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Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch – Kapitel IV

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von Kunstmuseum Hamburg

Hier gezeigte Abbildungen:
Roger van der Weyden – Die Beweinung Christi
Roger van der Weyden – Mater Dolorosa
Roger van der Weyden – Die Grablegung Christi
Roger van der Weyden – Die Kreuzigung

Rogier van der Weyden

Die künstlerische Entwicklung Rogier van der Weyden1 des Begründers der Brabanter Schule ist in ihren Anfängen in ein ebenso tiefes Dunkel gehüllt, wie die der Brüder van Eyk. Ueber die Person seines Lehrers Robert Campin wissen wir so gut wie nichts und die Behauptung Facius, der ihn einen Schüler Jan van Eyks nennt wird am nachdrücklichsten durch seine Frühwerke widerlegt, welche beweisen, dass er sich in einer ganz anderen künstlerischen Umgebung unter ganz anderen Bedingungen entwickelt haben musste als sein vorgeblicher Lehrer, dessen Einfluss sich erst in den Werken der Reifezeit geltend zu machen beginnt.

In Jan van Eyk und Rogier van der Weyden treten uns nicht bloss die Gründer zweier Schulen sondern die Vertreter zweier grundsätzlich verschiedener Kunstrichtungen entgegen. Jan van Eyk zeigt sich in der Schlichtheit und Wahrheit seines Empfindens, in der innigen Freude an den Erscheinungen der Natur durchaus als germanischer Künstler. Feierliche Ruhe, freundliche Beschaulichkeit atmen alle seine Gestalten und lebhafte Gefühlsgesten sowie starke Affekte sind seiner Kunstweise fremd. Das hervorragend charakteristische Talent van Eyks, welches jedes einzelne Individuum sowohl in seiner Eigenart wiederzugeben versteht, als auch das allgemein menschliche in ihm verkörpert, ist es, welches seine Gestalten voll Seele voll Leben erscheinen lässt, sie gleichsam von innen heraus durchleuchtet. Die gleiche ruhige Feierlichkeit, die seinen Figuren eigen ist, herrscht auch in seinen Landschaften. Die Freude am Individuellen, Charakteristischen, die ihn in den feinsten Linien und Zügen seiner Porträtköpfe die Seele und den Charakter der dargestellten Person sehen und ausdrücken lässt, findet ihren Ausdruck auch in der Landschaft, in der er jedes Bäumchen jedes kleine Plätzchen mit der ganzen Innigkeit seines warmen Naturempfindens wiedergibt. So bilden seine Landschaften eine würdige Ergänzung zu seinen Figuren und entrollen vor den Augen des Beschauers gleichsam das Bild einer Welt, in der sie lebten, mit der sie verwachsen waren. Was er durch jene nicht ausdrücken kann, das sagt er in seinen stimmungsvollen Landschaften, gemütlichen Binnenräumen und in dämmeriges Dunkel gehüllten Kircheninterieurs. Rogier van der Weyden dagegen ist seiner künstlerischen Auffassung nach Romane. Der lyrische Zug der den Bildern Jan van Eyks eigen ist, geht seinen Werken ab. Versteht es Jan wahr und anschaulich zu beschreiben, so ist Rogier vorwiegend Erzähler. Seiner Natur entsprechend sucht er mehr durch den eigentlichen Gegenstand der Darstellung, durch den historischen Vorgang beziehungsweise die Handlung zu wirken, als durch eine feine Charakterisierung der handelnden Personen. Der religiös-historische Vorgang ist ihm immer die Hauptsache und es kommt ihm weniger darauf an, die handelnden Personen ihrem Wesen ihren charakteristischen Eigentümlichkeiten nach zu schildern, als klar zum Ausdruck zu bringen, in welchen Beziehungen sie zu dem dargestellten Vorgang stehen, wie sie sich dazu verhalten und welche Rolle sie dabei spielen. Man könnte Rogier daher im Gegensatz zu dem Genre- und Andachtsmaler Jan van Eyk als Historienmaler bezeichnen.

