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Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 2

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von Kunstmuseum-Hamburg.de

Hier geht es zum Ersten Teil.

Er malte, was ihm lieb und wert war, und wählte seine Motive nach eigenen verwandten Stimmungen; wenn man daher Darstellungen wie das Opfer Manoahs mit der Erwartung der Geburt seines Sohnes Titus, das Opfer Isaaks mit dem Tode eines seiner Kinder, oder die biblischen und mythologischen Bräute mit seiner Verlobung mit Saskia in Zusammenhang hat bringen wollen, so hat man die Empfindungsweise des Meisters zweifellos richtig getroffen. Gerade die nähere Bekanntschaft mit seinen Werken eröffnet uns einen ungeahnten Einblick auch in sein Leben und seine persönlichen Beziehungen und liefert zu der Fülle urkundlichen Materials, das die holländische Forschung allmählich zutage gefördert hat, die wertvollste Bestätigung und Illustration. Sein Haus, sein Heim in aller seiner Intimität tut sich wieder vor uns auf, ein Leben ohne Glanz, ohne die Anerkennung und die Ehrung, die heute mit den Werken eines berühmten Künstlers fast notwendig verbunden scheinen. Hier ist mehr Mühsal und Not, mehr düsterer Schatten als im Lebenslauf der meisten anderen, selbst untergeordneten Maler; aber die vereinzelten Sonnenblicke, die in dieses Dunkel hineinfallen, wirken dafür um so wärmer, geben uns auch das Bild des Menschen in jenem herzgewinnenden Helldunkel, das uns in seinen Werken die Darstellung so nahe bringt.

Besitzen wir von keinem Künstler so viel Bildnisse seiner Angehörigen und Freunde, so hat uns auch keiner nur annähernd so viel Selbstbildnisse hinterlassen, wie Rembrandt. Sicherlich war Selbstgefälligkeit nicht der Grund. Zwar hatte er das volle Bewußtsein vom Werte seiner selbst, aber törichte Eitelkeit lag dem nur der Kunst lebenden Manne wahrlich fern; das verbürgt schon die Auffassung der meisten dieser Selbstbildnisse. »Erkenne dich selbst«, so habe Rembrandt darin gepredigt, hat man nicht mit Unrecht gesagt. Dies verkündigt er allerdings auf seine Weise, indem er seine psychologischen Rätsel, seine malerischen Aufgaben an seinem eigenen Kopfe studiert und sie so zu lösen sucht, ln diesen Selbstbildnissen, deren in Gemälden, Radierungen und Zeichungen an hundert auf uns gekommen sind, und in denen wir den Künstler von dem Eintritt in seine künstlerische Laufbahn bis an sein Lebensende fast von Jahr zu Jahr verfolgen können, ist die volle Entwickelung eines der größten malerischen Talente aller Zeiten, ist das Lebensstudium eines der gründlichsten Kenner des menschlichen Herzens niedergelegt.

Die Freude an der Schilderung seiner nächsten Umgebung, seiner Freunde und Lieben, ist der Ausfluß des häuslichen Sinnes, der Liebe zum Heim, die recht eigentlich die Tiefe und Kraft seiner Kunst ausmacht. »Oeh vom Häuslichen aus und verbreite dich, so du kannst, über alle Welt«, so ruft Goethe dem Künstler zu, indem er von Rembrandt spricht, und erkennt damit die wahre Quelle, aus der die Kunst dieses Meisters fließt. Aus ihr schöpft er die Wahrheit und die Wärme seiner Schilderung, die Innigkeit seiner Empfindung, die ergreifende und überzeugende Kraft seiner Erzählung.

Rembrandt verdankt das, was er geworden ist, einem selten glücklichen Zusammenwirken von genialen Anlagen mit Fleiß und zielbewußtem Streben. Daß er, wo er ging und stand, als Künstler beobachtete und studierte, daß ein rastloser Schaffensdrang ihn seit seinen frühesten Jahren an die Arbeit fesselte, bezeugt die überaus große Zahl und Mannigfaltigkeit seiner Werke. Daß er von vornherein ganz bewußt und konsequent sein Ziel verfolgte, dafür haben wir das klassische Zeugnis des Constantyn Huygens, dessen Urteil über den Künstler niedergeschrieben wurde, als dieser erst vierundzwanzig Jahre alt war. Aber mit allem Fleiß und Verstand hätte er nicht so bald so außerordentliche Leistungen hervorgebracht, wäre er nicht mit einer Phantasie von einzig schöpferischer Kraft begabt gewesen. Der Denker und Dichter in ihm übertrifft noch den Maler, ja nicht selten tut er diesem sogar Eintrag, indem er ihn zu einer phantastischen Behandlung auch der einfachsten Motive verführt, die nur eine schlichte realistische Behandlung dulden. An Er-findungs- und Gestaltungskraft steht hinter Rembrandt selbst Rubens zurück. Rembrandt hat denselben Gegenstand oft ein dutzendmal und mehr in Gemälden, Radierungen und Zeichnungen wiederholt, aber fast ebenso oft gestaltet er ihn zu einem völlig neuen Bilde. In seinen Zeichnungen beobachten wir, wie der Künstler dasselbe Motiv hintereinander immer von neuem versucht, bis er die Form gefunden zu haben glaubt, die seiner Idee am nächsten kommt, wie er denselben Gegenstand in der verschiedensten Weise, und zwar sofort bildmäßig, zur Anschauung bringt.

