von Kunstmuseum-Hamburg.de
Ein Vergleich der Landschaften des Genter Altars mit diesen Werken der Buchmalerei führt zu dem Ergebnis, dass sie sich unmittelbar an die religiösen Darstellungen der genannten Bilderhandschriften anschliessen. Sie weisen noch die gleiche Anordnung der Motive, den gleichen Aufbau und dieselben Methoden der Raumvertiefung auf, wie die der Augustinushandschrift, der Altarflügel Melchior Broederlaems, des Manuskripts 1855 der Wiener Hofbibliothek 11. a. m. Vom tiefliegenden Vordergrund, der vollständig von der figürlichen Darstellung eingenommen wird, steigen die landschaftlichen Gründe teils als senkrechte Felskulissen teils als stark geneigte Terrainböschungen gegen den hochliegenden Horizont an. Eine Anlage der Landschaft, die eine Einteilung in linearperspektivische Gründe in der Art wie sie in den erwähnten Monatsbildern einerseits und der Rollinmadonna andererseits ausgebildet ist, ebensowenig zulässt, wie eine freie Entwicklung der Richtungsmotive. Die einzelnen Teile der Landschaft sind ohne Rücksicht auf ihre Lage zum Auge des Beschauers, welches wenigstens für den figürlichen Teil der Darstellung in der Augenhöhe der Vordergrundfiguren gedacht ist, in starker Aufsicht dargestellt und jede einzelne Terrainkulisse, jede Tiefenzone ja jede Figurengruppe hat ihren besonderen Verschwindungspunkt. Eine Erstreckung des Raums nach der Tiefe zu ist ebensowenig ausgebildet wie in den Landschaftsdarstellungen der vorhergehenden Kunstepoche; die Landschaft ist wie dort in einzelne flache Kulissen, in übereinander aufsteigende Terrainprofile zerlegt und den einzigen Ausdruck für die Ausdehnung in der dritten Dimension bildet die gegenseitige Ueberschneidung dieser Profile und wie bei Melchior Broederlaem die nach vorn abfallende Terrainböschung.
Auch in der Anordnung der Figuren ist dieses Prinzip durchgeführt, die sich zu dichten Gruppen zusammengedrängt wie eine lebende Scheidewand zwischen das Auge des Beschauers und die Landschaft schieben, ohne dass zwischen diesen beiden Kompositionselementen eine Verbindung hergestellt wäre. Die Figuren sind nicht im Raum, sondern vor denselben gestellt, sie bilden ein Ganzes für sich und stehen fast ausser jedem Zusammenhang mit der Landschaft, die ihnen als Hintergrund dient Ja selbst dort, wo die Figuren in verschiedenen Tiefen der Landschaft verteilt sind, wie in der Anbetung des Lamms, sind sie doch so losgelöst von ihrer räumlichen Umgebung, so durchaus nur aufeinander bezogen, dass nur die augenfällige Abhängigkeit der landschaftlichen Komposition von der figürlichen den Eindruck aufhebt, als sei jede für sich ohne Rücksicht auf die andere entworfen. Dagegen zeigt sich in der Wahl des Verhältnisses zwischen den Dimensionen, den Figuren und Landschaftsmotiven ein entschiedener Fortschritt. Zwar sind die ersteren auch im Center Altar viel zu gross den letzteren gegenüber angenommen, aber und hierin liegt ein bedeutender Fortschritt den meisten zeitgenössischen Schöpfungen der Buchmalerei gegenüber, diese Proportionsfehler halten sich immer innerhalb gewisser Wahrscheinlichkeitsgrenzen und wirken nicht schon auf den ersten Blick unorganisch und naturwidrig.
Der Einfluss der Buchkunst des ausgehenden 14. Jahrhunderts macht sich wie schon erwähnt vor allem im Aufbau der Landschaft geltend, die mit ihren den Vordergrund einrahmenden zersplitterten Treppenfelsen, den sich dahinter erhebenden sanfteren Höhenzügen und den am Horizont aufragenden monumentalen Bauwerken, in allen wesentlichen Teilen mit dem der Landschaften der Augustinushandschrift übereinstimmt, nur dass die Stellung des Einzelmotivs in der Landschaft und sein Verhältnis zu ihr eine erhebliche Veränderung erfahren hat. Es ist nicht mehr rein abstrakt ohne Beziehung zu bestimmten Vorbildern aufgefasst, es ist nicht mehr bloss ein Zeichen für eine bestimmte Vorstellung, welches analog den Zeichen der Bilderschrift seine ursprüngliche Bedeutung als Abbild der Wirklichkeit allmählich verloren hat, sondern es ist der Natur mit möglichster Treue nachgebildet. Hier sind es besonders die Landschaften der Mitteltafel und der beiden rechten Seitenflügel, welche sich durch feine Detaildarstellung auszeichnen. Die Zitronenbäume, Cypressen und Palmen sind mit solcher Lebendigkeit mit einem so tiefen Naturverständnis wiedergegeben und jeder Baum ist so individuell aufgefasst, dass ein eingehendes Studium nach der Natur und zwar nach bestimmten Objekten angenommen werden muss. Ja in der Wahl der Motive, scheint sich die Absicht zu offenbaren, in den Landschaften des Genter Altars Bilder aus verschiedenen Himmelsstrichen zu verkörpern und sie dein figürlichen Vorgang anzupassen. Während auf der rechten Seite die südliche Vegetation vorherrscht, tragen die Landschaften links mehr den Charakter nördlicher Gegenden mit frischen grünen Laubwäldern und blumigen Wiesen, ein Eindruck, der durch die am Horizont aufragenden Gebirgskämme noch erhöht wird. Auch ist es wohl nicht zufällig, dass die Höhenzüge hinter den Streitern Christi und den gerechten Richtern monumentale Gebäude tragen, während die Landschaften, die den frommen Pilgern und heiligen Einsiedlern als Hintergrund dienen, mehr als unbewohnte Gegenden dargestellt sind. Eine ähnliche Teilung, wenn auch nicht so ausgesprochen, zeigt auch das Mittelbild, dessen linke Seite hinter den Propheten des alten Bundes vorwiegend südliche Vegetationsformen und einen der Omarmoschee1 sehr verwandten Rundbau aufweist, während die rechte Seite, sowohl ihrem Pflanzenwuchs als dem Charakter der Bauwerke nach mehr nach den nördlichen Breiten hinweist.