Seine vorwiegend erzählende Richtung findet auch darin ihren Ausdruck, dass er die Gleichzeitigkeit der darzustellenden Vorgänge in seinen Bildern nicht beobachtet, das heisst also, dass er zeitlich nicht zusammenfallende Ereignisse in einem Bilde räumlich miteinander vereinigt. So ist beispielsweise der Heiland auf dem rechten Flügel des Marienaltärchens in Berlin dargestellt, wie er seiner Mutter erscheint, während er im Hintergrund dem Grabe entsteigt, so zeigt der rechte Flügel des Johannesaltärchens ebendaselbst vorn Salome, wie sie das Haupt des Täufers in Empfang nimmt, und in einem dahinter sichtbar werdenden Gemach, wie sie es dem Könige auf einer Schüssel darbietet. Der ausgeprägt historische Charakter seiner Kompositionen drückt sich auch darin aus, dass die figürlichen Reliefdarstellungen der reichen architektonischen Umrahmungen, mit denen der Meister seine Bilder einzufassen liebt, die Geschichte des Hauptvorgangs erzählen und denselben dadurch erläutern. So stellt er auf den reich verzierten Bogenleibungen, die die Flügel des Marienaltars eänfassen, die verschiedenen Episoden aus dem Leben und Leiden Christi dar und ähnliche Beispiele liefern der Johannesaltar und das Triptychon mit dem Sündenfall und dem Jüngsten Gericht im Pradomuseum zu Madrid.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Darstellung der räumlichen Umgebung also auch der Landschaft bei einem Meister, dessen Augenmerk so vorwiegend auf das historische Moment gerichtet war, bedeutend gegen die figürliche Darstellung zurücktreten musste. Sie kommt besonders in seinen frühen Arbeiten nur insofern in Betracht, als sie dazu dient, den Schauplatz der Handlung zu kennzeichnen, während das landschaftliche Genre, die Poesie des Interieurs, welche Jan van Eyk so lebendig zu schildern versteht, seiner Kunstweise wenigstens anfänglich fremd bleiben. Wie er seine Gestalten nur so weit charakterisiert, als es die Rolle der dargestellten Persönlichkeit bei dem betreffenden Vorgang erfordert, so tut er es auch bezüglich der Landschaft. Es kommt ihm auch hier vor allem darauf an, diejenigen Merkmale zusammenzufassen und wiederzugeben, die in ihrer Gesamtheit die Vorstellung Landschaft hervorzubringen geeignet sind und er kehrt in diesem Sinne zu der rein abstrakten Darstellungsmethode der Buchmalereien des ausgehenden 14. Jahrhunderts zurück. Indem er von der Landschaft als Gesamtvorstellung zu den dieselbe zusammensetzenden Einzelheiten niedersteigt unterscheidet er sich grundsätzlich von Jan van Eyk, der in seiner mehr induktiven Methode von Einzelbeobachtungen und Studien ausgehend durch Zusammensetzung zu grösseren Gruppen gelangt. Die Richtung Rogier van der Weydens hat derjenigen van Eyks gegenüber den Vorzug grösserer Einfachheit und Geschlossenheit der Komposition, führt aber in dem Bestreben nur das Allgemeinbild der Landschaft zu geben zur Typenbildung und zur schematischen Darstellungsweise.

Der rein auf das Gegenständliche des Vorgangs gerichtete Sinn Rogier van der Weydens zeigt sich aber nicht bloss in der Raumbehandlung sondern auch in der Lichtführung. Das dämmerige Dunkel des Binnenraums das Spiel des von aussen einfallenden Lichts und überhaupt der Gegensatz von Freilicht und Binnenlicht wie ihn Jan in so meisterhafter Weise wiederzugeben verstand findet in seinen Bildern wenig Berücksichtigung. Für ihn der die Figur zunächst nicht in sondern vor den Raum stellt, für den die räumliche Umgebung des figürlichen Vorganges immer nur die Rolle der Hintergrunddekoration spielt, kommt die raumbildende Wirkung des Lichts wenig in Betracht. Licht und Farbe haben in seinen früheren Bildern noch vorwiegend die Funktion, die Formen deutlich hervortreten zu lassen, und die Wiedergabe kräftigerer Lichteffekte liegt nicht in den Bestrebungen eines Meisters, dessen Hauptaugenmerk auf das Gegenständliche der Darstellung gerichtet ist. Es sind wie schon erwähnt vor allem die Frühwerke Rogiers, in welchen diese seiner innersten Künstlernatur entsprechenden Eigentümlichkeiten besonders deutlich hervortreten, während sich in den Arbeiten seiner mittleren und späteren Zeit der Einfluss Jan van Eyks geltend macht.

