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Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch

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von Kunstmuseum-Hamburg.de

Ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei

VORWORT DES VERFASSERS.

In der vorliegenden Arbeit soll an der Hand charakteristischer Beispiele auseinander gesetzt werden, wie sich die niederländische Kunst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts allmählich von dem Banne der mittelalterlichen Tradition befreit, wie sie sich das Verständnis für das Wesen und die Aufgaben der Landschaftsmalerei zu eigen macht und wie die verschiedenen Schulen und bedeutendem Meister zum Teil auf gesonderten Wegen diesem Ziele zustreben und auf diese Weise das ihrige zur Lösung des Problems beitragen.

Es war ursprünglich meine Absicht eine Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts zu veröffentlichen. Der Gegenstand selbst zwang mich auf die voraufgehende Epoche zurückzugreifen und so die Beobachtungen Ludwig Kämmerers, die er in knapper Formr in seiner Arbeit «Die Landschaft in der deutschen Kunst» niedergelegt hat in einigen Punkten zu ergänzen. Es sind die Resultate dieser Vorstudien, die ich hier zunächst der Öffentlichkeit übergebe. Allen, welche mich durch Rat und Mitteilungen unterstützten spreche ich meinen verbindlichsten Hank aus.

Dresden, im Juni 1903.

ERSTES KAPITEL.

Scheinbar ohne Vorläufer, ein gewaltiger Markstein in der Entwicklung der bildenden Kunst, steht der Genter Altar da gleichsam als das Alpha der gesamten niederländischen Tafelmalerei, die mit dem Auftreten der Brüder van Eyk unvermittelt aus dem Dunkel mittelalterlichen Zunftwesens emporzutauchen scheint, um der italienischen Schwesterkunst sofort ebenbürtig an die Seite zu treten. So rätselhaft erschien den spätereren Generationen dieses plötzliche Entstehen einer schon in ihren Anfängen hoch entwickelten Kunst, dass sie deren Schöpfer wie Nationalhelden mit einem Kreis von Legenden umwoben und die grosse künstlerische Vollkommenheit ihrer Werke mit dem Besitze eines Geheimnisses zu erklären suchten, welches sorgfältig Uneingeweihten gegenüber gehütet wurde.

Auch in Italien vollzieht sich um die gleiche Zeit jene gewaltige Umwandlung in den Kunstanschauungen, als deren Bahnbrecher auf dem Gebiete der Malerei Masaccio1 auftritt. So grundlegend aber auch die Neuerungen sein mögen, die die Malerei diesem Meister in Bezug auf die Komposition, die Einführung der Linearperspektive und das direkte Studium nach der Natur verdankt, sein Auftreten wirkt nicht so überraschend wie das der Brüder van Eyk, denn die Denkmale italienischer Malerei leiten in fast ununterbrochener Kette bis zu ihrem Ursprung der römischen Kunst zurück und die Kirchen und öffentlichen Bauten Italiens mit ihrem Freskenschmuck, sowie die grossen Gemäldesammlungen Europas legen hinreichend Zeugnis davon ab, dass auch vor Masaccio die Malerei blühte, dass auch vor seinem Auftreten Werke von grundlegender Bedeutung geschaffen wurden.

Anders bei den Brüdern van Eyk. Hier liegt die ihnen voraufgehende Entwicklung nicht so klar vor Augen, es fehlt an monumentalen Bildwerken, welche Aufschluss über das Aufkeimen einer neuen Kunstrichtung geben würden und der Faden der ihre Werke mit der Vergangenheit verbindet scheint plötzlich abzu-reissen. Und doch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass auch sie ihre Vorgänger hatten, welche Stein auf Stein fügend die Vorbedingungen zu jenem Aufschwung schufen, welchen die niederländische Tafelmalerei in den 20 er Jahren des 15. Jahrhunderts nehmen sollte. Nur ist es nicht der Wandschmuck der Kirchen, welcher Zeugnis hievon ablegen würde, sondern die ganze Arbeit der vorhergehenden Künstlergenerationen ist in den Miniaturhandschriften der vor-van Eykschen Epoche niedergelegt, die sich an künstlerischem Wert zum Teil mit den Darstellungen des Genter Altarwerkes messen können, ja sie in mancher Hinsicht noch übertreffen.

Diese Entstehung der niederländischen Tafelmalerei aus der Buchkunst verrät sich noch deutlich in den Arbeiten der Meister des 15. Jahrhunderts, deren Hang zur miniaturartigen Darstellung, d. h. also zu einer Wiedergabe des Gegenstandes, welche die Betrachtung aus nächster Nähe voraussetzt, fast überall hervortritt. Die Wechselbeziehungen zwischen der Miniatur- und der Tafelmalerei dauern während des ganzen 15. Jahrhunderts fort und obzwar die letztere in dieser Epoche bereits die Führung übernommen hat, gibt es doch keinen Fortschritt der einen, der nicht seine Wirkung auch auf die Entwicklung der andern geübt hätte. Und wenn noch gegen das Ende des 16. Jahrhunderts ein Meister wie Hans Bold den vollkommensten Ausdruck seines Könnens in der Miniaturmalerei sucht, wenn ein Gillis van Coninxloo oder ein Jan Brueghel d. Ältere, zuweilen auf dieses Fach zurückgreifen, so beweist dies nur, dass auch in ihnen noch der Buchmaler lebendig war. Auch dürfte es kein Zufall sein, dass die Kleinmalerei gerade in den Niederlanden als selbständiges Fach zur Ausbildung gelangte, dass sie im 17. Jahrhundert daselbst ihre vornehmste Pfiegestätte fand und eine Höhe der Vollkommenheit erreichte, die in mancher Hinsicht noch heute unübertroffen dasteht.