Dies bewußte Streben, die volle Eigenart des Künstlers zeigt sich von vornherein auch in seinen Mitteln. Schon in den frühesten Jugendwerken ist es das Licht, ist es sein eigentümliches Helldunkel, das ihm als vornehmstes Ausdrucksmittel seiner Ideen dient, wenn er es auch mit den Jahren wesentlich erweitert und feiner und wirkungsvoller ausbildet. Daß man Rembrandt von jeher wegen seines Helldunkels am meisten bewundert hat, ist durchaus berechtigt; war es ihm auch nur ein Mittel zum Zweck, so war es doch eben das Mittel, durch welches er seine Wunder gewirkt hat. Nur durch sein Helldunkel war er imstande, alle die verborgenen Schätze zu enthüllen, die sein Seherauge in der Natur entdeckte. Man hat Rembrandt einen Zauberer genannt; er ist ein Zauberer in dem Sinne, daß er den phantastischen Gebilden seiner Gedankenwelt künstlerischen Ausdruck zu geben weiß, an den wir glauben müssen, der uns hinreißt und begeistert; ein Zauberer auch insofern, als er durch magische Mittel unsere Sinne berauscht, uns seine Bilder wie mit einer Laterna magica vorzaubert. »Rembrandt trägt«, wie Koloff sich ausdrückt, »Blendlaternen unter seinem Mantel, die er urplötzlich hervorzieht und uns ins Gesicht hält, daß wir anfangs vor lauter Schimmer nichts sehen können.« Sein Licht ist ein ganz besonderes, das plötzlich und voll in das Dunkel hineinfällt und ebenso warm wieder hervorstrahlt, das mit seinen Strahlen und Reflexen das reiche Spiel von Licht und Schatten, das bunte Flirren der Farben hervorruft, sie hier verhüllt und dort prächtig hervorleuchten und in den reichsten Tönen erglänzen läßt, ein Licht, das durch und durch zu leuchten scheint, das uns die heimlichsten Gedanken, die verborgensten Empfindungen verrät, den Beschauer zu dem Dargestellten in die intimste Verbindung setzt. »Rembrandt malt nur mit Hilfe des Lichts« — um Fromentin reden zu lassen —, »er zeichnet nur durch das Licht; er hat eine Art, in die Ferne zu rücken, nahe zu bringen, zu verstecken, deutlich zu machen und die Wahrheit in das Visionäre zu tauchen, welche die wahre Kunst ist, vor allem die Kunst des Helldunkels.« Mit Rücksicht darauf haben die Franzosen den Künstler einen »luministe« genannt, als einen Mahn, der eine eigene Beleuchtung erfand und dieser eine außergewöhnliche Bedeutung in seiner Kunst zumaß und um ihretwillen Opfer gegenüber anderen Kunstmitteln brachte.

