„Dürfte ich meinen Kindern doch meine Kenntnisse hinterlassen, dann wären sie versorgt.“
Philipp Reis.
Die automatische Fernsprechverbindung in Gross-Berlin
Wählersaal. Vorwähler für Anrufzeichen der Teilnehmer und Vorbereitung für die einzustellenden Verbindungen. — Ruf- und Signalmaschinen-Anlage.
In den ersten Augusttagen starb in Baddeck, Cape Breton, im Alter von 75 Jahren Dr. Alexander Graham Bell, der Mann, dem wir das Telephon in seiner praktisch verwendbaren Form verdanken. Man nannte ihn den Erfinder des Telephons und zollte ihm damit einen Ruhm, auf den er keinen Anspruch hatte. Der Erfinder des Fernsprechers war der Deutsche Philipp Reis; der Verbesserer, der Schöpfer eines praktisch verwendbaren Telephons war Graham Bell.
Im Jahre 1811 hatte der Arzt Dr. Samuel Thomas von Sömmering in Schweiggers „Journal für Chemie und Physik“ die erste Beschreibung seines elektrischen Telegraphen veröffentlicht, der überhaupt der erste mit Hilfe des elektrischen Stromes betriebene derartige Apparat war. Diese Beschreibung begeisterte den berühmten Physiker Ritter zu Ausführungen, die er an der gleichen Stelle publizierte und die eine Phantasie verraten, wie sie später auch Jules Verne nicht besser aufzubringen vermocht hätte.
Ritter schrieb damals: „Sollte es nach so vielen Versuchen, das Fernschreiben zu kultivieren, nicht interessant sein, auch dem Fernsprecher neue Aufnerksamkgit zu widmen? — Die ausserordentlich vollkommene Fortleitung von Schall, Wort und Rede durch metallische Leitungen, die zu gleicher Zeit auch so schnell geschieht, scheint allerdings einer praktischen Verwendung fähig zu sein. Es ist Aussicht da, dass auch ganz leise gesprochene Worte, durch viele Meilen lange, ganz einfache Drahtkontinuen fortgepflanzt, am anderen Ende der Leitung noch vollkommen vernehmbar anlangen.
Die Drähte hierzu können vielleicht äusserst dünn sein, haben nirgends nötig, isoliert zu sein; für jede Station wird nur einer erfordert; und niemand wird zuhören können, der sich nicht Gelegenheit verschafft, unterwegs zum Draht selbst zu kommen. — Schon um sich einen Bedienten oder Boten mehr zu ersparen, würden solche Verbindungen zwischen Häusern, die viel Verkehr miteinander nötig haben, vielleicht von Nutzen sein. Und von Bureau zu Bureau oder ähnlichem zueinander geleitet, würden solche einfachen Schalleitungen häufig ein vortreffliches Mittel sein können, um sich schnell des nötigen Rats zu erholen.“
Es sollten jedoch noch volle fünfzig Jahre vergehen, ehe sich das, was Ritter mit weitschauendem Blick erkannt und so phantastisch ausgeführt hatte, verwirklichen sollte. Als es sich aber verwirklicht hatte, da kam es wie schon so oft: Die Mitwelt vermochte den Wert und die Bedeutung des Gebotenen noch nicht voll zu erfassen und ging darüber zur Tagesordnung über. Erst einer späteren Zeit bleibt es Vorbehalten, die richtigen Folgerungen zu sehen.
Es war am 26. Oktober 1861, als derLehrer Philipp Reis am Garnierschen Erziehungsinstitut zu Friedrichsdorf bei Frankfurt a. M. im Hörsaal des Physikalischen Vereins zu Frankfurt a. M. zum erstenmal einen gar merkwürdigen und eigenen Apparat vorführte, den er „Telephon“ benannte. In jener ewig denkwürdigen Sitzung, die die Geburtsstunde unseres Fernsprechers bedeutet, gab Reis zunächst eine ausführliche Darstellung der Vorgänge, die sich bei der Aufnahme von Schallwellen im menschlichen Ohr abspielen. Er zeigte, dass die Schallwellen das Trommelfell in Schwingungen versetzen und dass hierdurch ein Aufheben und Niederfallen des „Hammers“ auf den „Amboss“ stattfindet, dass also diese Schallwellen durch die Tätigkeit eines Knöchelchens im Ohr gewissermassen verstärkt werden, worauf sie nach dem „Labyrinth“ und zu dem dort endigenden Gehörnerv geleitet werden, der sie dem Gehör übermittelt und sie auf diese Weise zum Bewusstsein des Menschen bringt.