Am leichtesten lässt sich diese Stilwandlung an der Hand der drei aus verschiedenen Entwicklungsstadien des Meisters stammenden Bilder der Berliner Galerie, dem Altar von Cainbrai im Pradomuseum zu Madrid und dem Triptychon mit den sieben Sakramenten im Antwerpener Museum verfolgen. Den Anfang der Entwicklungsreihe bildet das im Berliner Museum befindliche Marien Altärchen, dessen Entstehung Tschudi vor das Jahr 1438 setzt. Die perspektivische Raumbehandlung und insbesondere die der architektonischen Motive ist noch stark zurückgeblieben. Die Säulenhallen, welche den Vordergrund einnehmen, tragen durchaus den Charakter der Scheinarchitektur, und es geht ihnen nicht bloss jede Tiefenwirkung ab, sondern auch das räumliche und organische Verhältnis, in welchem die einzelnen architektonischen Glieder zueinander stehen sollen ist überall im Unklaren gelassen; die Schäfte der Säulen, welche die Vordergrundhallen tragen erscheinen in ihrem Durchschnitt eliptisch; die Schnittpunkte der Fluchtlinien sind weit voneinander entfernt und der Mangel eines einheitlichen Augenpunktes macht sich überall bemerkbar. Insoweit von einem angenommenen Standpunkt des Beschauers die Rede sein kann, ist er der Landschaft gegenüber ziemlich tief gelegt und die Gründe steigen leicht gegen den Horizont an. Der Standpunkt ist nicht wie bei den späteren Bildern des Meisters für die drei Flügel einheitlich angenommen, das heisst der Beschauer ist nicht vor dem Mittelbilde stehend, also in seitlicher Stellung zu den beiden Seitenflügeln gedacht, sondern jedem der drei Flügel für sich gegenüberstehend. Die Landschaft ist schlicht und einfach in ihrer Anlage und verhältnismässig arm an Motiven. Auf der Mitteltafel Wiesenland, dann ein Schloss an einem Weiher ein besonders für Rogier van der Weydens Landschaften charakteristisches Motiv und endlich den Horizont abschliessende lang gezogene Gebirgsrücken; auf dem rechten Flügel ein gegen den Hintergrund leicht ansteigendes welliges Gelände von vielfach geschlängelten Wegen durchzogen mit einer die Höhen des Hintergrundes krönenden Stadt, im wesentlichen also noch die Landschaftskomposition der Uebergangsepoche vom 14. zum 15. Jahrhundert. Ebenso unentwickelt wie in der perspektivischen Raumbehandlung zeigt sich das in Rede stehende Triptychon auch in der Lichtführung. Das Raumdunkel sowie die Unterschiede der Helligkeit zwischen gedeckten Räumen und der freien Landschaft sind noch nicht beobachtet und das Licht in allen Teilen des Bildraums ohne Rücksicht auf deren Beschaffenheit vollständig gleichmässig verteilt. Die reichen gotischen Umrahmungen der drei Flügel und die dahinter liegenden architektonischen Glieder der Vordergrundhallen zeigen untereinander sowie der -Landschaft gegenüber nur sehr geringe Helligkeitsunterschiede, so dass sie sich körperlich nur wenig voneinander loslösen. Die Stelle des Lichts vertritt hier noch durchaus die Farbe und der zeichnerische Kontur.