Die Buchmaler des beginnenden 14. Jahrhunderts kennen eine Landschafts- und Raumdarstellung in unserem Sinne nicht; ihre Kompositionen sind vorwiegend zweidimensional; das Vor-und Hintereinander wird durch Deckung beziehungsweise Ueber-schneidung in der Fläche, eventuell durch Uebereinanderstellung ausgedrückt und die perspektivische Ebene dort, wo ihre Darstellung nicht umgangen werden kann dem Beschauer in der Frontalansicht gezeigt. Dementsprechend ist auch die Landschaft nicht räumlich aufgefasst, und wird insoweit sie sich in der dritten Dimension erstreckt nicht dargestellt. Das Terrain, auf welchem der darzustellende Vorgang stattfindet, also die perspektivische Ebene der Erdoberfläche, wird bei einfacheren Kompositionen als schmaler grüner oder brauner Streifen wiedergegeben, bei komplizierteren aber, die eine Anordnung der Figuren in verschiedenen Raumtiefen erfordern, in mehrere übereinander liegende Streifen zerlegt, die den Gründen in den höher entwickelten Landschaften entsprechen, oder schliesslich dort angedeutet, wo es den Figuren oder Landschaftsmotiven als Fusspunkt dient, also in einzelne voneinander ganz unabhängige Stücke zerrissen. Nur dort, wo der Gegenstand die Wiedergabe einer perspektivischen Ebene erfordert, wird dieselbe in der oben angedeuteten Weise als Frontalebene abgebildet. Die Landschaftsmalerei des 14. Jahrhunderts beschränkt sich daher hauptsächlich auf die Darstellung solcher Objekte, welche sich mit Hilfe der beiden ersten Dimensionen wiedergeben lassen, für deren Darstellung neben der Tiefen- auch die Höhen- und Breitenausdehnung massgebend ist, die sich also in den beiden letztgenannten Richtungen auf der Erdoberfläche erheben. Derartige Motive setzt der Buchmaler in der Fläche einfach neben- oder übereinander, ohne ihr räumliches Verhältnis zueinander auf andere Weise auszudrücken. Das Einzelmotiv hat also eine durchaus raumandeutende Funktion, es vertritt ein Stück landschaftlichen Raums. Den mittelalterlichen Buchmalern lag es fern, so weit über die Grenzen der reinen Textillustration hinauszugehen, dass sie ein zusammenhängendes Landschaftsbild dargestellt hätten, ein Vorgang, der schon ein gewisses Abstrahieren vom eigentlichen Thema der Darstellung erfordert haben würde. Ihr Streben war vor Allem darauf gerichtet, die im Texte geschilderten Vorgänge klar und fasslich zu veranschaulichen und dementsprechend wurde auch alles weggelassen, was mit der Erreichung dieses Zweckes nicht im direkten Zusammenhänge stand. Diesem Grundsätze gemäss ist das landschaftliche Motiv dem figürlichen in jeder Weise untergeordnet, ausschliesslich auf dieses bezogen und es wird nur das zur Darstellung gebracht, was in Verbindung mit dem figürlichen Vorgänge steht, was zur Andeutung des Schauplatzes unumgänglich notwendig ist. So ist selbst noch in den Miniaturhandschriften des beginnenden 15. Jahrhunderts der Gold- oder Schachbrettgrund häufig in Anwendung und der Himmel wird nur dort, wo er im Texte ausdrücklich erwähnt ist oder wo die handelnden Personen in irgend welche Verbindung mit ihm gebracht sind, wie beispielsweise in der Bible Historíale des Guyart Desmoulins Nr. 88 neu, der Brüsseler Bibliothek entweder als blauer Grund oder als blaues wolkenartiges Gebilde im Zenith dargestellt. Auch das Einzelmotiv selbst wird dem Streben nach möglichst grosser Klarheit und Uebersichtlichkeit gemäss nicht in seiner Gesamterscheinung wiedergegeben, sondern gleichsam in seine einzelnen Teile zerlegt. So sind die Bäume häufig durch einige übermässig gross in die kreisförmige oder ovale Krone hineingemalte Blätter charakterisiert. Dem Zwecke der Klarheit und Uebersichtlichkeit dient schliesslich auch die Farbe, indem sie nicht so sehr dazu verwendet wird, die Dinge in ihrer natürlichen äussern Erscheinung wiederzugeben, sondern hauptsächlich dazu dient, sie untereinander zu unterscheiden und von ihrem Hintergründe loszulösen. Kurz in den Landschaftsdarstellungen des beginnenden 14. Jahrhunderts herrscht noch ein der Bilderschrift verwandtes Verfahren vor, welches analog der Hieroglyphenschrift gewisse Begriffe durch sie sinnbildlich veranschaulichende Zeichen ausdrückt. So wird die Landschaft durch einige Bäume, das Wasser durch einige Wellenlinie, der Himmel durch eine blaue Wolke der Baum durch seine Blätter, also immer die Gesamtheit durch einen ihrer Bestandteile veranschaulicht.

Zusammenhängende Raumkompositionen beginnen sich erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu entwickeln, in welcher Epoche die Versuche ausgedehntere Lanuschaftsdarstellungen als Hintergründe für die figürlichen anzubringen, immer häufiger werden und das Bestreben immer stärker hervortritt, den Raum zu vertiefen. Die Buchmaler sind um diese Zeit allerdings weit entfernt davon, ein einheitliches Landschaftsbild selbst in der Art der Tafelmaler des 15. Jahrhunderts zu geben. Ihre Arbeiten stehen vielmehr noch auf dem Standpunkt der mittelalterlichen Vordergrundlandschaften, in denen naturgemäss das Hauptgewicht auf der Darstellung des Einzelobjektes liegen musste. In der Raumkunst macht sich das Prinzip der zwei dimensionalen Darstellungsweise noch immer sehr merklich geltend, nur dass an Stelle der einheitlichen Fläche mehrere flache Landschaftskulissen treten, welche dadurch dass sie einander überschneiden und sich gegenseitig decken die Vorstellung des Vor- und Hintereinander hervorrufen. Ein wesentlicher Fortschritt muss jedoch darin erblickt werden, dass an Stelle der ausschliesslich im Dienste der Textinterpretation stehenden Landschaftsdarstellung, eine davon unabhängige tritt, d. h. also eine solche, welche ihre Entstehung nicht mehr ausschliesslich dem geschriebenen Wort verdankt, sondern dem hievon ganz unabhängigen Bedürfnis des Künstlers entspringt, die Reize und Erscheinungen der freien Natur zu schildern und die Handlung dem Leben und der Wirklichkeit näher zu bringen.