Dann, nachdem Reis so die Grundlagen des Hörens erörtert hatte, zeigte er ein künstliches Ohr vor, das dem menschlichen genau nachgebildet war und die wesentlichsten Organe desselben, nämlich Trommelfell, Hammer und Amboss enthielt. Dieses künstliche Ohr diente jedoch nicht zum Hören, sondern dazu, die Schallwellen aufzunehmen und sie durch die eigenartige Verbindung, in die es mit einem elektrischen Strom versetzt werden konnte, in elektrische Stromstösse umzuwandeln. Es lag hier also jener Apparat vor, den wir heute als den Sprechapparat unseres Fernsprechers zu bezeichnen pflegen.
Nun handelte es sich darum, einen „Hörer“ zu konstruieren, d. h. einen Apparat, der die elektrischen Stromstösse wieder in Schallwellen umsetzt. Auch die Lösung dieses Problems gelang Reis vorzüglich. Er baute mit einfachen Hilfsmitteln, nämlich mit Hilfe eine Kupferdrahtes und einer Stricknadel, eine Vorrichtung, die nicht bloss einzelne Töne, sondern sogar die menschliche Sprache wiedergab. Allerdings war diese Wiedergabe keine sehr klare, da sich nebenher summende Geräusche einstellten.
Damit war das erste Telephon geschaffen und der Oeffentlichkeit übergeben, die aber, wie schon erwähnt, seine Bedeutung noch nicht richtig erkannte. Dieser Umstand sowie der weitere, dass die Töne von summenden Geräuschen begleitet waren, veranlassten Reis weitere Verbesserungen vorzunehmen, und im Jahre 1863 sprach er unter Vorzeigung eines neuen verbesserten Modells nochmals im Physikalischen Verein zu Frankfurt a. M. über seine Erfindung. Es gelang damals, eine Uebertragung bis auf eine Entfernung von 300 Fuss, also etwa auf 100 Meter durchzuführen. Diese zweite Vorführung hatte einen besseren Erfolg, und als im gleichen Jahre wiederum in Frankfurt a. M. der sogenannte „Fürsten-kongress“ zusammentrat, zeigte Dr. Volger sowohl dem Kaiser von Oesterreich wie dem König Maximilian von Bayern den neuen und sehr interessanten Apparat.
Leider aber hatte auch diese zweite Vorführung ebensowenig wie die vielen Vorträge, die noch während des Jahres 1863 gehalten wurden, für Reis einen durchschlagenden Erfolg herbeizuführen vermocht. Man bezeichnete das Ganze als „Spielerei“ und bezweifelte vor allem, dass sich damit die Sprache übertragen lasse. Es wurde immer behauptet, es seien auch bei den Vorführungen im Physikalischen Verein zu Frankfurt a. M. nur einzelne Töne übermittelt worden. Dass dies falsch ist, und dass man bereits damals Worte fortzuleiten und wieder vernehmbar zu machen vermochte, geht einerseits aus den Mitteilungen hervor, die Professor Hartmann in Frankfurt im Jahre 1897 von verschiedenen, damals noch lebenden Schülern von Philipp Reis gemacht wurden, wie auch andererseits aus einem Briefe, den Reis selbst am 18. Oktober 1863 an F. J. Pisco richtete. Hier schrieb er: „Der Apparat gibt ganze Melodien, die Tonleiter zwischen C und c ganz gut wieder, und ich versichere Sie, wenn Sie mich hier besuchen wollen, dass ich Ihnen zeigen will, dass man imstande ist, allerdings auch Worte zu verstehen. Was macht denn das Trommelfell in unsenn Ohr, um alle Töne mit ihrer Klangfarbe, Akkorden usw. zu reproduzieren??! Am besten wird es immerhin sein, wenn Sie sich selbst von der Einfachheit und Richtigkeit der Tatsache überzeugen.“
Erfinderschicksal!
