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Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, das sechzehnte Jahrhundert – Holzschnitt in Italien

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von Kunstmuseum-Hamburg.de

Hier gezeigte Abbildungen:
Unbekannter venezianischer Meister – Bildnis des Fr. Priscianesi
Titelbild zu der Anatomie des Andreas Vesalius – (Ausschnitt)
Cristoforo Coriolano – Bildnis aus Vasaris Vite dei pittori
Ausschnitt aus dem Titelblatte zu Fantis Trionfo della Fortuna
Nicolo Boldrini – nach Tizian. Venus und Amor (Ausschnitt)
Domenico Campagnola – Der heilige Hieronymus (Ausschnitt)
Ugo da Capi nach Rafael – Rafael und seine Geliebte

ENEDIG behauptet noch ausschliesslicher als im XV. und im beginnenden XVI. Jahrhundert im weiteren Verlaufe der Entwickelung des italienischen Holzschnittes den ersten Platz, ja fast die Alleinherrschaft auf diesem Gebiete. Dem Niedergange in den ersten Jahrzehnten des XVI. Jahrhunderts folgt ein neuer Aufschwung in technischer wie auch in kĂŒnstlerischer Beziehung. Aus der derb schraffierenden Manier, die im AnfĂ€nge des XVI. Jahrhunderts meist mit ganz handwerksmĂ€ssiger Sorglosigkeit ausgeĂŒbt wurde, entwickelt sich in der Buchillustration ein eleganter, glatter und glĂ€nzender Holzschnittstil, der in Feinheit und SchĂ€rfe der regelmĂ€ssigen und stark gerundeten Taillen, in der Weichheit der Modellierung und in der Abstufung der Töne mit der Kupferstichtechnik in Wettstreit tritt. Ein neuer Strom von Leben dringt in das alte, anscheinend schon abgebrauchte System der Holzschnitttechnik. Es sind offenbar wieder bessere KrĂ€fte, die von den Verlegern fĂŒr die Vorzeichnung der Buchillustrationen herangezogen werden, und die nun auch die Holzschneider zu sorgfĂ€ltigerer und mehr kĂŒnstlerischer Arbeit anhalten.

Der Holzschnitt macht hier noch eine letzte grosse Anstrengung, das Gebiet der Buchillustration gegen den eindringenden Kupferstich zu verteidigen, der aber trotzdem immer mehr an Boden gewinnt und mit dem XVII. Jahrhundert den Holzschnitt fast vollstĂ€ndig verdrĂ€ngt hat. Durch das ganze XVI. Jahrhundert jedoch erhĂ€lt sich dieser verfeinerte, routinierte Holzschnittstil, der sich oft bedenklich der Kupferstichtechnik nĂ€hert, immer noch konkurrenzfĂ€hig. SelbstverstĂ€ndlich hat auch das Vorbild des deutschen Holzschnittes, der in DĂŒrerscher und Holbeinscher Technik damals auf seiner höchsten Höhe stand, einen wesentlichen Anteil an dieser Umbildung des venezianischen Buchholzschnittes. Wie beim Kupferstich mussten die Italiener auch am deutschen Holzschnitt die Konsequenz des Systems, die Oekonomie und die kĂŒnstlerische Ueber-legung in der Verwendung der Mittel bewundern und nachzuahmen suchen. Wir werden ĂŒbrigens unter den in Italien, besonders in Venedig tĂ€tigen Holzschneidern eine ganze Reihe deutscher Meister antreffen.

Auf den ersten Blick schon macht sich dieser neue Aufschwung in angenehmer Weise in einer Anzahl trefflicher Autorenbildnisse in BĂŒchern der dreissiger und vierziger Jahre bemerkbar. Von grösster SchĂ€rfe und Feinheit ist z. B. der Schnitt in den lebensvollen Bildnissen Petrarcas (in der Ausgabe Maripieros 1536), des Fr. Priscianesi (Deila lingua romana, 1540 Venezia, Zanetti, s. Abb.), in denen des Jason Maynus oder des Francesco Alunno (Fabrica dcl mondo i 548). Etwas freieren Stil zeigen z. B. die Bildnisse Ariostos (Negromantc 1535), Gio. Giac. Salvatorinos fhesoro di sacra scrittura). Einige dieser Autorenbildnisse gehören zu den besten Werken des Holzschnittes und nehmen auch als Bildnisse einen hohen Rang ein. Ein frĂŒhes, treffliches Beispiel dieses feinen Holzschnittstils ist auch das Titelbild in Francescos de Lodovici „Trionfo di Carlo“ (Venezia 1535), das den Autor darstellt, wie er sein Buch dem Dogen ĂŒberreicht. Von dieser feinen, sorgfĂ€ltigen Arbeit mit sehr langen, gleichmĂ€ssig dĂŒnnen und gerundeten Schraffierungslinien findet man spĂ€ter, um 1560-1580,zahlreiche Beispiele in den neuen Bibclbildern und den Illustrationen liturgischer BĂŒcher besonders aus dem Verlage der Giunta, des Johannes Variscus und der Scssa.

Ganz besondere Sorgfalt scheinen unter den venezianischen Verlegern Gabriel Giolitto de’ Ferrari und Vincenzo Valgrisi auf die kĂŒnstlerische Ausstattung ihrer Druckwerke verwendet zu haben. Sehr hĂŒbsch sind Titeleinfassung, Initialen und Textbilder in Giolittos Ausgabe von Boccaccios Deca-merone (1 >42), von Ariosts Orlando (1542 und in Dolces Trasformazioni nach Ovid (1553), die in einer noch kernigen, glatten und regelmĂ€ssigen Schraffierungstechnik mit dunklem Gesamtton sorgfĂ€ltig ausgefĂŒhrt sind. Beachtenswert ist hier die Betonung der landschaftlichen HintergrĂŒnde, die von nun an ĂŒberhaupt vielen venezianischen Holzschnitten besonderen Reiz geben. IrrtĂŒmlich hat man diese Holzschnitte und eine Reihe anderer mit den Buchstaben G. G. F. bezeichneter BlĂ€tter ganz anderen Stils, von den noch die Rede sein wird, Giolitto selber zugeschrieben. Sie sind aber sicher nicht das Werk eines vielbeschĂ€ftigten, wohlhabenden Verlegers, sondern die Arbeit von berufsmĂ€ssigen, routinierten Holzschneidern.

Von den illustrierten Drucken des Vincenzo Valgrisi verdient die prĂ€chtige Ausgabe von Ariosts Orlando, die 1 55b zuerst erschien, besondere Beachtung. Die Zeichnungen der blattgrossen, von reichen BordĂŒren umrahmten Illustrationen zu jedem GesĂ€nge werden von der Tradition keinem geringeren als Dosso Dossi zugeschrieben. Das ist offenbar ein Irrtum. Sehr wahrscheinlich ist es dagegen, dass hier nur eine Verwechselung mit Dossos Bruder Giovanni Battista vorliegt, dessen GemĂ€lde Ă€hnlich bizarre Kompositionen und manierierte, geschwollene Formen zeigen wie die Bilder dieser Ariostausgabe. Die Bewegungen sind ĂŒbertrieben heftig, die Zeichnung der Formen, fast scheint es mit Absicht, höchst utriert. Auf den landkartenartigen Bildern, die augenscheinlich mehr didaktische als kĂŒnstlerische Absichten verfolgen, sind alle wichtigen Szenen des betreffenden Gesanges zusammengestellt und die abgekĂŒrzten Namen jeder Figur beigefĂŒgt. Einzelne Gestalten und Teile der Landschaft entbehren dabei nicht eines gewissen Reizes. Das Gemisch von Phantastik und Pedanterie des Ganzen stimmt nicht schlecht zu dem Charakter des Gedichtes. Die Technik mit ganz kurzen, dĂŒnnen, runden Schraffierungslinien und krausen, feinen Umrissen ist ganz eigentĂŒmlich, sehr sorgfĂ€ltig und doch nicht ohne malerische Wirkung. In den ĂŒberladenen Umrahmungen wimmeln die barocken Ornamentformen von Putten und allegorischen Gestalten, Masken, FruchtgehĂ€ngen, Waffen und dergleichen. Diese Art der Ornamentik, die sich noch charakteristischer in der sehr fein geschnittenen Titelumrahmung mit ihren Karyatiden, Putten, Allegorien und ĂŒberreichen, lastenden Verzierungen aller Art zeigt, bleibt in der Buchausstattung von Venedig und Ă€hnlich auch anderwĂ€rts herrschend.