Auf dieser Stufe der Entwicklung steht die um 1375 vollendete französische Uebersetzung der Civitas Dei des Hl. Augustinus, deren Landschaftskompositionen im wesentlichen bereits die gleichen Elemente des Aufbaus zeigen, wie die Landschaften des Genter Altars. Ueber dem niedrig liegenden Vordergrundpodium erheben sich zunächst die für die bildlichen Darstellungen dieser Epoche charakteristischen Treppenfelsen, dann folgen mehrere Reihen einander überschneidender Hügel, hinter denen sich die Türme und Zinnen monumentaler Bauten in scharfen Silhouetten über dem Horizont erheben.

Wie bei allen Darstellungen dieser Epoche ist der Vordergrund ungemein tief gelegt und die rückwärtigen Teile der Landschaft steigen hinter diesem als flache Kulissen an. Das mittelalterliche Prinzip der Uebereinander- statt der Hintereinanderdarstellung ist also hier durch den gebirgigen Charakter der Landschaft begründet und die einheitliche Fläche beziehungsweise der einfache Terrainstreifen hat einer Reihe von sich übereinander aufbauenden, sich aufeinander projizierenden Terrainprofilen Platz gemacht. Im Uebrigen kann von einer Beobachtung der Gesetze der Linearperspektive nicht die Rede sein. Der Standpunkt des Beschauers ist nicht einmal in Näherungswerten angegeben, eine Gliederung der Landschaft durch nach der Tiefe leitende Richtungsmotive ist nicht durchgeführt und die perspektivische Verjüngung der Objekte nach dem Hintergrund zu nicht einmal angedeutet. Es zeigt sich vielmehr häufig gerade die entgegengesetzte Erscheinung, dass die landschaftlichen Motive gegen den Hintergrund zu an Grösse zunehmen. So sind die Bäume, welche im äussersten Vordergrund des Titelbildes angebracht sind um ein Bedeutendes kleiner als diejenigen, welche auf den sich dahinter erhebenden Gebirgskämmen sichtbar werden.

Auch hierin äussert sich das Unvermögen des Künstlers die Landschaft als ein Ganzes wiederzugeben. Er geht überall noch von der Darstellung der Einzelobjekte aus, und wenn er auch bestrebt ist, dieselben zu grösseren Gruppen zu vereinigen, so ist doch der Zusammenhang der Motive, die hier willkürlich zu einem Landschaftsbild zusammengesetzt werden, ein ungemein loser. Jedes dieser einzelnen Motive ist nur für sich aufgefasst, für sich wiedergegeben und nicht im Zusammenhang mit den andern als Teil des Ganzen gesehen. Bei der Wiedergabe der Landschaft dient nicht als Richtschnur, wie sich eine solche dem Auge des Beschauers in der freien Natur darstellen würde, sondern es sind fast ausschliesslich Rücksichten auf eine möglichst weitgehende Ausnützung des Raums, sowie das Bestreben massgebend, jedes einzelne Objekt klar zur Anschauung zu bringen, beziehungsweise von den andern zu unterscheiden. Hierin ist wohl auch der Grund für das Fehlen eines einheitlichen Grössenmassstabes zu suchen, welches sich nicht bloss in dem Missverhältnis zwischen figürlichen und landschaftlichen Motiven, (die Gestalt des Heiligen auf dem Titelbilde des ersten Bandes übertrifft die sie umgebenden Bäume um das vierfache an Grösse), sondern auch in dem Missverhältnis der landschaftlichen Motive untereinander äussert. So sind beispielsweise die Bäume häufig eben so gross wie die Gebirge, auf welchen sie stehen und die Städtchen, welche auf den Berggipfeln sichtbar werden verhalten sich zu jenen wie Kinderspielzeug zu wirklichen Bäumen. Auch die schon erwähnte Verkleinerung der landschaftlichen Motive nach dem Vordergründe zu findet ihre Erklärung in dem Zweckmässigkeitsstreben, die in kleineren Dimensionen dargestellten Vordergrundmotive den freien Blick nach dem landschaftlichen Hintergrund nicht behindern zu lassen.

Das Unvermögen, das landschaftliche Terrain perspektivisch als einheitliche Fläche darzustellen, welches in der mittelalterlichen Miniaturmalerei, wie schon erwähnt zur Zerreissung in einzelne Streifen oder Fusspunkte führt, zeigt sich auch deutlich in der Augustinushandschrift. Das Bedürfnis, dem verhältnismässig flachen Vordergrundpodium eine gewisse Tiefenwirkung zu geben veranlasst den Künstler, das Gelände hier in einzelne Stücke zu zerlegen, welche wie zersplitterte Gesteinsplatten mit unregelmässigen Bruchrändern auf dem dunkeln Untergrund neben und übereinander zu liegen scheinen, und durch ihr wechselseitiges Ineinander- und Uebereinandergreifen, die Vorstellung eines räumlichen Zurückgehens hervorrufen sollen.

Dem Zwecke die einzelnen Bestandteile der Landschaft voneinander loszulösen und zu unterscheiden dient auch das Kolorit. Im Titelbilde des zweiten Bandes der in Rede stehenden Handschrift, sind die Hügelreihen, welche sich im Hintergrund übereinander aufbauen in den mannigfaltigsten Farben gehalten; man begegnet hier grünen blauen gelben und braunen Höhenzügen; überall vermeidet der Künstler das Zusammentreffen gleichartiger Töne auf das Sorgfältigste und schiebt sogar an einer Stelle, wo er mit der angeführten Farbenskala nicht ausreicht, einen goldenen Hügel ein. Noch deutlicher tritt diese Erscheinung in einer andern Miniaturenhandschrift der Brüsseler Bibliothek der „Histoire du fort roi Alexandre“4 hervor, deren Entstehung bereits in die Mitte des 15. Jahrhunderts fällt. Die Hügelreihen, welche hier den landschaftlichen Hintergrund bilden, zeigen fast alle Farben des Spektrums vom Rot bis zum Violett und ihre Zusammenstellung ist fast bei jedem Bild eine andere.