Ist Rembrandt in seinen Modellen, in seinen Vorwürfen ein Realist wie kein anderer, so ist er in seinen Mitteln, vor allem in seiner Beleuchtung, der größte Idealist. Man pflegt sein Licht ein überirdisches zu nennen; nicht ganz mit Unrecht, denn auch häßliche Gestalten, gewöhnliche Motive weiß der Künstler durch sein Helldunkel in eine höhere Sphäre zu heben, zu ergreifenden Kunstwerken zu gestalten. Durch diese Mittel ist er der modernste aller neueren Künstler geworden, indem er die Schönheit des Geistes an die Stelle der antiken Formenschönheit gesetzt hat. Sein Licht ist alles andere als naturalistisch; es ist weder Sonnenlicht noch Kerzenlicht, es ist Rembrandts eigenes Licht. Ausgegangen ist der Künstler freilich auch in seiner Beleuchtung von der Natur; an ihr machte er ununterbrochen seine Studien. Das Sonnenlicht wie das Kerzenlicht, wie er sie in einigen seiner frühesten Bilder noch fast im Sinne der Wirklichkeit wiederzugeben suchte, erschien ihm bald zu grell und zu nüchtern, die Schatten dabei zu schwarz und zu undurchsichtig, um das Seelenleben so innig und reich zum Ausdruck zu bringen, wie er es empfand. Durch das Studium der Atmosphäre entwickelte er seine Beleuchtung zum Helldunkel, zu der Kunst, die Dinge umflossen von Licht und umgeben von der Luft zu malen; sein Helldunkel kann man daher als die »Kunst, die Atmosphäre sichtbar zu machen« bezeichnen. Mit unserer modernen Hellichtmalerei hat seine Art der Beleuchtung freilich wenig zu tun; und doch ist sie ihr im Prinzip so verwandt, ist sie in ihrer Durchführung so wunderbar, daß sich unsere modernen Künstler halb unbewußt zu seinen Bildern besonders hingezogen fühlen. Rembrandts landschaftliche Zeichnungen, in denen er den Eindruck, wie er ihn vor der Natur empfing, unmitttelbar festhält, sind so licht, so luftig und duftig wiedergegeben wie nur bei der Modernsten einem; in seinen Bildern aber, selbst in seinen Landschaftsgemälden, verzichtet er völlig auf solche Naturwahrheit, da er mehr als die Natur, da er eine Welt für sich geben will. Sein Licht ist ein Innenlicht, auch wenn er Darstellungen im Freien malt; deshalb ist Rem-brandt von den Tonmalern, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Worte kamen, schon ebensosehr wie jetzt von den Hellichtmalern bewundert und teilweise nachgeahmt worden. Studiert hat Rembrandt sein eigentümliches Licht im holländischen Innenraum, aber der Vergleich mit den Bildern eines Pieter de Hooch oder des Delfter Vermeer beweist, wie persönlich er sah. Das warme volle Licht, das die Hauptgruppe oder, bei einer Einzelfigur, den Kopf beleuchtet und hell aus dem umgebenden Halbdunkel hervorhebt, erscheint wie die letzten Strahlen der Abendsonne, die durch eine kleine Öffnung in einen geschlossenen Raum fallen. Diesem Licht nimmt der Künstler das Grelle; er mildert, verteilt und zerstreut es, gibt ihm größere Wärme und läßt seine Reflexe in mannigfachster Weise die dunkle Umgebung oder den dunklen Grund aufhellen.

Sehr merkwürdig in Rembrandts Werken sind Architektur und Dekoration. Während in Italien zur Zeit der Renaissance zahlreiche Maler auch als Architekten sich betätigten und in ihren Bildern häufig die Bauten so bedeutend und klar konstruiert sind, daß sie wie nach gleichzeitigen Monumenten entworfen scheinen, können wir uns die Bauwerke, die in Rembrandts Bildern Vorkommen, kaum ausgeführt denken, ja, es würde schwer fallen, sie nur nachzuzeichnen: so unbestimmt und unrein sind ihre Formen, so sehr ist der feste Umriß, ist jede gerade Linie darin vermieden. Diese Gebäude, in denen er gewiß wie in seinen Kostümen den Lokalcharakter möglichst treu zu geben suchte, haben etwas von der gesucht primitiven Architektur unserer Modernsten, von ihrer Formlosigkeit und massigen Wirkung, ihrer Richtung auf das Kolossale und Mystische. Seine Tempel und Paläste mit ihren flachen Kuppeln und den abgestumpften Türmen erscheinen wie verfallen und verwittert oder nur halb vollendet. Die Motive dafür sind anfangs namentlich antiken Bauten entnommen, wie er sie aus den Bildern und Studien seines Lehrers Lastman kannte, dem er neben den Vorwürfen für seine Bilder auch in der Kompositionsweise und manchen Nebendingen Anregung verdankt; später entlehnte er sie gelegentlich der holländischen Spätrenaissance oder dem Romanischen, häufiger jedoch der heimischen Gotik. Dabei schaltete der Künstler aber so frei, daß die Spitzbogen zu Rundbogen werden, die Bauten ihren schlanken, aufstrebenden Charakter, die Türme ihre Helme, die Streben ihre Fialen verlieren; um so stärker sind dadurch die derben Mauermassen zur Wirkung gebracht. Über der Kreuzung haben seine Kirchen regelmäßig eine mächtige, flache Kuppel, welche, zusammen mit den formlosen, pfeilerartigen Türmen am Bau oder neben demselben, die Kuppelbauten des Orients mit ihren Minaretts wiedergeben soll. Mit dieser eigentümlichen Architektur erstrebt der Künstler vor allem die Verstärkung der Bildwirkung; er schafft starke Gegensätze, stellt unbelebte Massen der reichbelebten Komposition gegenüber und öffnet weite luftige Räume mit tiefen Schatten und geheimnisvollem Helldunkel.

