aus dem Kunstmuseum Hamburg
Das Gegenstück aber zu dem durch die Strafe, für Baumschäler geforderten Ersatz zerstörter Baumglieder liefert der Volksglaube, daß umgekehrt Gebrechen des Menschen durch den Baum ausgeglichen werden könnten.
Bekommt ein neugeborenes Kind einen Leibesschaden, so schlitzt man am nächsten Charfreitag ein Weidenstämmchen auf, zieht das Kind hindurch und verbindet den Spalt wieder, sobald er verwächst wird das Kind gesund.1 Meistens ist es eine in der Mitte gespaltene mit großen Keilen auf eine Weile auseinander gesperrte, später wieder fest verbundene und verklebte junge Eiche oder ein Obstbaum, wodurch man das lahme, oder an Nabelbruch oder an zurückbleibendem Wachstum (englischer Krankheit) leidende Kind vor Sonnenaufgang schweigend und nackt kriechen läßt. 1 Ackermann sah um 1790 in dem Eichenschlage eines gewissen Dorfes viele junge Eichen, an denen dieser Versuch gemacht war.3 Rückgratverkrümmungen heilt man, indem man den kranken Kleinen dreimal durch den aus der Erde hervorragenden Bogen einer Wurzel zieht; kann er nicht gehen lernen, so heißt man ihn durch die in die Erde gewachsenen Ranken des Brombeerstrauchs kriechen. Wenn der Bruch des Baumes verwächst, verwächst der Bruch des Menschenleibes, wenn der Baum, der Brombeerstrauch von der Wurzel aus grade und gesund in die Höhe wächst und Fortgang nimmt, so der darunter durchkriechende Mensch. Derselbe hat sein Schicksal, sein Leben mit demjenigen der Pflanze gleichsam auf mystische Weise verknüpft, sich selbst mit ihr so zu sagen für eins erklärt.4 Dies geht noch
deutlicher aus dem Umstande hervor, daß es fortan für den so Geheilten sehr gefahrvoll sein soll, wenn der mit ihm in Sympathie gebrachte Baum abgehauen wird.1 Sein Leben geht mit dem des Baumes zu Ende. Und umgekehrt stirbt der Mensch zuerst, so geht — nach Rügischem Glauben — sein Geist in den betreffenden Baum über und wird der letztere nach Jahren zum Schiffsbau tauglich und dazu benutzt, so entsteht aus den im Holze weilenden Geiste der Klabautermann, d. h. der Kobold oder Schutzgeist des Schiffes und der Schiffsmannschaft.2
Uebrigens lehrte schon unter Theodosius Marcellus von Bordeaux die in Rede stehende Kur:
Es liegt von meinem gegenwärtigen Zwecke ab auszuführen, wie dieses Durchkriechen durch einen gespaltenen Baum sich umgesetzt hat in das Durchkriechen durch die natürliche Höhlung, welche durch zwei unten sich trennende, oben wieder in eins zusammenwachsende Aeste gebildet wird, oder durch alle möglichen anderen Spalten und Höhlungen z. B. in Steinen, in der aufgegrabenen Erde (Friedberg, Bußbücher S. 99) u. s. w. Was wir jedoch vom Baume geglaubt sehen, findet auch auf das Getreide Anwendung. Hat ein Kind kein Gedeihen, so legt man es am Johannismorgen nackt in den Rasen und sät Leinsamen über dasselbe, oder man übersät es im Frühjahr mit Sommergerste. wenn die Saat aufgeht, zu „laufen“ anfängt, fängt auch das Kind an zu laufen.4 Der aufsprießende Halm ist hier der Doppelgänger des jungen Menschen und sein Wachstum verbürgt das Emporschießen und die Gesundheit desselben. Und anderer-
seits trat au die Stelle des Menschen auch wol das Tier; im 7. Jahrhundert predigt der h. Eligius im Frankenreiche „Nullus praesnmat peeora per cavam arhorem transire (Myth.1 XXX.). Es ist also auch das Tier mit dem Baume gewissermaßen identifiziert worden.