Wie oft hat sich seine Tücke nicht schon gezeigt, und wie wenige Erfinder gibt es, die die Früchte ihrer Geistesarbeit wirklich auszukosten und an ihnen sich zu erfreuen vermochten?! Meist waren es andere, die diese Früchte einheimsten, während der eigentliche Erfinder selbst nur Sorgen und Kummer und Verbitterung erntete. Dieses traurige Los sollte auch Reis beschieden sein, und die schlechten Erfahrungen, die er mit seiner Erfindung machte, haben wohl nicht zum letzten zu seinem frühen Ende beigetragen.
Reis starb am 14. Januar 1874 zu Friedrichsdorf an einem Lungenleiden mit den Worten: „Dürfte ich meinen Kindern doch meine Kenntnisse hinterlassen, dann wären sie versorgt.“ Es scheint, dass die Frage der Versorgung seiner Familie Reis das Scheiden schwer machte. Seine Versuche hatten eine Unmenge Geld gekostet, so dass nach seinem Tode die Gattin den Kindern die Erziehung, die sie ihnen angedeihen lassen wollte, nicht geben konnte. Die Tocher kam aus der Pension ins Haus zurück und der Sohn zu einem Kaufmann in die Lehre. Vierzehn Jahre nach dem Tode des genialen Mannes (1888) erhielt endlich die Witwe eine Unterstützung aus dem Dispotionsfonds des Reichs im Betrage von 1000 Mark jährlich. 1895 starb Frau Reis; die Tochter erhielt dann eine Unterstützung von jährlich 400 Mark, welche 1900 auf 800 Mark erhöht wurde. Der Sohn erhielt bis heute noch nichts. Die Tochter gibt heute noch Klavierstunden, sie ist sehr musikalisch und hätte sich, wenn die Mittel noch gereicht hätten, mehr ausgebildet.
Es hiesse Eulen nach Athen tragen, wollte man über die Bedeutung der Reisschen Erfindung auch nur ein einziges Wort verlieren. Amerikanischer Geschäftssinn hat sie aufgegriffen und verbessert, und so kam diese deutsche Erfindung über Amerika wieder nach Deutschland. Am 12. November 1877 wurde bei Berlin das erste Fernsprechamt Deutschlands eröffnet, das zunächst nur für den inneren Postdienst besimmt war. 1881 erst wurde das öffentliche Fernsprechnetz in Deutschland dem Verkehr der Allgemeinheit übergeben: es hatte in der Zeit 94 Teilnehmer.
Im Jahre 1908 ingegen, dem letzten, aus dem eine Statisik veröffentlicht wurde, besass Deutschland allein nahezu 900,000 Telephonanschlüsse mit einer Drahtlänge von 3,599,275 Kilometer Länge, und die Zahl seiner Gespräche belief sich auf eineinhalb Milliarden. In ganz Europa waren am Anfang des ahres 1910 2,300,000 Telephonapparate in Betrieb, während in den Vereinigten Staaten zur selben Zeit 7,000,000 benutzt wurden, diese Zahlen sprechen mehr, als Worte es vermöchten, davon, was Reis für die Menschheit und für die Entwicklung des Verkehrs geleistet hat!
Allerdings war es nicht das Verdienst von Reis, dass wir heute ein so ausgedehntes Telephonnetz haben, denn dieser bescheidene Physiklehrer war der echte Typus des deutschen Gelehrten, dem jede geschäftliche Ausbeutung seiner Erfindung vollkommen fern lag. Er strebte nach wissenschaftlicher Anerkennung, nicht nach solcher in klingender Münze. Anders die Amerikaner! Sie erkannten gar bald die Bedeutung der Reisschen Erfindung, und so blieb es einem von ihnen Vorbehalten, diese erst zu dem zu machen, was sie heute ist, und sie in den Weltbetrieb einzuführen.
Noch zur Zeit, als Reis lebte, bemühten sich verschiedene ausländische Erfinder, sein Telephon zu verbessern. Man kann jedoch über ihre Versuche zur Tagesordnung übergehen; wichtiger als alle ihre Arbeiten waren die Verbesserungen, die Graham Bell an den Reisschen Apparaten anbrachte. Bell stammte aus Edinburg und wirkte seit dem Jahre 1868 als Taubstummenlehrer in Boston. Auch der Vater Bells war schon Taubstummenlehrer gewesen und hatte sich mit Methoden befasst, die diesen Unglücklichen das Hören erleichtern sollten. Seine Versuche wurden von seinem Sohne fortgesetzt, der dabei auf die Idee kam, die einzelnen Töne, zunächst die Vokale, durch Stimmgabeln hörbar zu machen.