Eine grössere Einheitlichkeit des Stils zeigen die Illustrationen, die Francesco Marcolini in den zahlreichen von ihm gedruckten BĂŒchern verwendet, obwohl auch in seinen Drucken sich ganz verschiedenartige Arbeiten finden. Marcolini war selber KĂŒnstler und soll auch als Holzschneider tĂ€tig gewesen sein. In einem seiner frĂŒhesten und besten Drucke, in dem von ihm selber verfassten Kartenwahrsagebuche, das er unter den stolzen Titeln: „Le ingeniöse sorticc und „Giardino dei pensieri“ 1540 und in zweiter Auflage 1550 herausgab, ist das schöne Titelbild „Joseph Porta Garfagninus“ bezeichnet. Der Maler Giuseppe Porta, nach seinem Lehrer auch Salviati genannt, ist offenbar nur der Zeichner der sehr guten Vorlage. Der Schnitt ist in derselben routinierten, wenn auch sehr breiten und malerischen Manier ausgefĂŒhrt wie die zahlreichen kleineren Textbilder des Buches. Andere mit Giuseppe Salviatis Namen be-zeichnete BlĂ€tter, wie das Titelbild der „Vera eccelenza di varie sorti di ricami“ (Venedig, Ostaus) Lucretia mit ihren Frauen, bezeichnet: JOSE. SAL. 1557, und eine grosse Kreuzigung sind dagegen ohne Zweifel von anderer Hand und in einem viel lockereren, kupferstichĂ€hnlichen Stil geschnitten.

Holzschnittillustrationen derselben Manier wie die Bilder des „Giardino“ enthalten noch einige andere bekannte Drucke Marcolinis, besonders die Schriften Antonio Francesco Donis, die „Marmi“ und die „Moral filosofia“ von 1552, die sich wie andere mehr, trotz ihrem faden Inhalte, als Anekdotensammlung und Klatschchronik damals grosser Beliebtheit erfreut haben mĂŒssen. Sie sind ziemlich reich mit figĂŒrlichen Darstellungen meist aus dem „Giardino“, sehr guten Bildnissen berĂŒhmter Zeitgenossen und OrnamentstĂŒcken ausgestattet. Die beiden sehr hĂŒbschen Buchdruckerzeichen Marcolinis sind in der feineren Holzschnittmanier ausgefĂŒhrt. Eine Reihe kleiner, geistreicher Bilder, in einer eigenen, leicht zeichnerischen, sehr feinen Technik geschnitten, enthĂ€lt Brusantinos „Angelica innamorata“ (1553), die denen in Girolamo Scottos 1548 gedruckter Ausgabe von Boiardos „Orlando innamorato“ sehr Ă€hnlich sind. Von anderen Drucken dieses vielseitigen und eifrigen Mannes mögen noch erwĂ€hnt werden seine Dante-Ausgabe von 1544, die ersten Teil« von Sebastiano Serlios Werk ĂŒber die Architektur (seit 1537), Schriften Pietro Aretinos (153p), Giuseppe Salviatis „Regola di far la voluta“ (1552) und Daniele Barbaros Vitruv-ĂŒbersetzung von 155 b. Ein besonderes Interesse haben die Holzschnitte in Torello Sarainas „De origine et amplitudine civitatis Veronae“ (1540 Verona), weil das treffliche Bildnis des Verfassers mit dem Monogramm des Malers Giovanni Carotto versehen ist, der also fĂŒr dieses Buch ebenso wie fĂŒr ein 1560 von ihm selber herausgegebenes Werk ĂŒber Veroneser AltertĂŒmer die Zeichnungen geliefert hat.

Wie der Kupferstich muss auch der Holzschnitt in BĂŒchern nun hĂ€ufiger den Zwecken der Belehrung dienen. FĂŒr seine zeichnerische und technische Ausbildung sind die aus solchen Absichten sich ergebenden höheren Anforderungen an die Exaktheit in der Wiedergabe der GegenstĂ€nde nicht ohne wohltĂ€tigen Einfluss gewesen. Wie in den oben erwĂ€hnten architektonischen und antiquarischen Werken wird nun auch in naturwissenschaftlichen, anatomischen und mathematischen Schriften auf die Genauigkeit der Darstellung ungleich grösserer Wert gelegt als frĂŒher. Diese Tendenz steht mit dem Aufschwung der exakten Wissenschaften im ZusammenhĂ€nge.

Das gegenstĂ€ndlich und auch kĂŒnstlerisch bedeutendste Werk dieser Art ist die Anatomie des Andreas Vesalius. Die Zeichnungen, die man spĂ€ter ohne Grund Tizian zugeschrieben hat, sind, wie Vasari und Vesalius selber ausdrĂŒcklich angeben, von dem Maler Johann Stefan von Calcar, der auch bei der Herausgabe beteiligt war, geliefert worden. Die Holzstöcke wurden in Italien geschnitten und nach Basel gesandt, wo Johannes Oporinus das Vesaliussche Werk unter dem Titel „De humani corporis fabrica“ 1 543 zum Druck brachte (s. Abb.). Schon vorher, 1538, waren sechs grosse anatomische Tafeln des Vesalius von Johann Stefan im eigenen Verlage in Venedig herausgegeben worden. In der Zeichnung, in den Stellungen der halbsezierten, nackten Gestalten und in den landschaftlichen HintergrĂŒnden erkennt man leicht die Hand des Malers aus Tizians Schule. Der Holzschneider hat die malerische Wirkung, Modellierung und Beleuchtung, den leichten Charakter der Federzeichnung wohl zu bewahren gewusst, obwohl er, offenbar ein routinierter Techniker, den LinienzĂŒgen eine gewisse RegelmĂ€ssigkeit gibt. Ebenfalls mit Unrecht werden die Holzschnitte zu Giov. Maria Verdizottis „Cento favole morali“ (I. Ausgabe 1570) Tizian zugeschrieben. Wie aber der Verleger in der Einleitung hervorhebt, sind sie von dem Verfasser Verdizotti, der sich dilettantisch, ohne Zweifel an Tizian, gebildet hatte, gezeichnet worden. Der Schnitt der besonders durch die landschaftlichen HintergrĂŒnde sehr anziehenden Bilder ist ohne Frage die Arbeit einer fachmĂ€nnischen Hand. Er zeigt grosse Verwandtschaft mit dem Stil der Vesalius-holzschnitte.

Noch mehr als in diesen Werken herrscht das gegenstĂ€ndliche, lehrhafte Interesse in den von Tizians Neffen Cesare Vecellio herausgegebenen „Habiti antichi e moderni“ vor. Die erste Ausgabe dieses Buches, die 1590 in Venedig bei Zenari erschien, enthĂ€lt 420 KostĂŒmfiguren aller Zeiten und Völker, in der zweiten Ausgabe, die 1598 von G. B. Sessa herausgebracht wurde, sind noch 86 neue Bilder hinzugefĂŒgt worden. Die Einleitung der ersten Auflage nennt auch den Holzschneider, Christoforo Guerra, Thedesco da Norimberga, der offenbar seinen heimatlichen Namen Christoph Krieger so italienisiert hat. Wir kennen von ihm einen Holzschnitt, die Schlacht von Lepanto darstellend (Wien, Hofbibliothek), der „Christophs, chrieger alls inci“ bezeichnet ist und 1589 ebenfalls bei Cesaro Vecellio erschien. Hier wie in den „Habiti antichi e moderni“ fĂŒgt sich der deutsche Holzschneider durchaus der italienischen Vorzeichnung und gibt auch seiner Technik venezianischen Charakter, so dass man wohl annehmen könnte, er habe sich in Italien ausgebildet. Die KostĂŒmbilder sind ziemlich langweilig und schematisch geschnitten und wenig sauber gedruckt, so dass das Werk durch kĂŒnstlerische Reize den Betrachter kaum fesseln wird.

Eines der umfangreichsten jener naturwissenschaftlichen Kompendien, die man seit dem Ende des XVI. Jahrhunderts zusammenzustellen begann, spĂ€ter aber fast immer mit Kupferstichen illustrierte, ist die Ornithologie des Ulisse Aldrovandi. Wenn wir in der Einleitung lesen, dass der Verfasser einen Maler 30 Jahre lang mit hohem Lohn ausschliesslich fĂŒr dies Werk angestellt hat, dass ausserdem noch mehrere andere, zum Teil wohlbekannte Meister an der Herstellung der Zeichnungen gearbeitet haben, so wird man das grosse, dreibĂ€ndige Werk auch vom modernen Standpunkt aus nicht ohne Bewunderung betrachten dĂŒrfen. Die Holzschnitte sind, wie ebenfalls in der Einleitung angegeben wird, von Cristoforo Coriolano aus NĂŒrnberg und seinem Neffen ausgefĂŒhrt worden. Wenn das Buch auch in Bologna (1599— 1603) gedruckt worden ist, und wenn auch Coriolano (Lederer?) ein Deutscher war, so können seine Holzschnitte doch fĂŒglich unter den venezianischen Arbeiten aufgefĂŒhrt werden. Sie sind eine höchst achtenswerte Leistung und geben die feinen, miniaturartigen, nach der Natur gezeichneten Vorlagen offenbar mit der grössten Genauigkeit wieder. Der Schnitt ist Ă€usserst gewandt, glatt und scharf, aber auch nicht ohne farbige Wirkung durch krĂ€ftige Kreuzschraffierungen. Sehr geschickt ist der Charakter des weichen, glĂ€nzenden Gefieders durch feine Schraffierungsgruppen oder durch breite, von weissen Linien belebte schwarze FlĂ€chen wiedergegeben. Höchstwahrscheinlich ist Cristoforo Coriolano, dem auch noch andere Werke zugeschrieben werden, derselbe Cristoforo, der die schönen KĂŒnstlerbildnisse in der zweiten Ausgabe der „Vitecc des Vasari von 1568 (s. Abb.) geschnitten hat.

