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Studien über Leonardo da Vinci – 4. Leonardos Bildnise aus der Zeit seines ersten Aufenthalts in Mailand

von Kunstmuseum-Hamburg.de

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Die großen Aufgaben der verschiedensten Art, nicht nur künstlerische, mit denen Leonardo nach seiner Übersiedlung nach Mailand im Winter des Jahres 1482 auf 1483 betraut wurde, werden ihm dort jahrelang keine Zeit zur Ausführung von Porträts gelassen haben, selbst wenn er Neigung dazu gehabt hätte. Die Bildnisse, die ihm als Werke seines ersten siebzehnjährigen Aufenthalts in Mailand bis in die neuere Zeit anstandslos zugeschrieben und als solche besonders bewundert wurden : der „Musiker“ und die ,,junge Dame im Profil“ in der Ambrosiana, die „junge Dame mit dem Hermelin“ in der Sammlung Czartoryski in Krakau und die sogenannte Belle Fcrroniere im Louvre, sind schon nach ihrer Tracht charakteristische Bildnisse Mailänder Persönlichkeiten aus der Zeit des Lodovico Sforza, etwa um das Jahre 1490. Seit Morelli, mit seiner — zum Teil verfehlten und selbst unheilvollen — Kritik der lombardischen Schule zur Zeit von Leonardos Aufenthalt dort, diese Bildnisse sämtlich Leonardo ab-gcsprochen und untergeordneten lombardischen Malern gegeben hat, hat sie lange kaum jemand dem großen Florentiner noch zuzuschreiben gewagt. Die beiden Bilder der Ambrosiana hatte Morelli dem Ambrogio Preda zugeschrieben, unter dessen Namen sie auch Seidlitz in seinem ausführlichen Aufsatz über diesen Maler im Österreichischen Jahrbuch aufführte, und der seither fast allgemein angenommen zu sein schien. Der Druck, den Morelli ausübte, hatte die Bewunderer dieser Bilder zum Schweigen gebracht, aber sie doch keineswegs überzeugt, selbst nicht die nächsten Kunstfreunde Morellis in Mailand. Der treffliche Restaurator Luigi Cavenaghi sagte noch kurz vor dem Kriege: man glaube ja jetzt Beweise zu haben, daß die beiden Bilder der Ambrosiana nicht von Leonardo gemalt seien; über das weibliche Profilporträt wage er sich nicht bestimmt zu äußern, aber daß auch der „Musiker“, den er bei der Reinigung so gut habe studieren können, nicht von Leonardo sein solle, wolle ihm nicht in den Sinn. Und Senator Luca Beltrami, dessen rastlosem Eifer die Gründung der für die Leonardo-Forschung höchst verdienstvollen „Raccolta Vinciana“ zu danken ist, hat von jeher sehr energisch alle Angriffe auf die alte Benennung der Bilder abgelehnt. Jetzt mehrt sich der Widerspruch dagegen, wie namentlich das neueste Buch von A. Schiaparelli „Leonardo Ritrattista“ und W. Suidas Aufsätze über Leonardo und seine Schule in den „Monatsheften“ beweisen.