Diese Vereinigung zweier verschiedener Landschaftstypen auf einer Bildertafel beweist deutlich, dass der Künstler die Landschaft noch nicht als ein organisches in sich geschlossenes Ganzes auffasst, dass sich diese individuelle Auffassung nur auf das Einzelmotiv erstreckt, welches nach wie vor seine selbständige Stellung bewahrt und als Repräsentant eines Stücks freier Natur erscheint. Sehr auffällig zeigt sich diese repräsentative Stellung auch in der Behandlung der Wiese auf der Anbetung des Lamms. Die Blumen und bis ins kleinste Detail ausgeführten Pflanzen, welche ihre vordersten Teile bedecken und dann ganz unvermittelt verschwinden um einer einförmigen grünen Fläche Platz zu machen, haben augenscheinlich nur den Zweck, den Beschauer über das Wesen des ganzen Wiesenplanes aufzuklären und die Vegetation desselben anzudeuten. Die vom Einzelobjekte ausgehende Darstellungsweise äussert sich andererseits darin, dass es der Künstler unterlässt, von dem naturgemäss an Einzelheiten reicheren Vordergrund zu dem die Dinge mehr in ihrer Gesamterscheinung zeigenden Hintergrund überzuleiten. Er stellt dieselben am äussersten Horizont zwar in verkleinertem Massstabe, jedoch mit derselben Sorgfalt und Genauigkeit bis ins Kleinste dar, als wären sie aus nächster Nähe gesehen.
Die Ueberlegenheit der Oeltechnik gegenüber der Wasserfarbentechnik macht sich besonders deutlich auf dem Gebiete der Lichtführung und Farbengebung bemerkbar. Das rasche Trocknen der Wasserfarbe, welches kein Verschmelzen mit anderen Farben, kein Abtönen nass in nass gestattet, nötigte den Künstler, die Abtönungen mittelst Strichlagen oder stufenförmigem Uebereinander-malen vieler Schichten oder schliesslich mittelst Nebeneinandersetzen zart abgestufter Töne hervorzubringen und eignete sich daher wenig für eine kräftigere Modellierung und ein körperliches Herausarbeiten der Formen. Ganz anders die Oelfarbe, die dem Künstler durch ihre Fähigkeit sich nass in nass verarbeiten zu lassen die Möglichkeit an die Hand gibt, die feinsten Uebergänge vom Licht zum Schatten und die zartesten Farbennuancierungen wiederzugeben und so eine vollere plastischere Modellierung der Körper gestattet. Zwar hat die technische Ausführung des Genter Altarwerks, wie die der meisten Arbeiten des 15. Jahrhunderts noch manches mit den in Wasserfarbentechnik ausgeführten Bildern der vorhergehenden Epoche gemein und kräftigere Lichteffekte sind nach wie vor vermieden, jenes Prinzip aber, die Unterschiede der Lichtintensität durch Farbenunterschiede auszudrücken, wie wir ihm in den Miniaturen des 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts begegnen, ist hier ausser Anwendung. Den Lichtwerten sind entsprechende Schattenwerte gegenübergestellt und dadurch ein plastisches Losgehen der Objekte und Figuren von ihrem Hintergründe erzielt. Die Einfallsrichtung des Lichts ist für alle Teile des Altarwerks die gleiche, überall mit peinlicher Konsequenz durchgeführt und den Lichtverhältnissen des Raumes, in welchem es seinen Platz finden sollte angepasst.
Wohl die Rücksichtnahme auf die durch den Aufstellungsort gegebenen Lichtverhältnisse und das Streben die einzelnen Objekte plastisch aus dem Rahmen ihrer Umgebung herauszuarbeiten, lässt den Künstler allzu schwere Töne für seine Landschaften wählen, und führt ihn dazu, sie in einer an das Helldunkel geschlossener Räume erinnernden Beleuchtung darzustellen. In dem Verständnis für die Wirkungen des Lichts auf die einzelnen Körper übertreffen sonach die Schöpfer des Genter Altar Werkes ihre Vorgänger, dagegen stehen die Landschaften als Ganzes genommen in bezug auf Luftstimmung, Beobachtung des Verhaltens des Lichts im freien Raum und des Einflusses der Atmosphäre auf dessen Verteilung, Darstellungen wie den erwähnten Miniaturen der Turiner Handschrift oder der Monatsbilder des Horariums von Chantilly entschieden nach. Die allmähliche Aufhellung der Landschaft nach dem Hintergründe zu ist ebensowenig zum Ausdruck gebracht wie das Aufgehen der Lokalfarben im allgemeinen Luftton; nach Analogie der Landschaften des Horariums des Herzogs von Berry in der brüssler Bibliothek ist eher ein Abdunkeln der einzelnen Kulissen gegen den Horizont wahrnehmbar und die Farbenunterschiede der einzelnen Objekte treten in den weiter zurückliegenden Teilen der Landschaft fast ebenso deutlich hervor wie im Vordergrund. Die Wirkungen der Luftperspektive zeigen sich ausgesprochen nur an den am äussersten Horizont aufragenden Hoch* gebirgskämmen, die sich in zartem Blau von dem hellen Himmel abheben.
Abgesehen von den eben erwähnten Mängeln treten die Vorzüge der neuen Technik gerade auf dem Gebiete der Farbengebung deutlich hervor. Die Tafeln des Genter Altars er strahlen in einer Farbenglut, sie zeigen eine Tiefe und Wärme des Tons, eine Leuchtkraft des Kolorits, welches sie wie Träger einer selbständigen Lichtquelle erscheinen lässt. Wenn diese erhöhte Farben Wirkung auch hauptsächlich auf die Eigenschaften des Malmittels zurückzuführen ist, so wird sie doch wesentlich durch eine zielbewusste Gruppierung der Töne unterstützt. Man begegnet nicht mehr jener analysierenden Richtung, die die farblichen Gesamteindrücke in ihre Bestandteile aufzulösen sucht, sondern vielmehr dem Streben, das farbliche Verhältnis, in welchem die einzelnen Motive zueinander stehen wenigstens annäherungsweise zum Ausdruck zu bringen, und die dem Tone nach verwandten Elemente zu grösseren Gruppen zu vereinigen, um durch die sich dadurch ergebenden geschlossenen Farbenflächen bestimmend auf den Gesamtton des Bildes einzuwirken.