Von anderen KĂŒnstlern, die sich mit dem Holzschnitt befassten, mögen hier noch ErwĂ€hnung finden: Girolamo Porro aus Padua, der unter anderem die Bilder fĂŒr Porcacchis „Funerali degli antichi“ (1574) lieferte, der Kupferstecher und Verleger Nicolo Nelli, von dem z. B. ein hĂŒbsches Bildnis des Leonardo Fioravante von 1566 erhalten ist, und Girolama Parasola, die einen Kentaurenkampf nach Tempesta und andere BlĂ€tter in der Manier Tobias Stimmers geschnitten hat.

Die grosse Schmiegsamkeit und Beweglichkeit, die die Holzschnittechnik im XVI. Jahrhundert auch in Italien gewonnen hatte, kam im besonderen noch einem Zweige der Abbildungsliteratur zugute, der erst jetzt eine praktische Bedeutung gewann. Seit den zwanziger Jahren des Jahrhunderts sehen wir eine Unzahl von Heften mit Vorlagen fĂŒr kalligraphische SchriftzĂŒge, fĂŒr Stickmuster aller Art, fĂŒr Spitzen und dergleichen auf dem Markte erscheinen. Ihre Beliebtheit und damit ihre praktische Bedeutung fĂŒr die Verbreitung der Techniken und Kunstformen können wir an der grossen Anzahl von Auflagen und Nachdrucken, die die einzelnen BĂŒcher erlebten, deutlich erkennen. BewunderungswĂŒrdig ist fast immer die Feinheit der LinienfĂŒhrung und die Exaktheit in der Wiedergabe des Stofflichen. Der Duktus der Feder, der Gang des Fadens musste ja auch, um bei der praktischen AusfĂŒhrung nachgeahmt werden zu können, klar und deutlich aufgewiesen werden. Der grösste Teil dieser BĂŒcher ist in Venedig entstanden und gedruckt worden, aber auch die andernorts herausgegebenen sind zum grossen Teil von KĂŒnstlern venetischen Ursprunges gezeichnet oder geschnitten worden, so dass man sehr wohl die ganze Gruppe der venezianischen Schule anfĂŒgen kann.

Das Ă€lteste Buch mit Schreib Vorlagen ist SigismondoFantis „Theorica et pratica de modo scribendi fabricandique omnes litterarum species“, das 1514 in Venedig erschien. In Rom gab 1522 und 1523 Ludovico degli Arrighi Vicentino seine „Operina da imparare di scrivere“ und den „Modo de temperare le penne“ heraus. Seine Privilegien wurden ihm aber schon i 5 2 5 wieder entzogen, da sich Ugo da Carpi als der wirkliche Autor ausweisen konnte, der von nun an die „Operina“ mit verschiedenen neuen Zutaten unter seinem Namen in zahlreichen Ausgaben in Rom und Venedig druckte. Noch beliebter scheint die „Vera arte dello scrivere“ des Giovanantonio Tagliente, die seit 1524 in vielen Auflagen in Venedig verkauft wurde, gewesen zu sein. In Gio. Batt. Verinis „Luminario, ĂŒber elementorum litte-rarum“ (Florenz? 1526?) und dann in Gio. Batt. Palatinos hĂ€ufig aufgelegtem „Libro nuovo d’imparare a scrivere“ (Rom seit 1540) in Gio Francesco Crescis „Esemplare di piu sorte lettere“ und Amphiareo Vespa-sianos „Opera a scrivere varie sorti di lettere“, werden die Buchstabenformen immer reicher, aber auch schnörkelhafter und unorganischer ausgestaltet und ornamentiert.

Von den zahllosen Stickmuster- und SpitzenbĂŒchern seien nur einige Titel genannt. Das Ă€lteste italienische Werk dieser Art scheinen die vier BĂŒcher der ricami zu sein, die Alessandro Paganini Benacensis um 1520 herausgab. Ein „Esemplario di ricami“ erschien 1527 bei den BrĂŒdern Da Sabio in Venedig, 1528 Taglientes „Esemplario nuovo che insegna a le donne a cusire“, dann „Gli universali de i belli recami“, die Nicolö Zoppino 1537 herausgab, Giov. Andrea Vavassores „Corona di recammi“, Matteo Paganos’ „Giardinetto“ und zahlreiche andere Publikationen von Domenico da Sera, Giovanni Ostaus, Cesare Vecellio, Matteo Florini, Elis. Catanea Parasole u. a. Fast alle diese Vorlagen sind höchst geschmackvoll und reich an Motiven aller Art und mit der grössten Feinheit und Sorgfalt geschnitten (s. Abb. S. 280).

Neben diesem Hauptstrome der fast durchgehends mehr handwerksmĂ€ssigen Holzschnittproduktion fĂŒr die Buchausstattung, bei der die technische Routine das die Form wesentlich mitbestimmende Element bleibt, haben wir nun die Leistungen mehr individuellen Charakters zur Geltung zu bringen, die Arbeiten bekannter Holzschneider von kĂŒnstlerischer und technischer Eigenart oder solche, in denen die Vorzeichnung in ihrer ursprĂŒnglichen Form unmittelbar in einer Art Faksimileschnitt wiedergegeben ist. Vereinzelt finden wir Holzschnitte dieser Art allerdings auch in der Buchillustration, wie einige der oben erwĂ€hnten Autorenbildnisse freien und breiten Stils und andere, besonders einzelne TitelblĂ€tter, von denen noch die Rede sein soll, beweisen. Im allgemeinen aber mussten die fĂŒr die Buchausstattung tĂ€tigen Holzschneider mit ihren Vorlagen doch eigenmĂ€chtig verfahren, um durch eine gleichmĂ€ssige, glatte und elegante Form die Illustrationen mit dem Druckbilde in Harmonie zu setzen. Die IndividualitĂ€ten finden deshalb fast nur in selbstĂ€ndigen EinzelblĂ€ttern grösseren Formates Gelegenheit, sich vor der nivellierenden Uebersetzung in die technische Formensprache zu schĂŒtzen und sich auf ihre eigene Weise ganz frei auszusprechen.

Es liegt nahe, in den Anregungen, die der venezianische Holzschnitt durch Tizian empfangen hat, den Ausgangspunkt des freien, malerischen Stiles, den wir von der mehr systematischen und schematischen Technik im Buchholzschnitt immerhin deutlich genug unterscheiden können, zu suchen. Sicher ist jedenfalls, dass Tizian der Holzschnittechnik ein viel lebhafteres persönliches Interesse entgegengebracht hat als dem Kupferstich, obwohl wir nur von Privilegien, die er sich fĂŒr Kupferstiche nach seinen GemĂ€lden im Jahre 1566 hat bewilligen lassen, Kenntnis haben. Es ist auch einleuchtend, dass Grabstichel und Radiernadel, wie sie damals gehandhabt wurden, den von ihm beabsichtigten Wirkungen bei weitem nicht so nahe kommen konnten als der Holzschnitt, der besonders die krĂ€ftige Linie der Federzeichnung fast vollkommen treu wiederzugeben imstande war. Tizians Stil hat auf den Kupferstich hauptsĂ€chlich kĂŒnstlerisch anregend, weniger technisch umgestaltend gewirkt, sein Einfluss auf den Holzschnitt macht sich dagegen besonders stark in der fechnik geltend, die vornehmlich durch seine Teilnahme von der zierlich feinen Nachahmung der Kupferstichtechnik zu ganz freier, breiter Behandlung der Linie im Sinne der malerischen Federzeichnung gefĂŒhrt wird.

Tizians persönliche Beziehung zum Holzschnitt ist uns nur fĂŒr ein bestimmtes Werk beglaubigt und zwar durch Vasari. Es ist dies der „Trionfo della fede“, eine grosse friesartige Komposition, die den Triumphzug Christi mit der Schar seiner VorlĂ€ufer und seiner Heiligen darstellt. Man darf und kann Vasaris Worte natĂŒrlich nicht so verstehen, als ob Tizian die Holzstöcke selber geschnitten hĂ€tte, aber jedenfalls muss die Arbeit unter seiner Leitung und unter seinen Augen ausgefĂŒhrt worden sein, wenn er nicht gar selber die Zeichnung auf die Holzstöcke aufgetragen hat. IrrtĂŒmlich werden die Holzschnitte Andrea Andreani, der sie, wie viele andere Ă€ltere Werke, nur wieder neu herausgegeben hat, zugeschrieben, sie sind aber, nach Vasari, schon 1508 und wie die Datierung auf einer alten Wiederholung beweist, jedenfalls schon vor 1517, also lange vor der Geburt Andreanis geschnitten worden. Der Ă€lteste und ursprĂŒngliche Ausschnitt scheint der in fĂŒnf grossen Platten mit eingeschnittenen Inschriften in römischen Kapitalien zu sein, wĂ€hrend in allen spĂ€teren Ausgaben die Inschriften in Typen aufgedruckt sind. Der Holzschneider verfĂ€llt an einzelnen Stellen, an denen die Zeichnung ihm vielleicht nicht ganz klar war, besonders in den zwei, offenbar von ihm eigenmĂ€chtig hinzugefĂŒgten Engeln mit Leidenswerkzeugen, noch in den alten glatten Schraffierungsstil in der Art des Zoan Andrea. Im allgemeinen folgt er mit Sorgfalt und Geschick, wenn auch offenbar nicht ohne Anstrengung, die manche HĂ€rten erzeugt, den freien, breiten Linien der Tizianschen Federzeichnung. Die Energie der Be-wegungen und der Ausdruck der Köpfe scheint durch den Holzschnitt nicht viel eingebĂŒsst zu haben. Es ist eine der vorzĂŒglichsten Leistungen des Holzschnittes und eines der ersten, wenn nicht das erste Beispiel des freien malerischen Holzschnittstils in Italien.