Stilistisch am nächsten steht dem Marienaltärchen das im Pradomuseuin zu Madrid befindliche von Crowe und Cavalcaselle als Altar von Cambrai bezeichnete Triptychon mit dem Kreuzestod, Sündenfall und Jüngsten Gericht.5 Im Mittelbilde hat sich Rogier bezüglich der Raumkomposition ziemlich treu an die Kirchenmadonna Jan van Eyks gehalten ; wie dort blickt man in schiefer Richtung in das Innere einer Kirche; die Behandlung der Architektur zeigt deutlich ihre Abhängigkeit von den Kircheninterieurs Jans und analog der Kirchenmadonna sucht Rogier auch hier das gedämpfte Licht des Binnenraums wiederzugeben. Andererseits besteht aber auch eine unverkennbare Verwandtschaft zwischen dem Marienaltärchen und dem in Rede stehenden Triptychon. Man begegnet den gleichen perspektivischen Fehlern, dem gleichen Mangel eines einheitlichen VerschWindungspunktes, der Standpunkt des Beschauers ist für jede der drei Tafeln abgesondert gewählt, die Figuren stehen nicht in, sondern vor dem Raum und das in allen Teilen des Bildraums ganz gleichmässig verteilte Licht verhindert ein plastisches Hervortreten der Figuren und Raum-motive. Die Landschaft des rechten Flügels zeigt trotz mancher Anklänge an Jan van Eyk in der Behandlung der Vegetation den gleichen primitiven Stil wie die Landschaft des Marienaltärchens und diese Stilverwandtschaft tritt auch deutlich in den alle drei Tafeln einfassenden reich verzierten und verschnörkelten gotischen Umrahmungen hervor, die in keinem organischen Zusammenhang mit dem dahinter liegenden Bildraum zu stehen scheinen und sich ebensowenig wie dort körperlich von demselben loslösen. Selbst die Formen des Masswerks zeigen eine unverkennbare Aehnlich-keit mit denen des Berliner Bildchens.

Ungleich weiter fortgeschritten tritt uns die Kunst Rogiers in dem Johannesaltärchen der Berliner Galerie, sowohl in bezug auf Raumkunst als auch auf Lichtführung entgegen. Die reich verzierten architektonischen Umrahmungen, welche die einzelnen Tafeln des genannten Triptychons einfassen kleben nicht mehr wie dort am Hintergrund fest, sondern heben sich scharf beleuchtet und plastisch von dem dahinter liegenden dunkleren Bildraum ab, so dass die Täuschung hervorgerufen wird als blicke man durch eine gotische Türöffnung in den dahinter liegenden Raum. Die Scheinarchitekturen wie sie das Marienaltärchen und zum Teil noch der Altar von Cambrai zeigen haben hier weiten Durchblicken durch Hallen und Zimmerfluchten Platz gemacht, welche sowohl durch ihre architektonische Gliederung als auch den Wechsel von aufeinander folgenden belichteten und in Schatten gehüllten Zonen im hohen Grade den Eindruck des Räumlichen machen. Wohl dem Beispiel Jan van Eyks folgend macht also Rogier hier den Versuch den Raum nicht bloss linearperspektivisch zu gliedern, sondern auch die vielfachen Intensitätsabstufungen des Raumlichts zur Gliederung und Vertiefung heranzuziehen. Auch stellt er sich wie dieser Meister die Aufgabe, die drei Flügel des Altars unter einem gemeinsamen Augenpunkt darzustellen, in der Art, dass der Beschauer dem Mittelbilde gerade gegenüberstehend also in seitlicher Stellung zu den beiden Seitenflügeln gedacht ist, so dass sein Blick in schräger Richtung durch die einrahmenden Bogenöffnungen in den dahinter liegenden Raum fällt. Auch in der Behandlung der Landschaft ist das Streben nach freierer Raumentfaltung unverkennbar und findet in einer stärkeren Betonung der Richtungsmotive und geschlossenem Gruppierung der einzelnen Teile seinen Ausdruck. Die Landschaft, die sowohl im Marienaltar als auch in dem Madrider Bild noch durchaus allgemein gehalten war, fängt hier an bestimmte individuelle Formen anzunehmen.

Noch deutlicher tritt dies in dem wohl der späteren Zeit des Meisters angehörenden Christusaltar ebendaselbst hervor. Der Vordergrund und damit auch der Standpunkt des Beschauers liegt ziemlich hoch über den landschaftlichen Hintergründen, die Richtungsmotive sind stark betont, die Landschaft hat ein individuelleres Gepräge und die naturalistischere Durchbildung des Details macht sich den weiter Oben erwähnten Landschaftskompositionen gegenüber stärker geltend. Auch den Wirkungen der Luftperspektive hat Rogier van der Wey den hier grössere Beachtung geschenkt, indem er den landschaftlichen Raum der Tiefe nach in drei allerdings wenig ausgesprochene Farbenzonen zerlegt und die Aufhellung der Landschaft nach dem Horizonte zu deutlicher zum Ausdruck bringt.