Die Frage, wie die Arbeit an dem Genter Altarwerk zwischen den Brüdern Hubert und Jan abzugrenzen sei, ist von der einschlägigen Forschung schon so vielfach erörtert worden, dass ich glaube mich hier auf einige kurze Bemerkungen beschränken zu können.
Die wichtigste Aufklärung über diesen Punkt gibt die bekannte Rahmenumschrift, in welcher Jan seinen Bruder als den Urheber, sich selbst aber nur als den Vollender des von Hubert begonnenen Werkes bezeichnet. Dass ein Vergleich der beglaubigten Werke Jans mit den einzelnen Tafeln des Genter Altars keine wesentlichen Unterschiede in der technischen Behandlung und Formengebung ergibt, kann als Beweis gegen die Beteiligung Huberts an der Arbeit nicht unbedingt angeführt werden, und dies umso weniger, als sich in der Raumdarstellung und im Aufbau der Landschaften ganz erhebliche Abweichungen von der für Jan van Eyk charakteristischen Kompositionsweise zeigen, wie sie sich uns in seinen beglaubigten Arbeiten darstellt. Typisch für spätere Arbeiten dieses Meisters ist die hohe Lage des Vordergrundes und die weiten Fernblicke über ausgedehnte Länderstrecken, während im Genter Altar der Standpunkt des Beschauers tief gelegt, der Gesichtskreis eng begrenzt und das Gelände als steil gegen den Horizont ansteigender Hang dargestellt ist. Diese augenfälligen Verschiedenheiten lassen sich wohl am ungezwungensten dadurch erklären, dass Jan mit bereits Vorhandenem zu rechnen hatte, dass die Komposition des Werkes der Hauptsache nach schon feststand als er an dessen Vollendung schritt, dass er aber, indem er die letzte Hand an dasselbe legte und wohl auch seiner Kunstweise entsprechende Zusätze und Veränderungen anbrachte, die künstlerische Handschrift seines Bruders verwischte.1
Der Mangel an Anhaltspunkten macht sich leider auch bei einer Reihe von Werken fühlbar, welche von den landschaftlichen Darstellungen des Genfer Altars zu denjenigen der reiferen Zeit Jan van Eyks überleiten, sich jedoch mit Bestimmtheit auf keinen der beiden Brüder zurückführen lassen. Als erstes Werk sei hier die Darstellung der drei Frauen am Grabe in der Sammlung Cook2 zu Richmont genannt, welche sich in bezug auf Raumgestaltung und Anordnung der Motive eng an die Anbetung des Lamms anschliesst. Nur ist die perspektivische Konstruktion trotz eines gewissen Strebens nach freierer Entwicklung des landschaftlichen Raums fast noch unvollkommener als im Genfer Altar. Denn während dort wenigstens das Einzelobjekt unter einem bestimmten Augenpunkt dargestellt ist, geht der Künstler hier durchaus willkürlich vor, und versteht es nicht einmal bei dem in geometrischen Linienzügen verlaufenden Objekten die Täuschung perspektivischer Verjüngung oder räumlichen Zurückgehens hervorzubringen. Die gleiche Unsicherheit zeigt sich auch in der Lichtführung, denn die Einfallsrichtung des Lichts ist nicht wie im Genfer Altar in allen Teilen der Darstellung die gleiche, sondern für den Vordergrund und die Figuren eine andere als für den Hintergrund, wodurch der Gesamteindruck trotz des Versuchs einige kräftige Lichteffekte in der Landschaft anzubringen und dieselbe als von der untergehenden Sonne beleuchtet darzustellen stark beeinträchtigt wird. Der ausgesprochen orientalische Charakter der Architektur, das Vorkommen einer Zwergpalme im Vordergrund, eines spezifisch südspanischen Motivs,1 scheinen auf einen Meister zu deuten, den die orientalische Bauweise sowohl, als auch die südliche Vegetation nicht unbekannt war. Mit Rücksicht auf die inkonsequente Lichtführung, die sich in keinem der beglaubigten Werke Jans findet sowie die Abweichungen in der Technik des allerdings sehr beschädigten Bildes, ferner in Anbetracht dessen, dass ähnliche Vegetationsmotive auch bei Schülern Jan van Eyks wie Beispielsweise in der Petrus Cristus zugeschriebenen heiligen Familie mit Stifter der Kopen-hagner Galerie2 wiederkehren, wird man die besagte Arbeit wohl einem Nachahmer oder Schüler Jans zu weisen müssen.
Das gleiche gilt von dem dem genannten Werke sehr nahe stehenden Christus am Kreuz in Berlin, welcher sich in bezug auf Raumdarstellung und Landschaftskomposition bereits den reiferen Arbeiten Jans nähert. Hier tritt das Bestreben, den Vordergrund höher zu legen als die übrigen landschaftlichen Gründe, und auf diese Weise eine grössere Raumwirkung zu erzielen deutlich hervor. Daneben finden sich auch Anklänge an die For-mengebung des Genter Altars, von denen hier nur die südlichen Vegetationsmotive wie Pinien und Cypressen und die eigentümlichen zerbröckelten porösen Felsblöcke im Vordergrund erwähnt seien, wie sie ganz ähnlich auch auf der Darstellung der Streiter Christi Vorkommen.3 Die orientalische Bauweise tritt hier nicht so rein hervor als in den drei Frauen am Grabe, neben massiven Rundbauten erblickt man zinnengekrönte Häuser und phantastische Festungstürme, die einen Mischstil zwischen romanischen, gotischen und orientalischen Bauformen zeigen.