Kein anderer Holzschnitt kommt Tizians Art so nahe wie der „Trionfo della fedecc. Die gleiche Technik zeigt eine Madonna mit Kind, Johannes dem TĂ€ufer, Gregor und 3 Engeln (Pass. V, p. 63, Nr. <5), die ebenfalls von Grego-rius de Gregoriis 1 5 17 herausgegeben und von dem Meister L. A*, in dem man ohne Grund Lucantonio Giunta sehen will, geschnitten ist. Hier ist die Jungfrau mit dem Kinde Raffaels Madonna del pesce entnommen, das ebenfalls von Gregorms 1517 verlegte, aber unsicherer und gröber geschnittene Martyrium der h. Catharina ist sogar direkt nach Raffaels Komposition oder nach Marcan-tons Stich kopiert. Sicher nach Zeichnungen des Venezianers sind dagegen eine Madonna in der Landschaft, die sogar fĂŒr seine eigenhĂ€ndige Arbeit ausgegeben worden ist, ein vorzĂŒglicher h. Rochus und eine Landschaft ausgefĂŒhrt. Ein ganz locker tockierend geschnittener h. Christoph erinnert eher an die Art Pordenones. Besondere Aufmerksamkeit verdient das schöne Titelbild in Sigis-mondo Fantis „Trionfo della fortuna“ (Venedig, Ag. Portese und Jac. Giunta roh, Januar 1526 venezianischer Rechnung, also 152,7, s. Abb.). Ein Meister, der sich „I. M.cc zeichnet, hat dies Bild nach einer trefflichen, freien, tizianesken Zeichnung in ganz eigenartiger, eckiger und skizzenhaft unruhiger, aber plastisch und malerisch wirkungsvoller Manier geschnitten. Unter den zahlreichen Illustrationen des Textes sind nur wenige, z. B. die Darstellung des Bildhauers („Michelangelo“), der mit Feuereifer eine Statue meisselt, mit gleicher Freiheit und Breite behandelt, die ĂŒbrigen sind schlechte, schematische Llandwerksarbeit.

In zahlreichen anderen BlĂ€ttern nach Tizians Zeichnungen bleiben die Holzschneider, obwohl sie die malerische, freie und kontrastreiche Formgebung des Meisters nicht ohne Erfolg nachahmen suchen, doch mehr ihrer systematisch-gleichmĂ€ssigen StrichfĂŒhrung treu, das heisst, sie folgen mit VerstĂ€ndnis seiner Zeichnung, modellieren die Formen in grossen, breiten Massen von Licht und Schatten, setzen aber die dunklen FlĂ€chen aus Gruppen von regelmĂ€ssig nebeneinandergezogenen”‘oder gekreuzten Schraffierungen, deren Richtung und StĂ€rke nach BedĂŒrfnis wechselt, zusammen. Wir werden einige Meister dieser Art sogleich zu betrachten haben.

Tizians Einfluss auf den Holzschnitt geht ohne Zweifel ĂŒber den Zwang, den seine Vorzeichnung auf die Techniker ausĂŒbt, weit hinaus. Aber doch wird man kaum annehmen dĂŒrfen, dass er, wie DĂŒrer oder wie spĂ€ter Rubens, eine Schule ganz neuer technischer Tendenz um sich gebildet habe oder auch nur habe bilden wollen. Die malerische, federzeichnungsartige Manier, die die wichtigste Erscheinung des cinquecentistischen Holzschnittes bildet, scheint, wenn auch hauptsĂ€chlich,sodoch nicht ausschliesslich von seinen Vorbildern auszugehen. Tizian beherrscht selbst in Venedig nicht allein das Feld. Neben seinen Zeichnungen werden auch, wie wir oben gesehen haben, Kompositionen Raffaels, Michelangelos, Parmigianinos und anderer Meister mit Eifer von den Holzschneidern in diesem Stil reproduziert.

NĂ€chst Tizian ist es sein SchĂŒler Domenico Campagnola, der sich am eifrigsten mit dem Holzschnitt beschĂ€ftigt hat. Ob er die mit seinem Namen und meist auch mit der Jahreszahl 1517 bezeichneten umfangreichen BlĂ€tter oder auch nur einen Teil von ihnen selber geschnitten habe, steht nicht fest. Da er eine Anzahl Kupferstiche mit grosser Fertigkeit gestochen hat, ist es sehr wohl möglich, dass er auch das Holzschneidemesser zu fĂŒhren verstanden habe. Zu beachten ist aber, dass einer seiner grössten Holzschnitte, die Anbetung der Könige “Pass, 4 b), ausser seinem Namen noch die Marke eines bekannten, schon oben erwĂ€hnten Holzschneiders LA* aufweist, ein anderes Blatt, die Predigt Johannis des TĂ€ufers Pass. 5 ausser seinen Initialen noch die Bezeichnung des Nicolo Boldrini (Nich0* B. V. T.}. Auch die ĂŒbrigen BlĂ€tter sind keineswegs alle in der gleichen Technik ausgefĂŒhrt. Die grossen, hgurenreichen Kompositionen, wie die Anbetung der Könige, der bethlehemitische Kindermord (Pass. 4), die Madonna mit Heiligen “Pass. 8) sind sehr derb und eckig, mit groben Kreuzschraffierungen und in dunklem Ton gehalten. Andere, in denen die Landschaft, in der Campagnola auch als Maler sich auszeichnete, vorwiegt, wie der h. Hieronymus (B. z, s. Abb.), die Landschaft mit der Familie “B. 4â€Č in ganz hellem Ton, flĂŒchtiger und geistreicher in mehr unterbrochener LinienfĂŒhrung geschnitten. Diese letztere Gruppe von BlĂ€ttern könnte am ehesten eigenhĂ€ndige Arbeit Campagnolas sein.

Unter den Holzschneidern, deren Namen war kennen, scheint Nicolo Boldrini aus Vicenza sich am engsten an Tizian angeschlossen zu haben. Von den beiden BlĂ€ttern, aus denen allein wir Boldrinis vollen Namen kennen lerneijj ist das eine, Venus mit Amor im Walde, von 1566 (B. XII, p. 126, Nr. 29, s. Abb.), nach einer Komposition Tizians, dessen Name ebenfalls genannt wird,, geschnitten, das andere eine Kopie nach dem Schmerzensmanne aus DĂŒrers kleiner Passion (Pass. 3 ha). Wie die Venus nach Tizian ist auch ein mit dem Namen des KĂŒnstlers (nies bol. inci, B. XII, p. 145, Nr. 9 bezeichneter galoppierender Reiter nach Pordenone oft noch mit einer Tonplatte, in der die Lichter ausgespart sind, unterdrĂŒckt, und zwar war die Arbeit der schwarzen Strichplatte offenbar auf das Zusammenwirken mit der Tonplatte berechnet. Ueber diese Abart des Holzschnittes soll spĂ€ter ausfĂŒhrlicher gesprochen werden. Von den anderen Holzschnitten Boldrinis kommt nur noch einer, ein Mann zu Pferde mit einem Hasen (1566, B. XII, p. 152, Nr. 22), mit Tonplattendruck vor.

Die Zuteilung sowohl der mit den Monogrammen NB., NDB und IB. be-zeichneten Holzschnitte wie auch anderer unbczeichnetcr BlĂ€tter an Boldrini ist sehr willkĂŒrlich. Einige grosse Holzschnitte, fast alle nach Zeichnungen Tizians, stehen aber seiner freien lind breiten, sehr farbigen und saftigen Manier so nahe, dass sic wohl als seine Werke bezeichnet werden können. Das ist der Fall z. B. bei Samson und Dalila (Pass. 5), der Stigmatisation des h. Franciscus (Pass. 59), der VermĂ€hlung der h. Katharina (Pass. 61), den sechs Heiligen aus Tizians Madonna di S. Nicolö (Pass. 53) und der Landschaft mit der Kuhmelkerin Pass. 96). Auch gegenstĂ€ndlich besonders interessant ist der ,,Affen-laokoon“, die Laokoongruppe aus Affen zusammengestellt (Pass. 97), eine satirische Zeichnung Tizians, durch die offenbar die ĂŒbermĂ€ssige Begeisterung und sklavische Verehrung fĂŒr die Antike lĂ€cherlich gemacht werden sollte. Der Technik Boldrinis sehr Ă€hnlich ist ein Bildnis Tizians, das die Aufschrift „,In Venetia per Gioanni Britto Intagliatore“ trĂ€gt (Pass. 103 a).