Den Höhepunkt jedoch bildet das Triptychon der sieben Sakramente im Museum zu Antwerpen, für dessen Raumdarstellung wie für den Altar von Cambrai die Kirchenmadonna vorbildlich gewesen zu sein scheint. Hier aber hat der Meister von der gegebenen Grundlage aus selbständig weitergearbeitet und sein Vorbild in vielen Punkten noch übertroffen. Frei und luftig strebt das geräumige hohe Kirchenschiff von schlanken Säulen getragen der Tiefe zu, und die Figuren stehen nicht mehr vor dem Raum sondern sind in denselben hineinkomponiert. Rogier ist hier zu der seinem künstlerischen Naturell so viel mehr entsprechenden Hell in Hellmalerei zurückgekehrt. Durch die weiten Kirchenfenster strömt überall das klare Tageslicht herein; das hellbeleuchtete Kircheninnere löst sich körperlich von der dunkler gehaltenen architektonisch gegliederten Umrahmung los; die perspektivische Konstruktion ist frei und sicher und man gewinnt dadurch dass der Meister nicht wie in dem Altar von Cambrai oder Jan van Eyk in der Kirchenmadonna bloss die schiefe Ansicht der einen Langwand sondern den vollständigen daran anschliessenden Chorabschluss der Kirche wiedergibt ein viel vollkommeneres Raumbild. Der Standpunkt des Beschauers ist wie in dem Johannesaltärchen für alle drei Flügel des Triptychons einheitlich gewählt, ja Rogier führt die perspektivische Täuschung so weit, dass selbst die architektonischen Umrahmungen der Flügel, welche als eine Art Fortsetzung der Kirchenarchitektur aufgefasst sind, dem einheitlichen Augenpunkte gemäss in stärkerer oder geringerer Seitenansicht dargestellt sind. So zeigt sich bei der Umrahmung des rechten Flügels entsprechend dem linksseitigen Standpunkt die ganze als Hohlkehle gebildete Leibung des Bogens während sie nach links hin verschwindet und analoge Erscheinungen sind auch auf der Mitteltafel und dem linken Seitenflügel wahrnehmbar.

Wie schon aus den angeführten Beispielen hervorgehen dürfte, machen sich die Fortschritte Rogiers auf dem Gebiete der Raumkunst, vor allem in der Behandlung der architektonisch gegliederten Binnenräume 10 bemerkbar, während die Komposition und der räumliche Aufbau der Landschaft weit weniger durch die künstlerische Entwicklung des Meisters beeinflusst wird. Überhaupt zeigt der Meister besonders in seinen frühen Bildern eine ausgesprochene Vorliebe für architektonische Motive, die sich nicht bloss in den so häufig der Steinskulptur nachgebildeten Umrahmungen äussert, sondern auch darin, dass er architektonische Vordergründe auch dort als Schauplatz seiner figürlichen Darstellungen wählt, wo dieselben sich der Natur der Sache nach im Freien abäpielen müssten. So findet die Taufe Christi auf dem Johannesaltärchen in einer gotischen Halle statt, unter deren Wölbungen der Jordan mit seinen felsigen Ufern dennoch sichtbar bleibt und ähnliche Erscheinungen wiederholen sich auf dem Marienaltärchen und dem Altar von Cambrai.12 In allen diesen Fällen scheint Rogier bestrebt gewesen zu sein, eine Verbindung zwischen der reichen gotischen Umrahmung und der Landschaft herzustellen.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt wurde hat die Landschaft in den frühen Bildern des Meisters fast ausschliesslich den Zweck der Figur als Folie oder Hintergrund zu dienen und Rogier beschränkt sich demgemäss darauf, den landschaftlichen Schauplatz in grossen Zügen wiederzugeben, ohne sich auf eine eingehende Charakterisierung einzulassen. Ein der van Eykschen Raumkunst analoges Streben nach ausgedehnten Landschaftspano-ramen zeigt sich in keinem seiner Werke, und dementsprechend liegt der Vordergrund und damit auch der Standpunkt des Beschauers nicht so hoch über den landschaftlichen Hintergründen wie bei Jan van Eyk, die Horizontlinie ist tiefer gelegt und das Gesichtsfeld mehr beschränkt. Wie bei den meisten Künstlern dieser Epoche tritt infolge des niedrig angenommenen Standpunktes des Beschauers das Missverhältnis zwischen diesem und dem Grade der Aufsicht, unter welchem die Landschaft dargestellt ist, störend hervor, und dies umso mehr, als es der Meister unterlässt, die starke Aufsicht wie Jan van Eyk durch die natürliche Beschaffenheit des Geländes zu begründen. So ist der Augenpunkt für das Mittelbild des Johannesaltärchens, welches die Taufe Christi zum Gegenstand hat, in der Augenhöhe des Heilands gedacht, der Spiegel des Jordan, in welchem er steht, liegt also nur in Augenhöhe unter dem Beschauer, während man schon im Mittelgrund tief auf denselben hinabzublicken glaubt.