Diesen beiden stilistisch nahe verwandten Arbeiten schliessen sich die zwei jedenfalls der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehörenden Flügel mit dem Jüngsten Gericht und der Kreuzigung in der Eremitage zu Petersburg an. Auch hier zeigen sich in der Anlage des Vordergrundes die gleichen perspektivischen Fehler, wie im Genter Altar, in der Behandlung der landschaftlichen Hintergründe aber leitet besonders die Kreuzigung zu den reiferen Arbeiten Jan van Eyks über. Der weite Ausblick in die Ferne, der allerdings perspektivisch in keiner Weise begründet ist, die zwischen sanften Hügeln eingebettete Stadt, die hier wie in den weiter oben erwähnten Bildern orientalischen Charakter trägt, das Flusstal, das sich in weiten Windungen gegen die den Horizont abschliessenden Gebirge hinzieht, alles dies erinnert bereits an die der Rollin Madonna verwandten Kompositionstypen. An die Stelle der steil nach rückwärts ansteigenden Geländeböschungen tritt eine weite Landschaft von horizontaler Erstreckung, in der bereits der Versuch gemacht ist, durch die Vielheit der zur Darstellung gebrachten Motive den Eindruck der Raumweite hervorzubringen. Während also im Vordergrund noch an dem alten System der Raumdarstellung festgehalten ist, kommen im Hintergrund bereits die Prinzipien der freieren Landschaftsperspektive zum Durchbruch.
Landschaftlich weniger bedeutend als die Kreuzigung, bietet das Jüngste Gericht insofern besonderes Interesse, als uns eine Wiederholung dieser Komposition durch Petrus Cristus gestattet, Vergleiche zwischen den Landschaftskompositionen dieser frühen Epoche und der – Reifezeit der flandrischen Schule anzustellen. In dem Petersburger Bilde ist infolge der niedrigen Lage des Augenpunkts der Gesichtskreis ein beschränkter und die flache, leicht nach rückwärts ansteigende Landschaft, die nach dem Horizont zu durch eine hohe Bergwand abgeschlossen wird, kommt wenig zur Geltung. In der Wiederholung des Petrus Cristus ist der Höllenschlund weit heruntergerückt, um für die Landschaft Platz zu machen, der Standpunkt des Beschauers ist hoch über den rückwärtigen Gründen gedacht und der Blick schweift über ein weites welliges Wiesenland, welches sich sanft gegen eine den Hintergrund abschliessende Wasserfläche abdacht. Die grosse Verschiedenheit dieser beiden Raumbilder lässt auch hier wiederum erkennen, dass sich in der Tafelmalerei auf dem Gebiete der Raumkunst seit der Entstehung des Genter Altars eine grundlegende Wandlung vollzogen hat.
Stellen sich die eben besprochenen Bilder zusammen mit den fünf unteren Tafeln des Genter Altars als eine Gruppe dar, die von der Kunst weise des 14. Jahrhunderts zu dem reifem Stil des 15. überleitet, so ist dieser Uebergang in der Rollinmadonna und den ihr verwandten Darstellungen bereits vollzogen.
Als unmittelbare Vorstufe kann die Verkündigung Mariä auf den Aussenflügeln des Genter Altars gelten, in der uns die Kunstweise Jan van Eyks und seine Meisterschaft in der Lösung der schwierigsten Beleuchtungsprobleme in greifbarer Gestalt entgegentritt. Das landschaftliche Element spielt hier eine fast nebensächliche Rolle, doch zeigt die Komposition in ihren Grundzügen bereits die charakteristischen Merkmale des Rollintypus, den sich durch die Fenster eines in dämmeriges Zwielicht gehüllten Binnenraums eröffnenden Blick auf die in helles Sonnenlicht getauchten Strassen einer Stadt mit ihrem Gewirr von Giebeln und Dächern. Ja der Meister geht, was die Betonung dieser Gegensätze betrifft noch weiter als in der Rollinmadonna, indem er für den Blick ins Freie statt der dort herrschenden diffusen Sonnenuntergangsbeleuchtung das ungebrochene helle Sonnenlicht wählt, welches allerdings infolge der kalten erdigen Töne der Lichter und der matten grauen Schatten viel von seiner Wirkung verliert.
In der Rollinmadonna kommt jener Typus der Raumkomposition, in dem der Schauplatz des figürlichen Vorganges in einen Binnenraum verlegt, während die Landschaft als Fernblick durch die Fensteröffnungen desselben dargestellt ist, zur vollen Entwicklung. Jan ist sich des Zaubers derartiger Ausblicke voll bewusst, der hauptsächlich auf dem Gegensätze der engen Begrenzung des Binnenraums und der grenzenlosen Ausdehnung des freien Gefildes, dem Gegensatz des gedämpften Lichtes drinnen und der strahlenden Helle unter freiem Himmel beruht. Mit voller Absicht schlägt er jene Seite des menschlichen Sehnens an, die aus der Enge der vier Mauern in Gottes freie Natur drängt und erscheint so als der Schöpfer des ersten Stimmungsbildes in des Wortes voller Bedeutung.
In einer romanischen Halle sitzt rechts die Gottesmutter, as Christuskind auf dem Schoss ; hinter ihr schwebt ein Engel, eine reich verzierte Krone über ihrem Haupte haltend ; links in Anbetung versunken kniet der Kanzler Rollin. Die von schlanken Säulen getragene Halle öffnet sich nach rückwärts zu in luftigen Bogen auf eine lachende Landschaft, durchströmt von einem breiten Fluss, an dessen Ufern eine vieltürmige, von einem bunten Menschengewimmel belebte Stadt liegt. Eine gewölbte steinerne Brücke setzt in zahlreichen Bogen über den Fluss und verbindet die beiden durch ihn getrennten Stadtteile. Dieser setzt zunächst seinen gerade nach der Tiefe zu gerichteten Lauf fort, um sich dann in vielen Windungen zwischen den Hügeln und Gebirgen des Hinterlandes zu verlieren.5 Der Augenpunkt ist sehr hoch gelegt und das Landschaftsbild weit abgerückt, so dass man wie von dem Gipfel eines hohen Berges auf dasselbe herabblickt. Die Tiefenwirkung wird noch dadurch erhöht, dass zwischen den Vordergrund und die Landschaft ein von Mauerzinnen umgebener, in reichem Blumenschmuck prangender Burggarten eingeschoben ist.