Boldrini kann, wenn er auch nicht alle ihm zugeschriebenen Holzschnitte ausgefĂŒhrt hat, doch als ReprĂ€sentant jener schon oben erwĂ€hnten tizianesken Holzschnittmanier gelten, die mit klarer StrichfĂŒhrung, mit grosser Sauberkeit und regelmĂ€ssiger GlĂ€tte der LinienzĂŒge eine malerische Freiheit der Formgebung und starke Kontraste der Föne zu vereinigen sucht. Solche Arbeiten zeichnen sich trotz manchen MĂ€ngeln vorteilhaft vor zahlreichen grossen Darstellungen aus, die die kleinliche, sorgfĂ€ltig mit runden Strichen schraffierende Manier der Buchholzschnitte auf grosse VerhĂ€ltnisse ĂŒbertragen und meist recht langweilig und leer wirken. Dieser Art ist z. B. der Doge Francesco Donato vor der Madonna mit Heiligen (Pass, pp), das „Esercito turchesco“ von 155p (vergl. Pass, pi a) und der Zug des Dogen von Venedig (Pass. p8).

Eine weit bedeutendere und interessantere Erscheinung ist Domenico delle Greche, der ebenfalls als Vertreter einer bestimmten Richtung des gross-figurigen Holzschnittes in Venedig gelten kann, und der sich mit seiner etwas rauhen und derben, aber sehr energischen und flotten Manier charaktervoll gegen den zahmeren und schematischer arbeitenden Boldrini abhebt. Domenico, der schon vor 1580 gestorben sein muss, ist irrtĂŒmlicherweise mit dem Maler Domenico Theotocopulo identifiziert worden. Der „Untergang Pharaos“, den der KĂŒnstler mit seinem vollen Namen „Domenico delle greche depentore Venetiano“ und der Jahreszahl 154p bezeichnet hat (Pass. VI, p. 223, No. 4), gehört zu den grössten und grossartigsten Werken der Xylographie. Das Messer des Holzschneiders folgt hier den krĂ€ftigen, langen LinienzĂŒgen der Feder Tizians mit Freiheit und sucht in der Oekonomie der StrichfĂŒhrung und in der Verteilung von Licht und Schatten den grossen Massen der Darstellung gerecht zu werden und die Klarheit der stark bewegten und mit Figuren gefĂŒllten Komposition zu bewahren. Diese Technik mit den rauhen, dicken Linien ohne VerdĂŒnnung, die wie ohne System sich kreuzen und die Formen nur flĂŒchtig skizzieren, erinnert stark an die Holzschnitte Campagnolas und an den „Trionfo della fedecc. In Ă€hnlicher Technik, wenn auch viel sorgfĂ€ltiger und regelmĂ€ssiger, ist ein grosser, aus acht Tafeln bestehender Holzschnitt ausgefĂŒhrt, der die Marter der Zehntausend darstellt, eine tizianeske, aber sicher nicht von Tizian selber entworfene Komposition, in der michelangeleske Motive benutzt sind.

In dem Streben, der Holzschnittechnik immer stĂ€rkere und unmittelbarere Effekte abzugewinnen, hat Giuseppe Scolari, der wie Boldrini aus Vicenza stammte, noch einen Schritt ĂŒber die Versuche seiner venezianischen VorgĂ€nger hinaus getan, damit aber auch eigentlich das Gebiet der Linienkunst verlassen. Seine Technik arbeitet fast nicht mehr mit Strichen, sondern bildet die Formen und löne durch schwarze FlĂ€chen, die durch weisse Linien und Streifen gegliedert sind. Man könnte sie also als eine Art Weissschnitt, wie wir ihn schon frĂŒher im Ornament beobachtet haben, bezeichnen. Nur hat Scolari, als Maler der Tizianschen Schule, ausschliesslich den malerischen, auf die relative Fernwirkung berechneten Eindruck im Auge. Zu seinen leidenschaftlich bewegten, pathetischen Kompositionen und Gestalten, den mĂ€chtigen, ĂŒbertrieben plastischen Körperformen passt diese etwas gewalttĂ€tige, ĂŒberaus krĂ€ftige und dunkle Technik sehr gut. Sein vorzĂŒglichstes Werk ist das, allein durch die Form der Inschrift unzweifelhaft als Arbeit seines Messers beglaubigte Ecce homo (Pass. 32), trotz einer gewissen Roheit in der Formengebung durch dicke, streifenartige, eckige, schwarze Linien einheitlich in der Tonwirkung und grossartig im Ausdrucke. Auf anderen BlĂ€ttern, wie der Grablegung, dem Raub der Proserpina, nennt er sich nur als Erfinder. Aber auch in diesen beiden Werken wie in anderen ganz unbezeichneten, z. B. dem h. Georg, dem h. Hieronymus, dem h. Ambrosius, der Leiche Christi, die von Engeln gehalten wird, sind Formengebung und Technik so kraftvoll und original, dass man sie, anderweitigen Vermutungen entgegen, wohl alle als seine eigenhĂ€ndigen Arbeiten, betrachten kann. Das kĂŒnstlerische Verdienst kĂ€me ja Scolari auch dann zu, wenn er nur dem Holzschneider die Hand gefĂŒhrt hĂ€tte.

Scolari, der mit seiner eigenartigen, herben und flĂ€chenhaften Manier die ansehnliche Reihe der venezianischen Holzschneider des XVI. Jahrhunderts wĂŒrdig schliesst, konnte, ebenso wie Boldrini u. a., obwohl von Geburt Vicen-tiner, als SchĂŒler oder Nachahmer Tizians ohne Bedenken der venezianischen Schule zugerechnet werden. Viel weniger bestimmt sind dagegen die kĂŒnstlerischen und technischen Beziehungen eines anderen bedeutenden Meisters des Holzschnittes, der aus dem westlichen Teile Norditaliens stammte, aber doch hauptsĂ€chlich im Osten tĂ€tig gewesen zu sein scheint. Francesco de Nanto de Sabaudia hat ein Bildnis Ariosts, wie wir wissen nach Tizians Zeichnung, fĂŒr die 1532 herausgegebene Ausgabe des Orlando geschnitten. Sein Hauptwerk ist eine Folge von 1 5 grossen Darstellungen aus dem Leben Christi nach Zeichnungen von Girolamo da Treviso, der bis 1540 in Italien tĂ€tig war (Pass. VI, p. 225, No. 13 — 37). Sie sind etwas derb und grobkörnig, aber mit grossem VerstĂ€ndnis der Formen und des Charakters der Vorlagen geschnitten. De Nanto operiert mit breiten FlĂ€chen von Licht und von Schatten, die er durch Reihen weitgestellter, schrĂ€ger Parallelstriche mehr andeutet als fest umschreibt. Eine bisher unbekannte, sehr schöne Halbfigur Johannis des TĂ€ufers (Paris), die in ihrem Typus sehr stark an Francesco Francia erinnert, ist noch in einer viel regelmĂ€ssigeren, der Ă€lteren venezianischen Schraffierungstechnik entsprechenden Manier ausgefĂŒhrt. Die schwere Ornamentik der Umrahmung, weiss auf schwarzem Grunde, findet sich Ă€hnlich in BĂŒchern, die in Bologna und in Rom gedruckt worden sind.

Nach Ferrara weist uns eine Reihe von Holzschnitten, die von einem unbekannten KĂŒnstler, der sich mit dem Buchstaben S und einem Anker bezeichnet, nach Vorlagen von Girolamo Grandi da Ferrara 1538 ausgefĂŒhrt worden sind. Ein Blatt dieser Folge von 1 6 Darstellungen aus der Geschichte Christi (Pass. VI, p. 2 2 8 f.) ist mit dem vollen Namen des Malers und der Sigle des Holzschneiders versehen, zwei andere sind nur mit den Buchstaben G. G. F. bezeichnet. Der Stil der Zeichnung ist recht unbestimmt und schwankt zwischen verschiedenen EinflĂŒssen. Grandi ist offenbar wenig selbstĂ€ndig und macht zahlreiche Anlehen, die Kreuzabnahme benutzt z. B. die Komposition eines Kupferstiches nach Mantegna. Die Holzschnittechnik charakterisiert sich durch weiche, lange, rundliche SchraffierungszĂŒge mit Kreuzlagen, die, besonders in den GewĂ€ndern, freie und malerische, aber sehr weichlich fliessende Formen ergeben. Demselben Girolamo Grandi wird man sicher auch eine Folge von sieben Planetendarstellungen in reichen Umrahmungen, deren eine die Bezeichnung G. G. F. und die Jahreszahl 1533 aufweist, zuzuschreiben haben. Man hĂ€lt sie ohne jeden Grund fĂŒr Arbeiten des Verlegers Gabriele Giolitto dei Ferrari. Da der Stil der Zeichnung, besonders der Gesichter, der Bewegungsmotive und der GewĂ€nder der gleiche ist wie in den Bildern aus dem Leben Christi, so werden wir ohne Zweifel die Buchstaben G. G. F. als AbkĂŒrzung des Namens Girolamo Grandi Ferrarese, der ja auch zwei jener BlĂ€tter in der selben Form bezeichnet hat, anzusehen haben. Die Kompositionen, die einzelne Figuren den Ă€lteren Planetenbildern entlehnen, sind höchst geschickt und lebendig, die geschmackvollen Umrahmungen weisen einen grossen Reichtum oft sehr eleganter und originaler Motive auf. Die routinierte und abgeschliffene Technik mit starken Umrissen und langen, weichen, gebogenen ZĂŒgen paralleler Linien ist der der Bilder aus dem Leben Christi nahe verwandt, aber viel fester und kerniger, viel weniger weichlich und fliessend und fast ohne Kreuzschraffierungen. Sie stimmt in ihrem Charakter durchaus mit einer Reihe von Holzschnitten in BĂŒchern, die Nicolö Zoppino in den zwanziger und dreissiger Jahren in Venedig gedruckt hat, ĂŒberein. Da Zoppino auch aus Ferrara stammte, so werden wir wohl annehmen dĂŒrfen, dass er seine Holzschneider mit sich gebracht habe, als er sein GeschĂ€ft in Venedig begann.