Ebensowenig wie in der Farbengebung ist auch in der Lichtführung irgend welche Einheitlichkeit erreicht. In den Miniaturen der Augustinushandschrift ist wohl die einseitige Beleuchtung der Baumkronen mit einer gewissen Konsequenz durchgeführt, doch ist der Künstler noch nicht im stände diesen durch richtige Verteilung von Licht und Schatten, Körper und Rundung zu geben, und die Lichter machen mehr den Eindruck farblicher Unterschiede als verschiedener Beleuchtungsgrade. Im übrigen ist die Lichtführung, und zwar besonders in bezug auf die Behandlung des landschaftlichen Geländes eine vollständig willkürliche. Jedes einzelne Terrainstück hat seine eigene Lichtquelle, ist ganz unabhängig von den andern abgetönt, nirgend ist der Versuch gemacht die Modellierung der Einzelobjekte den im Bildraum herrschenden allgemeinen Licht Verhältnissen anzupassen und nur das eine ist angestrebt, dass jedes für sich als Körper erscheine.

Die andeutende Darstellungsweise, macht sich sowohl in der Augustinushandschrift als auch in vielen andern Buchmalereien dieser Epoche bemerkbar, nur findet sie nicht mehr bei der Darstellung des Einzelmotivs Anwendung, sondern dient hauptsächlich zur Andeutung grösserer Motivengruppen, wie beispielsweise des Waldes oder der Bewaldung eines Hügels, die durch eine Baumgruppe bestehend aus vier oder fünf Stämmen mit gemeinsamer Krone versinnbildlicht werden.

Charakteristisch für den Stil des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts ist die Behandlung der Einzelmotive, die deutlich das Eindringen der italienischen Formensprache verrät. Besonders die Bäume mit ihren in mehrere Zipfel auslaufenden Kronen erinnern stark an die Baumtypen, welche für Giotto und seine Schule charakteristisch sind und auf denselben Ursprung weisen jene eigentümlichen Felsformationen hin, die eine unverkennbare Aehnlichkeit mit den byzantinischen und mittelalterlich italienischen Treppenfelsen zeigen.

Zeitlich und stilistisch nahe stehen der erwähnten Handschrift die beiden dem Melchior Broederlaem zugeschriebenen Tafelbilder auf den Aussenflügeln des sogenannten tragbaren Altars der Herzoge von Burgund im Museum zu Dijon. Die schon erwähnten Mängel im Aufbau, das steile Ansteigen des Geländes nach rückwärts, das Missverhältnis zwischen Figur und Landschaftsmotiv und die Verkleinerung des Landschaftsmotivs nach dem Vordergründe zu machen sich auch hier bemerkbar. Ein gewisser Fortschritt zeigt sich jedoch in der Art und Weise wie der Künstler die Wirkung des räumlichen Zurückgehens der Landschaft hervorzubringen sucht, indem er dieselbe in mehrere steil abfallende Terrassen zerlegt, welche sich übereinander aufbauen und in senkrechten Felsstufen gegen vorn abfallen. Die Raumwirkung wird also nicht durch Projektion flacher Terrainprofile aufeinander erzielt, sondern durch stufenförmiges Abschrägen des Geländes und es tritt sonach an die Stelle der reinen Frontalebene die geneigte Böschung.

Die wichtigste Neuerung aber liegt auf dem Gebiete der Lichtführung. Die Einfallsrichtung des Lichts ist für beide Bildertafeln die gleiche und in beiden mit peinlicher Konsequenz durchgeführt. Viel früher als in der burgundischen Buchmalerei begegnen wir dieser Erscheinung bei den italienischen Künstlern, die entsprechend der Bestimmung ihrer Werke, Kirchen und Paläste zu zieren, schon bei deren Ausführung mit bereits vorhandenen Lichtquellen, mit einer durch die Lichtverhältnisse des zu schmückenden Raums gegebenen Einfallsrichtung des Lichts zu rechnen und sich diesen Faktoren schon in einer verhältnismässig frühen Zeit anzupassen gelernt hatten. So sind beispielsweise die Wandgemälde Giottos und Taddeo Gaddis in St. Croce zu Florenz, die Fresken des ersteren in der Arena zu Padua und andere mehr in ihrer Beleuchtung ganz genau nach der Lage der Fensteröffnungen orientiert, von welchen sie ihr Licht erhalten. Ganz anders lagen die Verhältnisse bei der französischflandrischen Buchmalerei. Hier war die Einfallsrichtung des Lichts nicht gegeben, der Künstler konnte naturgemäss mit ihr nicht als mit einer vorhandenen Grösse rechnen, und die Bedingungen für die Entwicklung eines einheitlichen Beleuchtungssystems waren dementsprechend viel ungünstiger. Wie sich im Vergleich damit die Verhältnisse bei der Tafel- und Wandmalerei gestaltet haben mochten lässt sich bei dem Mangel von auf uns gekommenen Werken nicht mit Sicherheit nachweisen, jedenfalls dürften aber bei der Schaffung der in Rede stehenden Dijoner Altarflügel dieselben Faktoren mitgesprochen haben, wie in der italienischen Kunst. Im übrigen versteht es auch Melchior Broederlaem nicht den Licht werten entsprechende Schatten werte gegenüberzustellen, so dass seinen Werken der Eindruck natürlichen Lichts zum grössten Teil verloren geht.

Dass auch er sich nicht frei von italienischen Einflüssen gehalten hat, zeigt die Behandlung der Bäume und die Struktur der Felsen, deren Verwandtschaft mit der Formengebung eines Taddeo Gaddi, Agnolo Gaddi oder Simone Martini nicht zu verkennen ist. Auch gleicht die Architektur mit ihren Kuppelbauten mit ihren luftigen von schlanken Säulen getragenen Hallen weit mehr den Architekturen der giottesken Schule, als zeitgenössischen französischen oder burgundischen Bauwerken.

