aus dem Kunstmuseum Hamburg
Von allem anderen abgesehen, beweist Laszkowskis Mitteilung, daß bei einem Volke lettischen Stammes es für einen Frevel galt heilige Bäume der Rinde zu berauben, weil dadurch innewohnende Dämonen geschädigt würden; wer dies dennoch tat, erwartete für sich einen unerhörten Nachteil. Hiermit stimmt nun genau das Verbot des Baumschälens in dem uralten Gewohnheitsrechte der deutschen Markgenossenschaften zusammen, welches furchtbare Strafen für solchen Forstfrevel androhte.
Aus den Weistümem hat J. Grimm R. A. 519 ff. viele Beispiele znsammengestellt, ihrer noch weit mehrere sind hier und dort in seiner großen Weistümersammlung veröffentlicht; sie gleichen sich und es genügt das eine oder das andere herauszuheben.
„Item es soll niemand Bäume in der Mark schälen, wer das täte, dem soll man sein Nabel aus seinem Bauch schneiden und ihn mit demselben an den Baum negeln und denselben Baumschäler um den Baum führen, so lang bis sein Gedärm alle aus dem Bauch auf den Baum gewunden seien. (Oberurseler Weistum.)
Wenn jemand eine Weide abschält, so soll man ihn mit seinem Gedärme den Schaden bedecken lassen; kann er das verwinden, kann es der Baum auch verwinden. (Wendhager Baumrecht.)
Der en fruchtbaren Baum truddelte, soll mit seinen Därmen nach ufgeschnittenen Bauche und den Schaden gebunden und damit zugehelen werden. Wenn jemand einen fruchtbaren Baum abhauete und den Stamm verdeckte dieblicher Weise, dem soll seine rechte Hand auf den Rucken gebunden und sein Gemechte uf den Stammen genegelt werden und in die linke Hand eine Axe geben sich damit zu lösen. (Sehaumburger altes Landrecht.)
Wir haben meines Wissens keinen Beweis dafür, daß dieses barbarische Recht in Deutschland zu historischer Zeit jemals in Anwendung gebracht sei. Der Schuldige konnte Hals und Glied mit einer geringen Geldsumme lösen.1
Ein um so bemerkenswerteres Zeugniß für die Wahrheit des Dichterwortes, daß „Rechte und Gesetze“ sich längst überlebt wie eine ewige Krankheit fortpflanzen, bietet daher u. a, das Protokoll des Holt-tings zum Harenberg unweit Blumenau und Dimmer hei Hannover am 13. Nov. 1720. Noch damals erklärten die Beisitzer des unter dem Herrn von Holle als Erben und Holzgrafen zusammengetretenen Holzgerichts:
Frage 22:
Wenn einer befunden würde „der einen Heister (ndd. bester junger Eich- oder Buchbaum) witjede (von witjen weiß machen, schälen), wie hoch derselbe soll gestraft werden?
Antw.: Man solle dem Täter das Eingeweide ans dem Leibe schneiden und daran knüpfen und ihn so lange umb den Heister henunjagen, bis er wieder bewunden wird.
Fr. 23:
So einer befunden, der einem fruchtbaren Heister den Poll (Wipfel, Kopf2) abhauete, wie hoch derselbe soll gestrafet werden?
Autw.: Wenn der Heister fruchtbar sei, solle dem Täter der Kopf wieder abgehauen werden.
Fr. 24: Wenn einer einen Schnatbaum (Grenzbaum) abhauet, wie hoch derselbe solle gestrafet werden?
Autw.: Man soll dem Täter den Kopf auf dem Stamm wieder abhauen.3
Augenscheinlich hatten diese furchtbaren Strafandrohungen nur dann Sinn, wenn man zur Zeit, als sie zuerst ausgesprochen wurden, annahm, daß der Wipfel den Kopf, die deckende Rinde die Haut, der umwickelnde Bast die Eingeweide des Baumes als eines beseelten, menschenartig empfindenden Wesens darstellten.