Wir haben also eine Gruppe ferraresischer Holzschneider vor uns, die stilistisch mit der venezianischen Technik zwar in enger Beziehung steht, aber in der mehr rafFaelesken als venezianischen Zeichnung und durch die Eigenart der festen, plastischen, kupferstichartigen Formbildung eine selbstĂ€ndige Stellung einnimmt. Von den Buchholzschnitten dieser Art seien hervorgehoben das schöne Titelblatt des Vitruvius, den Zoppino 1535 druckte, die zum Teil mit den Holzschneidermarken: m. p. ÂŁ, m. f. u. a. bezeichneten Illustrationen in Dione „Delle guerre e fatti de’ Romani“ von 1533, in Lucians „Dialoghi“ von 1525, in Antonio Manciolinis „Opera nova del mestier de l’armi“ von 1531, die TitelblĂ€tter des Justino Historico (1524) und der „Universali dei belli recami“ (1537) und viele andere vortrefflich gezeichnete und geschnittene Bilder in anderen Drucken Zoppinos.

Der obengenannte Girolamo Grandi da Ferrara hat auch fĂŒr einen anderen, ganz eigenartigen Holzschneider, fĂŒr Gaspare Ruina eine Vorzeichnung geliefert, oder vielmehr ihm Michelangelos Erschaffung Adams in der sixtinischen Kapelle fĂŒr den Holzschnitt umgezeichnet. Dies Blatt (Pass. VI, p. 222, No. 1), aus dem allein wir Ruinas Namen kennen lernen, trĂ€gt die merkwĂŒrdige Bezeichnung „Hieronimo de’ Grandis pincsit, Gaspar Ruina fecit“ und einen aus drei Pfeilen und einer Schlangenlinie zusammengesetzten Stern. Es ist in einer ganz eigentĂŒmlichen Technik mit ganz feinen, engen und scharfen, nach den Schatten hin zu fast schwarzen FlĂ€chen zusammenlaufenden Schraffierungen, die mehr eine fleckige und kleinliche als die erstrebte farbige Wirkung erzielen, gearbeitet. Die charakteristische Manier Ruinas können wir leicht noch in einigen ‘anderen Holzschnitten wiedererkennen, die nur mit einem G. und jenem Zeichen versehen sind. Ausser zwei kleineren BlĂ€ttern mit bisher noch nicht erklĂ€rten Darstellungen trĂ€gt noch eine grössere Komposition, eine Schlacht antiker Reiter und Fusssoldaten, Ruinas Zeichen. Der Erfinder dieses lebendig bewegten und reichen Bildes könnte wohl einer jener bolognesischen Meister aus dem zweiten Viertel des Jahrhunderts sein, die auch die Kunst der römischen Schule, besonders Raffaels eifrig studiert hatten. Die technische AusfĂŒhrung ist ganz vorzĂŒglich, freier und bei allem Reichtum an Kontrasten im Ton ausgeglichener als die Erschaffung Adams, sehr abwechslungsreich in der Verwendung der Mittel an Kreuzschraffierungen, engen, runden Taillen und unregelmĂ€ssigen LĂ€ngsschraffierungen und punktartigen Strichen. Dies sein Hauptwerk sichert Ruina eine hervorragende Stelle im italienischen Holzschnitte des XVI. Jahrhunderts. Seine Technik hat, wenn sie auch viel freier und individueller und in der Wirkung farbiger ist, doch eine grosse Aehnlichkeit mit der der Grandischen Planetenfolge. Diese stilistischen und persönlichen Beziehungen Ruinas zu Girolamo Grandi und der ferraresisch-bolognesischeii Kunstrichtung berechtigen uns wohl dazu, ihn mit der Holzschneiderschule dieser Gegend in Zusammenhang zu bringen.

An anderen Orten Italiens haben sich im spĂ€teren XVI. Jahrhundert besonders charakteristische Holzschneider bisher nicht nachweisen lassen. In den nicht sehr zahlreichen Buchillustrationen ist die AbhĂ€ngigkeit von Venedig meist unverkennbar. Besonderheiten lassen sich wohl in einzelnen Titel Umrahmungen und Illustrationen in Drucken von Rom, Bologna, Perugia usw. erkennen, aber der Charakter der Vorzeichnung bestimmt dann immer den Schnitt so stark, dass es zu keiner eigentlichen technischen Stilbildung kommen kann. Selbst in Florenz entwickelt sich keine selbstĂ€ndige Holzschneiderschule mehr. Der beste Beweis dafĂŒr ist, dass Vasari die Bildnisse fĂŒr die zweite Ausgabe seiner „Vite“ (1568) von einem fremden, offenbar in Venedig ausgebildeten Meister anfertigen lassen musste, der wohl auch die schöne Titelumrahmung mit der Ansicht von Florenz und die Kartuschen fĂŒr die Bildnisse geschnitten hat.

Von bekannten Meistern ausserhalb Venedigs hat nur Domenico Becca-fumi, genannt Meccarino, von Siena, der auch mehrere Radierungen gefertigt hat, eigenhĂ€ndig eine Reihe von BlĂ€ttern in Holz geschnitten. Wir erfahren das nicht nur durch Vasaris Worte sondern auch aus der Bezeichnung auf einer Folge von zehn Darstellungen von alchymistischen Operationen (Pass. VI, p. 1 5 1, No. 10—19), die sehr leicht und geistreich mit breiten, freien Strichen skizziert sind. Dass auch von den HelldunkelblĂ€ttern, von denen spĂ€ter die Rede sein soll, einige, besonders mehrere Apostel, wie Vasari anzudeuten scheint, von ihm selber ausgefĂŒhrt seien, ist sehr unwahrscheinlich, jedenfalls zweifelhaft.

Eine eigenartige Gruppe von Holzschnitten bilden die BlĂ€tter, in denen eine Reihe von Federzeichnungen des Genuesen Luca Cambiasio (1527 bis 1585) von einem unbekannten Holzschneider, der sich mit den Buchstaben „GG. N. FE.“ bezeichnet, offenbar in getreuem Faksimileschnitt wiedergegeben sind (Pass. 44, 46, 73, 74a). Der charakteristische, breite und feste, aber sehr manierierte Federstrich des feurigen und gewandten Genuesen ist hier im Holzschnitt mit allen seinen Besonderheiten und ZufĂ€lligkeiten genau wiedergegeben, so dass eigentlich jede kĂŒnstlerische SelbstĂ€ndigkeit des Holzschneiders verschwunden zu sein scheint.

Das Streben nach grosser, malerischer Wirkung, das den italienischen Holzschnitt des XVI. Jahrhunderts beherrscht, fand ein besonders geeignetes Ausdrucksmittel im Farbenholzschnitt, der seit dem Beginne des Jahrhunderts eine grosse Bedeutung gewinnt und eifrig gepflegt wird. Als Erfinder dieser Technik, die als „Chiaroscuro“, „Clairobscur“ oder „Camayeu“ bezeichnet wird, nennt sich Ugo da Carpi in einer Bittschrift an die venezianische Signoria vom 2 g. Juli i 5 i <5, in der er um Bewilligung eines Privilegs fĂŒr diese Drucke einkommt. Er nennt sein Verfahren „modo nuovo di stampare chiaro et sruro, cosa nuova et mai piii non fatta“. In Deutschland hatte Lucas Cranach schon seit i 506, dann Burgkmair und Jobst de Negker 1 s 12,), WĂ€chtlin u. a. Linienplatten in Holzschnitt und farbige Tonplatten, in denen die Lichter ausgespart waren, die also den farbigen Grund und die weisse Höhung der Federzeichnung wiedergeben sollten, ĂŒbereinander gedruckt und auch mit Gold und Silber zu höhen verstanden. In dem Bildnis BaumgĂ€rtners (1512 und in dem „Tod als WĂŒrger“ hat Burgkmair sogar Bilder ganz ohne schwarze Strichplatte nur durch Liebereinanderdrucken von drei verschiedentarbigen Tonplatten hergestellt. In Deutschland blieben aber solche Versuche mehrfarbigen Holzschnittdruckes, die ĂŒber die Nachahmung der Federzeichnung auf getontem Papier mit aufgesetzten Lichtern hinausgingen, ganz vereinzelt.

