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Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in Frankreich

von Kunstmuseum-Hamburg.de

Hier gezeigte Abbildungen:
Aus der Danse Macabre
Aus La Mer des histoires
Aus L’Arc de bien vivre et de bien inourir
Livre d´heures
Aus den Heures á Pusage de Rome
Aus den Komoedien des Terenz

 

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EDER den Anteil, den die französische Kunst an der Entnickelung des Bilddrucks im Anfänge des XV. Jahrhunderts genommen hat, sind wir noch sehr unzulänglich unterrichtet. Wir durften nur vermuten, dass auch in Frankreich, dessen Plastik in XIV. Jahrhundert eine massgebende Stellung einnahm, dessen Miniaturmalereien seit Dante als die vorzüglichsten galten, die vervielfältigenden Techniken nicht wohl unbeachtet geblieben sein können. Wir wissen, dass schon im XIII. Jahrhundert die Miniaturmaler in Laon sich der Holzmodel zum Vordruck der auszumalenden Initialen bedienten, dass wie in Deutschland und in den Niederlanden auch in Avignon schon um 1444, allerdings von einem Böhmen Procope Waldfoghel, Versuche mit Tafel-und Typendruck gemacht worden sind, dass in Lyon seit 1444 eine ganze Reihe von Spielkartcnschneidern tailleurs de molles de cartes urkundlich erwähnt werden, und können daraus auf einen regen Betrieb schliessen. Aber wie die Werke der französischen Malerei sich nur schwer von denen der verwandten niederländischen Schule sondern lassen, so ist es auch bisher noch nicht gelungen, unter der Masse der frühen Holzschnitte die Arbeiten französischen Ursprunges nach sicheren Bezeichnungen und nach ihren stilistischen Eigentümlichkeiten bestimmt herauszuerkennen.

Vielleicht jedoch hat die Forschung der jüngsten Zeit nicht ohne Berechtigung eine Reihe der ältesten Holzschnittwerke für das französische Sprachgebiet der damals zum Herzogtum Burgund gehörigen Niederlande oder für das Gebiet der Rhone in Anspruch genommen. Der als der älteste französische, und als der älteste datierbare Holzschnitt überhaupt bezeichnete, angeblich um 1379 in Burgund entstandene Holzstock der Sammlung Protat in Macon wird allerdings kaum etwas anderes gewesen sein als ein Zeugmodel. Unter unserem Denkmälervorrate hat er kein Analogon; sein französischer Ursprung ist aber wenigstens wahrscheinlich gemacht worden. Derselben Gegend gehörten möglicherweise auch der umfangreichste erhaltene Zeugdruck aus dem XIV. Jahrhundert, die sogenannte Tapete von Sitten im historischen Museum zu Basel an, auf der Szenen aus der Geschichte des Oedipus, Gruppen von Reitern und ein Tanzreigen, eingefasst von Streifen mit Brustbildern und Drolerien dargestellt sind. Für die Mehrzahl der angeblich französischen, für den Bilddruck bestimmten Holzschnitte ist der Nachweis ihrer Entstehung in Frankreich noch zu fuhren.