Verwandte malerische Ziele verfolgt Rembrandt auch mit seiner Ornamentik, die allem Klassischen gleich fern, gleich diametral entgegengesetzt ist, wie der Stil seiner menschlichen Gestalten. In den Formen und der Dekoration der Möbel und Gefäße auf seinen Bildern, in den Mustern und Bordüren der Gewänder, in den Einrahmungen ist der Künstler der entschiedenste Anhänger des malerisch-phantastischen Knorpel- und Ohrmuschelornaments, wie es sich aus den barock-gotischen Dekorationen in der Art des Herri met de Bles und weiterhin aus den Grotesken eines Künstlers wie Floris um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert im Norden der Alpen, besonders aber in Holland entwickelt hatte. Jenes sonderbare Gewirr phantastischer Formen, die bald als Fische, Schlangen oder Mollusken, bald als Fratzen und Masken erscheinen und zwischen knorpeligem Kartuschenwerk in der Art von Wellen, Wurzeln, Riemen oder Ohrmuscheln in stetem Wechsel auf- und niedertauchen und sich ineinander verschlingen, ohne daß eine Form klar zutage tritt, bedeckt Möbel und Geräte, bildet die Kapitäle der Säulen und die Muster der Stoffe auf seinen Bildern. Wo dieses Ornament auftritt, dient es vorwiegend malerischen Zwecken, um Leben und Bewegung in die grellen Lichtpartien, schimmernde Lichter in die Halbschatten zu bringen. Es ist unbestimmt, formlos und unfaßbar, wie das Licht in Rembrandts Bildern, und ist zugleich der lebendige Ausdruck der eigentümlich knorrigen, unbestimmten Malweise des Künstlers.

Das Helldunkel ist so maßgebend bei Rembrandt, daß Komposition und Zeichnung wie Färbung und Behandlung davon abhängen; ja selbst dessen Art, die Leute zu kleiden, die Wahl seiner Stoffe und ihre Faltenbildung, hat es nicht unwesentlich mitbestimmt. Seine orientalischen Prachtgewänder, Turbane und andere Ausstattungsstücke, die er für die Trachten der Patriarchen und jüdischen Könige hielt, werfen keine klassischen Falten, aber in den schweren Brüchen ihrer golddurchwirkten Stoffe, in den mit Steinen besetzten Bordüren zittert das Licht in magischer Weise und bildet sich das prächtigste Farbenspiel. Will man die Entwickelung des Künstlers in seinen künstlerischen Mitteln kennzeichnen, so muß man vor allem die Entwickelung seines Helldunkels verfolgen. Ob er aufs Sorgfältigste durchführt oder flüchtig skizziert, ob er kräftige Lokalfarben aufleuchten läßt oder fast einfarbig wirkt, richtet sich in erster Linie nach der Beleuchtung, nach dem Helldunkel und der Wirkung, die er damit in seiner Darstellung hervorrufen will. Darin ist der Künstler in den verschiedenen Lebenszeiten ebenso verschieden, wie in den besonderen Absichten, die er bei jedem einzelnen Kunstwerk verfolgt. Daher stehen in seiner frühesten wie in der spätesten Zeit durchgeführte Bilder neben skizzenhaften, farbige neben fast farblosen.

Die Komposition in Rembrandts Werken erscheint nur willkürlich, wenn man sie mit dem Maß der italienischen Klassiker mißt; denn nicht nach den Linien, sondern nach dem Licht baut er sie auf. Sie hat daher ihre eigenen Gesetze. Seine Räume haben große Tiefe und erscheinen noch weiträumiger durch das Dunkel, in das sie sich verlieren; sie sind oft reich gefüllt mit Figuren, immer aber ist der Vorgang deutlich und einheitlich. Der Künstler weiß den Beschauer sofort mitten in die Handlung einzuführen und voll dafür zu erwärmen. Alles ist am rechten Platze, alles hat Beziehung zum Zentrum der Darstellung, selbst anscheinende Nebendinge. Dabei ist er außerordentlich mannigfaltig in der Anordnung, je nach Motiv, Beleuchtung und Zeit der Entstehung seiner Werke. Bald schiebt er die Personen in den Vordergrund, bald stellt er sie zurück; er gruppiert sie in der Mitte oder auf der Seite; er läßt das vollste Licht auf die Hauptfigur oder Hauptgruppe fallen oder rückt sie unmittelbar neben das Beleuchtungszentrum; auch in letzterem Falle — man denke an die »Nachtwache« — weiß er doch sofort das Auge auf den geistigen Mittelpunkt zu lenken.

