, ist die am Sandtnerschen Stadtmodell von 1572. Daran sind schon die ehemals freistehenden Strebepfeiler, deren Strebebogenansätze bei der Restaurierung vor 18 Jahren zwischen den Fenstern an den Aussenmauern der Kirche sichtbar waren, zu Kapellen für Altäre ausgebaut.
Nach genauer Untersuchung des Modells ist festzustellen, dass es in keiner Weise durch Zutaten verändert wurde. Die Restaurierung der Kirche war insofern von Belang, weil man an dem blossgelegten Mauerwerk ersehen konnte, dass die inneren Pfeiler einst verstärkt worden sind, und zwar an allen vier Ecken. Auch an den letzten zwei Pfeilern nach dem Turme zu sind gotische Sandsteinstrukturteile und Ansätze von Bögen und Kapitalen sichtbar, die den Formen und dem Mauerwerk nach zu urteilen, aus der frühgotischen Zeit stammen.
Die Verstärkungen der Pfeiler und Erhöhung der Hauptmauern datieren von der zweiten erwähnten Erweiterung nach dem Stadtbrande, wobei man auch das Schiff erhöhte. Dem Bilde des Turmes mit den beiden Turmhelmen wurde durch Blitzschlag am 24. Juli 1607 ein Ende bereitet. Man baute die vollständig abgebrannten Helme nicht wieder auf, sondern deckte über der Glockenstube eine Plattform ab und errichtete darauf die Türmerwohnung mit prächtiger Obeliskenbekrönung.
Den Wandelgang vor der Wohnung des Türmers sicherte man mit einem schönen schmiedeeisernen Gitter.
Eine vollständige Umwandlung der Chorpartie erfuhr die Peterskirche unter dem kunst sinnigen Kurfürsten Maximilian I. Da sich der Chor schon längst als zu klein erwies, liess ein aus eigenen Mitteln 1630—40, also mitten in der Kriegsnot, die alte Chorpartie abbrechen und dafür die jetzige, dreiblätterige Choranlage anbauen, die in ihrem dunkelroten, malerischen Ziegelkreide und den reizvollen Treppentürmchen als eines der schönsten Architekturbilder Münchens bis heute noch unverputzt erhalten blieb. Unter Maximilian I. wird auch der Innenraum eine entsprechende Renaissancedekoration erhalten haben. Die Spuren der Malereien aus damaliger Zeit, die von Thomas Hoffmann, der 1646 starb, ausgeführt wurden, traten bei der Renovierung wieder ans Licht.
Den jetzt ersichtlichen dekorativen Schmuck erhielt die Kirche 1724—1735 bei einer nochmaligen Restaurierung und Zufügung einiger Anbauten, wie der Sakristei mit dem schönen Portal schräg über vom Standesamt, das den Aufgang zum kurfürstlichen Oratorium bildet. Die Gewölbe der Seitenschiffe wurden abgebrochen und durch neue ersetzt, doch scheinen die Pilaster des Hauptschiffes noch aus der Zeit Maximilians I. herzurühren.
Hugo Steffen.
Siehe auch:
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