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Am meisten Wahrscheinlichkeit und gute Gründe hat die Zuweisung der xylographischen Apokalypse an die französisch-burgundische Schule für sich. Auf den 48 einseitig bedruckten Blättern dieses Blockbuches sind je zwei Szenen der Apokalypse untereinander mit den zu ihnen gehörigen Textstellen in Holz geschnitten. Hier kommt nur die älteste Ausgabe (Schreiber I) in Frage, die anderen sind Kopien nach ihr oder spätere Holzschnitte nach etwas veränderten handschriftlichen Redaktionen des Grundtypus der Darstellungen. Die Zeit ihrer Entstehung hat man dabei mit dem Jahre 1^00 wohl zu früh angesetzt, sicher aber gehört diese künstlerisch hochbedeutende Reihe von Holzschnitten noch in die erste Hälfte des XV. Jahrhunderts. Die Formen der Waffen und Kleider in den ältesten Ausgaben deuten auf diese Epoche. Der französische Ursprung der Folge wird durch eine Reihe von ganz stilgleichen Holzschnitten bestätigt, in denen die Bilder der zwölf Apostel von den Sätzen des Credo in lateinischer und von den zehn Geboten in französischer Sprache begleitet sind. Stilistisch zeigt die Apokalypse eine gewisse Verwandtschaft mit der zweiten Gruppe der ältesten deutschen Holzschnitte. Doch unterscheidet sie sich ganz bestimmt von allen deutschen Arbeiten ebenso wie von den uns bekannten, niederländischen Blockbüchern, auch von deren ältestem, dem „Exercitium super pater noster“. Schraffierungen fehlen vollständig, die Falten sind meist gerade und hakenförmig endigend, der Schnitt herbe und eckig aber höchst charaktervoll. Die französischen oder englischen Miniaturoder Federzeichnungsfolgen, die offenbar als Vorlage gedient haben, sind mit bemerkenswerter künstlerischer Kraft und Selbständigkeit umgearbeitet. Die Bewegungen und Formen, besonders der Tiere, die freie Behandlung von Einzelheiten, wie der Haare, der Hände und so weiter und die ausdrucksvollen Gesichter zeugen, trotz aller Unbeholfenheit, von grossem Formenverständnis wie von Energie und Temperament. Mit viel Aufmerksamkeit und etwas gutem Willen wird man besonders in den feinen jugendlichen Typen mit länglicher, spitzer Nase, in den lebendigen, zierlichen Handbewegungen und in manchen anderen Motiven den spezifisch französischen Charakter, wie er aus Elfenbeinreliefs und Miniaturen bekannt ist, und wie wir ihn später, schon recht abgeschliffen, in der Buchillustration wiederfinden, auch aus diesen etwas plumpen Werken des Holzschneidemessers herauszufühlen vermögen.

Eine spätere Entwickelungsphase des Stils der Apokalypse wird, wie es scheint, durch die in der Bibliotheque Nationale bewahrte Folge der „Neuf Preux“, der neun jüdischen, heidnischen und christlichen Ritterhelden vertreten. Die Holzschnitte sind mit französischem Texte versehen und werden aus äusseren Gründen in die Zeit um oder vor 1460 gesetzt.

Den Uebergang von diesen älteren, wahrscheinlich französischen Holzschnitten zu den ersten Illustrationen französischer Bücher aus dem Beginne der achtziger Jahre können wir in unserem Denkmälervorrate leider nicht verfolgen. Holzschnitte wie der in dem Flugblatte über die „Mode des hauts bonnets“ von iq.60 oder in bretonischen Kalendern sind zu roh und formlos, andere, wie die interessante, sogenannte Vierge de Lyon (Schreiber 1069), die in diese Lücke treten könnten, sind nicht als französisch sicher gestellt, vielleicht eher als norditalienisch anzusehen. In den Buchholzschnitten tritt uns aber der französische Stil in Zeichnung und Technik schon von Anfang an so vollständig fertig und ausgeprägt entgegen, dass wir notwendigerweise eine vorbereitende Stufe zu seiner technischen Entwickelung voraussetzen müssen.

Ohne Zweifel ist diese neue Richtung des französischen Holzschnittes, die in der Buchillustration einsetzt, auf das Vorbild der niederländischen Blockbuchholzschnitte zurückzuführen. An diesen Meisterwerken haben sich die französischen Holzschneider augenscheinlich geschult, aber in Anlehnung an ihre heimischen, zierlichen Handschriftenmalereien schnell einen eigenen Stil auszubilden verstanden. Schon in den Holzschnitten des ältesten in Paris gedruckten datierten Buches mit Illustrationen, Jean Dupres Missale Parisiense von 1481, sehen wir den eigentümlichen Charakter des französischen Holzschnittes mit allen seinen Vorzügen und Fehlern voll entwickelt. Beziehungen zur Apokalypse lassen sich selbst in den frühesten französischen Buchillustrationen höchstens in einer gewissen Gleichartigkeit des Formgefühls und der Typenbildung erkennen. Um so auffälliger tritt der Zusammenhang mit dem niederländischen Holzschnitt hervor. Unter den Blockbüchern ist besonders die zweite Ausgabe des „Exer-citium super pater noster“ zur Vergleichung heranzuziehen.