Freilich, manches scheint gegen die Benennung dieser Bilder als Werke Leonardos zu sprechen. Vergleicht man das mehr als ein Jahrzehnt früher in Florenz entstandene Bildnis der Ginevra dei Benei in der Galerie Liechtenstein, namentlich in der Rekonstruktion mit den Händen wie ich sie früher nachzuweisen suchte, so können in der Tat Zweifel auftauchen, ob die alte Benennung jener Bildnisse als Werke Leonardos wirklich berechtigt war. In jenem Porträt der Ginevra — wie in der Marmorbüste im Bargello, deren Entwurf wir gleichfalls dem jungen Leonardo zuzuschreiben suchten — hatte dieser gerade in der Stellung seines Modells in dreiviertel Vorderansicht, und mit beiden, besonders liebevoll behandelten 1 landen, im Gemälde auch durch die Anordnung vor der Landschaft das Porträt auf eine ganz neue, wesentlich höhere Stufe gehoben. Denselben Charakter hat das allein ganz gesicherte Porträt des Meisters, die etwa drei Jahrzehnte später entstandene Gio-conda im Louvre. Dagegen sind die beiden Bildnisse der Ambro-siana vor dunkeln Grund gesetzt; die junge Dame ist rein im Profil und ohne Hände abgebildet, und auch der „Musiker“ ist nur mit einer kaum über den Rand der Tafel herausragenden Hand, die ein Notenheft hält, dargestellt. Lassen sich trotz solcher auffallenden Verschiedenheiten diese Bildnisse als Werke Leonardos aufrechterhalten? Urkunden haben wir über keines der Bilder, nicht einmal die Namen der Dargestellten konnten bisher mit einiger Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Daß Leonardo damals in Mailand Bildnisse malte, ist freilich beglaubigt; die Geliebte Lodovicos, Cecilia Gallerani, wie deren Nachfolgerin in der Gunst des Herzogs, Lucrezia CrivelB, hat er gemalt, aber ob beide Bildnisse oder eines von beiden noch erhalten ist, oder ob wir sie etwa gar in jenen erhaltenen Frauenbildnissen zu erkennen haben, ist wieder nicht nachzuweisen. Wir sind daher für die Bestimmung des Künstlers ausschließlich auf Stilkritik angewiesen, und das ist, namentlich bei Bildnissen, eine üble Sache.

Der „Musiker“ in der Ambrosiana, der früher unter anderen Namen auch den des Herzogs Lodovico führte, hat die Bezeichnung als Musiker erst bekommen, seitdem neuerdings bei einer Reinigung des Bildes die Hand mit dem Notenblatt unter der Übermalung des unteren Teils des Bildes freigelegt worden ist. Wie die Hand nur angelegt ist, so sind auch andere Teile des Bildes noch unvollendet, ist namentlich der helle Pelzbesatz des Mantels nur ganz flüchtig und dünn in hellgelber Farbe untermalt. Schon der unfertige Zustand des Bildes gemahnt an Leonardo; welcher andere Künstler hätte damals wohl ein Bild, zumal ein Porträt, unfertig stehen lassen, während wir von Leonardo wissen, daß er seine Bilder fast nur gezwungen vollendete! Doch bessere Gründe noch rechtfertigen die alte Bene nnung. 1 )ie Farben des Bildes sind die uns von Leonardos früherer Zeit her bekannten, wie wir sie aber auch noch in den beiden Exemplaren der „Grottenmadonna1′ linden: ein kräftiges Braunrot in der Kappe, Schwarz im Rock, dunkles Blau im Mantel und helles Gelb in der Untermalung des Pelzbesatzes vor tiefschwarzem Grund. Die kräftigen Lo-kalfarben sind durch das starke Helldunkel, das dem Kopf volles Relief gibt, gemildert. Zeichnung und Modellierung sind besonders tüchtig im Gesicht,dasschon am weitesten ausgeführt ist.

Die Modellierung der Augen, von Mund und Nase in ihren schwierigen Verkürzungen sind durchaus des Leonardo würdig und den Bildnissen eines Preda oder Boltrafüo weit überlegen. Trefflich angelegt ist
auch das dichte braune Lockenhaar, das nach den Wangen zu schon ausgeführt ist, ähnlich wie im Engel der Louvre-Madonna. Die Art, wie die rechte Hand mit dem Notenblatt nur wie ein erster Versuch an-gcdeutet ist, finden wir ganz ähnlich auf der „Dame mit dem Hermelin“ in der Sammlung Czartoryski zu Krakau, wo der linke Unterarm, auf dem das Tierchen ruht, nur ganz flüchtig in der Masse angedeutet ist.