Das Prinzip des italienischen Farbendruckes ist das gleiche, aber entsprechend der Absicht auf die Nachahmung der freien, breiten Tuschzeichnung und auf die mehr dekorative Wirkung auf weitere Entfernung hin, arbeitet die Technik viel mehr mit FlĂ€chen als mit Linien. In vielen Farbenholzschnitten beschrĂ€nkt man sich auch in Italien auf die Verbindung einer Tonplatte mit der Strichplatte, die die Zeichnung in allen Teilen, in Umrissen und Schraffierungen gibt, und die oft auch allein vollkommen marktgĂ€ngige AbdrĂŒcke liefert. Die wesentliche kĂŒnstlerische Neuerung Ugos liegt aber wohl darin, dass die schwarze Strichplatte nicht die ganze Zeichnung wiedergibt, sondern nur zur VerstĂ€rkung der tiefsten Schatten an einzelnen Stellen, in Gesicht, Mund und Nase, in den Falten usw. dient, wĂ€hrend die Formen zum grössten Teile durch die Linien und FlĂ€chen der Tonplatten hervorgebracht werden, ein Verfahren, das wir allerdings ganz Ă€hnlich wenigstens bei den zwei oben genannten Burgkmairschen BlĂ€ttern beobachten können. Die Tonplatten, meist zwei, höchstens drei, sind in Italien nicht, wie fast immer bei den deutschen BlĂ€ttern dieser Art, mit verschiedenen Farben sondern mit verschiedenen Tönen derselben Farbe, meist braun, grau oder grĂŒn, seltener blau, gedruckt. Im GegensĂ€tze zu den deutschen Versuchen ist also das italienische Chiaroscuro mehr FlĂ€chen- als Linienschnitt und mehr verschiedentoniger als verschiedenfarbiger Buntdruck. Der Unterschied ist demnach mehr ein kĂŒnstlerischer als ein technischer.

Ugo da Carpi war, selbst wenn er die deutschen Farbendrucke kannte, in gewissem Sinne berechtigt, sein Verfahren wenigstens vom kĂŒnstlerischen Standpunkte aus als eine neue Erfindung anzupreisen. Obwohl Ugo, der aus dem Geschlechte der Grafen von Panico stammte und vor 1450 geboren ist, auch als Maler tĂ€tig gewesen ist, wie wir aus Urkunden und Nachrichten wissen, so muss er doch den Holzschnitt berufsmĂ€ssig betrieben haben. Er sagt das selber in seiner Eingabe an die venezianische Signorie; wir kennen aber auch ausser seinen HelldunkelblĂ€ttern eine Reihe von gewöhnlichen Holzschnitten, die er ausgefĂŒhrt hat. Mit seinem vollen Namen hat er z. B. einen grossen, aus vier Tafeln bestehenden Holzschnitt, der das Opfer Abrahams darstellt, und dessen Zeichnung Tizian, Campagnola und Ugo selber zugeschrieben worden ist, bezeichnet. Er ist in ganz freier, etwas grober Manier, in der Art der BlĂ€tter Campagnolas ausgefĂŒhrt und zeigt einen ganz routinierten, aber nicht sehr sicher und selbstĂ€ndig zeichnenden Techniker. Ugo da Carpi hat unter anderem auch eine Kopie nach Marcantons Beweinung Christi (B. 37, bez. Vgo) und, wie oben erzĂ€hlt wurde, die Platten fĂŒr das von Lodovico Vicentino 1522 und 1523 herausgegebene Schreibbuch und andere Schreibvorlagen geschnitten. Auch von seinen Farbdrucken bestehen einige, vielleicht seine ersten Versuche, z. B. die von Vasari erwĂ€hnte Sibylle nach Raffael (B. XII, p. 8 p, No. 6) und die Vertreibung der Invidia vom Parnass nach Peruzzi (B. XII, p. 133, No. 12) aus einer vollstĂ€ndig durchgearbeiteten Linienplatte, die, ganz wie bei den deutschen BlĂ€ttern, auf eine Tonplatte nur aufgedruckt ist. Tondrucke dieser Art wurden, wie schon gesagt, auch von Boldrini u. a. herausgegeben.

Seine besonderen Privilegien von der venezianischen Signorie (1516) und vom Papste (1518) hat sich Ugo sicher nicht fĂŒr diese Arbeiten geben lassen, sondern fĂŒr sein eigentliches Farbdruckverfahren „a chiaro e scuroc^. Es ist nun nicht ohne Bedeutung, dass Ugo, obwohl er Norditaliener und lange Zeit in Venedig als Holzschneider tĂ€tig war, sein neues Verfahren nicht zur Reproduktion venezianischer, tizianesker Kompositionen — er hat nur ein Blatt nach Tizian geschnitten — in Anwendung brachte, sondern sich nach Rom wandte, um hier eine Reihe von Werken Raffaels in Farbenholzschnitten nachzubilden. Seine ersten Arbeiten hier scheinen die beiden mit dem pĂ€pstlichen Privileg von i 5 i S und seinem Namen versehenen BlĂ€tter nach Raffaels Tod des Ananias (B. XII, p. 4b, No. ly’ und Aeneas mit Anchises (B. XII, p. 104, No. 12) gewesen zu sein. Ausser ihnen gehören der Kindermord von Bethlehem, der Sieg Davids ĂŒber Goliath, der Fischzug Petri, die „Raffael und seine Geliebte“ genannte Darstellung B. XII, p. 140, No. 2, s. Abb. zu seinen besten Farbenholzschnitten nach Raffael. Andere BlĂ€tter hat Ugo dann nach Giulio Romano, Polidoro da Caravaggio und Parmigianino, z. B. den „Diogenes“ (B. XII, p. joo, No. ic , ausgefĂŒhrt. Trotz einer gewissen Derbheit und FlĂŒchtigkeit der Zeichnung und dem fĂŒhlbaren Mangel an Formen VerstĂ€ndnis ist in den sehr seltenen frĂŒhen und scharfen Drucken auf starkem Papier die Wirkung dieser Bilder in einer gewissen Entfernung sehr plastisch und dekorativ, im Gesamteindruck besonders die Farben sehr reizvoll. Offenbar sollten sie als billiger Schmuck von RĂ€umen dienen und GemĂ€lde in Helldunkeltechnik ersetzen.

FĂŒr Parmigianinos unbestimmte, fliessende Formen und fĂŒr seine Zeichenmanier war diese Helldunkeltechnik wie geschaffen. Seine EntwĂŒrfe sind deshalb von den Holzschneidern besonders bevorzugt worden. Er hat sich augenscheinlich selber fĂŒr den Farbenholzschnitt lebhaft interessiert, wie er ja auch als der erste die in mancher Hinsicht verwandte Radierung selber gepflegt hat. Vasari behauptet sogar, dass er den „Diogenes“ eigenhĂ€ndig geschnitten habe, allerdings irrtĂŒmlich, da das Blatt tatsĂ€chlich die Bezeichnung Ugos da Carpi trĂ€gt. Er soll auch seinen SchĂŒler Antonio da Trento in dieser Technik unterwiesen haben, um von ihm seine Zeichnungen in Farbenholzschnitt vervielfĂ€ltigen zu lassen. Antonio, der ohne Zweifel mit dem Radierer der Schule von Fontainebleau, Antonio Fantuzzi, von dem oben die Rede war, identisch ist, lohnte das Vertrauen des Meisters schlecht. Er stahl ihm die vorbereiteten Platten und Drucke und eine Anzahl von Zeichnungen und machte sich damit aus dem Staube. In den Jahren 1537— 1540 ist er in Fontainebleau tĂ€tig, seine Zusammenarbeit mit Parmigianino wird also in die dreissiger Jahre fallen. Fast alle seine Farbenholzschnitte sind nach EntwĂŒrfen Parmigianinos hergestellt. Nur zwei von ihnen, Johannes der TĂ€ufer (B. XII, p. 73, No. 17″ und der Lautenspieler (B. XII, p. 143, No. 3) sind mit seinem aus A und T zusammengesetzten Monogramm bezeichnet. Vasari erwĂ€hnt noch das Martyrium der heiligen Peter und Paul (B. XII, p. 79, No. 28), sein Hauptwerk, die tiburti-nische Sybille (B. XII, p. 90, No. 7; und einen nackten, sitzenden, vom RĂŒcken gesehenen JĂŒngling (B. XII, p. 148, No. 1 3 ). Mehrere dieser BlĂ€tter sind ausser mit der Strichplatte nur mit einer Tonplatte, nur wenige mit drei Platten gedruckt.

