aus dem Kunstmuseum Hamburg
Die unter uns ganz geläufige Redeweise
„der Baum meines, deines, seines u. s. w. Lebens grünt, welkt, stirbt ab“
zeigt uns den Vergleich menschlichen und vegetabilischen Wachstums in persönlichster Anwendung zu einem stetig dem Bewußtsein vorschwebenden Bilde gediehen. Während wir uns aber darüber klar sind, daß das uns immanente Leben, die Gesammtheit der Zustände und Veränderungen unseres Seins durch dieses Bild ausgedrückt werde, tritt dasselbe für das Bewußtsein mancher Menschen auf niederen Stufen durch Hypostase als etwas Reales und Selbständiges, gleichsam als ihr Doppelgänger, der alle ihre Schicksale mitmacht, anzeigt, oder gar bestimmt, aus ihrer Persönlichkeit heraus und neben dieselbe. Man sehe nur, wie in einem von Orest Miller mitgeteilten schönen russischen Hochzeitsliede aus dem Permschen Gouvernement das Mädchen sein Verhältniß zu dem künftigen Ehegatten schildert:
Nur wenig schlief ich Junge,
Wenig die ganze Nackt.
Doch in dem Schlummer hatt’ ich
Einen schönen Traum.
Ich sah in Hofes Mitten
Wuchs ein Cypressenbaum
Und ihm zur Seit´ ein andrer,
Ein zuckersüßer Baum.
Und auf dem Baume waren Goldener Zweige viel,
Zweige von Gold und Silber.
Da sprach das Haupt des Hauses,
Der Meister „liebes Herz,
Soll ich den Traum dir deuten?
Sieh der Cypressenstamm
Bin ich, der ich dein eigen.Der zuckersüße Baum
Bist du, und du bist mein.
Und auf dem Baum die Aeste
Sind unsre Kleinen ja,
Die lieben teuren Kinder.“
Obgleich Hunderte von Meilen von Perm entfernt, liefert das Saterland den nächsten Verwandten dieses Volksliedes in einem Hochzeitsbrauche.1 In die eine Ecke der Bettlaken, welche ein Bräutigam mitbekommt, wenn er aus dem elterlichen Hause in einen fremden Hof hineinheiratet (und nur dann) stickt man mit bunten Fäden einige Blumen auf einen Baum, auf dessen Wipfel und reich belaubten Aesten Hähne (eine leicht verständliche Symbolik) sitzen. Zu beiden Seiten des Stammes stehen die Anfangsbuchstaben seines Tauf- und Familiennamens. Ebenso sticken die Mädchen in ihre Aussteuerhemden am Halse auf jede Seite der Spange je einen Baum und die Buchstaben ihres Namens. Es ist der Schicksals- oder Lebensbaum der jungen Leute selber gemeint, der aus dem heimatlichen Boden verpflanzt künftig auch in dem neuen Wohnsitze grünen, wachsen und Früchte bringen soll Auf der gleichen Anschauung beruht eine Reihe schöner Hochzeitsitten, die sich durch viele deutsche, slavische und lettische Landschaften verfolgen lassen.
Dem jungen Paare werden bei der Hochzeit grüne Bäume vorangetragen, ein grüner Baum prangt auf dem Wagen, der die Aussteuer der Braut in die neue Heimat führt, auf dem Dach oder vor der Tür des Hochzeitshauses. Im Drömling tragen die Braut- und die Bräutigamsjungfern auf dem Wege zur Kirche dem Brautpaar brennende Lichter auf jungen Tannen oder mit Buchsbaum umwundenen Gestellen voran. 2 Im Hannoverschen Wendlande tragen die Kranzjungfern während der Ehrentänze der Brautführer und des jungen Ehemanns mit der Neuvermählten mit brennenden Lichtern besteckte grüne Tannenbäumchen vorauf; indem die jungen Eheleute diese Lichter mit Tüchern ausschlagen (sie wollen ihren Lebensbaum für sich behalten), geben sie das Zeichen zum Beginn des allgemeinen Tanzes.3 In den wendischen Dörfern bei Ratzeburg
dagegen hatte ein grüner Baum auf dem Brantwagen Platz.1 In der Oberpfalz steckt ebenso vorn auf der äußersten Spitze des Kammerwagens, der die Aussteuer der Braut trägt, ein verziertes Fichtenstämmchen,5 nicht minder schmücken den schwäbischen Brautwagen um Ehingen, der die Kunkel und das Ehebett führt, sechs mit seidenen Bändern, Goldflittem und Blumen gezierte Tannenbäume.3 Auf den lettischen Bauerhochzeiten in Kurland wurde, sobald das neue Paar aus der Brautkammer trat, nachgeforscht, ob der junge Ehemann die Liebesprobe kräftiglich bestanden. Befand es sich so, so wurde große Fröhlichkeit geübt und ein großer grüner Baum oder Kranz oben auf das Hans gestellt. 4
Der Lebensbaum des Bräutigams oder des neubegründeten Stammes steht gut, wenn Aussicht auf Nachkommenschaft da ist. In Schweden nimmt man als Brautstuhl, auf dem das Hochzeitpaar während der Trauung sitzt, einen Chorstuhl, pflanzt zwei Tannen mit Blumen und Goldpapier vor dessen Türen, spannt oben eine weiße Decke ans und verziert es auffallend. Zu Väßbo werden am Vorabend der Hochzeit an allen Türen, Pforten und Gattertoren Tannen gesetzt, eine zu jeder Seite.5 Im Zwodtagrunde im Voigtlande werden, wie auch in Thüringen, Fichten vor das Hochzeithaus gesetzt.8 Im Weimarischen pflanzen die Burschen und Mädchen des Ortes am Vorabend der Hochzeit grüne Tannen vor das Brauthaus und verbinden sie mit Blumengewinden, Kränzen, bunten Bändern und einer Zitrone, worauf die Namen der Brautleute eingestochen sind.7 Dies geht schon über in eine andere Form der nämlichen Sitte, welche wir später nach Erörterung des Maibaums und Emtemais betrachten werden.
Nicht selten geschah es, daß unwillkürlich oder mit Absicht ein bestimmter lebender Baum zum Träger des zweiten Gliedes der Gleichung und dadurch gleichsam dauernd zum alter ego eines
bestimmten Menschen gemacht wurde. In Hochheim, Einzingen und anderen Orten in der Nähe von Gotha z. B. besteht der Brauch, daß das Brautpaar zur Hochzeit oder kurz danach zwei junge Bäumchen auf Gemeindeeigentum pflanzen muß. An sie knüpft sich der Glaube, wann das eine oder das andere eingehe, müsse auch das eine oder andere der Eheleute bald sterben. Auf ähnliche Anschaumig, vermöge deren der Liebhaber einen Baum mit sich selbst identifiziert, gründet sich u. a. auch der preußische Aberglaube, wenn man die Liebe eines Mädchens begehrt, drei Haare desselben in eine Baumspalte einzuklemmen, sodaß sie mit dem Baume verwachsen müssen. Das Mädchen kann dann nicht mehr von einem lassen.