Schiaparelli glaubt in diesem Bildnis des „Musikers“ einen gewissen Einfluß von Antonello zu erkennen, der ja im Frühjahr 1476 von Venedig auf Veranlassung des Herzogs Galeazzo Maria Sforza nach Mailand berufen wurde. Adolfo Yenturi, der den „Musiker“ zwar nicht anerkennt und sogar für minderwertig erklärt, hatte schon vorher im allgemeinen einen 1 influß des Sizilianer Malers auf Leonardo festzustellen gesucht. Dies ist keineswegs unmöglich. Antonello hatte in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Oberitalien während der Jahre 1475 und 1476 auf die Malerei, namentlich in Venedig einen außerordentlichen Einfluß geübt; nicht nur dadurch, daß er die Künstler mit der Ölmalerei, wie er sie selbst in der Eyck-Schule gelernt hatte, vertraut machte: auch durch seine großen künstlerischen Qualitäten, sein Helldunkel und seine Betonung der Landschaft hatte er auf die Venezianer starken Eindruck gemacht. Selbst Leonardo, der in der Werkstatt Yerrocchios eine ganz ungewöhnliche Selbständigkeit sich gewahrt und eine eigene Art der (ilmalcrci ausfindig gemacht hatte, wird doch an den Gemälden Antonellos mit ihrer unbestechlichen Wiedergabe der Individualität und der köstlich vertriebenen, delikaten Malweise, die etwas ganz Neues für die Italiener war, nicht gleichgültig vorübergegangen sein. Aber wesentlich war dieser Eindruck, den Antonellos Bilder auf Leonardo geübt haben könnten, jedenfalls nicht; wir sehen, daß weder seine Makveise, wie er sie in Florenz gefunden und ausgebildet hatte, noch seine Auffassung in dieser Zeit eine stärkere Veränderung aufweist.

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Mehr noch als in diesem Bildnis müßte Leonardo in dem Profil-portnit der jungen Dame nach Miiller-Waldes Vermutung der „Madame Bianca“, einer natürlichen Tochter Lodovicos, deren Bildnis 1491 beim Künstler bestellt wurde, während neuerdings Luca Beltrami cs Aiib. 49 wieder als Bildnis der Cecilia Gallerani anspricht, deren Bildnis von der Hand Leonardos Isabella d’Este in einem Briefe von 1498 erbat, – den lombardischen Anforderungen an die Psrträtdarstellung nachgegeben haben, wenn wir ihm dieses köstliche Bildnis mit Recht zuschreiben, das heute fast allgemein als Werk des I’reda gilt Hier scheint nicht nur der schwarze Grund, sondern vor allem die reine Profil-Stellung für Leonardo ungewöhnlich. Allein auch die urkundlich als seine Arbeit beglaubigten Stifteibildnis.se von Lodovico, seiner Gattin und ihren beiden Söhnen unter dem Kreuzigungsfresko von Donato da Montor-fano im Refektorium von S. Maria delle Grazie heute freilich kaum noch in Schattenrissen erhalten zeigen sämtliche Dargestellte in reinem Profil. Hier kann also nur die Qualität entscheiden, und über Qualität gehen leider die Ansichten gerade der kunstlorschcr ott sehr weit auseinander; auch in bezug auf dies Profilbildnis der \nibrosiana, das bald als eine Meisterleistung, der sich weniges an die Seite setzen läßt, bald als Arbeit eines lokalen Künstlers zweiten oder dritten Ranges hingestcllt wird. Richten sich doch die