Den Landschaften Jan van Eyks gegenüber zeigen diejenigen Rogier van der Weydens eine ganz abweichende Art der Raumgliederung. Die für ersteren so charakteristische Einteilung in horizontale Zonen tritt bei letzterem stark zurück. Er gliedert die Landschaft vielmehr nach der Art der Miniaturen der Augustinushandschrift durch ein System von sich ineinander und überein-anderschiebenden diagonalen Geländekulissen, welche durch Deckung und Ueberschneidung den Eindruck des Vor- und Hintereinander hervorrufen sollen und den landschaftlichen Raum wie mit einem Netz von sich kreuzenden und durcheinander schlängelnden Linien überziehen. Erst in den späteren, bereits von Jan van Eyk beeinflussten Werken des Meisters, wie beispielsweise in dem Heiligen Lukas der Münchner Pinakothek, finden sich der Rollinmadonna verwandte Raumeinteilungen mit stufenförmig hintereinander liegenden Gründen und stark hervortretenden vertikalen Richtungsmotiven.

Die Formengebung im Einzelnen erinnert in ihrer Steifheit, in der ausgesprochenen Tendenz zu stilisieren und zu schematisieren noch vielfach an den Stil des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Insbesondere verraten die Bäume und das Buschwerk irn Vordergrund mit ihren spitz zulaufenden federigen Zweigen noch deutlich ihre Abstammung von den Zipfelbäumen, deren wir bei Besprechung der Augustinushandschrift und anderer Malerwerke dieser Frühzeit Erwähnung getan haben; eine feinere Charakterisierung und Individualisierung des Einzelmotivs strebt der Meister nirgend an, man begegnet vielmehr in allen seinen Landschaften den gleichen, immer wiederkehrenden typischen Formen, die den Charakter des Rezeptmässigen tragen.

Dennoch führt auch Rogier der Landschaftsmalerei einige neue Kompositionselemente und Motive zu, welche in der Folgezeit besonders bei Memling und Dirk Bouts besondere Bedeutung gewinnen. Während Jan van Eyk in seinen Landschaften Stadtansichten bevorzugt, wendet Rogier van der Weyden dem Schlossbau seine besondere Aufmerksamkeit zu. Freundliche Herrensitze, umgeben von schattigen Parkanlagen mit ausgedehnten, von Schwänen belebten Teichen geben beliebte Gegenstände für seine Landschaftsdarstellungen ab, für die ihm wohl die an derartigen Motiven so reiche Umgebung Brüssels reichlichen Stoff geboten haben mochte. Während also Jan die landschaftlichen und architektonischen Motive seiner vorwiegend von bürgerlichen Gemeinwesen beherrschten Heimat entlehnte, scheint für Rogier die an mächtigen Adelsitzen so reiche Umgebung seiner Heimatstadt vorbildlich gewesen zu sein.