Ausser einer Reihe von Eigenheiten in Typen, Haarbildung, der etwas plumpen und schweren Bildung und Stellung der Füsse entlehnen die Franzosen von ihren Nachbarn vornehmlich das System der’Technik. Die Umrisse werden durch ausserordentlich gleichmässige und glatte Linien gebildet, die Innenzeichnung ist ziemlich spärlich, die Schraffierungen bestehen aus langen Reihen sehr gleichmässiger und meist feiner, selten gebogener Striche. Der Linienführung und Schattierung haftet trotz aller Feinheit und Zierlichkeit, die später in raffinierter Weise gesteigert wird, eine gewisse Leblosigkeit, ein kalligraphischer Schematismus an, der ermüdend wirkt und den Betrachter oft nicht zum Genuss der feinen Einzelheiten kommen lässt. Auch in der Zeichnung, in der sehr monotonen Bildung der Köpfe mit vorspringender, spitzer Nase, die meist wenig Individualität und Ausdruck zeigen, in der Behandlung der Extremitäten, der Haare und Gewänder ändert der französische Holzschnitt seine ursprüngliche Manier bis in das XVI. Jahrhundert nur unwesentlich.

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Wir sind deshalb nicht imstande, technische oder gar künstlerische Individualitäten unter den meist überaus sorgfältig und sauber arbeitenden Illustratoren zu unterscheiden und vermissen kaum je die Kenntnis ihrer Namen. Ebensowenig haben sich irgendwelche Beziehungen zu Werken der monumentalen Kunst nachweisen lassen. Wir können nicht einmal die Arbeiten nach den Werkstätten der Drucker gruppieren, denn die Scheidung der Verleger von den Druckern hat sich hier sehr früh ausgebildet. Die grossen Verlagsbuchhändler lassen ihre Bücher von verschiedenen Druckern ausführen, die für das Material an Typen und an Abbildungen zu sorgen haben, aber nicht immer neben dem Verleger genannt werden. Die Drucker wieder arbeiten für verschiedene Verleger.

Die Buchillustration bleibt in Frankreich mehr als in allen anderen Ländern von der Miniaturmalerei abhängig. Offenbar sollten die Bilder im allgemeinen erst durch die Bemalung ihre Vollendung erhalten und waren ursprünglich kaum als mehr denn eine bequeme Vorzeichnung für den Miniator gedacht. Man sucht durch die Masse der Bilder und vor allen durch die grosse Finesse der Arbeit und durch den Reichtum der Zierstücke den Mangel an Erfindung und Originalität der Formengebung zu ersetzen. Ueberhaupt besteht in der zierlichen, geschmackvollen Ornamentik der Hauptreiz der französischen Buchausstattung. Die französische, halbgotische, sogenannte Bastard-Type, die hier erst sehr spät durch die römische Antiqua ersetzt worden ist, gibt an sich schon ein sehr zierliches, abwechslungsreiches Satzbild. In den grossen Initialen auf den Titeln und an den Anfängen der Kapitel sind die Zierbuchstaben der Manuskripte mit ihrer reichen Kalligraphik, mit Tier- und Menschengestalten oder Köpfen sehr geschickt nachgeahmt. In den Leisten und Umrahmungen sind die Pflanzenformen sehr naturgetreu und wenig stilisiert; sie sind häufig mit eingefügten Gestalten, Mischbildungen aus Tier- und Menschenleibern in der Art der Dro-lerien, die wir aus Miniaturen und Reliefs kennen, belebt.

Die ersten rein französischen Illustrationen finden wir in dem schon erwähnten, von Jean Dupre in Paris am i. September 1481 vollendeten Missale Parisiense, im Missei de Verdun, vom 28. November 1481 und in Boccaccios Cas des nobles hommes et femmes von 1484. Von Dupres illustrierten Drucken sind ausser einer Reihe liturgischer Werke hervorzuheben die französische Ausgabe von Boccaccios „Cent nouveiles“, 1485 für Antoine Verard, die „Vie des Saints Peres“ (148 b), die er 1493 wieder mit anderen Bildern druckte, Vora-gines „Legende doree“ (1489), Augustinus’ „Cite de Dieu“ 1486 bis 87 in Abbeville gedruckt, und einige Ritterromane, wie der „Roman des Chevalier de la Table ronde“, von dem Bourgeois in Rouen 1488 den ersten Band gedruckt hatte. Beachtenswert ist, dass Dupre in seinem Missei de Limoges von 1484 sagt, es sei: „Venetica forma per Venetos arte impressoria magnificos et valde expertos completum.“ Nächst Jean Dupre ist Pierre Le Rouge, einer der ersten Drucker, die auf reiche und geschmackvolle Ausstattung ihrer Bücher grösseren Wert legen. Sein Hauptwerk und überhaupt wohl das am reichsten illustrierte französische Buch des XV. Jahrhunderts ist die zweibändige „Mer des histoires“ von 1488 bis 89 (s. Abb. S. 105 u. 11 3). Wie den Inhalt seiner Erzählungen so entnimmt dieses Werk auch die Kompositionen vieler Bilder dem 1475 in Lübeck gedruckten „Rudimentum noviciorum“, aber nicht ohne sie im einzelnen umzugestalten. Besonders zahlreich und vorzüglich sind hier die Umrahmungen, Leisten und Titel-Initialen. Die Darstellungen vereinigen noch in der mittelalterlichen, epischen Erzählungsweise der Handschriftenillustrationen eine ganze Anzahl aufeinander folgender Szenen in einem und demselben Bilde. Der zusammenfassenden Dramatik der Renaissancekunst steht diese naive Art der Schilderung noch sehr ferne.