Wenn man Rembrandt früher einen schlechten Zeichner nannte, wenn man seine Farben tadelte, so war dies nur möglich, weil man seine Kunst nicht als Ganzes erfaßte und für das, was er wollte und ausdrückte, kein Verständnis hatte. Rembrandt ist ein Zeichner trotz Raffael und Mantegna, aber er läßt seine Zeichenkunst nur so weit sehen, wie es sich mit seiner Beleuchtung und mit dem Ausdruck, den er anstrebt, verträgt. Eine Form, eine Bewegung oder Empfindung mit wenigen sicheren Strichen auszudrücken, zahlreiche Figuren zu einer klaren Komposition zusammenzuordnen und die Handlung deutlich werden zu lassen, die Gruppen im Raum richtig zu stellen, sie mit Licht und Luft zu umgeben und sozusagen in die geeignete Sphäre zu stellen, hat niemand besser verstanden als Rembrandt. Dies können wir namentlich da beobachten, wo der Künstler ausschließlich mit zeichnerischen Mitteln arbeitet: in seinen Zeichnungen und Radierungen. Sie sind auch dadurch so lehrreich, daß sie uns zeigen, wie der Künstler stets konstruktiv vorging, wie er bei jeder Kostümfigur die Gestalt darunter im Auge hatte und diese zunächst in ihren einfachsten Massen bildete. Andererseits ist Rembrandt so sehr Kolorist, daß er auch dann, wenn er auf die Farben zu verzichten scheint: in den monochromen Skizzen, wie in den Radierungen und selbst in den Zeichnungen, durch Wahrung und Hervorhebung der Ton werte die feinste Farbenempfindung verrät. Rembrandts Art zu zeichnen kennt freilich keine reinen Konturen, keine großzügigen Falten, sein einfallendes Licht hebt die scharfen Umgrenzungen auf, sein Helldunkel macht die Linien unbestimmt, läßt sie an einer Stelle stark hervortreten und dicht daneben wieder verschwimmen: die Kunst seiner Zeichnung zeigt sich aber in der Art, wie er die Gesetze des Helldunkels auf eigene Weise zu beobachten und zur Geltung zu bringen weiß.

Dazu stimmt die Kunst seiner Modellierung. Was auch dem Laien an Rembrandts Werken zuerst auffällt und seine Bewunderung erregt, ist die außerordentlich plastische Wirkung, die von Leonardo nicht übertroffen wird. Die Art, wie der Künstler seine Figuren durch einen grellen Lichtstrahl aus dem Dunkel auftauchen läßt, gibt ihnen eine Lebendigkeit, daß sie unter uns zu sein scheinen. Rembrandt hat eine Zeitlang besondere Freude daran gehabt, diese Wirkung noch durch äußere Mittel aufs höchste zu steigern. Er zeigt dann seine Figuren am offenen Fenster oder in einer Türe oder läßt sie die Hand dem Beschauer entgegen strecken. Diese Kunstgriffe, die auf starke Illusion ausgehen und daher den geistigen Ausdruck leicht etwas beeinträchtigen, verschmäht er später. Eine gewisse Härte der Modellierung, die sich in einzelnen früheren Werken zugleich mit allzu großen Gegensätzen von hell und dunkel noch geltend macht, ist in seiner entwickelten Kunst verschwunden und ersetzt durch das Bad von Licht und Luft, in das er seine Figuren eintaucht; ihre plastische Wirkung erhalten sie durch die feine Abstufung des Lichts und eine eigene Technik, namentlich durch den starken Auftrag der Farben im Licht.