Schon an anderer Stelle wurde Rogier van der Weyden als Hellmaler dem Helldunkelmaler Jan van Eyk gegenübergestellt, dessen manchmal etwas schwerem Ton in den Werken des ersteren ein klares, helles Kolorit Platz gemacht hat. Nirgends finden sich kräftigere Lichteffekte, alles ist hell in hell modelliert und von dem überall herkommenden Lichte umflossen. Das Licht ist in Rogiers Bildern nicht als ein über den Objekten stehender Faktor dargestellt, sondern es haftet den Körpern als solchen an, gleichsam als Form und Farbe von ihnen ausgehend. Dennoch liegt in diesem Streben nach gleichmässiger Verteilung des Lichts eine Neuerung, die erst in seinen Spätwerken voll zur Geltung kommt. Die generalisierende, selten dem konkreten Fall Rechnung tragende Darstellungsweise Rogiers äussert sich auch hier, indem der Meister nicht so sehr das Verhalten des Lichts in einem bestimmten Raum sondern seine Verteilung im Luftraum im allgemeinen und damit besonders die lichtzerstreuende Wirkung der Atmosphäre wiederzugeben sucht. Dies zeigt sich besonders in der Behandlung der Luftperspektive, bezüglich deren sich Rogier wesentlich von Jan van Eyk und seiner Schule unterscheidet. Die farbliche Unterscheidung der Tiefenzonen, die wie in den Miniaturen des 14. Jahrhunderts hauptsächlich den Zweck hat die einzelnen Teile der Landschaft voneinander loszulösen, tritt in seinen frühen Arbeiten nur wenig hervor und erst in seinen späteren finden sich Andeutungen der drei Töne. Dagegen ist eine andere Wirkung der Luftschichten auf das Aussehen der Landschaft ungleich stärker betont als bei den Meistern der flandrischen Schule: „Die allmähliche Aufhellung der Landschaft nach dem Horizonte zu, das Verschwimmen der Farben in der allgemeinen Helligkeit des Hintergrundes und ihr Aufgehen im allgemeinen Luftton. In diesem Verblassen der Landschaft nach rückwärts zu, in diesem Verschwimmen im hellen Duft des Hintergrundes ist auch wohl der Grund für jene Morgenstimmung zu suchen, welche den meisten Landschaften des Meisters eigen ist. Der hl. Lukas in der Münchener Pinakothek kann diesbezüglich als geradezu bahnbrechend bezeichnet werden. Nur im Vordergrund sind hier die Lokalfarben kräftiger betont, während sie im Mittelgrund allmählich von dem duftigen Blau der Atmosphäre aufgesogen werden, bis Land und Luft am Horizont miteinander fast vollständig verschwimmen.

Die Neuerungen, die Rogier auf dem Gebiete der Landschaftsmalerei bringt, bestehen also hauptsächlich in der Vereinfachung des ganzen landschaftlichen Aufbaus und der Zurückführung der individuellen Einzelerscheinungen auf allgemeine Typen,- die eine grössere Geschlossenheit und Einheitlichkeit der dargestellten Raumbilder zur Folge hat.

Aus dem Buch “Von Jan van Eyk bis Hieronymus Bosch : ein Beitrag zur Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei” aus dem Jahr 1903, Autor: Schubert-Soldern, Fortunat von.

Siehe auch: Hieronymus Bosch (1450-1516), Hieronymus Bosch – Dokumente, HÖLLENSCHILDERUNGEN DES MITTELALTERS, JAN VAN EYCK, Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch, Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch – Kapitel III,Studien zur Deutschen Kunstgeschichte – Von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch – Kapitel II.

Weitere Künstler auf Kunstmuseum Hamburg: HYACINTHE RIGAUD, ALBRECHT DÜRER, TIZIAN, RAFFAEL, FERDINAND BOL, ADRIAEN VAN DER WERFF, SALOMON KÖNINCK, JAN VAN DER MEER VAN DELFT, CARLO DOLCI, KASPAR NETSCHER, GERARD DOU, REMBRANDT VAN RIJN, JAN DAVIDSZ DE HEEM, GABRIEL METSU, REMBRANDT VAN RIJN, ADRIAEN VAN OSTADE, DER MEISTER DES TODES DER MARIA, JUSEPE DE RIBERA, GUIDO RENI, LORENZO LOTTO, FRANCISCO DE ZURBAR AN, RAPHAEL MENGS, REMBRANDT VAN RIJN, BARTOLOME ESTEBAN MURILLO, HANS HOLBEIN DER JÜNGERE, JEAN ETIENNE LIOTARD, ANTON GRAFF, ANGELICA KAUFFMANN, ANTONIO ALLEGRI DA CORREGGIO, JAN VAN EYCK, ANTONIUS VAN DYCK, JACOB VAN RUISDAEL, CLAUDE LORRAIN, ANTOINE WATTEAU, PAOLO VERONESE, MEINDERT HOBBEMA, PETER PAUL RUBENS, CIMA DA CONEGLIANO, JAN WEENIX, PALMA VECCHIO, JAN WILDENS, MICHELANGELO CARAVAGGIO, POMPEO BAtONI, FRANCESCO FRANCIA, JAN VAN DER MEER VAN HAARLEM, DAVID TENIERS DER ÄLTERE, WILLEM KLAASZ HEDA, ADRIAEN BROUWER, JAN FY , HRISTIAN LEBERECHT VOGEL.


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