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Es wäre ermüdend, auch nur einen feil der fast durchgängig in demselben Stil und mit gleicher Sorgfalt illustrierten französischen Druckwerke aufzuzählen oder die einzelnen Drucker durchzugehen. Die Verleger, unter denen in Paris Antoine Verard und Simon Vostre die bedeutendsten sind, haben um die Buchausstattung, wie es scheint, nur insofern Verdienste, als sie durch ihre geschäftliche Tüchtigkeit und ihre Mittel die Herstellung vorzüglicher Arbeit ermöglichen und fördern. Gegenständlich und künstlerisch von hervorragendem Interesse ist die von Guy Marchand zuerst 1485, dann in vielen anderen Auflagen in erweiterter Form herausgegebene Serie der T otcntanzdarstellungen, der „Danse macabre“, in denen die boshafte Schadenfreude des Todes und die traurige Hilflosigkeit der Männer und Frauen aller Stände mit bitterem, drastischem Humor geschildert sind (s. Abb. S. 100). Es ist überhaupt psychologisch interessant, dass die primitive Kunst, wo sie sich von der XTirklichkeit ihrer unmittelbaren Umgebung entfernt, nur im Humor und in der Satire sich zu wirklichkünstlerischem Ausdruck erheben kann. So hat der französische Holzschnitt des XV. Jahrhunderts auch nirgends eine solche kraftvolle Lebendigkeit der phantastischen Kompositionen, Energie der Bewegungen und des Ausdruckes und Freiheit und Breite der Formgebung erreicht, wie in einer Reihe von Darstellungen aller der Höllenqualen, mit denen scheussliche Teufelsfratzen die armen Sünder zu peinigen wissen. Diese Serie ist neben vielen anderen Darstellungen zur Illustration der zahlreichen Ausgaben des „Compost et Calendrier des Bergiers“, einer Art populären Kompendiums nützlicher Kenntnisse aus allen Gebieten verwendet worden. Guy Marchand hat seit 1491 dieses Buch häufig gedruckt. Die Holzschnitte erscheinen auch in der 1492. für Antoine Verard von Cousteau und Menard gedruckten „Art de bien vivre et mourir“ (s. Abb.) nebst Kopien nach den niederländischen Blockbuchholzschnitten der Ars moriendi. Von dieser Masse gleichartiger, nur in der Qualität der Ausführung voneinander sich unterscheidender Illustrationen stechen die totentanzartigen Bilder in Robert Gobins „Les loups ravissants“ (Paris, Simon Vostre o. ].) durch ihre Eigenart in Zeichnung und Technik ab. Sie fesseln durch die bizarre Phantastik der Erfindung und die Leidenschaftlichkeit des Gefühlsausdruckes. Die Zeichnung ist meist sehr flüchtig, aber geistreich und in den Einzelheiten sehr gut, die Technik ohne jeden Zusammenhang mit den gewöhnlichen französischen oder mit fremden Arbeiten, derb und flüchtig, mit sehr dicken, glatten Umrissen und mit wenigen dicken, scharf zugespitzten Schraffierungen. Der Tod, hier nicht als Skelett, sondern als Muskelmann mit Totenschädel dargestellt, bewegt sich mit wildem Humor. Eine gewisse Aehnlichkeit mit diesen Holzschnitten haben die Illustrationen in Bonifacius Symonetas „Livre des persecutions des cretiens“ (Paris, Verard).

