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Verletzte Bäume bluten.

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aus dem Kunstmuseum Hamburg

Die Verschmelzung von Mensch (oder Tier) und Pflanze in der Phantasie, die magische Wechselwirkung zwischen beiden, welche in dem bisher besprochenen Volksglauben uns entgegentrat, steigerte sich zuletzt zu der noch mehr anthropomorphischen Vorstellung, daß heilige Bäume und andere Pflanzen hei Verletzungen bluten, als wären sie leibhafte Menschen und nur dem äußeren Scheine nach Vegetabilien. Loccenius im 17. Jahrhundert erzählt,1 daß ein Knecht auf dem Gute Vendel im Kirchspiel Osterhanning in Södermannland einen schönen schattenreichen Wachholder hauen wollte, der von anderen Bäumen umgeben auf einem ebenen, runden Platze stand. Da hörte er eine Stimme

„Haue den Wachholder nicht!“

und als er sich dennoch anschickte zuzuschlagen, ertönte die Stimme abermals:

„Ich sage dir, haue den Wachholder nicht!“

Afzelius2 berichtet damit übereinstimmend nach einer älteren Schrift, als ein Mann einen Baum im Walde habe abhauen wollen, habe aus der Erde eine Stimme gerufen

„Lieber, haue nicht!“

und aus den Baumwurzeln sei Blut geflossen. Eine der ersten schwedischen ähnliche Sage erzählt man in Baden von einem Kirschbäumchen bei der Barbarakirche zu Herrenalb, aus dem sich ein Bauer eine Flegelrute machen wollte. Da rief es beim ersten Schnitte hinein „Au weh!“ und ebenso heim zweiten, worauf der Bauer sich mit Grauen davon machte. Am andern Tage war das Bäumchen verschwunden. Ein ander Mal, als ein Küfer dort eine Birke ahschneiden wollte, rief es hei jedem der drei Schnitte ans ihr „o Jesus!“ Auf dieses ließ der Küfer die Birke stehen, die er später nicht wiederfinden konnte.3 Doch auch der von Afzelius berichtete Zug findet unter dentschredenden Stämmen Analogien. Man vergleiche nur was Schiller Walter Tell zu seinem Vater sagen läßt (Act. III. Sc. 3):

Vater ists wahr, daß auf dem Berge dort

Die Bäume bluten, wenn man einen Streich

Drauf führe mit der Axt?

Tell: Wer sagt das Knabe?

Walter: Der Meister Hirt erzählte. Die Bäume seien

Gebannt, sagt er, und wer sie schädige,

Dem wachse seine Hand heraus zum Grabe.

Grimm Myth.2 619 führt aus Meinerts Kuhländchen S. 122, das mir nicht zur Hand ist, an, daß die Erle anhebe zu bluten, zu weinen und zu reden, wenn einer sie haue. Nach Schönwerth soll es auch oberpfälzische Sagen geben, daß der Baum blute, wenn er umgehauen wird.1 Derselbe Glaube herrscht noch in Oesterr. Schlesien2 In jeder Hinsicht beglaubigt ist ferner die wichtige Aufzeichnung von J. V. Zingerle über den erst 1855 niedergehaunen „heiligen Baum“ bei Nanders in Tirol. Es war ein uralter zwieseliger Lärchbaum, aus dessen Nähe das Volk aus heiliger Scheu selbst bei öffentlichen Holzverteilungen kein Brenn- oder Bauholz nehmen mochte.3 Lärmen und Schreien bei diesem Baume galt für den größten Unfug. Fluchen und Schelten für einen himmelschreienden Frevel, der auf der Stelle

geahndet werde. Oft hörte man die Warnung:

„Tu nicht so. Hier ist der heilige Baum und dem Zorne wurde sofort Einhalt geboten. Allgemein herrscht der Glaube, der Baum blute, wenn man hineinhacke und der Hieb gehe in den Baum und in den Leib des Frevlers zugleich. Der Hieb dringe in beide gleich weit ein und Baum und Leibwunde blutest gleich stark, ja die Wunde am Leibe heile nicht früher, als der Hieb am Baume vernarbe.“