Ouahtätsurteilenurgar zu leicht nach vorgefaßten Ansichten. Bei mit hat sich die Bewunderung für dieses Bild nicht geändert, seitdem ich es zuerst durch eine Photographie kennen lernte, die mir mein Kollege in Waagens Vorlesungen m Berlin 1866 bis i 867 Gustav Frizzoni als schönstes Schmuckstück der Sammlungen seiner Vaterstadt Mailand verehrte. Gewiß ist es richtig, daß Breda, dank seinem Zusammenarbeiten mit Leonardo am Altar für San Francesco, dem Vorbild des großen Florentiners in seinen besten Arbeiten sich wenigstens nähert, wie namentlich im Profilporträt der Bianca Maria Sforza als Braut Kaiser Maximilians, jetzt in der Sammlung Joseph E. Widener in \ui>. 54 Philadelphia, von dem er verschiedene Wiederholungen anzufertigen hatte. Nach solchen Bildnissen, wie sie der Hof der Sforza verlangte, hatte sich zweifellos selbst Leonardo bis zu einem gewissen Grade zu richten; war doch Preda schon vor Leonardos Ankunft zum Hofbildnismaler Lodovicos ernannt worden, behielt diese Stellung und war darin viel beschäftigt, bis die Franzosen 1499 der Herrschaft Lodovicos ein Ende machten. Daß der Fürst aber in seinen künstlerischen Anforderungen sehr eigenwillig war. mußte Leonardo häufig genug erfahren; mußte er sich doch selbst von den Brüdern der Konzeption die Mitarbeit der Brüder Preda und die Einfügung seiner Madonna in ein Altärwerk von altmodischem lombardischen Stil gefallen lassen. Es erscheint daher sehr wahrscheinlich, daß auch die Bildnisse von Lodovicos Freundinnen, die Leonardo damals zu malen hatte, ähnliche der herkömmlichen lombardischen Mode sich anschließende Bildnisse waren. Vor Predas Bildnissen — selbst den besten, zu denen das allein bezeichnete von •Mib. 55 Kaiser Maximilian aus dem Jahre 1502 nicht gehört — ist unser Bild ausgezeichnet durch die feinere Modellierung des Fleisches, den zarten Ausdruck in den kräftig geröteten Lippen, durch den wärmeren Ton nnd die außerordentlich delikate Zeichnung. Charakteristisch sind für Leonardo auch die Farben des kräftigen rotbraunen Kleides, des kastanienbraunen Haares und des tiefschwarzen Uberkleides mit der echt leonardesken Einfassung in Bandverschlingungen, wie des gelblichen Bandes im Haarnetz. Im Mundwinkel und in den Augen ist ein leichtes Lächeln angedeutet, wie es für Leonardos spätere Zeit so bezeichnend ist. Um zu völliger Klarheit über den Meister des Bildes zu kommen, wäre es dringend wünschenswert, daß es einmal — wie es durch Cavenaghi mit dem Porträt des „Musikers“ so erfolgreich ausgeführt ist —- vorsichtig gereinigt würde, da der Hintergrund sowohl wie die Haare, namentlich am Oberkopf unter dem Perlennetz, Übermalungen aufzuweisen scheinen. Daß die Dargestellte, wenn nicht Lodovicos Tochter Bianca, so doch eine diesem ganz nahestehende Persönlichkeit war, geht schon daraus hervor, daß der außerordentlich reiche Schmuck die charakteristischen Fassungen des Hofjuweliers von Lodovico zeigt, wie sie am Schmuck auf den Bildnissen der Bianca Maria und anderer Damen des damaligen Hofes von Mailand fast übereinstimmend Vorkommen.