Eine besondere, zusammenfassende Betrachtung erfordert die grosse und interessante Gruppe der „Livres d’heures“, in denen Illustrationen und Ornamentik eine eigenartige Ausbildung erfahren. Die Livres d’heures sind Andachtsbücher, in denen Kalender, Auszüge aus den Evangelien, die Gebete für die kanonischen Stunden, für einzelne Heilige und so weiter, die sieben Busspsalmen, die Litanei, Vigilien für die Todesstunde und für die Seelen zusammengestellt sind. Sie sollten die kostbaren, fein miniierten Handschriften ersetzen und sind deshalb sehr häufig auf Pergament gedruckt und überhaupt mit besonderer Sorgfalt und sehr reich mit Bildern und Umrahmungen für jede Seite ausgestattet. Ein grosser Teil der erhaltenen Exemplare ist mit Bemalung versehen, die bei der Ausführung wohl auch vorgesehen war.

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Die Bilder, die dem gewöhnlichen Kreise der biblischen Darstellungen und der christlichen Symbolik entlehnt werden, sind in der Zeichnung ziemlich eintönig und konventionell, aber immer graziös und in der technischen Ausführung von der allergrössten Feinheit und Schärfe der Linien. Die Vermutung, dass viele dieser Darstellungen nicht in Holz, sondern in Metall, aber immer natürlich in Reliefschnitt, hergestellt seien, wird durch eine Bemerkung auf dem Titel von Jean Dupres Heures vom 4. Februar 1488 (1489), wo die „vignettes“ als „imprimees en cuyure“ bezeichnet werden, bestätigt. Es wäre auch kaum glaublich, dass so unendlich fein ausgearbeitete Holzstöcke so lange und so gut dem Drucke, besonders auf Pergament, stand gehalten haben sollten. Im allgemeinen scheint man Metallplatten nur für die meist kleinen Heuresbilder und Umrahmungen benutzt zu haben. Die Technik der übrigen Buchillustrationen, mit ihrem fast durchgehends viel kräftigeren und weiteren Liniengefüge, und Zufälligkeiten der Abdrücke beweisen, dass man wie anderwärts auch in Frankreich die Stöcke gewöhnlich in Holz auszuführen pflegte.

Den Hauptreiz der Livres d’heures biJden aber nicht die grossen bildlichen Darstellungen, sondern die Ornamentik, die Umrahmungen der einzelnen Seiten, die, oft in Bezugnahme auf den Inhalt, Szenen aus der Bibel, aus der Apokalypse, Darstellungen der Vorzeichen des jüngsten Gerichtes, Figuren von Sibyllen und Propheten, Totentanzgruppen s. Abb.), oder nur phantastische Pflanzen- und Tiergebilde, Genreszenen in reicher Abwechslung enthalten. Die Umrlhmungen werden zuerst wie in den übrigen französischen Büchern in leichter Umrisszeichnung, später häufig in der Art der Schrotblätter weiss auf schwarzem, durch Punkte oder Sternchen belebtem Grunde ausgeführt, einer Manier, die in Frankreich auch für die Initialen besonders beliebt war.

Die Form der Livres d’heures bleibt bis in das XVI. Jahrhundert hinein fast unverändert; sie bildeten augenscheinlich einen der gangbarsten Artikel der Pariser Druckereien und Buchhandlungen. Es mögen an ?oo bis öoo Ausgaben erhalten sein; zahlreiche andere Ausgaben müssen noch unbekannt geblieben oder ganz verloren gegangen sein. Die älteste bekannte Ausgabe der Horae ist die von Antoine Verard 1486 6. Februar 1485 französischer Zeitrechnung herausgegebene, die wahrscheinlich von Pierre Le Rouge gedruckt und noch recht dürftig ausgestattet ist. Es folgen die schon reicher illustrierten, mit Umrahmungen auf jeder Seite versehenen Drucke Jean Dupres seit 1489. In einigen seiner Ausgaben sind die Bilder und Umrahmungen in roter und blauer Farbe gedruckt. Seit ungefähr 1490 veröffentlicht Antoine Verard zwei Serien, die Heures kleineren Formates, auch „Figures de la Bible” (s. Abb. genannt und die prächtigen sogenannten „Grandes Heures“ oder „Heures royales“. Die Bilderfolgen und Ornamente sind meist für Livre d’heures jeden Typus und für jeden Druck neu komponiert, oft aber werden auch die Illustrationen einfach kopiert, so dass die Genealogie der Ausgabenreihen nur sehr schwer festzustellen ist. Den Höhepunkt bilden die von Philippe Pigouchet für den rührigen und geschmackvollen Verleger Simon Vostre seit 1496 gedruckten Ausgaben der Heures grösseren Formates. Hier wird auch zuerst in die kleinen Bildchen aui schwarzem, weisspunktiertem Grunde, aus der die Umrahmungen sich zusammensetzen, der Totentanz eingeführt, der von nun an fast ständig wiederkehrt, ebenso die 15 Zeichen des jüngsten Gerichtes, die Sibyllen und anderes mehr.

