aus dem Kunstmuseum Hamburg
Sehr deutlich springt diese Vorstellung vom Schicksals-oder Lebensbaum in einer Reihe weitverbreiteter Traditionen hervor, wonach ein Fortreisender sein Leben sympathetisch mit einer daheinibleibenden Pflanze verknüpft. Im Märchen von den zwei Brüdern (K. H. M. Nr. 60) z. B. stößt der Fortziehende sein Messer in den Baum vor der Tür des Vaterhauses. So lange, es nicht roste, sei das ein Zeichen, daß er selbst gesund sei, wie der Baum. Im Märchen von den Goldkindern (Nr. 85) lassen die beiden Jünglinge, als sie ausziehen, um die Welt zu sehen, ihrem Vater ihre beiden Goldlilien zurück.
„An ihnen kannst du sehen, wie es uns ergeht. Wenn sie frisch sind, befinden wir uns wohl; wenn sie welken, sind wir krank; wenn sie abfallen, sind wir todt.“
Ob diese Märchen, denen sich verwandte Züge nicht allein aus Indien, sondern selbst aus Mexiko und Ägypten an die Seite stellen lassen,3 einheimische Gewächse
seien ist mehr als zweifelhaft; ganz nahe aber ihrem Inhalt liegt der Gedanke in der fein empfundenen dritten Strophe des Volksliedes:
„Morgen muß ich fort von hier.“
Der in Abschiedsweh fast vergehende Liebhaber erklärt sein Leben mit der zurückbleibenden Geliebten, die wie ein Baum auf grüner Aue sprießt, der Art eins und verwachsen, daß es (wenn er mit dem Körper davonziehe) gleichsam dableiben und sein Wiederbild in der Ferne absterben werde:
Dort auf jener grünen Au,
Steht mein junges Leben.
Soll ich denn mein Lebelang
In der Fremde schweben?
Hab’ ich dir was Leids getan
Halt ich um Verzeihung an;
Denn es geht zu Ende.