Weit über diese ersten Anfänge hinaus gehen sowohl, was die Raumgestaltung und Komposition, als auch die Farbengebung und Stimmung der Landschaft betrifft, die Buchmalereien des beginnenden 15. Jahrhunderts, unter denen wiederum die Horarien des Herzogs von Berry den ersten Rang einnehmen. Der landschaftliche Raum besteht hier nicht mehr wie in der Augustinus-Handschrift ausschliesslich aus sich gegeneinander projizierenden Terrainsilhouetten, wenngleich die Ueberschneidung noch immer eines der wichtigsten Mittel zur Vertiefung des Raumes bildet, sondern es beginnen sich daneben bereits gewisse nach der Tiefe leitende Motive zu entwickeln, welche dem Künstler die Möglichkeit geben, nicht bloss die Tatsache des räumlichen Hintereinander zum Ausdruck zu bringen, sondern auch den Abstand der einzelnen Objekte voneinander und ihre Lage im Raum anzudeuten. An Stelle der reinen Profildarstellung tritt die geneigte Fläche, ja zuweilen sogar die Ebene, die ihre räumliche Gliederung durch seitlich einspringende Kulissen oder durch Teilung in einzelne horizontale Terrainstufen oder Gründe erhält. Auch in der Farbengebung drückt sich das Erwachen des Verständnisses für das Wesen des Raumes aus. Die Farbe verliert allmählich ihre Bedeutung als Unterscheidungsmittel, da dem Künstler andere Behelfe zur Loslösung der in verschiedenen Raumtiefen hintereinander stehenden Motive voneinander zur Verfügung stehen. In den Ho-rarien des Herzogs von Berry finden sich bereits ausgesprochene Tongemälde, in denen alle Teile der dargestellten Landschaft auf eine bestimmte einheitliche Farben Wirkung berechnet sind und eine das Ganze beherrschende Stimmung angestrebt wird. Diese Freude an landschaftlichen Stimmungsbildern zeigt sich vor allem in den Jahreszeiten-Bildern, die als erste Versuche gelten können, von der rein sinnbildlichen Darstellungsweise durch Wiedergabe von dem Jahreszeitenwechsel unterworfenen Objekten der freien Natur, von typischen Erzeugnissen der Jahreszeiten oder von auf dieselben bezug habenden Beschäftigungen, zur Darstellung ihrer Wirkung auf das Aussehen und die Stimmung der freien Natur beziehungsweise der Landschaft überzugehen. Auch die Vedute tritt in der französisch-flandrischen Buchmalerei hier zum ersten Male als zusammenhängende Raumdarstellung als Landschaftsbild auf, wenn sie auch wie in der italienische Freskomalerei der giottesken Periode hauptsächlich durch für die betreffende Oertlichkeit charakteristische Bauwerke veranschaulicht wird, während die Wiedergabe der eigentlichen Landschaftsmotive der dieser Zeit eigentümlichen schematischen Behandlung unterliegt.

Viele dieser Vorzüge weist bereits das dem Jaquemart de Hesdin zugeschriebene Horarium des Herzogs von Berry der Brüsseler Bibliothek auf, in dessen landschaftlichen^Darstellungen wir dem ausgesprochenen Streben nach möglichster Einheitlichkeit des Tons begegnen. Sie sind grösstenteils in einem matten grünlichgrauen Ton gehalten, dem die Lokalfarben der einzelnen Objekte angepasst sind. Auch die Verfärbung der Gründe nach dem Horizonte zu ist deutlich zum Ausdruck gebracht, doch erscheint sie in keiner Weise als eine Wirkung der Atmosphäre sondern hat ausschliesslich den Zweck, die verschiedenen Tiefenzonen körperlich voneinander loszulösen. In diesem Sinne zeigt sich statt der den tatsächlichen Erscheinungen der freien Natur entsprechenden Aufhellung ein ausgesprochenes Abdunkeln der Landschaft nach dem Hintergründe zu, eine der Darstellung einzelner Körper im Raum entlehnte Methode, welche sie in dem Streben sie plastisch aus ihrer Umgebung herauszuarbeiten, nach den Rändern zu abdunkeln lässt. Die Landschaft wird also auch hier nicht als. einheitliches Raumgebilde sondern als Konglomerat von einzelnen Körpern aufgefasst. Den Wirkungen des Wechsels der Jahreszeiten ist zwar bereits Rechnung getragen, sie finden aber weniger in der Gesamt-stimmung der Landschaft, als in der Darstellung gewisser charakteristischer Merkmale, wie besonders der ihres Blätterschmucks beraubten Bäume, ihren Ausdruck, während das Aussehen und die Farbenstimmung der Landschaft in ihrer Gesamtheit unberührt bleibt.

Der perspektivischen Raumdarstellung haften noch die meisten Mängel an, deren schon bei der Besprechung der Augustinushandschrift und der Tafelbilder Melchior Broederlaems Erwähnung geschah. Der Vordergrund ist wie dort tief gelegt, die landschaftlichen Gründe steigen gegen den Horizont zu steil an, alle Teile der Landschaft sind stark in der Aufsicht und jeder unter einem besondern nur für ihn gütigen Augenpunkt dargestellt. Die perspektivische Verjüngung nach dem Hintergründe zu ist fast eben so wenig beobachtet wie in der Augustinushandschrift, und eben so wie dort fehlt es an einem einheitlichen Grössenmassstab für figürliche und landschaftliche Motive. Dagegen treten die den Raum gliedernden, die einzelnen Teile der Landschaft organisch miteinander verbindenden Richtungsmotive, wie beispielsweise eine nach dem Hintergrund zu führende Strasse auf der Heimsuchung Mariä und der Anbetung des Kindes stärker hervor und es findet eine schärfere Trennung des Bildraums von der ihn einrahmenden Kulisse statt, wie in der Landschaft mit der Flucht nach Aegypten. Die Komposition der Landschaft wird nicht mehr ausschliesslich durch die Rücksichten auf möglichst klare und übersichtliche Anordnung der Einzelmotive und auf möglichst weitgehende Ausnützung der Bildfläche bestimmt, das Bestreben des Künstlers ist vielmehr darauf gerichtet, ein geschlossenes durch eine leitende Idee zu einem künstlerischen Ganzen verbundenes Landschaftsbild zu schaffen. Nach Analogie der Augustinushandschrift ist das Vordergrundgelände nicht einheitlich behandelt sondern zerfallt gemäss der Methode, räumliche und organische Gesamtheiten in ihre Bestandteile zu zerlegen, in einzelne Felsplatten und Stufen. In der Wiedergabe des Einzelmotivs macht sich ein entschiedener Zug ins Naturalistische bemerkbar, und vor allem unterscheiden sich die Bäume und Felsen in ihrer Behandlung vorteilhaft von gleichen Schöpfungen der vorhergehenden Periode. Erstere sind insbesondere, was die Struktur des Astwerks betrifft, ungemein naturwahr wiedergegeben, letztere weisen nicht mehr jene rundlichen fast teigigen Formen auf wie wir sie vor allem in den beiden Altarflügeln Melchior Kroederlaems kennen gelernt haben, sondern nehmen mehr die zersplitterte scharfkantige Struktur des natürlichen Felsgesteins an.