Die technische Ausführung ist von der grössten Sorgfalt und Feinheit, die Formgebung bleibt aber miniaturartig oberflächlich, der Hauptnachdruck wird au: nebensächliches Detail, auf die Schmuckwirkung der Formen gelegt. Für die Kompositionen der grösseren Bilder werden vielfach fremde Vorbilder, Stiche von Schongauer und später auch von Dürer benutzt, deren Technik augenscheinlich auch nicht ohne Einfluss geblieben ist. Aber auch der ornamentale Reichtum erscheint bei näherer Betrachtung nicht so gross, wie eine flüchtige Durchsicht glauben machen könnte. Es ist nur eine verhältnismässig kleine Anzahl von Zierstücken und Leisten, durch deren wechselnde Zusammenstellung der Eindruck reicher Mannigfaltigkeit hervorgebracht ist. Das Hauptverdienst der Livres ö heures liegt jedenfalls im Technischen, in der Subtilität der Linien, in der Sauberkeit und Schärfe des Druckes, besonders aber auch in der geschmackvollen, eleganten Zusammenstellung der Bilder und Zierstücke mit dem Satze der ziemlich grossen, sehr dekorativ wirkenden gotischen Lettern. Die typographische Buchillustration ist hier ihren handschriftlichen, miniierten V orbildern so nahe geblieben wie sonst nirgends.

Von den Druckern und Verlegern, die sich im XV. und im Anfänge des XVI. Jahrhunderts mit der Herstellung von diesen Gebetbüchern hauptsächlich beschäftigen, sind ausser den Genannten De Marnef, Gering und Rembolt, Gilles Hardouin, Francois Regnault, Guillaumc Eustachc und vor allem Thielman Kerver hervorzuheben.

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Seit dem Ende des XV. Jahrhunderts fällt zuerst in den grossen Bildern, dann auch in den Umrahmungen ein neuer Stil der Zeichnung auf. Die Körper sind kräftiger und knorrig, die Typen viel derber und charakteristischer als in den früheren Darstellungen, die Gewandbehandlung besonders wird sehr breit und üppig, mit Knitterfalten und Augen überladen, der ganze Ton durch Häufung der stark gebogenen engen Schraffierungen viel dunkler und kräftiger. Ohne Frage ist diese Stilwandlung auf die Nachahmung niederländischer Werke der Richtung der Renaissance-Apostel Jan Mabuse und Barend van Orley zurückzuführen. Die einfache Zierlichkeit der Formen und die diskrete, lichte Haltung des Blattbildes, die schon durch die Umrahmungen auf dunklem Grunde etwas gelitten hatten, werden durch die Einführung dieser allzu schwer und plastisch ausgearbeiteten neuen Bilder vollständig zerstört, wie überhaupt im An lange des XVI. Jahrhunderts auch dieser Zweig der Buchillustration durch die Nachlässigkeit in der Herstellung und durch die Zusammensetzung des Schmuckes aus nicht zueinander gehörigen, verschiedenartigen feilen dem Verfalle rasch entgegengeht.

