aus dem Kunstmuseum Hamburg
In weiterer Entwickelung nehmen nun die bisher behandelten Vorstellungen von einem Baumgeiste mannigfach andere Formen an, von denen wir jedoch nur einige der einfacheren und von fremder Beimischung frei gebliebenen teils erwähnen, teils näher darlegen wollen. Aus dem Glauben, daß die Pflanze eine Seele habe, erwuchs die Ansicht, daß dieselbe der zeitweilige Körper einer Menschenseele sei. Die Seelen Liebender oder unschuldig Gemordeter wandeln sich in weiße Lilien und andere Blumen, welche aus dem Grabe oder aus dem hinströmenden Blute hervorsprießen (S. die o. S. 3 Anm. 1 angeführten Schriften).
Die 70 Fuß hohe sogenannte „schöne Eiche“ im Walde bei Lüchow soll aus dem Munde eines in der Schlacht gefallenen Könige hervorgewachsen sein.1 Ebenso giebt es viele Sagen von sogenannten Blutbäumen, die aus dem Blute schuldlos Gerichteter entstanden; mit dem Blute ging die Seele in sie über. Zu Camern waren das 7 Eichen, die sich wunderbar zu einem Stamme vereinigten und als man einst eine derselben fällte, schwitzte der Stumpf blutige Tränen, bis ein neuer Baum aus demselben hervorwuchs.2 Zu Mödrufell im Eyjafjördr auf Island ist es ein Vogelbeerbaum (reynir), der aus dem Blute zweier wegen vermeintlicher Blutschande unschuldig hingerichteter Geschwister entsteht.1 In der Hüll (Oberpfalz) hängt man an dem Orte, wo jemand gewaltsamen Todes starb, eine Tafel mit einer Gedächtnißinschrift an einen Baum. Bei Tag soll dann die arme Seele des Getödteten im Baume hausen, Nachts aber entbunden sein und in einem gewissen Umkreise frei schalten dürfen.4
Doch nicht bloß reine und selige Menschengeister, auch die Seelen Verdammter nehmen nach dem Tode Pflanzenleib an. In einem Laubwalde zwischen Neustrelitz und Brandenburg, an einer Stelle, wo einst ein Meuchelmord begangen wurde, stieg täglich mit dem ersten Schlage der Mittagsstunde eine distelähnliche Gestalt aus dem Boden, deren Stamm zwei mit Stacheln besetzte Arme mit in einander gerungenen Händen bildeten, unten am Stiel zwei über und über mit Stacheln oder Dornen besetzte Menschenköpfe. Sobald es zwölf ansgeschlagen hatte, war das Gewächs spurlos verschwunden. Einem Pastor, der mit seinem Stocke darüber hinfuhr, verkohlte
der Stock und verlahmte der Arm.1 Diese Mecklenburger Sage zeigt, eine wunderliche Zutat mittelalterlichen Fegefeuerglaubens. Reiner ist die bairische von den drei verfluchten Jungfern, die in einem Waldschlosse hei Nürnberg ein gottloses Leben führten, Fremde anlockten, ausplünderten und tödteten. Gottes Blitzstrahl erschlug sie und verbrannte ihr Haus; ihre Seelen aber fuhren in drei große Bäume und so oft einer davon gefällt wird, geht die Seele in einen andern. Nach Gebetläuten hört der Torübergehende von den Wipfeln dieser Bäume herab lachende Stimmen oder schadenfrohes Gekicher und nicht undeutlich glaubt er zwischen den Aesten eine Gestalt zu sehen, die ihn zu sich winkt. 2 Breithut, der Geist eines berüchtigten Raubritters im Geißenthäle läßt sich hier und da als Baumklotz oder gradezu als Baum blicken.3 Ein Pfleger, der Waisengelder angegriffen bat, spukt im Walde. Er sieht aus, wie in Baumrinde gekleidet, lehnt sich an einen Baumstamm und schaut die Holzarbeiter starr an, bis sie entsetzt fliehen.4 An der Pfaffenhaide am Hallwiler See stand bis vor kurzem ein sehr alter Kirschbaum. Dahinter sah jeder, der Nachts vorüber ging, einen Mann stehen, der die Hand vorstreckte, dann rasch hervorsprang und verschwand. Wer sich nach ihm umsah, dem blieb der Hals verdreht. Einem Weib hing er sich als Dom in die Jüppe und als sie diesen entfernen wollte, schwoll ihr der Kopf an. Man hieb den Birnbaum um. Seitdem ist auch jene Stelle frei, aber ebenso lange sitzt im Keller des nächstgelegenen Hauses ein schwarzer Hund auf einer Kiste und heißt wie der längst verstorbene Ahnherr dieses Hanses Suchelis.5 Im Buchenwalde auf dem Kestenberg zwischen den Schlössern Wildegg und Brumnegg hat sich ein Jäger an einer Eiche erhängt. Als der Schloßherr ihn fand, vom Winde in den Zweigen hin- und her geschaukelt, befahl derselbe die Eiche zu fällen; aber Blut quoll unter den Axthieben hervor und rote