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Ein anderes Damenbildnis, von der Kritik ebenso heftig zwischen Leo-Ua 50 nardo und seinen Nachahmern in Mailand hin und her geworfen (jetzt meist gleichfalls Preda zugeschrieben), die „Dame mit dem Hermelin“ im Czartoryski-Museum zu Krakau, muß fast gleichzeitig, im Anfang der neunziger Jahre, am Hofe in Mailand entstanden sein. Das beweist, wie Schiaparelh überzeugend nachgewiesen hat, die gleiche spanische, durch isabella von Arragon bei ihrer Vermählung mit Gian Galeazzo Sforza 1489 über Neapel nach Mailand eingeführte Tracht: das glatt anliegende Haar mit dem lang über den Rücken fallenden Schopf, der weite 1 Ialsausschnitt, die am Kleide besonders angehefteten Ärmel und der ärmellose leichte Mantel, der nur über der linken Schulter hing. Schon zehn Jahre später trat nach dem Einfall Ludwigs XII. und mit der französischen Besatzung Mailands auch die französische Tracht an die Stelle der spanischen Mode, für welche dies Czartoryskische Bildnis ein rechtes Schulbeispiel ist.

Für Leonardo als den Maler dieses Bildes spricht auch hier schon ein äußeres Zeichen, das bei keinem anderen Maler der Zeit, am wenigsten bei einem der Lombardei, zutrifft: das Bild ist unfertig. Der linke Unterarm mit der Hand ist kaum als rohe Masse angelegt; auch sonst ist die letzte Hand des Künstlers wohl nur an Gesicht, Hals und linke Schulter des jungen Mädchens und den Oberkörper des Hermelins gelegt. Die Dargestellte ist stehend, fast in halber Figur genommen; der Körper ist etwas nach links gewendet, der Kopf in rascher Bewegung stark nach rechts gedreht, wohin sich auch der klare Blick der braunen Augen richtet. Diese ganz eigenartige Anordnung, das Geschick und der Geschmack, mit dem die starke Bewegung unauffällig angedeutet ist, die meisterhafte Zeichnung und Modellierung., die unübertreffliche Wiedergabe des Stofflichen (namentlich auch im Tier feil), das feine Helldunkel, die Farben: das Braunrot des Kleides, ein blasses Blau des Mantels und das helle Gelb der Einfassung des Kleides – alles das verrät den Meister Leonardo. Niemand konnte damals so malen, so sehen und empfinden. Den Hals, den Ansatz der Brust, die Reflexlichter auf der beschatteten Seite des Halses und die Art, wie durch die Kette von dunkeln I Iolzperlen die Modellierung des Halses noch gehoben wird, so daß man den Atem des lebendigen kleinen Persönchens zu sehen glaubt, hat der Künstler mit größter Frische und Delikatesse wiedergegeben. Man vergleiche damit die Ausführung von ähnlichem Beiwerk in Bredas gesicherten Bildern, etwa die Ordenskette und Üe Haare in seinem Bildnis Maximilians von 1502 oder die Locken, Flügel und Instrumente der beiden Engel in den Seitenbildern zur Grottenmadonna in London: neben der Meisterschaft in der Durchbildung allen Details in diesem Krakauer Bilde ist Bredas Ausführung geradezu stümperhaft. Der echte Leonardo verrät sich auch in Nebensachen, wie den phantasie-\ ollen Bandverschlingungen auf dem Besatz des Kleides und der breiten Bordüre daneben, die den zierlichen Yerknotungen im Besatz des Kleides der Gioconda ganz ähnlich sind. Auch hier laufen gleich zwei solche Einfassungen nebeneinander her; größer kommen sie auch auf dem Mantel der Dame im Brohl in der Ambrosiana vor. Besonders meisterhaft ist das Hermelin wiedergegeben, das Leonardo nach einem Frettchen malte, da er ein Hermelin nicht kannte. Kein Meister, selbst ein Dürer nicht, hat damals ein Tier so naturwahr, so treu bis auf jedes kleine Härchen gezeichnet, so trefflich charakterisiert und so delikat gemalt; und doch hat unter dieser kostbaren Kleinmalerei das Bildnis der jungen Dame in keiner Weise an Bedeutung eingebiißt. \\ ie die Gioconda, wie Ginevia dei Benci, so ist auch die Dame mit dem Hermelin ganz schmucklos; der Künstler wußte seine Modelle offenbar zu überreden, daß ihre Schönheit ihr bester Schmuck sei; nur bei der fürstlichen Dame in der Ambrosiana durfte er sich das nicht erlauben; sie wollte in ihrem reichsten Schmuck dargestellt sein.

W v. Seidlitz, der die „Dame mit dem Hermelin“ für cm Werk des Breda erklärt, führt dafür besonders an, daß sie dieselben dürren, verkrampftcn Hände zeige, wie sie diesem Meister in der „Madonna Cora“ u.a, Werken eigentümlich seien. Der „Meister der Familie Sforza“ in der Brera, dem diese Bilder angehören und den Seidlitz irrtümlich mit Preda identifiziert, karikiert aber Leonardos meisterlich gezeichnete, aufs feinste bewegte und modellierte Hand der schlanken jungen Dame in geradezu roher Weise; auch die einfachste Verkürzung mißlingt ihm, wie schon die Abbildung der Brera-Tafel deutlich zeigt. Mit ganz anderer Berechtigung hat Schiaparelh darauf hingewiesen, daß diese Hand der „Dame mit dem Hermelin“ fast genau der rechten Hand des Apostels Philipp auf Leonardos Abendmahl gleiche; nur ist diese als Manneshand etwas \ oller. Treu kopiert ist die Hand des Krakauer Bildnisses nebst dem ganzen Unterarm in der dem Preda zugeschriebenen Sacra Conversazione der Galerie des Seminars in Venedig, einem drolligen Sammelsurium von Gestalten, die aus Leonardos Kompositionen und Zeichnungen zusammengestohlen sind. Welcher Unterschied zwischen dem Meister und dem Nachahmer, für den selbst der Name Preda noch zu gut ist!