Wie Antonio Fantuzzi schliesst sich auch Giuseppe Ni colo Vicentino, der ebenfalls ein SchĂŒler Parmigianinos war, in seiner Technik eng an Ugo da Carpi an, so dass, zumal die guten Drucke sehr selten sind, und die Verschiedenheiten des Abdrucks die Wirkung hier besonders stark mitbestimmen, eine sichere Verteilung der nicht bezeichneten BlĂ€tter unter diese drei ersten italienischen Farbenholzschneider sehr schwierig ist. Bezeichnet sind von Gius. Nie. Vicentinos Werken nur wenige, z. B. die Flucht der Cloelia, nach Maturino (B. XII, p. 96, No. 5: Jos’ Nie’ Vicent’), die Madonna mit Heiligen nach Parmi-gianino (B. XJI, p. 64, No. 23: F. P. Nie. Vicentino T.) und Christus die AussĂ€tzigen heilend, nach Parmigianino (B. XII, p. 39, No. 15: Joseph Nicolaus Vicentinus), Dem Charakter ihrer Vorlagen von der Hand Parmigianinos entsprechend sind in den BlĂ€ttern dieser beiden Holzschneider die Linien, ganz wie in den Radierungen ihres Meisters, fliessender und weichlicher als bei Ugo da Carpi. Des Vicentiners Farbentöne bilden breitere, derbere Flecken mit starken GegensĂ€tzen, in Antonios zumeist nur mit der Strich- und einer Tonplatte hergestellten Arbeiten sind die Linien dĂŒnner, schĂ€rfer und enger. Besonders deutlich tritt der Unterschied ihrer Manieren in den Farbenholzschnitten, die sie beide nach Parmigianinos Sibylla tiburtina ausgefĂŒhrt haben, hervor.

Nach diesen drei Ă€ltesten italienischen Meistern des Farbenholzschnittes, neben denen allerdings auch noch andere, uns unbekannte, tĂ€tig gewesen sein mĂŒssen, begegnet uns erst am Ende des Jahrhunderts wieder eine hervorstechende Persönlichkeit auf diesem Gebiete in Andrea Andreani aus Mantua. Die Datierungen seiner Holzschnitte, die von 1584 bis 1610 gehen, umschreiben, wie es scheint, annĂ€hernd die Zeit seiner TĂ€tigkeit. Wir finden Andreani, der seine Kunst in Oberitalien, vielleicht in Bologna erlernt hatte, zuerst in Florenz, wo er 1584 und 1585 einige grosse Farbenholzschnitte nach der Gruppe Giovannis da Bologna, dem Raube der Sabinerinnen, andere nach RafFaello da Reggio und Ligozzi ausfĂŒhrte. In den folgenden fahren hielt er sich in Siena auf, hauptsĂ€chlich um die grossen von Beccafumi entworfenen Fussbodenmosaiken des Domes nachzubilden (B. XII, p. 24, No. 4), 1586 gab er die Holzschnitte mit Eva und dem Opfer Abrahams in zehn Blattern, 1590 die Darstellung mit Moses und der Anbetung des goldenen Kalbes in zwölf BlĂ€ttern heraus, 1591 die Kreuztragung, zwei Madonnen und besonders die einen TotenschĂ€del betrachtende Frau nach Casolano (B. XII, p. 148, No. 114), die anziehendste seiner Schöpfungen. Die Allegorie des Todes nach Fortunio (B. XII, p. 13 5, No. 13) entstand 1588. SpĂ€ter wurde Andreani nach Mantua berufen, um Mantegnas berĂŒhmten Triumph Caesars in Helldunkelholzschnitt nachzubilden, eine Arbeit, die er 1599 vollendete (B, XII, p. 101, No. 11).

Nach dieser Zeit scheint Andreani nicht mehr selber gearbeitet, sondern vorgezogen zu haben, sich durch die Arbeit anderer bequemer zu bereichern. Er beschÀftigte sich von nun an hauptsÀchlich damit, die Platten der Àlteren Meister, die er an sich gebracht hatte, wieder abzudrucken und mit seiner Adresse in den Handel zu bringen. Dass er dabei die Namensbezeichnungen der wirklichen Schöpfer aus den Platten entfernte, spricht, wie die ruhmredigen Inschriften auf seinen eigenen Arbeiten, nicht sehr zugunsten seiner Persönlichkeit.

Als KĂŒnstler ist Andreani nach den etwa 40 BlĂ€ttern, die er selber geschnitten hat, keineswegs gering zu schĂ€tzen. GegenĂŒber der freien, skizzenhaften, auf die Entfernung berechneten Manier jener Ă€lteren Meister des Farbenholzschnittes ist seine Technik meist sehr regelmĂ€ssig, sorgfĂ€ltig und verhĂ€ltnismĂ€ssig fein, selbst in Bildern des grössten Formates. Auch in den Tonplatten sind die Lichter in klaren, scharfen Linien, oft in Kreuzlagen ausgeschnitten. Das Zeichnerische kommt also hier, trotz der Freiheit in der Behandlung der Linien wieder mehr zur Geltung. Er bevorzugt matte f öne, grau, graubraun, graugrĂŒnlich und verwendet nur selten krĂ€ftigere, lackartige Farben, ziegelrot, braungelb, die dann im Druck auch meist fleckig wirken. Es sind von Andreani Farbenholzschnitte erhalten, die die Grösse von GemĂ€lden mit fast lebensgrossen Figuren erreichen, wie z. B. die Beweinung Christi nach Casolano (1593), die offenbar also auch einen Ersatz fĂŒr GemĂ€lde bilden sollten.

Neben Andreani sind noch Alessandro Ghandini, der einige BlĂ€tter in dieser Technik ausgefĂŒhrt hat, z. B. Christus beim PharisĂ€er Simon B. XII, p. qi, No. 18 und eine Madonna nach Parmigianino B. XII, p. 65, No. 25) und Giovanni Gallo, ein Franzose, der mehrere BlĂ€tter nach Marco Pino da Siena geschnitten hat, hervorzuheben. Nur noch einen bedeutenderen Vertreter hat der italienische Farbenholzschnitt aufzuweisen, der aber schon ganz dem XVII. Jahrhundert angehört und fast nur Kompositionen von Guido Reni in Helldunkel geschnitten hat. Bartolomeo Coriolano, der 1630—1 647 in Bologna tĂ€tig war, muss hier ErwĂ€hnung finden, weil er die Tradition des XVI. Jahrhunderts fortsetzt. Er soll der Sohn des oben genannten, aus NĂŒrnberg eingewanderten Christoforo Coriolano (Lederer?), der fĂŒr Vasaris „Vite“ die Bildnisse und fĂŒr Aldrovandis Ornithologie die Illustrationen geschnitten hat, gewesen sein. Sein Stil ist noch linearer als der Andreanis. Die schwarze Strichplatte ist ganz selbstĂ€ndig und sehr sorgfĂ€ltig mit viel Innenzeichnung und Kreuzschraffierungen in festen, breiten Linien durchgefĂŒhrt. Der elegante und weichliche, aber doch empfindungsvolle Charakter der Renischen Kunst ist hier im Anschluss an des Meisters Radierungsstil sehr gut wiedergegeben. Auch die Lichter der Tonplatten sind klar und scharf ausgeschnitten. Die Farben sind milder und nĂŒchterner als die der Ă€ltesten Meister, aber weniger matt als die Andreanis. Unter Coriolanos Farbenholzschnitten, die meist nur aus der Strichplatte und einer Tonplatte zusammengesetzt sind und fast alle seinen Namen und das Datum tragen, seien hervorgehoben die Herodias von 1631, die Madonnen (B. XII, p. 5 2, No. 5 — 7), der h. Hieronymus (B. XII, p. 83, No. 33) und die Sybillen (B. XII, p. 87, No. 2 — 5), „Friede und Ueberfluss“ (B. XII, p. 131, No. 10), die grosse Gigantenschlacht in vier BlĂ€ttern (B. XII, p. 11 3, No. 11 und 12) alle nach Reni.

Der Farbenholzschnitt hat in Italien keine weitere Entwickelung genommen, er ist spĂ€ter ĂŒberhaupt kaum mehr gepflegt worden. Die Arbeiten des Grafen Antonio Maria Zanetti in Venedig um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts stehen als kĂŒnstlerische Liebhaberei eines reichen und talentvollen Dilettanten ganz vereinzelt da. Sie sollten auch nur als möglichst getreue Reproduktionen einer Sammlung von Zeichnungen Parmigianinos, die Zanetti besass, dienen. Eine historische Bedeutung haben sie, trotz ihren kĂŒnstlerischen Verdiensten, ebensowenig wie die Farbenholzschnitte grösseren Massstabes, die der EnglĂ€nder John Baptist Jackson nach venezianischen GemĂ€lden, nach Tizian, Bassano, Tintoretto, Veronese herstellte. KĂŒnstlerisch viel wertvoller als diese Reproduktionen, die sehr hart und nĂŒchtern wirken, sind dagegen einige Landschaften, die Jackson in Farbenholzschnitt ausgefĂŒhrt hat.

Aus dem Buch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten aus dem Jahre 1911, Autor Kristeller, Paul, 1863-1931.

Siehe auch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Vorwort, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Die Technik des Bilddruckes, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Das fĂŒnfzehnte Jahrhundert – Der Holzschnitt in Deutschland, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Deutschland und in den Niederlanden, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in den Niederlanden, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in Frankreich, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in England, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in Spanien, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Italien, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Italien, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, das sechzehnte Jahrhundert – Holzschnitt und Kupferstich in Italien, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten, das sechzehnte Jahrhundert – Holzschnitt und Kupferstich in Italien.

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