Von Max Lohan.
„Unsere alten Vorväter hatten eine freundliche Religion. Sie glaubten, sie würden nach dem Tode in den himmlischen Jagdgründen alle die guten Hunde wieder antreffen, die ihre treuen Gefährten im Leben gewesen waren. Ich wünsche, das glauben zu können.“
So sprach Bismarck, als der Tod ihm einen seiner Lieblingshunde — seinen besten Freund, wie er ihn nannte — genommen hatte. Herzliche Liebe für seine Hunde hat Bismarck gehegt, Liebe, wie sie ein auf Leben und Tod verbundener Kamerad zu beanspruchen hat.
Sultan hiess dieser, eine schwarze Dogge; der rührendste Hund, den Bismarck besessen habe, hat seine Frau gesagt.
„Wenn ich verreiste — erzählte Bismarck von Sultan —, so suchte er mich überall mit grösster’ Traurigkeit. Endlich ergriff er dann zu seinem Tröste meine weisse Militärmütze und ein Paar meiner hirschledernen Handschuhe, trug diese in den Zähnen nach meinem Arbeitszimmer und blieb dort, mit der Nase an meinen Sachen, liegen, bis ich wiederkam.“
Sultan starb 1877 in Varzin. Bismarck wachte über seinen sterbenden Liebling mit einem so tiefen Kummer, dass sein ältester Sohn den Vater endlich wegzubringen suchte. Der Fürst machte einige Schritte nach der Tür zu, aber beim Umsehen begegneten sich seine Augen mit denen seines alten Freundes. „Nein, lass mich allein“ sagte er und ging zu dem Hunde zurück. Ueber diese Szene im Arbeitszimmer Bismarcks hat einer seiner Mitarbeiter, v. Tiedemann, so berichtet:
„Auf dem Fussboden sass der Fürst, den Kopf des sterbenden Hundes in seinem Schoss haltend. Er flüsterte ihm liebkosende Worte zu und suchte seine Tränen vor uns zu verbergen. Bald darauf starb der Hund, der Fürst erhob sich und ging in sein Zimmer, kam an diesem Abend auch nur auf kurze Zeit wieder, um gute Nacht zu sagen.“
Von Tiedemann erzählte dann weiter:
„Am nächsten Morgen nach dem Frühstück stiegen wir zu Pferde; der Fürst war einsilbig, er suchte die Wege auf, wo sein lieber alter Hund ihn zuletzt begleitete. So trabten wir lange in strömendem Regen vorwärts. Er sagte zu mir, es sei sündlich, wie er getan, sein Herz an ein Tier zu hängen, er habe aber nichts Lieberes auf der Welt gehabt und müsse mit Heinrich V. sagen: „Ich hätte einen Besseren besser missen können.“ Und dann setzte er zu einem langen Galopp an, dass Reiter- und Pferde dampfend vor dem Schloss anlangten.“
Der erste Hund Bismarcks, von dem wir wissen, begegnet uns in seiner Studentezzeit: eine riesige weissgelbe englische Bulldogge. Auch die Hunde, die sich Bismarck als Kanzler gehalten hat — Reichshunde wurden sie genannt —, waren Doggen. Der bekannteste von ihnen hiess Tyras, Sultans Nachfolger. Von seiner Klugheit und Treue erzählte Bismarck dies:
„Wenn ich nach dem Reichstage ging, so nahm ich den Weg durch den Garten hinter dem Reichskanzlerpalais, öffnete hier die Pforte nach der Königgrätzer Strasse, drehte mich gegen Tyras um, der mich bis dahin vergnügt begleitet hatte, und sagte bloss: „Reichstag!“ Sofort liess der Hund Kopf und Schwanz hängen und zog niedergeschlagen von dannen. Einst hatte ich meinen Stock, den ich auf die Strasse nicht mitnehmen konnte, da ich in Uniform ging, an die Innenmauer des Gartens gestellt, ehe ich durch die Pforte schritt. Nach vier Stunden kam ich aus dem Reichstag zurück. Tyras begrüsste mich nicht beim Eintritt ins Haus wie sonst stets, und ich fragte daher den Schutzmann, wo der Hund sei. „Der steht seit vier Stunden hinten an der Gartenmauer und lässt niemand zu Eurer Durchlaucht Stock“, erwiderte der Mann.