Ihren Höhepunkt erreicht die vor van Eyksche Buchkunst jedoch in den beiden Horarien des Herzogs von Berry, den Prachtstücken der Bibliothek des Schlosses Chantilly und der Biblioteca Nazionale in Turin.1 Unter den Miniaturen des erstgenannten Manuskripts lassen sich zwei Typen von Darstellungen unterscheiden : „Die Darstellungen religiösen Inhalts einerseits,

denen die meisten der bereits erwähnten Mängel in bezug auf räumliche Konstruktion der Landschaft anhaften, und die Kalender-Illustrationen andererseits, welche in bezug auf Raumkomposition, Naturbeobachtung, Farbengebung und Stimmung selbst unter den Malerwerken des späten 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ihresgleichen suchen und den Künstlern dieser vorgeschrittenen Entwicklungsepoche der niederländischen Kunst wie beispielsweise den Miniaturmalern des Breviariums Grimani noch häufig als Vorbild dienen.

Der zuerst genannte Typus erscheint sowohl den Kalenderillustrationen als auch den Buchmalereien des Brüsseler Horariums gegenüber entschieden zurückgeblieben; die Komposition und räumliche Anlage ist hier eine ganz ähnliche wie in der Augustinushandschrift; die Gründe steigen steil gegen den Horizont zu an; die Stellung der perspektivischen Ebenen der Landschaft zum Auge des Beschauers nähert sich wie dort der frontalen und selbst das Meer ist in den meisten Fällen als steil abfallende schiefe Ebene dargestellt, ein Fehler der bereits in dem Brüsseler Horarium vermieden ist. Wieder begegnet man jenen eigentümlichen dem Treppenfelsmotiv entlehnten Bergformationen, welche durch gegenseitige Ueberschneidung, das vor und hintereinander im Raum andeuten und auf denen sich wie auf Sockeln die verschiedenen Einzelmotive wie Mühlen, Schlösser, Bäume u. a. m. erheben, und wieder bilden Türme, Zinnen und monumentale Gebäude, die die Zwischenräume zwischen den Höhenzügen ausfüllen mit diesen den Abschluss gegen den Horizont. Das vollständige Fehlen eines organischen Zusammenhangs zwischen den landschaftlichen Einzelmotiven, der Mangel eines leitenden Gedankens, sowie harmonischer Linienzüge, lassen eine einheitliche Bildwirkung nicht auf kommen. Trotz des zeitweiligen Vorkommens lokaler Wahrzeichen, wie beispielsweise einiger hervorragender Gebäude der Stadt Paris in der die Begegnung der heiligen drei Könige veranschaulichenden Miniatur, ist die Landschaft durchaus abstrakt gefasst und selbst diese lokalen Anklänge sind nicht räumlich wiedergegeben, sondern einfach in der Fläche nebeneinander gestellt.

Ein reiferes Verständnis zeigt der Künstler in der farblichen Behandlung, in der er sich dem Schöpfer des Brüsseler Horariums nähert, indem auch er eine einheitliche Tonwirkung in seinen Darstellungen anstrebt, während er ihn in bezug auf die Beobachtung der Luftperspektive entschieden übertrifft. Zwar kann man von einer den Erscheinungen in der freien Natur nur einigermassen angenäherten Wiedergabe derselben nicht sprechen, aber das seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte Prinzip, die Landschaft der Tiefe nach in mehrere verschiedenfarbige Zonen zu zerlegen, ist bereits zum Durchbruch gelangt. Die Landschaft mit der Anbetung der Könige zeigt bereits eine Tonfolge, wie wir sie in den Arbeiten Mem-lings, Dierk Bouts’ und des Petrus Cristus wiederfinden werden; auf den grauen Vordergrund folgt eine braune, dann eine grüne und endlich als Abschluss gegen den Horizont eine blaue Zone. In der Lichtführung zeigt sich darin eine ungleich grössere Einheitlichkeit, dass die seitliche Beleuchtung in allen Miniaturen mit grosser Konsequenz durchgeführt ist. Ja der Künstler geht in dieser Beziehung so weit, dass er für sämtliche Darstellungen des Horariums die gleiche Einfallsrichtung des Lichts wählt. Trotz dieser Konsequenz dient das Licht meist nur dazu, die einzelnen Körper aus der Bildfläche herauszumodellieren und wird dementsprechend nur insoweit berücksichtigt als es diesen Zweck erfüllt. Kräftigere Lichtkontraste sind daher wie in fast allen Darstellungen des 15. und 16. Jahrhunderts vermieden und das vollständig zerstreute Tageslicht gewählt, welches alle Einzelformen vollkommen gleichmässig so zu sagen unparteiisch zur Anschauung bringt. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes für bildliche Darstellungen ein Licht zu wählen, welches sowohl der Form als der Farbe eines jeden Gegenstandes möglichst gleichmässig gerecht wird, liegt in der Einführung des Nachtstücks in das Gebiet der Buchmalerei. Wie bei den Niederländern und Franzosen des 15. Jahrhunderts, unter denen hier nur Jean Fouquet, Dierk Bouts und Gerhard David erwähnt seien, sind die sich unter nächtlichem Himmel abspielenden Szenen in einem dunkel blaugrauen Ton gehalten, der ungefähr den Beleuchtungsverhältnissen der vorgerückten Abenddämmerung entspricht, denn ein wirkliches Nachtstück wiederzugeben, wagt der Künstler noch nicht. Der Fortschritt liegt jedoch hauptsächlich darin, dass das Aussehen der Landschaft im Ganzen sowie in ihren einzelnen Bestandteilen, in bezug auf Farbe, Modellierung und äussere Begrenzung diesen von den Wirkungen des zerstreuten Tageslichts abweichenden Beleuchtungsverhältnissen untergeordnet wird. Die Darstellung der Gefangennahme Christi am Oelberge zeigt die Figuren sowohl als auch die Landschaftsmotive in ganz verwaschenen Umrissen und verschwommener Modellierung und die Einzelfarben sind vollständig dem dämmerigen blau gewichen, welches über der ganzen Szene liegt. Das Licht, welches bisher durch die Helligkeit und Farbe der einzelnen Bestandteile der Landschaft bedingt war, tritt also hier zum ersten Male als Faktor höherer Ordnung, als die Erscheinung der Objekte bedingendes Element auf.