Rembrandt ist kein Kolorist in dem Sinne wie Tizian oder Giorgione, wie Rubens oder Velazquez, selbst nicht wie Ter Borch oder Pieter de Hooch. Zwar leuchten aus seinen Bildern Farben von einer Pracht und von einem eigentümlichen Reiz in der Zusammenstellung , wie nicht wunderbarer in den Gemälden der größten Koloristen; aber während bei den eigentlichen Farbenkünstlern das Helldunkel die reinen Lokalfarben nur abtönt, um sie mannigfacher und ausdrucksvoller zu machen, beeinträchtigt Rembrandts Helldunkel unmittelbar die Schönheit der reinen Farben, indem es sie im Licht wie im Schatten in verschiedenster Weise verändert, sie bricht und selbst vernichtet. Doch auch in solchen Bildern, die namentlich in der späteren Zeit die Regel sind, ist Rembrandt in seinerWeise Kolorist; er wirkt hier durch entschiedene Gegensätze, indem er verschiedenerlei energische Farben nebeneinander stellt, sie dann aber durch zahllose kleine, nur in der Nähe sichtbare Farbenflecke, die er darüber ausstreut, verbindet und vermittelt. So nimmt er den hellsten Lichtern die grelle Wirkung der Lokalfarben und gibt selbst den tiefsten Schatten noch einen Schimmer von Farbigkeit und Klarheit. In der Anwendung der Farben selbst verfährt dabei der Künstler zu verschiedenen Zeiten verschieden. Ist er in der frühen Zeit, in der er das Licht mehr zusammenhält und voll auf den Mittelpunkt des Bildes fallen läßt, in der Regel einfacher und reiner in den Lokalfarben, die er dann in den Schatten reich und wechselvoll abtönt und bricht, so läßt er diese in seiner mittleren Zeit in dem Streben nach einem gleichmäßigen Helldunkel in einem wie mit Gold getränkten braunen Gesamtton fast verschwinden; mit den Jahren geht er immer weiter in der Auflösung der Lokalfarben und ihrer Vermischung mit einer Fülle kleiner feingetönter Farbenflecke, welche die raffinierte Verteilung von Licht und Dunkel in den Farben möglich machen und zugleich durch ihre Gegensätze und die Art ihrer Zusammenstellung die außerordentlich kräftige Farbenwirkung des Ganzen hervorbringen. Wenn wir in einem solchen Bilde z. B. einen Stoff, der in einer gewissen, vom Künstler gewollten Entfernung einen prächtig roten Eindruck macht, in der Nähe betrachten, so sehen wir, wie Rem-brandt zwischen einzelne größere, mehr oder weniger energisch rote Flecke kleine gelbliche, bräunliche, bläuliche, schwärzliche u. a. Töne zwischengestrichen oder darüber gesetzt hat, je nachdem Licht und Schatten die Farbe beeinflussen. Dasselbe Prinzip verfolgt der Künstler in der Kamation, so daß ein in starkem Helldunkel gegebener Kopf gelegentlich in der Nähe ein ähnlich buntes kaleidoskopisches Bild zeigt. Dadurch erreicht der Künstler die wahre, kräftige und schöne Wirkung der Farben und des Helldunkels; in dieser anscheinenden Willkür, in der derben »Schmiererei«, wie man es früher nannte, beweist Rembrandt eine Kenntnis der Farbenerscheinung, der Farbenwerte und der Farbenstimmung, wie sie nur Velazquez und Tizian im höheren Alter besessen haben. Daneben freilich finden wir gleichzeitig Gemälde, in denen die Farben, je nach dem Motiv oder der Individualität der Dargestellten, nach Beleuchtung oder Stimmung im Bilde, sorgfältig vertrieben, die Lokalfarben fast rein zur Geltung gebracht sind — wieder ein Beweis des gewaltigen künstlerischen Empfindens und Könnens des Künstlers, der jedem Gegenstände in seiner Weise gerecht zu werden, jedes Kunstwerk in neuer Weise zu gestalten suchte.

Was den Gemälden Rembrandts noch einen besonderen malerischen Reiz verleiht, ist die eigentümliche Behandlung der Farben. Sie ist von der aller anderen Maler völlig verschieden; gelegentlich ist sie einfach, in der Regel ist sie aber äußerst kompliziert und raffiniert. Wenn er die Farben sprechen lassen wollte, so wußte er ihnen durch Vertreiben, Lasieren, Impastieren eine Schönheit, ein Email zu geben, daß sie wie Edelsteine funkeln. In diesem Glanz und in der Leuchtkraft seiner Farben ist der Künstler nicht übertroffen; selbst die bedeutendsten Koloristen unter seinen Schülern und Nachfolgern, ein Carel Fabritius, Nicolas Maes, Jan Vermeer und Pieter de Hooch, kommen ihm in ihren farbenprächtigsten Bildern kaum nahe. Man muß bis auf die Brüder van Eyck zurückgehen, um Farben von ähnlicher Schönheit zu finden; aber ihre Gemälde haben dadurch, daß sie ihre im einfachen Tageslicht gesehenen Darstellungen durchweg in den gleichen brillanten Farben geben, nicht eine so intensive, so orchestrale Farbenwirkung, wie manche von Rembrandts Bildern, in denen dieses Spiel der Farben auf eine einzelne, meist nicht große Stelle der Komposition konzentriert ist, die durch das kräftigste Licht noch hervorgehoben wird. Diese Wirkung erzielt der Künstler freilich zum guten Teil durch die Opposition brillanter Stücke mit tiefen oder stumpfgehaltenen Partien, wie durch das einfallende Licht; einen wesentlichen Teil daran haben aber auch Wahl und Zubereitung seiner Farben, die Meisterschaft in deren Mischung und Auftrag. Rembrandts Gemälde beweisen uns, so gut wie die der van Eycks, die von alters her dafür den höchsten Ruhm genossen haben, welche Bedeutung in der Malerei die Schönheit des Materials und die Kenntnis seiner Bereitung und Behandlung haben. Die Rembrandt unmittelbar vorausgehende Epoche der holländischen Malerei, welche die koloristische Wirkung ihrer Gemälde vor allem in den Valeurs und im Ton anstrebte, in weit höherem Grade aber noch die moderne Malerei, welche, mit geringer oder gar ohne jede Kenntnis der Farbstoffe, mit einem geringwertigen Material arbeitet und das Verständnis für die Schönheit der Farben an sich fast verloren hat, setzen die Bedeutung und Meisterschaft Rembrandts auch nach dieser Richtung in das stärkste Licht