Die Vorteile einer solchen Anlage liegen auf der Hand. Durch die Gestaltung des Vordergrundes als Binnenraum ist der Künstler der Notwendigkeit überhoben den räumlichen und organischen Zusammenhang zwischen den Gründen so klar auszu-drücken, wie dies bei Annahme eines landschaftlichen Vordergrundes notwendig gewesen wäre; sie gestattet dem Künstler einen beliebig hohen Augenpunkt für die Landschaft anzunehmen, ohne dabei Gefahr zu laufen, den Zusammenhang zwischen dein Vordergrund und den hinteren Gründen zu zer-reissen, und gibt ihm damit die Möglichkeit, das Gesichtsfeld nach Belieben zu erweitern. Sie gestattet endlich eine viel ungezwungenere und natürlichere Raumkonstruktion, indem der Künstler nicht mehr gezwungen ist, seine Zuflucht zu jener komplizierten Gestaltung des Geländes, als System von hintereinander ansteigenden Kulissen zu nehmen, sondern die starke Aufsicht, die in der Landschaft noch immer als Ueberbleibsel der zweidimensionalen Darstellungsweise herrscht, ganz ungezwungen als Wirkung des erhöhten Standpunkts des Beschauers darstellt. An Stelle des mittelalterlichen Prinzips, den Beschauer bei der Wiedergabe räumlich tiefer Gebilde von unten herauf auf dieselben blicken zu lassen, ist der Blick von oben herunter getreten. Wenn auch durchaus nicht frei von perspektivischen Mängeln, zeigt die Rollinmadonna auch insofern einen wesentlichen Fortschritt dem Genter Altar gegenüber, als der durch die niedere Lage des Vordergrundes bedingte fortwährende Wechsel des Augenpunktes und Horizontes einem verhältnismässig einheitlich wirkenden Raumbild Platz gemacht hat. Zwar gibt es auch hier keinen bestimmten Verschwindungspunkt, und die Fluchtlinien schneiden sich in verschiedenen Punkten, aber diese liegen alle ziemlich nahe beieinander und in einer annähernd gleichen Höhe, so dass wenigstens der Eindruck eines perspektivisch richtigen Raumbildes hervorgerufen wird.
Das Streben nach einer kräftigen perspektivischen Vertiefung und Gliederung des Raums zeigt sich vor allem in der ganz ungleich grösseren Betonung der horizontalen und vertikalen Richtungsmotive. Die Gliederung im vertikalen Sinne vermitteln im Vordergrund die Vliessenreihen des Fussbodens, die das Auge mit ihren sich verjüngenden Linien nach der Tiefe zu leiten, während dieses Richtungsmotiv in der Landschaft durch den Flusslauf fortgesetzt wird, so dass vom Vordergrund bis gegen den Horizont fast einheitlich verlaufende Fluchtlinien entstehen. In horizontaler Richtung zerfällt der Bildraum zunächst, in drei deutlich voneinander geschiedene stufenförmig untereinander liegende Zonen, und zwar die Halle mit ihrem geradlinigen Abschluss, den Burggarten und die Landschaft. Hier werden die geradeaus nach der Tiefe zu strebenden Linienzüge des Flusstales durch die Brücke unterbrochen und dieser selbst verändert gegen den Hintergrund zu seine Richtung um in vielfachen Krümmungen zu der einheitlichen Linie des Horizontes überzuleiten.
Noch in einer anderen Beziehung zeigt sich die Raumkomposition der Rollinmadonna derjenigen des Genter Altars überlegen. Sind es dort fast ausschliesslich die Figuren, welche eine gewisse Geschlossenheit der Komposition zeigen, so herrscht sie hier auch in der landschaftlichen Darstellung. Wie sich im Vordergrund die Figuren um die Mitte gruppieren, die für den Blick in die Landschaft frei bleibt, so tun es im Hintergrund die landschaftlichen Motive, um den Flusslauf der daselbst den Angelpunkt der ganzen Komposition bildet. Es zeigt sich also bereits das Streben die Landschaft als organisches Ganzes wiederzugeben, in dem die Einzelmotive durch ein leitendes Motiv zu einer Einheit höherer Ordnung verbunden sind, das alle diese wechselnden Bilder, alle diese bis ins Kleinste ausgeführten Details gleich einem Bande miteinander verknüpft.
Der enge Zusammenhang zwischen figürlicher und landschaftlicher Komposition übt seinen Einfluss auch auf die Stellung der Figur in der Landschaft und dem umgebenden Raum aus. Zwar beherrscht die Figur noch immer den Vordergrund und der Mangel eines einheitlichen Grössenmassstabs macht sich hier vielleicht noch stärker fühlbar als im Genfer Altar, in den beiden rückwärtigen Gründen aber wird sie nicht mehr als selbständiger Darstellungsgegenstand aufgefasst, sondern ordnet sich der räumlichen Umgebung unter, bildet gleichsam einen Bestandteil der Landschaft, in welcher sie sich bewegt, und erhält so die Bedeutung der Staffage. Daneben erfüllt die Figur jedoch noch einen andern Zweck. Da es infolge der Verschiedenheit der drei Gründe an geeigneten Vergleichsobjekten fehlt, deren perspektivische Verjüngung sichere Anhaltspunkte zur Bemessung der Entfernungen vom Beschauer geben würden, dient sie als einzige kommensurable Grösse als Distanzmassstab und ist den drei Gründen entsprechend in drei Grössenabstufungen zur Darstellung gebracht. Auf die übergross gehaltenen Hauptfiguren folgen die bereits in sehr verkleinertem Massstabe ihrer Umgebung angepassten zwei Gestalten im Burggarten, während die Strassen der Stadt von einem bunten Gewimmel von Menschen bevölkert werden, die entsprechend dem hohen Standpunkt des Beschauers kaum grösser als Ameisen erscheinen.