Die Monatsbilder des in Rede stehenden Manuskripts unterscheiden sich von dessen religiösen Darstellungen, sowie von den übrigen Werken der zeitgenössischen Buchmalerei vor allem dadurch, dass sie geschlossene durchaus einheitliche Stimmungsbilder bringen, in denen die Wirkungen des Jahreszeitenwechsels nicht mehr durch das veränderte Aussehen einzelner Motive angedeutet werden, sondern in allen Teilen der Landschaft, in der Vegetation, im Tierleben, in der Beschäftigung der sie belebenden Menschen, in der Farbe und Luftstimmung, also in jeder Einzelheit sowohl als in der Gesamtheit zum Ausdruck kommen. Im Februar wird zum ersten Male eine Landschaft in ihrem winterlichen Kleide dargestellt, ganz in Frost erstarrt, überwölbt von einem bleigrauen Himmel, in der als einzige Farben das einförmige Weiss des Schnees und das Grau der schneefreien Teile herrschen ; der April wird durch eine im hellen leuchtenden Grün prangende Frühlingslandschaft mit blühenden Bäumen versinnbildlicht, während der Dezember als Spätherbstbild mit tiefen braunen und rötlichen Farbentönen und herbstlich gefärbter Vegetation gedacht ist. Ueberall ist der Künstler bestrebt die der betreffenden Jahreszeit entsprechende Stimmung und Färbung und das ganze Leben und Weben in der freien Natur wiederzugeben. Die landschaftliche Genredarstellung, die in der Tafelmalerei erst ein volles Jahrhundert später zur vollen Ausbildung gelangen sollte, steht hier schon fertig da und die Jahreszeitenfolgen der Landschafter des lö. Jahrhunderts, insbesondere Pieter Brueghelsdes Aelteren scheinen an diese ersten von der Buchkunst gegebenen Anregungen anzuknüpfen.

Dass durch die veränderte Stellung der Landschaft auch die der Figur im hohen Grade berührt wird, liegt in der Natur der Sache. In dem Masse als erstere an Bedeutung gewinnt, sich zum eigentlichen Gegenstand der Darstellung emporschwingt, büsst die letztere ihre bevorzugte Stellung im Raum ein und beginnt die Rolle der erläuternden und belebenden Staffage zu spielen, wenn sie auch noch immer ganz unverhältnismässig gross im Vergleich zu den Landschaftsmotiven wiedergegeben ist.

Auch die Raumkomposition selbst ist trotz mancher Mängel ungleich weiter-fortgeschritten als in den religiösen Darstellungen des in Rede stehenden und des Brüsseler Horariums. Als Abschluss gegen den Horizont wählt der Meister wohl in Anlehnung an die bereits besprochenen Kompositionstypen monumentale Gebäude1 und diesem gradlinigen Abschluss folgend zeigt auch die übrige Landschaft zuweilen eine fast geometrisch regelmässige Einteilung in horizontale Zonen. Den Vorder-und Mittelgrund nehmen meist überraschend richtig und frei von den perspektivischen Mängeln dieser Epoche wiedergegebene ebene Flurenbilder ein, wie in der Darstellung des Juni, Juli und September. Besonders das letztgenannte Monatsbild muss als ein Meisterwerk in bezug auf Schlichtheit der Komposition und perspektivische Darstellung des landschaftlichen Raums angesehen werden. Nicht bloss die Verjüngung nach rückwärts zu ist merkwürdig richtig wiedergegeben, sondern auch der Standpunkt des Beschauers und der Verschwindungspunkt wenigstens in Annäherungswerten angegeben. Die perspektivische Ebene im Vorder- und Mittelgrund ist mit einer in dieser Zeit geradezu beispiellos dastehenden Sicherheit konstruiert und keines der auch noch in der Schule van Eyks gebräuchlichen Hilfsmittel, wie Zerlegung in einzelne stufenförmig übereinander aufgebaute Gründe oder einander überschneidende Terrainsilhouetten angewendet. Zwanglos streben hier die Fluren dem Hintergründe zu und die Gliederung geschieht ganz im modernen Sinne nur durch die natürlichen Linienzüge des Terrains und die in diesem selbst vorhandenen Richtungsmotive. Ueberhaupt ist die Gliederung der Landschaften von einer Mannigfaltigkeit und Ungezwungenheit, wie sie nur durch direkte Wiedergabe der Natur und zwar in jedem einzelnen Fall bestimmter Lokalitäten erklärt werden kann, eine Vermutung, die ihre Bekräftigung noch durch den Umstand erfährt, dass wir in den Monumentalbauten des Hintergrundes naturgetreue Darstellungen französischer Schlösser zu erblicken haben. An die Stelle der willkürlichen aus einzelnen handwerks-mässig wiedergegebenen Motiven zusammengesetzten Landschaft, ist sonach die Vedute getreten.