Seine Malweise ist so mannigfaltig wie seine Farbengebung und Beleuchtung und seine künstlerischen Intentionen überhaupt; sie ist von ihnen abhängig und geht mit ihnen Hand in Hand, ist sie doch nur der getreue und geschickte Ausdruck seiner Empfindung. Sind im allgemeinen bei ihm, wie bei den meisten großen Künstlern sorgfältige Ausführung und vertriebene Malweise für die frühere Zeit, immer größere Sicherheit und Breite der malerischen Handschrift für die spätere Zeit charakteristisch, so beobachten wir doch bei Rembrandt im Laufe der Entwickelung seiner Kunst eine außerordentliche Verschiedenheit in der Ausführung der einzelnen Gemälde und sogar nicht selten innerhalb eines und desselben Bildes. Es gibt Bilder, in denen er in der Sauberkeit der Durchführung die größten Feinmaler, einen Dou und Mieris, übertrifft, und daneben wieder solche, die mit den flüchtigsten Improvisationen des Frans Hals aus dessen letzter Zeit wetteifern, ja, in einzelnen Teilen noch darüber hinausgehen. Rembrandt geht auch darin seinen Weg so selbständig, wie in allen anderen künstlerischen Fragen; weil er so verschieden empfindet und verschieden sieht wie andere Künstler, malt er auch anders und findet Ausdrucksmittel, die ebenso eigen sind wie seine Auffassung von Licht und Farbe.

Bei der Übertragung des Gesehenen auf die Fläche sucht Rembrandt nicht die Formen der Dinge nachzubilden, sondern ihre Wirkung auf das Auge unter dem Einfluß von hell und dunkel. Daher bemüht er sich, dem Reichtum der Licht- und Schattenabstufungen in der Natur durch unaufhörlichen Wechsel der Technik gerecht zu werden; diese ist bald nachlässig und flüchtig, bald äußerst sorgfältig und selbst mühselig, aber immer so kunstreich, daß ihre Nachahmung, wie selbst seine talentvollsten Schüler beweisen, regelmäßig zur Manier führt. Auch den modernen Künstlern ist der Anschluß an Rembrandt stets schlecht bekommen; seine malerische Handschrift, so wunderbar sie meist ist, so sehr sie daher vor allem die Bewunderung der Maler weckt, ist so individuell, so völlig eingegeben von der Empfindung des Künstlers, daß sie nur als deren Ausdruck berechtigt ist Seine Art läßt sich aber am wenigsten nachempfinden.

Rembrandts Bedeutung kann man nicht vollständig würdigen, wenn man ihn nicht auch als Kunstsammler und Kunstkenner ins Auge faßt. Um der Eigenart seiner Werke willen pflegte man ihn früher als einen Kunstbanausen oder Verächter fremder Kunst zu betrachten: mit größtem Unrecht! Rembrandt war wohl der subjektivste Künstler und doch ein Bewunderer jeder Art von Kunst; er ließ es indes nicht bei platonischer Liebe zu den Kunstwerken bewenden, sondern war zeitlebens ein leidenschaftlicher Sammler und nutzte, was er sah und besaß, für seine künstlerischen Zwecke aus. Als Sammler und Kenner nimmt er in Holland eine ähnliche Stellung ein, wie Rubens in den spanischen Niederlanden, oder wie in neuerer Zeit Sir Joshua Reynolds und Sir Thomas Lawrence in England. Die Künstler Amsterdams kamen zu ihm, um seine Schätze zu studieren und zu benutzen, und die Sammler und Händler, um sich von ihm Rat zu erholen. Das ausführliche Verzeichnis, das bei seiner Bankerotterklärung behufs der Versteigerung seiner Habe angefertigt wurde, gibt uns, wenn schon einzelne Hauptstücke in den Jahren unmittelbar vorher verkauft waren, den besten Anhalt auch für das Interesse des Künstlers nach dieser Richtung und für die Kenntnis des Materials, das er zu seinen Studien benutzte. Da sehen wir zu unserem Erstaunen, daß er zahlreiche Antiken, Büsten wie Statuen, besaß, wenn auch fast ausnahmslos nur in Abgüssen; wir sehen den Künstler im Besitze von Gemälden des Raffael, Palma Vecchio, Giacomo Bassano, ja von einer Kinderfigur des Michelangelo — oder doch wenigstens von Werken, die er diesen Meistern zuschrieb; die vollständigen Stecherwerke eines Mantegna und Marc Anton finden wir neben denen von A. Dürer, L. Cranach, Holbein, Israel van Meckenem, Lucas van Leyden, wie neben den Stichen nach P. Brueghel, Rubens, A. van Dyck, Jordaens und anderen, zum Teil in Probedrucken; dazu zahlreiche Bände mit Stichen und Holzschnitten nach Michelangelo, Tizian, Raffael, den Caracci, G. Reni, Ribera und anderen. Selbst Werke über Kunsttheorie, Architektur und über die Kostüme fremder Völker zählt das Verzeichnis auf. Unter den Gemälden seiner Landsleute fehlen auffallenderweise solche seiner Schüler. Mit Vorliebe hat er dagegen Werke der Landschafter gesammelt, namentlich von solchen, die seiner eigenen Empfindung nahe standen, wie Hercules Segers, Lievens, Porcellis. Ein besonderer Verehrer war er, gerade wie Rubens, von Adriaen Brouwer. Weiter nennt das Inventar allerlei orientalische und andere Gefäße, Waffen aller Art und zahlreiche naturhistorische Merkwürdigkeiten, die ihn durch ihre Form oder Farbe anzogen, sowie Abgüsse über der Natur. Wir sehen also, daß Rembrandt, ebenso ernst wie er die Natur studierte, auch über das weite Gebiet der Kunst sich gründlich zu orientieren suchte, obgleich er schon als junger Künstler mit vollem Bewußtsein den Besuch Italiens als gefährlich für seine Eigenart ablehnte. Der Nutzen, den er aus diesen Studien zog, war nicht nur ein indirekter — wenn wir seine Jugendwerke betrachten, können wir ermessen, wieviel diese Studien ihm genützt haben —, Rembrandt verschmähte es auch durchaus nicht, einem fremden Künstler gelegentlich einmal ein Motiv zu entlehnen. Sein berühmtes Selbstporträt von 1640 in der National Gallery zu London und die ähnliche Radierung aus dem Jahre zuvor sind ganz nach Tizians sogenanntem Ariost komponiert und beweisen zugleich die Bekanntschaft mit Raffaels Porträt des B. Castiglione, das etwa zu gleicher Zeit mit dem Gemälde Tizians in Amsterdam versteigert wurde; wir sehen, daß er Figuren aus Dürer, Mantegna, Correggio entlehnt, ja eine Komposition von Marten van Heemskerck benutzt, daß er Zeichnungen nach den verschiedensten Künstlern anfertigt, selbst nach indischen Miniaturen und italienischen Medaillen. Auch sonst läßt sich die Anlehnung an Werke dritter Künstler wiederholt in seinen Arbeiten feststellen. Aber freilich, um dies zu entdecken, bedarf es eines sehr aufmerksamen Studiums seiner Werke; denn die Art, wie er gelegentliche Entlehnungen sich zu eigen macht, läßt uns kaum auf den Gedanken kommen, daß solche Stücke nicht ausschließlich sein eigen sind.