Trotz der grösseren Geschlossenheit der Komposition, trotz der festeren organischen Verbindung der einzelnen Teile, ist die Landschaft ihrem Wesen und ihrer Auffassung nach doch vollständig verschieden von derjenigen eines niederländischen Landschafters des 17. Jahrhunderts. Jan fasst sie nicht als Einzel-individuum, nicht als ein begrenztes Stück Erdoberfläche auf, er sucht darin vielmehr eine Welt zur Anschauung zu bringen mit allem was darauf lebt und webt, mit all der Fülle von Erscheinungsformen, von der menschlichen Wohnung bis zur tiefsten Berg- und Waldeinöde.6 Wenn das Streben des Meisters schon in den Genter Altartafeln diese Richtung einschlägt, so gelangt dieselbe doch erst in den reiferen Raumdarstellungen des Rollintypus zum vollen Durchbruch. Die Freude an weiträumigen Landschaftsbildern findet in der Ueberfüllung mit Motiven ihren Ausdruck; die den Schauplatz andeutende Funktion der Motive hat sich in eine die Raumweite andeutende verwandelt und Darstellungsgegenstand ist nicht ein begrenztes Landschaftsbild, wie es sich dem Beschauer in der freien Natur zeigt, sondern der Inbegriff dessen, was die Vorstellung Landschaft an verschiedenartigen Motiven umfasst. Und dennoch geht neben dieser Richtung, welche die Landschaftsmotive wie die Spielzeuge aus einer Schachtel nimmt und nebeneinander stellt, eine andere, welche diese Unzahl von Einzelmotiven innerhalb der grossen Allgemeinlandschaft zu geschlossenen kleinen Landschaftsbildchen zusammenfasst, in die der Meister sein ganzes warmes Naturempfinden hineinlegt. Und diese kleinen Landschäftchen in der Landschaft, diese anmutigen Fleckchen und traulichen Winkel bilden einen Hauptreiz des Werkes.
Auch in der Behandlung des Einzelmotivs drückt sich das auf einheitliche malerische Wirkung gerichtete Streben des Künstlers aus. Vertieft man sich in die Betrachtung dieser scheinbar bis ins Kleinste durchgearbeiteten Motive, so gewahrt man, dass an Stelle der vorwiegend zeichnerisch ausführenden Darstellungsweise, wie wir sie im Genter Altar kennen gelernt haben eine malerisch impressionistische getreten ist, und erhält den Eindruck, man habe es hier nicht mit einem frühen Meister des 15. Jahrhunderts sondern mit einem im Vollbesitz technischen Könnens stehenden modernen Landschafter zu tun. Trotz ihrer Kleinheit sind die landschaftlichen und architektonischen Motive des Hintergrundes mit staunenswerter Breite wiedergegeben; jene kleinliche Handwerksmässig tüpfelnde Durchführung des Details, die das Verhältnis des Beschauers zu dem betrachteten Gegenstand vollständig ausser Acht lässt, die dem Auge nichts auch nicht das Nebensächlichste erspart, sondern rein abstrakt analysiert, ist hier verschwunden ; die Gegenstände sind ihren charakteristischen Merkmalen nach so wiedergegeben wie sie im Raum, in der Landschaft erscheinen, und die malerische Wirkung ist nicht mehr den zu ihrer Hervorbringimg angewendeten technischen Mitteln adäquat.
Weit eilt hier Jan seinen Zeitgenossen voraus und selbst die Landschafter des späteren 16. Jahrhunderts bleiben in bezug auf malerische Auffassung des Einzelmotivs hinter ihm zurück, wenn sie ihm auch in bezug auf die Gesamtkomposition überlegen sind.
Eine besondere Stärke der van Eykschen Kunst liegt, wie schon an anderer Stelle erwähnt wurde, in der Lichtführung. Wie in der Verkündigung des Genter Altars hat sich Jan auch in der Rollinmadonna die Aufgabe gesetzt, das gedämpfte Licht des Binnenraums dem Freilicht gegenüber zu stellen, während aber dort in der Landschaft das klare, kalte Sonnenlicht herrscht, ist sie hier in die warmen rötlichen Strahlen der untergehenden Sonne getaucht und kräftigere Schatten wie wir sie dort wahrgenommen haben fehlen hier vollkommen. Dennoch ist der Gesamtton, die feierliche Stimmung eines klaren warmen Sommerabends, mit vollendeter Meisterschaft getroffen, wenn auch die Färbung des Himmels nicht vollständig der in der Landschaft herrschenden Farbenstimmung entspricht. Die Farben der einzelnen Objekte sind nicht mehr ausschliesslich für sich gesehen, sondern sind der Intensität des Lichts angepasst unter dessen Einfluss sie stehen, d. h. also, es hat eine Umwandlung des vorwiegend auf die einzelnen Objekte bezogenen Lichts in Raumlicht stattgefunden.
In den Darstellungen des Genter Altars dient das Licht noch vorwiegend dazu, den Gegenständen als solchen Körper und Rundung zu geben und sie von ihrem Grunde loszulösen. Eine gewisse Einheitlichkeit, eine Unterordnung unter einen leitenden Gedanken kann allerdings darin gesehen werden, dass die Beleuchtung der einzelnen Objekte sich nach den Lichtverhältnissen des Raumes richtet, für welchen das Werk bestimmt war; aber von einem dem Bildraume selbst eigenen Raumlicht kann, abgesehen von der bereits erwähnten Verkündigung, nicht die Rede sein.
Diese Umwandlung des einer äusseren Lichtquelle entlehnten Lichts in ein dem Bilde eigentümliches Raumlicht ist in der Rollinmadonna eine vollzogene Tatsache. Der Bildraum hat nun seine eigne seiner natürlichen Beschaffenheit entsprechende Beleuchtung, die eine festere Verbindung zwischen ihm und den ihn ausfüllenden Objekten herstellt.
Auch in der Behandlung der Luftperspektive ist ein nicht unwesentlicher Fortschritt wahrzunehmen. Die blaue Zone im Hintergrund hat an Ausdehnung zugenommen, sie steht nicht mehr unvermittelt hinter der grünen Vordergrundzone, sondern diese geht indem sie sich nach rückwärts zu aufhellt und einen immer stärker ins Blau spielenden Ton annimmt allmählich in den blauen Hintergrund über. Die Auflösung in Einzelfarben ist trotz der angestrebten einheitlichen Ton- und StimmungsWirkung noch eine ziemlich weitgehende, und bis in den Hintergrund sind die Farbenunterschiede der einzelnen Objekte, jeder kleine Farbenpunkt wie beispielsweise die Kleider und Kopfbedeckungen der mikroskopischen Stadtbewohner, deutlich zum Ausdruck gebracht, nur in der den Horizont begrenzenden Zone sind alle diese Verschiedenheiten von dem blauen Gesamtton aufgesogen.