Von den übrigen Druckstätten Frankreichs, die meist von Pariser Druckern versorgt werden, hat nur Lyon eine grössere Bedeutung lür den Buchdruck und die Illustration. Hier ist im Jahre 1478, wahrscheinlich von Martin Husz, der erste datierte, französische Druck mit Holzschnitten, das „Miroir de la redemption humaine“, veröffentlicht worden. Die Stöcke sind aber nicht in Lyon angefertigt, sondern von dem Baseler Drucker Bernhard Richel, der sie 1476 für seine deutsche Ausgabe dieses Buches hatte hersteilen lassen, entliehen. Dieser Anfang ist charakteristisch für den ganzen Druckbetrieb in Lyon während des XV. und im Anfänge des XVI. Jahrhunderts. Obwohl hier der Holzschnitt und besonders die Herstellung von Spielkarten, wie wir aus zahlreichen Nachrichten erfahren, sehr eifrig betrieben worden ist, bleibt die Buchillustration im XV. Jahrhundert doch recht dürftig und wenig original. Lyon stand in lebhaftestem Handelsverkehr mit Deutschland und den Niederlanden wie mit Italien und Spanien. Die Lyoner Druckereien arbeiteten häufig iür auswärtige Verleger auch Bücher in fremden Sprachen, italienisch, deutsch und spanisch. Der Nürnberger Verleger Anton Koburger liess hier von Clein und Sacon Bücher mit seinen Holzstöcken drucken, die Florentiner Giunta hatten hier eine Druckfiliale. Auch Holbeins Meisterwerke, die Bibclbilder und der Totentanz sind bekanntlich in Lyon veröffentlicht worden.

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Die Drucker und ihre Arbeiter sind zum grossen Teil Fremde, besonders Deutsche; sie verwenden mit Vorliebe zur Illustration ihrer Bücher von auswärtigen Kollegen entliehene Flolzstocke oder lassen die Bilder aus französischen, deutschen oder italienischen Werken kopieren. Wie Husz, illustrieren auch Nicolas Philippi und Marc Reinhart aus Strassburg ihre Ausgabe des „Myrouer de la vie humaine“ von 1482 mit den Holzstöcken der Augsburger Günther Zainerschen deutschen Ausgabe dieses Werkes von 1471, und zum Teil mit Kopien nach ihnen. Auch die Holzschnitte des in Strassburg 1502 von Grüninger gedruckten Virgil kommen hier wieder zu unverdienten Ehren. Die Beispiele liessen sich leicht noch vermehren. Die sehr zahlreichen Buchholzschnitte, die in Lyon selber gearbeitet wurden, sind künstlerisch wenig wertvoll. Sie unterscheiden sich von den Pariser Arbeiten meist nur durch ihre geringere Qualität. Die in grosser Anzahl gedruckten und illustrierten französischen Ritterromane, Chroniken und andere Werke wie der Totentanz und dergleichen sind mehr kulturhistorisch als künstlerisch von Interesse.

Von künstlerischer Bedeutung ist eigentlich nur der Terenz, den der aus Mainz 1487 eingewanderte Johannes Trechsel im Jahre 1493 druckte (s. Abb.). Die i

Im Jahre 1488 veranstalteten die Lyoner Drucker Michelet Topie de Pymont und Jacques Heremberck eine französische Ausgabe von Breydenbachs zuerst 148b in Mainz in lateinischer Sprache erschienenen Peregrinationes ad sepul-chrum. Eine Reihe der kleineren Darstellungen ist in Holzschnitt kopiert, die grösseren Pläne aber den Holzschnitten der Originalausgabe in Kupferstich nachgebildet. Es ist dies das einzige französische im XV. Jahrhundert gedruckte Buch, das mit Kupferstichen versehen ist, und überhaupt das einzige Denkmal des französischen Kupferstiches im XV. Jahrhundert. Wahrscheinlich sind diese Kupferstiche aber nicht von einem Franzosen ausgeführt, sondern entweder von einem Italiener oder von einem der niederländischen Stecher, die, wie der oben erwähnte Meister W am burgundischen Hofe tätig waren.

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Aus dem Buch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten aus dem Jahre 1911, Autor Kristeller, Paul, 1863-1931.
Siehe auch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Vorwort, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Die Technik des Bilddruckes, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Das fünfzehnte Jahrhundert – Der Holzschnitt in Deutschland, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Deutschland und in den Niederlanden, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in den Niederlanden.

Auch interessant: Rembrandt und seine Zeitgenossen, Rembrandts Handzeichnungen, Rembrandts Radierungen, Rembrandts Verworfene Blätter, Rembrandts wiedergefundene Gemälde, Rembrandts Zweifelhafte Blätter.


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