Adern durchzogen den Stamm. Da verbrannten die Leute Stamm und Leichnam. Seitdem pirscht aber der Todte als Wildhans von Wildegg mit gespenstigen Hunden durch den Wald, oft hört man dieselben winseln, wenn er sie an die Bäume hängt, um sie mit Riemen zu hauen.1 Eine Variante dieser Sage knüpft sich unweit davon an einen Holzbirnbaum zwischen Wildegg und Lupfig. Der krumme Jäger, der an diesem Baume seine Hunde aufzuhängen pflegte, sich an ihm erhängt hatte und unter demselben begraben war, ließ sich da noch immer sehen, z. B. als dreibeiniger Hase mit Augen so groß wie ein Pflugrad. Wer ihm nachschaute, dem schwoll der Kopf. Oder er stand als schwarzer Mann hinter dem Baume. Einer, der ihn anredete, büßte mit gedunsenem Mund und geschwollenen Augen. Die Gemeinde beschloß nun den Baum umbauen zu lassen. Aber während das Gebüsche ringsum unbewegt in der ruhigen Luft stand, schüttelte ein Brausen die Aeste des Holzbirnbaumes. Den Arbeitern sprang die große Waldsäge ab, und wo man mit der Axt hintraf, war das Beil stumpf und ein blutroter Saft quoll nach.1
Diese Sagen sind in mancher Hinsicht lehrreich. Die Seele des Verstorbenen gebt in den Baum über, erfüllt ihn gleichsam mit menschlichem Leben, so daß Blut in seinem Geäder umläuft. Zugleich aber läßt sie sich als Schatten in Tier- oder Menschengestalt außerhalb des Baumes aber in dessen Nähe sehen, und ihr Anschanen verursacht jene Krankheiten, mit welchem der unverhüllte Anblick von Geistern auch sonst bestraft wird. Durch die Vernichtung des Baumes frei geworden, vereinigt sie sich mit dem Winde und tobt in der wilden Jagd daher.3 Es wird nun auch wol verständlich sein, weshalb auch Gespenster und Klopfgeister in hohle Bäume, Weideubäume u. dgl. gebannt werden.4 Man giebt ihnen, um sie los zu werden,
den Baum zum Leibe. Der im Weinkeller spukende Geist eines bösen Wirts ist in die Ruckfelder Linde bei Zurzach gebannt worden. Dort hauste er in einem Astloch. Nachts saß er oft auf einem Aste und geigte und je schärfer im Winter die Schneeflocken über Rückfeld stöberten, desto schöner und schärfer geigte er drauf los. Ein Bauer, der nach diesen Tönen tanzte, bis er umfiel, ist von Stand an der beste Tänzer im Lande geworden. Dieses zauberische Geigenspiel ist die Musik des Waldes, das Lied des Sturmes, welches alles bewegt und tanzen macht.1 Die breite Eiche auf dem Bleß bei Salzungen war die mächtigste des ganzen Forstes. Als sie hohl wurde, trugen die Jesuiten manchen Poltergeist in dieselbe. Leute, die vorbeigingen, hörten die Geister darinnen rumoren. In die dicht belaubten steilen Wände der wilden Löcher einer Schlucht in der Nähe dieser Eiche sind ebenfalls Poltergeister getragen und festgebannt. Noch heute guckt fast ans jeder Ecke und aus jedem Baumstumpf ein Spukgesicht heraus und erschreckt die armen Leute, die dort Leseholz suchen. Ein Tagelöhner aus Salzungen hatte hier Baumstubben gerodet und spaltete dieselben unter seinem Fenster vor dem neuen Tore; da sah er, als er soeben einen Keil ein trieb, aus dem Stubben ein kleines graues Männlein heraus und durch die Türe in das Haus schlüpfen, und ehe der Tagelöhner sich noch von seinem Schrecken erholt hatte, guckte der kleine Mann auch schon durch die runden Scheiben der Wohnstube, schnitt allerlei Gesichter und trieb so lange Unfug, bis er ihn durch einen Geisterbanner fangen und wieder bannen ließ.2
Noch ein Beispiel sei angeführt, welches wieder erinnern mag, daß auch diese Vorstellnngsweise die Bäume und niederen Pflanzen gemeinsam umfaßt. Man soll die Schmelber (Schmelcher oder Schmielen), eine hohe schlanke Grasart, nicht abreißen oder damit die Zähne ausstochern, damit man nicht von den bösen Geistern oder Teufeln besessen werde, welche oft dahinein gebannt oder darauf gespießt sind.3 Zu vergleichen steht die
von J. W. Wolf, Beitr. II, 242 aus Jacob a Voragine angeführte Legende von einem bösen Geist, der in oder zwischen den Blättern einer Salatstande saß.