Die Zeit der Entstehung des Werkes setzt Kämmerer in die Nähe des Jahrs 1436,7 des Jahrs der Neuerbauung der Stiftskirche zu Autun, für welche das Madonnenbild bestimmt war, eine Datierung gegen die sich auch von stilkritischem Standpunkt nichts einwenden lässt. Der Formengebung, der noch etwas steifen und gezwungenen Haltung der Figuren, ebenso wie der noch nicht so lebendigen charakteristischen Behandlung der Köpfe nach zu schliessen, scheint mir die Rollinmadonna zwischen dem Verlöbnisbild und dem Kanonikus Pael zu stehen. Jedenfalls schliesst die ganz unzweifelhaft fortgeschrittene Raumkonstruktion die Möglichkeit einer Entstehung vor dem Genter Altar aus.
Wegen ihrer nahen Verwandtschaft mit der Rollinmadonna wurden zwei Werke von der Fachliteratur meist mit dieser zusammen genannt und den authentischen Arbeiten Jans zugezählt: die Madonna mit dem Karthäuser bei Alphons Rothschild in Paris und die Madonna mit Karthäuser im Berliner Museum. In beiden spielt sich der figürliche Vorgang ebenso wie in der Rollinmadonna in einer luftigen Halle ab, die sich gegen rückwärts auf eine anmutige Landschaft öffnet und in beiden nimmt den landschaftlichen Vordergrund eine volkreiche an den Ufern eines Flusses liegende Stadt ein, während sich im Hintergrund das offene Land mit seinen Hügeln und Feldern ausdehnt.
Die Rothschildmadonna, die Voll wohl mit Recht als eine Arbeit Jan van Eyks bezeichnet,10 unterscheidet sich von der Rollinmadonna vor allem dadurch, dass als Mittelpunkt der ganzen Komposition die Mutter Gottes gewählt ist, um die sich die übrigen Figuren symmetrisch gruppieren. Dementsprechend ist auch die Landschaft in zwei Teile zerrissen und entbehrt der einheitlichen Gesamtwirkung sowie der organischen Geschlossenheit, die ihr in der Rollinmadonna eigen waren. Die Architektur des Vordergrundes ist leicht und luftig gehalten und es geht ihr die Raumwirkung fast noch mehr ab als derjenigen ihres Vorbildes. Die luftigen Arkaden, welche den Abschluss nach rückwärts bilden, tragen den Charakter einer flachen Kulisse, und der Beschauer wird über das Wesen des Raums, in welchem sich der figürliche Vorgang abspielt, im Unklaren gelassen. Der Tietblick auf die Stadt zeigt, wie gesagt, starke Analogien mit dem der Rollinmadonna, ja gewisse Motive wie die Bogenbrücke sind fast unverändert aus dieser Komposition herübergenommen, während der Blick links an die Landschaft der hl. Barbara im Ant-werpner Museum erinnert. Die Lichtführung ist insofern weniger künstlerisch und stimmungsvoll als das Licht alle Teile des Bildraums vollständig gleichmässig durchdringt und somit jene Kontrastwirkungen zwischen Freilicht und Binnenlicht fehlen, die einen der Hauptreize der Rollinmadonna ausmachen.
Das zweite Bild, die Madonna mit Karthäuser in der Berliner Galerie, welches jetzt allgemein für Petrus Cristus in Anspruch genommen wird, kann als freie Wiederholung des ersteren gelten. An Stelle der niederen romanischen Loggia tritt hier ein hoher luftiger Raum mit vorwiegend gotischen Ziermotiven, der in einem der Wirklichkeit viel mehr entsprechenden Verhältnis zu den Figuren steht als dies in den authentischen Werken Jans der Fall zu sein pflegt. Dagegen fehlt selbst im Vergleich zu den schwächeren Arbeiten Jans die Raumillusion und die Figuren heben sich wenig von der sie umgebenden Architektur ab, der es an Körper und Masse fehlt. In der Behandlung der Landschaft, die wie in der Rothschildmadonna durch die figürliche Komposition in mehrere Stücke zerrissen ist, zeigt der Künstler noch verhältnismässig die grösste Selbständigkeit und Erfindungsgabe, indem er an die Stelle des gebirgigen Hintergrunds eine sich weit nach dem Horizont zu dehnende Ebene setzt. Im übrigen tritt auch hier jener Zug ins Kleinliche Miniaturartige hervor der eine Eigentümlichkeit der Arbeiten des Petrus Cristus bildet und eine malerische Gesamtwirkung nicht hervorkommen lässt.
Ein Beispiel für die Art wie Jan die Landschaft in seiner reifsten Zeit behandelt, liefert die hl. Barbara im Museum zu Antwerpen. Die Heilige sitzt die Mitte des Bildes einnehmend auf einem erhöhten Felspodium in das Lesen eines Buches vertieft. Hinter ihr auf einer kahlen steinigen Geländestufe erhebt sich ein sechseckiger gotischer Turm, das Attribut der Heiligen, der nur bis zum ersten Fenstergeschoss vollendet ist und an dessen Ausbau zahlreiche Arbeiter beschäftigt sind. Der Hintergrund, eine weite wellige Landschaft, wird durch den Turm in zwei Teile geteilt. Rechts erblickt man sanfte von Feldern und Wiesen bedeckte Hügel, links wird eine auf ragendem Fels aufgebaute Burg und Stadt sichtbar, von der aus eine Strasse nach dem Vordergrund führt.
Die figürliche Darstellung beherrscht noch immer den Vordergrund und die Landschaft zeigt sich in ihrem Aufbau noch immer abhängig von ihr, dagegen hat sie derartig an Ausdehnung und Raumwirkung gewonnen, dass das Missverhältnis zwischen beiden verschwindet, und die Landschaft nicht mehr als Hintergrund oder Folie der Figur erscheint, sondern dass diese beiden Elemente hier gleichwertig nebeneinander stehen.