Ich habe bei Besprechung der „Anbetung der Könige“ nachzuweisen gesucht, daß Leonardo dieses Bild wahrscheinlich auch aus künstlerischen Rücksichten unvollendet gelassen hat, weil ihm die \ erbindung von Vordergrund und Hintergrund nicht glücken wollte. Auch bei der „Dame mit dem Hermelin* scheint em ähnlicher Grund mit schuld daran gewesen zu sein, daß er das Bild unvollendet ließ: die Einförmigkeit in der Art, wie das Hermelin auf dem linken Arme aufruht und von der rechten Hand wie schützend bedeckt wird, hätte die Komposition stören müssen, wenn auch der untere Arm, der jetzt kaum angelegt ist und ganz im Dunkel liegt, ausgeführt worden wäre.

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Noch ein viertes Porträt gehört dieser gleichen Mailänder Zeit an und ist von alters her dem Leonardo zugeschrieben, wird ihm aber in neuester Zeit fast ebenso bestimmt abgesprochen und dem Boltraftio gegeben, die sogenannte Belle Ferroniere im Louvre. Kann über die Zugehörigkeit des Krakauer Porträts zum Werk Leonardos nach unserer Überzeugung kein Zweifel sein, so erscheint es für dieses Pariser Bild nach seiner Anordnung und Behandlung nicht ausgeschlossen, daß ein Schüler, am wahrscheinlichsten Boltraftio, bei der Ausführung beteiligt war. Die Art, wie die junge Dame hinter einer Steinbrüstung dargestellt ist und, obgleich fast in halber Figur gesehen, unten glatt abgeschnitten ist, w iderspricht Leonardos Auffassung und Kompositions-weise, wie für ihn auch die Zeichnung etwas zu fest und nüchtern, der schwarze Grund zu einförmig ist. Sollte das Bild von Leonardo angelegt und dann dem Boltraftio überlassen sein? Die Färbung und das Helldunkel können für den einen wie für den anderen Künstler an geführt werden. Gemalt ist das Bild, wie die spanische Mode in der Tracht beweist, in Mailand während der neunziger Jahre, wohl vor der Mitte dieser Zeit.

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Wie dieses Bildnis jetzt gewöhnlich dem Bol-traffio, so werden, wie w ir sahen, die übrigen bisher besprochenen Bildnisse, die Leonardos Namen früher unbeanstandet und wie Wir glauben mit Recht führten, jetzt meist dem Ambrogio Preda zuge-wiesen Um die Berechtigung dieser Zuschreibungen zu prüfen, ist es notwendig, die beglaubigten Bildnisse dieses Künstlers und anderer lombardischer Maler, die nach der Zeit und ihrer Kunstrichtung für jene Bildnisse möglicherweise in Betracht kommen könnten, einmal genauer anzusehen. Von Boltraftio gibt es keine mit seinem Namen bezeichneten Bilder; aber drei seiner großen Altartafeln sind gut beglaubigt, auch nach der Zeit ihrer Entstehung, wle wir früher (S. yo) eingehend erörtert haben Da zwei derselben die Porträts von Stiftern Abb. 43 enthalten, können wir danach auch eine Reihe von Einzelbildnissen als Werke Boltraffios feststellen, indem sie die charakteristischen Züge jener beglaubigten Bilder deutlich aufweisen. Es sind regelmäßig Brustbilder, im Profil oder last von vorn gesehen, von satterer Färbung, fetterer Malerei, aber weniger Helldunkel als bei Leonardo; ruhig, meist etwas nüchtern im Ausdruck, die Hände regelmäßig fehlend oder eine einzelne Hand nur teilweise sichtbar. Auch auf seinen Altartafeln versteckt er gern die Hände, und wo er sie zeigt, verrät er, daß er kein Meister in der Verkürzung war, ganz im Gegensatz gegen seinen Lehrer! Die beiden Bildnisse desselben jungen Mannes in den Sammlungen G. Erizzoni und Mond, deren Abbildungen wir hier geben, charakterisieren den Künstler als Porträtmaler vortrefflich; auch die Porträts in der Galerie zu Bern, in der Brera (der junge Girolamo Casio), beim Conte Borromeo auf (sola Bella, die F rauenbildnisse ebenda und bei der Contessa del Mayno u. a. ändern nichts an dem Bilde, das wir durch jene Porträts von Boltraffio als Bildnismaler erhalten. Danach läßt sich von den Bildnissen, die wir vorstehend unter Leonardos Namenbesprochen haben, höchstens die Belle Ferroniere mit einiger Wahrscheinlichkeit wenigstens in ihrer Fertigstellung dem Künstler zuschreiben.