Wenn schon die Miniaturen der Augustinushandschrift und die beiden Altarflügel Melchior Broederlaems starke Anklänge an die Schule Giottos zeigen, so liefert das Horarium des Herzogs von Berry den unumstösslichen Beweis für das Uebergreifen italienischen Kunstempfindens und italienischer Formensprache auf flandrisch-burgundischen Boden. Ueber die Person Pauls von Limburg, des vermutlichen Schöpfers dieser Miniaturen, seinen künstlerischen Werdegang und seine Mitarbeiter an dem Werke wissen wir so gut wie nichts. Eine eingehendere Betrachtung lehrt uns nur, dass die Monatsbilder und die religiösen Darstellungen zwar nicht von einer Hand herrühren können, wohl aber dass ein starker Schul- oder Werkstattzusammenhang zwischen beiden Darstellungskreisen besteht, der sich wie schon erwähnt besonders durch eine beiden gemeinsame Anlehnung an die italienisch giotteske Schule äussert. Während sich dieser Einfluss • aber bei den Monatsbildern, die im übrigen durchaus von niederländischem Natur- und Kunstempfinden durchdrungen sind, ausschliesslich auf die Behandlung der Einzelformen insbesondere der Figuren erstreckt, spricht er sich bei letzteren in der Komposition sowohl als in der Auffassung des Gegenstandes aus. Darstellungen wie der Tempelgang Mariä oder der Plan von Rom sind fast getreue Wiederholungen der Arbeiten Taddeo Gaddis in St. Maria Novella zu Florenz und Taddeo del Bartolos im Palazzo Communale zu Siena. Auch der Einzug Christi in Jerusalem scheint auf eine gleichartige Komposition Giottos in der Arena Kapelle zu Padua zurückzugehen. Im Einzelnen zeigen sowohl die Figurentypen eine ausgesprochene Verwandtschaft mit denen Giottos und seiner Schule als auch die Behandlung der Felsen, der Bäume und besonders der Architektur, deren italienische Grundformen zuweilen von nordisch gotischen Zierformen durchsetzt erscheinen. So sind die Bauwerke im Tempelgang Mariä abgesehen von einigen derartigen Zutaten, durchaus im florentinischen Stil der giottesken Periode gehalten und die nur in Bruchstücken dargestellte Kirche auf der Auferweckung des Lazarus zeigt einen rein italienisch-toskanischen Fassadenbau.

Das starke Hervortreten italienischer Formen in den genannten Schöpfungen des niederländischen Frühstils, lässt die von Edgar Baes ausgesprochene Vermutung über einen Zusammenhang der italienisch-giottesken und der flandrisch-französischen Schule an Wahrscheinlichkeit gewinnen und den Einfluss der italienischen Kunst als eine der Triebfedern erkennen, welcher die niederländische Malerei um den Anfang des 15. Jahrhunderts ihren Aufschwung verdankt.

Treten diese Einflüsse im Horarium von Chantilly noch mächtig hervor, so hat sich die niederländische Buchmalerei, in den von Durrieu3 der Entstehung nach als zweite Gruppe bezeich-neten Miniaturen der Turiner Handschrift bereits zur vollkommenen Selbständigkeit durchgerungen. Die Formengebung des 15. Jahrhunderts tritt uns in den Gestalten dieser Serie von Darstellungen bereits voll entwickelt entgegen, und die Analogieen mit den Schöpfungen der van Eyks sind so gross, dass Durrieu dieselben mit Recht mit dem Brüderpaar in Verbindung bringt. In der Landschaftsdarstellung jedoch zeigen diese Miniaturen des Turiner Horariums eine Vollkommenheit, wie sie in keinem der auf uns gekommenen Werke der flandrischen Schule nur annähernd erreicht wurde. Mit Riesenschritten eilt hier der Künstler seiner Zeit voraus. Landschaftsdarstellungen, wie die auf dem Gebet der heiligen Martha, mit der wellenbewegten Wasserfläche im Vordergrund und der auf felsigen Klippen aufragenden Stadt im Hintergrund, oder jener Miniatur, welche im Vordergrund einen Prinzen des Hauses Bayern Hennegau mit Gefolge zu Pferd, rückwärts das Gestade der Nordseeküste zeigt, sind frei von allen Mängeln, welche zu den typischen Merkmalen des frühniederländischen Landschaftsstils gehören.4 Sie stehen ausserhalb des genetischen Verbandes und könnten der Reife der perspektivischen Konstruktion der verblüffenden Naturwahrheit, der Behandlung der Luftperspektive, der Lichtführung und Farbengebung, kurz dem fortgeschrittenen Verständnis für das Wesen und die Aufgaben der Landschaftsmalerei nach in die Blütezeit der holländischen Kunst verlegt werden. Durrieu macht sich daher keiner Uebertreibung schuldig, wenn er Leistungen, wie die oben genannte Wiedergabe des Nordseestrandes denen eines Willem van de Velde an die Seite stellt. Die Landschaft hat hier aufgehört ein Konglomerat von Einzelmotiven zu sein, sie ist nicht mehr ein abstraktes Phantasiegebilde des Künstlers, das er aus dem ihm zur Verfügung stehenden Motivenvorrat beliebig zusammenstellt, sie ist vielmehr ein lebendiges Spiegelbild der freien Natur ein Ausschnitt aus derselben mit geschlossener Bildwirkung, eine Porträtlandschaft im modernen Sinne.

Die niederländische Buchkunst steht in diesen Bilderhandschriften auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung. Sie büsst von da ab immer mehr an Unmittelbarkeit und Lebendigkeit der Naturbeobachtung ein, bewegt sich fast ausschliesslich in den Grenzen der traditionellen religiösen Landschaft des 15. Jahrhunderts, und geht wie die Monatsbilder des Breviariums Grimani, jener summarischen Zusammenfassung der malerischen Schöpfungen der voraufgegangenen Künstlergenerationen, nur dort über dieselben hinaus, wo sie sich an die Buchmalereien dieser Blütezeit anlehnt.

Auch die Landschaften des Genter Altars bedeuten solchen Leistungen gegenüber ein Zurückgreifen auf den abstrakten kirchlichen Landschaftsstil, wie er uns in der Augustinushandschrift und in den religiösen Darstellungen des Horariums der Bibliothek des Schlosses Chantilly entgegentritt und in der Landschaftsmalerei des 15- ja noch zum Teil des 16. Jahrhunderts der herrschende bleibt.

Aus dem Buch “Von Jan van Eyk bis Hieronymus Bosch : ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei” aus dem Jahr 1903, Autor: Schubert-Soldern, Fortunat von.

Siehe auch: Hieronymus Bosch (1450-1516), Hieronymus Bosch – Dokumente, HÖLLENSCHILDERUNGEN DES MITTELALTERS, JAN VAN EYCK.


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