Ein frecher Knecht nahm sich vor — so erzählt man — den heiligen Baum zu fällen, um den Volksglauben zu Schanden zu machen. Schon schwang er die Axt zum zweiten Hiebe, als Blut aus dem Stamm quoll und Blutstropfen von den Aesten nieder träufelten. Der Holzknecht ließ die Axt vor Schrecken fallen und lief davon, fiel aber bald ohnmächtig zur Erde nieder und kam erst Tags darauf zur Besinnung.

Die Blutspuren blieben noch lange Zeit am Baume sichtbar. Die Narbe die von jenem Streiche herrühren sollte, sah mau noch vor einigen Jahren. Zur Stütze dieses Berichts aus neuester Zeit dient, was der (wol zwischen 1409—1418) in Niederlitauen unter den noch halbheidnischen Zemaiten missionierende Camaldulensermönch Hieronymus aus Prag im Jahre 1431 zu Basel dem damaligen Secretär Enea Silvio Piccolomini, späteren Papste Pius II. über seine Erfahrungen mitteilte, und was dieser der Nachwelt in seiner „Europa“ aufbewahrt hat:


Hier ist von demselben Lande die Rede, in welchem noch 150 Jahre später Laszkowski heilige Bäume umhieb, (o. S. 12). So tief wurzelte der Glaube an die geheimnißvolle Sympathie zwischen dem heiligen, von einem für göttlich erachteten Geiste erfüllten Baume und dem beschädigenden Menschen, daß den bereits zu der rationellen Erkenntniß Vorgedrungenen, die Eiche sei ja nur ein lebloses Stück Holz, im Augenblicke als er den Streich ausführt, jeue ältere ihm anerzogene Vorstellung mit Macht wieder überkommt und er unwillkürlich das Beil auf seinen eigenen Fuß lenkt. Ueberzeugt. daß er verwundet sei, so tief, als er vermutlich in den Baun gehauen, fällt er hin und bleibt liegen, bis ihn der Mönch aufstehen heißt und zeigt, daß er keine Wunde davon getragen.2

Schön ist die Anwendung, welche eine Sage ans Millstadt in Kärnten vom Glauben an das Bluten der Waldbäume macht.

Ein vaterloses Mädchen liebt einen Soldaten und wird deshalb durch den Fluch seiner Mutter in einen Ahornbaum verwünscht; sein Leib wird zäh, seine Brust knorrig, seine Haut Rinde, die Hände ästig und die Haare Laub. Ein Spielmann will sich von dem Baume einen Zweig zum Bogen schneiden, da quillt Blut heraus. Eine Stimme aber spricht:

„Mein Blut ist versöhnt, schneide dir einen Bogen und spiele mir mit demselben ein Grablied; dann gehe zum Bleicherhause und siehst du meine Mutter, so geige ihr ein Stücklein und sage, daß der Bogen von ihrem Kinde sei.“

Als die Mutter das Spiel des Bogens hörte, der noch nie solche Töne hervorgebracht hatte, wie diesmal, ward sie blaß und versöhnt und reuevoll rief sie aus:

„Fürwahr, ein gefallenes Kind ist besser, als keines. Hier ist die Baumnymphe. deren Blut dem verletzten Stamme entströmt, durch rationalistische Deutung zur Metamorphose einer menschlichen Jungfrau geworden; die übrigen Züge der Sage gehören größtenteils einer zart empfundenen freien Erdichtung zur Motivierung dieser Verwandlungsgeschichte an, welche auf ihre wahre Meinung und ursprünglichste Grundform zurückgeführt deutlicher als die vorhergehenden Beispiele die Baumgöttin mit der Verschmelzung menschenartiger und vegetabilischer Leiblichkeit vor Augen führt.“


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