Was nun Preda anlangt, so haben wir jetzt einzelne nähere Daten über den Künstler. Wir wissen, daß er 1482 Hofporträtmaler des Herzogs Lodovico Sforza wurde, daß ihm diese angesehene Stellung im folgenden Jahre 1483 einen Auftrag auf den Altar der Konzeption in San Francesco gemeinsam mit Leonardo verschaffte, und daß er als Porträtmaler für den Hof Lodovicos bis zu dessen Sturz 1500 beschäftigt war. Durch eine Reihe ausführlicher Urkunden über jenes Altarwerk erfahren wir, daß er die schwachen Abb. 40 musizierenden Engel malte, die jetzt wieder ihren Platz neben Leonardos Madonna in der National Gallery gefunden haben. Danach können wir die Leistungsfähigkeit des Künstlers für figürliche Darstellungen nur gering einschätzen, zumal nach den Typen wie nach den Falten der Gewandung das Beste von Leonardo entlehnt ist. Aber wir besitzen wenigstens ein mit dem vollen Namen „Ambrosius de pdis miianen“ bezeichnetes Bildnis des Künstlers, das Profilporträt Kaiser Maximilians vom Jahre 1502 im Plofmuseum zu Wien. Es ist leblos in Abb. 53 der Auffassung, trocken und ängstlich in der Durchführung, ohne Modelierung.

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Gerade durch diese beiden Qualitäten unter scheidet sich von jenen gesicherten Bildnissen Predas das Bildnis eines Jünglings, welches man gleichfalls als bezeichnetes Werk Predas ausgibt: das angebliche Porträt des jungen Francesco Ar-chinto in der National Gallery. Das Monogramm auf dem schmalen Zettel in der linken Hand des Jünglings, der daneben noch die Angaben: ANO 20 und 1494, enthält, würde aber als Künstlerbezeichnung in Italien zu dieser Zeit völlig einzig dastehen. Zudem läßt sich daraus A. dePredis Name gar nicht entziffern; das Monogramm wird nach der Zusammenstellung mit dem Alter vielmehr auf den Dargestellten zu beziehen sein. Der Meister dieses Porträts ist wesentlich verschieden von Preda, wie ihn das beglaubigte Porträt Maximilians zeigt. Das Londoner Jünglingsbild und ein ganz verwandtes in der Galerie zu Bergamo sind von vorn gesehen, haben das gleiche helle tlackrige Licht, tüchtiges Helldunkel und kühle Lokalfarben. Auch daß der Künstler die eine Hand zeigt und eine starke Verkürzung wenigstens versucht, ist ein Beweis, daß er seine künstlerischen Ziele höher gesteckt hatte als Preda; doch erscheint er in diesen beiden Bildnissen grundverschieden von den fraglichen, weit überlegenen Porträts der Ambrosiana und in Krakau. Wer der Künstler sein kann, dafür fehlt noch jeder Anhalt.

