aus dem Kunstmuseum Hamburg
Beruht der anthropogonische Mythus der Nordgermanen auf der Anschauung
„der Mensch ist wie ein Baum“,
so haftet der umgekehrte Vergleich
„der Baum ist wie ein Mensch“
nicht minder tief in dem Volksglauben sowol der skandinavischen als der deutschen Stämme, denen sich slavische und finnische Nachbarn anschließen. Schon auf den untersten Stufen zeigt sich diese Vorstellung in verschiedenen Formen, fast überall jedoch — wo sie auftritt — hat sie den Standpunkt der reinen Identität bereits verlassen und als Beimischung die Annahme eines dem Menschen zwar ähnlichen, aber geheimnisvollen und übernatürlichen Wesens erhalten. Am nächsten kommt es jenem ursprünglichen Standpunkt, daß der Mensch den Baum selbst ganz als eine ihm gleich stehende oder übergeordnete, mit individuell bestimmten Character, mit menschlichem Ethos begabte Persönlichkeit behandelt und anredet.
Man kündigt in Westfalen den Bäumen den Tod des Hausherrn an, indem man sie schüttelt und spricht:
„der Wirt ist todt“.
Die mährische Bäuerin streichelt den Obstbaum mit den von Bereitung des Weihnachtsteiges klebrigen Händen und sagt:
„Bäumchen bringe viele Früchte“.
Man springt und tanzt in der Sylvesternacht um die Obstbänme und ruft:
Freue ju Böme
Nüjár is kömen!
Dit Jar ne Käre vull,
Up et Jär en Wagen vull!
Zwischen Eslöf und Sallerup in Haragers Härad in Schweden befand sich noch 1624 ein Hain, den eine Riesenjungfrau gesät haben sollte; darin gab es eine Eiche, die Gyldeeiche, worin in alten Tagen viel Spukerei gespürt war. Wer irgend vorbeiging, grüßte den Baum mit Ehrerbietung
„Guten Morgen Gylde!“ ..Guten Abend Gylde!“
Allem Anscheine nach auf einstigem Gebrauche ruht, was der Tiroler vom Holunder sagt:
„der Holer ist ein so edler Baum, daß man vor ihm den Hut abnehmen soll.“
Die Holzarbeiter in der Oberpfalz reden von den Waldbäumen wie von Personen; zieht der Wind durch die Baumkrone, so
„neigt sie sich und beginnt zu sprechen“;
die Bäume
„verstehen sich“.
Der Baum „singt“, wenn die Luft durch seinen Wipfel streicht; nur ungern „läßt er sein Leben“; unter dem Axtschlag „seufzt“, zu Boden fallend „stöhnt“ er.
Ein Förster stritt mit dem Herrn des Waldes, welche von den zwei schönen Buchen vor ihnen gefällt werdon solle. Da beugten sich beide Bäume seufzend hin und wieder. „Wer hat geseufzt?“ rief der Herr. Es war aber niemand da, der Antwort gab. Furcht trieb sie von dannen und die herrlichen Bäume blieben verschont. Noch jetzt bitten die Holzfäller den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie ihm „das Lehen abtun“.