Berühmt ist Tyras geworden durch seinen Zusammenstoss mit Bismarcks Gegner Gortschakow. Der russische Kanzler hatte während des Berliner Kongresses in Bismarcks Arbeitszimmer eine wichtige Unterredung. Als er sich erhob, schien er zu straucheln, so dass Bismarck zu ihm hinsprang, um ihn vor dem Fallen zu bewahren. Tyras wähnte, es gäbe einen Kampf und fuhr Gortschakow an die Beine: Erschrocken stotterte dieser: „0 mein Gott! Ich war doch mit den besten Absichten gekommen!“ Vorfälle solcher Art sind oft mit Tyras vorgekommen, so dass Bismarck einmal ausgerufen hat:
„Der Schlingel bringt mich noch um meine besten Freunde!“ Sobald Tyras fremde Gestalten bei seinem Herrn erblickte, kam er in gewaltigen Sprüngen herbei, um nach seinem Ermessen seine Wächterrolle zu üben. Zwei Mitglieder der Evangelischen Brüdergemeinde wollten als Jagdbeute ihrer Missionare in Labrador zwei gewaltige Eisbärfelle Bismarck als Geschenk überreichen. Als die beiden Herren mit ihrem Geschenk auf das Kommen der Familie warteten, wurde die feierliche Uebergabe sehr unliebsam durch Tyras gestört: der hatte einen unbewachten Zugang entdeckt, und aufs Aeusserste durch den Anblick der Felle und der lebenswahr gearbeiteten Bärenrachen gereizt, brachte er die Harrenden stark um ihre Haltung.
Bismarcks Frau gefiel es nicht, wenn es sich Tyras im Salon auf dem Sofa bequem machte. In ihrer Gegenwart wagte er das auch nicht. Einmal jedoch, als sie den Salon verlassen hatte, trat Tyras bittenden Blickes vor seinen Herrn. Dieser erriet die stumme Frage und bejahte mit seinem Augenzwinkern. Leise schlich sich Tyras zum Sofa, und zum Entsetzen der zurückkehrenden Fürstin schnarchte er dort behaglich im Gefühle seines Rechtes. Entschuldigend sagte Bismarck zu seiner Frau: „Er bat so beweglich; ich konnte nicht widerstehen und habe es ihm erlaubt.“
Eine Enkelin dieses Tyras, Rebekka, Beckchen genannt, und ihr Genosse Tyras der Zweite bildeten im Sachsenwalde die ständigen Begleiter Bismarcks nach seinem Sturze.
Seine Hunde waren zu Hause stets um Bismarck, auch des Nachts. Beim Essen fütterte er sie. Von den Hunden, die er in Friedrichsruh nach seiner Entlassung hatte, rühmte er, dass sie wie wild aus ihren Winkeln auffuhren und gegen die Türe stürmten, sobald der Diener meldete: „Das Essen ist aufgetragen.“ Seine Beine pflegte Bismarck nicht unter den Tisch zu stecken, bevor er sich nicht vergewissert hatte, dass er keinen seiner vierfüssigen Freunde vom Platze verdränge und sie nicht trete.
Die Gesellschaft seiner Hunde war ihm so Gewohnheit, dass ihm unbehaglich wurde, sollte er sich einmal einen ganzen Tag von seinen Gefährten trennen. Willkommen waren sie ihm selbst in der Einsamkeit, die er dann aufsuchte, wenn ihn, wie er sich ausdrückte, ein förmlicher Widerwille vor Menschen befiel und er sich tief drinnen im Walde wohl fühlte, wo ihm auch sein Kutscher zu viel sei. Als ihn seine Frau allein zurückgelassen hatte und zudem auch keiner seiner Hunde mehr lebte, fühlte er sich verlassen, lebensmüde. Noch in seinen letzten Lebenstagen klagte er, dass er alle seine Lieblingshunde verloren hatte, und ihm nicht einer seiner treuen Gefährten bei seinem Ende geblieben war.
Siehe auch:
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