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Ein anderes kräftiges Profilporträt auf dunkeim Grund: das Bildnis eines älteren Mannes in tiefrotem Brokatrock in der Galerie Poldi Pezzolli zu Alailand, gilt gleichfalls mit Unrecht als Werk des Preda; es ist vielmehr ein spätes Hauptwerk des Altmeisters der lombardischen Schule, Yincenzo Foppa. Mit den Bildnissen in der Ambrosiana hat es kaum nähere Beziehung und sein Meister kann für diese nicht in Betracht kommen. Der neben Preda am Hofe der Sforza und sonst in der Lombardei bevorzugte Porträtmaler Bernardino dei Conti, dessen Bildnisse vielfach mit dem Namen bezeichnet und daher leicht kenntlichsind, kommt für die nach ihrer Tracht um 1490 gemalten Bildnisse der Ambrosiana und in der Galerie Czar-torvski gleichfalls nicht in Betracht, schon weil erst seit 1496 Bilder von ihm bekannt sind. Vor allem sind diese aber viel zu schlecht ge-Abb. 57 zeichnet und gemalt, wenn es dem Künstler gelegentlich auch gelingt, durch eine gewisse Vornehmheit und selbst Größe in der Anordnung und Ausstattung seinen Porträts eine wirkungsvolle Erscheinung zu geben; so namentlich in dem großen Frauenportiät bei Airs. Alfred Alorrison in London und in dem Bildnis eines Nepoten von Papst Julius 11. im Berliner Schloß.

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Das früheste datierte und voll bezeichnete Bildnis von der Hand des Bernardino dei Conti, das Profilporträt des Knaben Francesco Sforza, des jung verstorbenen Sohnes von Maximilian Sforza, in der Gemäldegalerie des Vatikan, dessen Abbildung wir hier bringen, beweist zur Genüge, wie weit der Alaler dieser Porträts hinter dem Aleister der Ambrosiana – Bildnisse und der „Dame mit dem Hermelin“ zurücksteht. Unter den übrigen gleichzeitigen Lombarden war der Meister im Portrat, Andrea Solario, zu jung -— erst von 1495 datiert das früheste Jugendwerk von ihm — und dann noch lange wesentlich unter der Nachwirkung seiner Ausbildung in Venedig, ehe Leonardo einen gewissen Einfluß auf ihn ausübte. Bramantino, etwa Altersgenosse \on Solario, kommt von andern Meistern her und hat nur wenig Einfluß \on Leonardo erfahren; zudem beweist das einzige durch Suida mit Wahrscheinlichkeit auf ihn zurückgeführte Profilbild eines Greises, daß er als Porträtmaler wenig begabt war und in diesem Bilde kaum Verwandtschaft mit Leonardo zeigt, so wenig wie sein Lehrer Bram ante in seinen derb charaktervollen Idealbildnissen. Bernardino Luini kann nach seinem Alter — er wurde erst wenig vor 1480 geboren — gar nicht in Betracht kommen. Was uns an lombardischen Porträts dieser Zeit sonst noch erhalten ist, soweit das eine oder andere schon um das Jahr 1490 entstanden sein könnte, ist nicht der Art, daß solche Bilder mit den Porträts der Ambrosiana in Vergleichung kämen; selbst nicht die besten darunter, wie das Profilporträt einer jungen Frau in der Galerie zu Oldenburg oder das Porträt der Beatrice d’Este im Christ Church College zu Oxford, die zudem auch schon später entstanden sind.

Aus dem Buch “Studien über Leonardo da Vinci” aus dem Jahr 1921, Autor Wilhelm von Bode.
Hier geht es zum Ersten Teil (Studien über Leonardo da Vinci – 1. Leonardo als Gehilfe in der Werkstatt Verrocchios)

Hier geht es zum Zweiten Teil (Studien über Leonardo da Vinci – 2. Loanardo da Vincis Anteil an der Porträtplastik Verrocchios und sein Bildnis der Ginevra de´Benci)

Hier geht es zum Dritten Teil (Studien über Leonardo da Vinci – 3. Leonardos Altartafeln aus seiner mittleren Zeit)

Texte über ander Künstler können hier eingesehen werden.


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