Wer die Krone haut, Borke und Bast des lebenden Baumes reißt, beraubt den Baumgeist der zum Leben notwendigsten Glieder, Vgl. oben den Zemaiten Lazskowskis und unten in Kap. II. die Moosweibchen im Orlagau. Nach dem Grundsätze Auge um Auge, Zahn um Zahn sollte der frevelnde Mensch mit dem entsprechenden Teile seines Körpers gut machen, was er an jenem gesündigt; er sollte die entfremdeten Glieder mit seinen eigenen gleichsam ersetzen. Zu einer gewissen Zeit muß es mit solchen Strafandrohungen auch in Deutschland bitterer Ernst gewesen sein, mag diese Periode, auch vielleicht hinter der Zeit, der Bekehrung zum Christentum weit zurückliegen. In abgelegenen Strichen des Westens z. B. in Irland dauerte sie aber im elften Jahrhundert, in den heidnischen Ländern des Ostens im dreizehnten Jahrhundert noch fort. Was in unsem Weistümem nur als eine durch die Tradition fortgepflanzte, in der Praxis schwerlich ausgefilhrte Rechtsformel uns entgegentritt, war dort noch ein Stück lebendiger Sitte.
Als die deutschen Ordensritter die Eroberung Preußens kaum begonnen hatten, wurde ihnen im J. 1231 von seinem eigenen Oheim einer ihrer hartnäckigsten Gegner, der Häuptling Pipin in die Hand geliefert.
So erzählt nach einer den Ereignissen fast gleichzeitigen Quelle die ältere Chronik von Oliva p. 21. (Script. Rer. Prussic. edd. Hirsch Strehlke, Tüppen I. 677.) Obwohl das wirkliche Verhalten der deutschen Ordensritter keineswegs durchaus dem idealen Bilde entsprach, an welches J. Voigts berühmte Darstellung die Lesewelt gewöhnt hat, müßte uns ein so barbarisches Verfahren von ihrer Seite unbegreiflich erscheinen, wenn dasselbe nicht eine ganz besondere Veranlassung hatte; die Verwunderung schwindet, sobald wir der naheliegenden Vermutung Raum geben, daß die Deutschherren ihrem Gegner diejenige Todesart zuerkannten, welche er zuvor einem oder mehreren ihrer Untergebenen mochte angetan haben. Wenn man sich erinnert, daß heilige Bäume und Haine, denen kein Christ nahen durfte (Adam. Brem. IV. 18) hei den Völkern lettischen Stammes den Fremden als die augenfälligste Aeußerung ihres Cultus immer zuerst bemerkbar geworden sind, daß mithin grade diese die nächsten Opfer des frommen Bekehrungseifers der Christen sein mußten, so ist leicht einzuseheu, nie der preußische Häuptling seinerseits freche Eindringlinge für ein an heiligen Bäumen begangenes Sacrileg strafen zu müssen geglaubt hat. Wenn die Deutschen dies dann wieder für nichts anderes, als einen rohen Ausbruch blutdürstigen Hasses ansahen und demgemäß behandelten, so gewährt uns diese Bloßlegung der wahren Motive nur einen weiteren Beleg für die traurige Wahrheit, daß viele unserem Gefühle Schauder erregende Taten der beiderseitigen Unfälligkeit entspringen, sich in die Gedankenwelt des Gegners zu versetzen.