Die Raumdarstellung des Barbarabildes stimmt mit derjenigen der Rollinmadonna insofern überein, als der Bildraum auch hier in drei horizontale Zonen zerfallt, die als Geländestufen gegen den Hintergrund abfallen und der Blick wie dort von einem erhöhten Vordergrundpodium über eine weite Landschaft schweift. Nur ist der Niveauunterschied zwischen dem Mittel- und Hintergrund weit geringer, die Uebergänge sanfter und der organische Zusammenhang zwischen den vordem Gründen und den rückwärtigen viel fester. Zwar treten infolge des Mangels an die beiden ersten Podien gliedernden Linienzügen, sowie des verhältnismässig niederen Augenpunktes die perspektivischen Konstruktionsfehler besonders das starke Ansteigen der vorderen Gründe sehr hervor, doch lässt sich gerade an diesem Bilde der Fortschritt, den die Raumkunst seit der Entstehung des Center Altars gemacht hat deutlich erkennen, denn der Umstand, dass sowohl in der hl. Barbara als in den unteren Flügeln des Center Altars der Schauplatz ins Freie verlegt ist, erleichtert einen Vergleich wesentlich. Und welcher Unterschied zwischen diesen beiden Raumbildern ? Dort das steilansteigende verwickelte Gelände mit seinen sich ineinander schiebenden Kulissen, dem jede einheitliche Raumwirkung abgeht, hier die sich frei und natürlich nach der Tiefe hin ausdehnenden Fluren, die dem Auge einfach und klar das Wesen des dargestellten Landschaftsbildes offenbaren ; dort der beschränkte Gesichtskreis und die auf engen Raum zusammengedrängte Ueber-fülle von Motiven; hier das getreue Abbild einer heimatlichen Landschaft ohne den Gesamteindruck schädigende Zutaten.
Wie schon erwähnt bewirken die drei Gruiidzonen eine Gliederung der Landschaft im horizontalen Sinne, während vertikale Richtungsmotive etwa in der Art wie sie die Landschaft der Rollinmadonna zeigt fehlen. Alles strebt hier der Verschwindungslinie der Horizontalen zu, was auch darin seinen Ausdruck findet, dass die Grundzonen nach der Tiefe zu konsequent an Ausdehnung abnehmen. Der Künstler ist eben bereits so weit in die Geheimnisse der Raumkonstruktion eingedrungen, dass er, ohne den organischen Zusammenhang der einzelnen Teile der Landschaft zu gefährden, jener verbindenden Linienzüge entraten kann. Ein wesentlicher Fortschritt liegt auch darin, dass die Bodengestaltung nicht mehr wie im Genter Altar und auch noch zum Teil in der Rollinmadonna durch sich überschneidende Terrainkulissen wieder gegeben wird, deren Profile die Gestalt und den Neigungswinkel der einzelnen Bodenwellen ausdrücken, sondern dass die Bodenerhebungen des Hintergrundes fast in der Frontalansicht dargestellt und der Neigungswinkel sowie die Gestaltung des Geländes ausschliesslich durch die dasselbe gliedernden Linienzüge wie Feldraine, Baumreihen und dergleichen angedeutet werden.
Was aber die Landschaft der Heiligen Barbara weit über alle zeitgenössischen Schöpfungen emporhebt, das ist der schlichte Naturalismus, der gereifte Sinn für die wahren Aufgaben der Landschaftsmalerei, welche aus diesem Werke zu uns sprechen. Ein schlichtes niederländisches Flurenbild mit lachenden Wiesen durchzogen von Baumreihen, ein Städtchen, das sich auf steiler Bergeshöhe erhebt, das ist alles, was der Künstler uns hier vor Augen führt. An Stelle jener Versinnbildlichung des Begriffes Landschaft, wie ihn die Rollinmadonna sowohl als der Genter Altar zeigen, tritt die vom Zwange des Schemas und der Manier befreite genrehafte Landschaft das Paysage intime. Die Komposition wird nicht mehr durch die Einzelmotive beherrscht, die Landschaft ercheint nicht als ein aus ihnen zusammengesetztes Konglomerat, diese ordnen sich vielmehr der Gesamtheit unter und bilden ein organisch geschlossenes Ganzes.
Aus dem Buch “Von Jan van Eyk bis Hieronymus Bosch : ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei” aus dem Jahr 1903, Autor: Schubert-Soldern, Fortunat von.
Siehe auch: Hieronymus Bosch (1450-1516), Hieronymus Bosch – Dokumente, HÖLLENSCHILDERUNGEN DES MITTELALTERS, JAN VAN EYCK, Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch.
Weitere Künstler auf Kunstmuseum Hamburg: HYACINTHE RIGAUD, ALBRECHT DÜRER, TIZIAN, RAFFAEL, FERDINAND BOL, ADRIAEN VAN DER WERFF, SALOMON KÖNINCK, JAN VAN DER MEER VAN DELFT, CARLO DOLCI, KASPAR NETSCHER, GERARD DOU, REMBRANDT VAN RIJN, JAN DAVIDSZ DE HEEM, GABRIEL METSU, REMBRANDT VAN RIJN, ADRIAEN VAN OSTADE, DER MEISTER DES TODES DER MARIA, JUSEPE DE RIBERA, GUIDO RENI, LORENZO LOTTO, FRANCISCO DE ZURBAR AN, RAPHAEL MENGS, REMBRANDT VAN RIJN, BARTOLOME ESTEBAN MURILLO, HANS HOLBEIN DER JÜNGERE, JEAN ETIENNE LIOTARD, ANTON GRAFF, ANGELICA KAUFFMANN, ANTONIO ALLEGRI DA CORREGGIO, JAN VAN EYCK, ANTONIUS VAN DYCK, JACOB VAN RUISDAEL, CLAUDE LORRAIN, ANTOINE WATTEAU, PAOLO VERONESE, MEINDERT HOBBEMA, PETER PAUL RUBENS, CIMA DA CONEGLIANO, JAN WEENIX, PALMA VECCHIO, JAN WILDENS, MICHELANGELO CARAVAGGIO, POMPEO BAtONI, FRANCESCO FRANCIA, JAN VAN DER MEER VAN HAARLEM, DAVID TENIERS DER ÄLTERE, WILLEM KLAASZ HEDA, ADRIAEN BROUWER, JAN FY , HRISTIAN LEBERECHT VOGEL.