Später glaubte Bell, dass es vielleicht gelingen dürfte, die Zeichen des Morseschen Telegraphen-Apparates auf die Taubstummen zu übertragen, dass diese das Telegramm ohne weiteres geistig aufzunehmen vermöchten. Durch diese Bestrebungen, sowie durch die Erfolge, die Reis mit seinem Telephon erzielte, kam dann Bell zur Konstruktion eines neuen telephonischen Apparates, den er sich im Jahre 1876 patentieren liess. Beinahe hätte ein merkwürdiger Zufall auch Bell den Ruhm geraubt, der Erfinder des verbesserten Telephons — und als solchen müssen wir ihn mit Recht bezeichnen — zu sein. Er schickte nämlich schon im Jahre 1875 einen Mann, namens Brown, nach England, um dort die Erfindung zum Patent anzumelden. Die englischen Gelehrten hielten nicht viel von der Sache, und so zögerte Brown mit der Anmeldung.
Während er noch darüber mit Bell im Briefwechsel stand, wurde er plötzlich ermordet und die Dokumente gingen verloren. Nun reichte Bell selbst am 14. Februar 1876 die Anmeldung seines Telephons beim amerikanischen Patentamt ein — gerade zu rechter Zeit — denn zwei Stunden später erfolgte die neue Anmeldung seitens eines Agenten namens Elisha Gray, der einen ähnlichen und gleichfalls ziemlich gut funktionierenden Apparat erfunden hatte!
Noch im Jahre 1876 wurde das Bellsche Telephon in Philadelphia ausgestellt, und schon im folgenden Jahre kam es nach Europa, wo, wie erwähnt, am 12. November 1877 bei Berlin das erste Fernsprechamt eröffnet wurde. Damit kann jener Siegeslauf des uns so wohbekannten Apparates, der heute noch lange nichtt als beendet gelten kann.
Automatische Fernsprechverbindung
Am 18. Juni wurde auf dem Grundstück Zehlendorf, Kaiserßtrasse 23, die erste neue selbsttätige Femspreehvermittlungsstelle eröffnet. Der Betrieb der neuen Vermittlungsstelle wird wie bisher vom Postamt Zehlendorf beaufsichtigt. Zehlendorf ist somit das erste Gross-Berliner Amt, das mit der automatischen Einrichtung versehen ist.—Telefonapparat mit Vorrichtung zum Selbsteinstellen der gewünschten Verbindung.
Siehe auch:
Wir Deutsch-Amerikaner
Deutsch-Amerika
Die Deutsch-Amerikaner und das Kaiserreich
Gedanken über die Zukunft des Deutschtums in Amerika
Wie das alte Österreich starb
Wie das alte Österreich starb II
Die Deutschen in Amerika
Die Deutschen in Amerika II
Eine Audienz bei Richard II. (Richard Strauss)
„Deutsch-Amerikas“ Mission
Schundromane auf dem Scheiterhaufen
Lincoln und das deutsche Element
Die Geschichte der Revolution
Der Aufbau Palästinas
Deutschland und der Weltfriede
Vaterland vor der Wiedergeburt
Das Schicksal der deutschen Kolonien
Der letzte Zar im Kreise seiner Familie
Krupp-Werk in Friedens-Arbeit
Die Wolkenburgen der neuen Welt
Deutschlands chemische Industrie in der Nachkriegszeit
Jerusalem die Heilige Stadt
Die Schwarzen Truppen in Deutschland
Schiffsmodelle als Zimmerschmuck
„Bismarck“-„Majestic“- der Meeresriese
Quer durch das neue Deutschland
Quer durch das neue Deutschland II
Quer durch das neue Deutschland III
Klein-Amerika in Ostpreussen
Die Hallo-Mädchen
Nach Palästina
Eine Hamburger Überseewoche
Kinder aufs Land
August Thyssen-Der Senior der Grubenbarone
Deutsche Wolkenkratzer
Wachaufahrt
Das Deutsche Haus in St. Paul – Ein Denkmal deutschen Strebens
Die Briefmarke einst und jetzt
Deutschlands grösster Dampfer
Schweres Schiffsunglück in Hamburg
Das deutsche Ausland-Institut zu Stuttgart
Die oberschlesische Tragödie
Die Deutschen Kampfspiele
Der Kampf um Memel
die Lüge als Fundament, von Versailles bis Haag
Die „Weise Frau“