Uebrigens darf uns der barbarische Character der Strafe nicht verleiten den Culturzustand der alten Preußen allzu niedrig anzunehmen, sie standen (zumal in wirtschaftlicher Beziehung, wie das Neumannsche Vocabular lehrt) kaum niedriger als ihre christlichen Nachbarn in Polen und wenn der obige Bericht Laszkowski’s die Entdärmung auch in lettopreußischer Sitte als anfängliche Vergeltung für Baumschulen begreiflich macht, so läßt mich der Umstand, daß die Bekehrer heilige Bäume eher mit der Axt umzuhauen pflegten, daran denken, daß wohl schon 1231 jenes Verfahren für jede Art Verletzung der geweihten Haine und der mit religiöser Ehrfurcht behandelten Stämme in Anwendung gebracht sein mag, und im späteren Verlauf des zweihundertjährigen Religionskrieges, der mit der Ankunft der Deutschen anhub, wird es bei steigender Erbitterung auch in solchen Fällen auf Christen ausgedehnt sein, wenn sie kein specielles Baumheiligtum geschädigt hatten.1
So wird der folgende Vorgang verständlich. Im Januar 1345 erschien der heidnische Litauerkönig mit seinem Heere vor Riga. Festinans ad transitum (Dünahrücke, die zur Stadt führte)
Auch dieses Zeugnis bewährt, daß wir es mit einer religiösen Handlung, nicht mit einer profanen Strafe, oder leeren Grausamkeit zu tun haben; und auf eben denselben Punkt trifft noch ein weiterer Beweis, den ein Ereigniß aus der Zeit um 1236 darbietet. Papst Gregor IX. spricht sich nämlich 1238 in einer Bulle über die Verfolgung der Neubekehrten in Tawastland durch die finnischen Heiden folgendermaßen aus:
Letztere tödten die getauften Kindlein, quosdam adultos exfractis ab eis primo viseeribus daemonibus immolant et alios usque ad amissionem Spiritus arborem circnire compellunt.1 Eine so blutige Ceremonie durfte wol von den Christen als ein den Dämonen dargebrachtes Opfer bezeichnet werden, wenn sie auch nach Anschauung der Heiden eine Sühne für ihre beleidigten Götter war. Unter den letzteren werden wir auch in diesem Falle zunächst an jene der Hyldemoer, Aska froa u. s. w. zu vergleichenden Baumnymphen denken, welche der Finne unter dem Namen Kati, puiden emnu (Kati? Baummutter) Tuometar (von tnomi Traubenkirsche) Katajatar, (von kataja Wacholder). Hongatar (von honka Tanne), Pihlajatar (von pihlaja Eberesche) als Pflegerinnen und Schützerinnen der Waldbäume verehrte,1 und deren ja in jedem heiligen Haine eine oder mehrere zur Stelle waren. Es führt uns tief in das frische Waldleben der Vorzeit ein, wenn diese Gottheiten — die nach S. 22 Anm. 3 unzweifelhaft auch als Menschen und Tieren gefährlich gedacht worden sind — anderseits angerufen werden, sich der auf der Waldweide gehenden Viehherden anznnehmen
und ihnen in reichlichem Maße Laub zum Futter zu spenden.1 Wie durch die vorhergehenden Zeugnisse bei Finnen und Litauern, lernen wir die Sitte der Entdärmung durch Helmold auch als Brauch der heidnischen Slaven des 12. Jahrhunderts in Wagrien, Polabien und Obotritenland kennen. Er schildert deren Blutdurst und fügt hinzu:
„Wie viele Todesarten sie den Cristen schon zugefügt haben ist schwer zu erzählen, da sie den einen die Eingeweide aus dem Leibe rissen, und sie um einen Pfahl wickelten, die andern ans Kreuz schlugen, um das Zeichen unserer Erlösung zu verhöhnen.“ 2
Bei den Wagriem lag das Christentum damals bereits seit mehreren Jahrhunderten mit dem Heidentum im Kampf und dieser war zu großer Erbitterung gediehen. Da wir aber von ihnen ebenfalls wissen, daß Land und Städte an heiligen Hainen und Hausgöttern (luci et penates) Ueberfluß hatten (redundabant),3 so ist leicht zu erraten, daß auch hier jene Marterart gegen die Christen ursprünglich mit dem Auftreten der Missionare in Zusammenhang gestanden haben wird.4