Auch das Kostüm, das mit kluger Berechnung erfunden und angeordnet ist, bildet bei Rembrandt einen wesentlichen Faktor seiner Kunst »Das Haften an ebendenselben Gegenständen, an dem Schrank voll alten Hausrats und wunderbaren Lumpen hat Rembrandt zu dem Einzigen gemacht, der er ist«, so spricht sich schon der junge Goethe aus. In den biblischen und historischen Darstellungen ist es keineswegs so willkürlich und phantastisch, wie es uns heute auf den ersten Blick erscheint. Rembrandt suchte hier den Zeit- und Lokalcharakter mit möglichster Treue wiederzugeben und verwandte darauf größte Sorgfalt und fleißiges Studium. Christus und die Seinen kleidete er in die schlichten Rokeloren der Amsterdamer Juden, die Patriarchen dagegen dachte er sich in den Prachtgewändern der Orientalen seiner Zeit. Um möglichst wahr zu sein und zugleich ein möglichst malerisches Bild geben zu können, suchte er die Werke der klassischen Künstler aus seiner Zeit wie aus der Renaissance, ja selbst aus der Antike und dem Orient kennen zu lernen; vor allem aber machte er seine Studien an den lebenden Modellen des Orients, an den Türken, Armeniern, Persern, Südslaven, selbst Malayen, in deren Trachten er sich die Tradition aus den Zeiten der Erzväter erhalten dachte. Von orientalischen Prachtgewändern, Waffen, Schals, Schmuckstücken und so fort suchte er zusammenzubringen, was sich ihm in Amsterdam bot. Dazu erwarb er noch allerlei, was ihm zur Auskostümierung seiner Studien, der eigenen Porträts und der seiner Angehörigen und Freunde geeignet schien. Bei der Wiedergabe im Bild aber verfuhr er dann ebenso willkürlich nach Rücksichten des Geschmackes und der malerischen Empfindung, wie er bei seinen historischen Bildern archäologisch korrekt zu sein sich bestrebte. Die eisernen Halsberge, die wir auf den frühen Selbstbildnissen so oft sehen, der schöne Eisenschild mit der Gorgo, der prächtige vergoldete Renaissancehelm, den sein Bruder auf dem Berliner Bilde trägt, daneben die Perlketten, die Rubinspangen, die Armbänder und andere Schmuckstücke, die Saskia und später Hendrikje tragen, und die er immer in neuer Weise zu arrangieren weiß: alle diese Dinge und manche andere Merkwürdigkeiten füllten seine Kostümkammer und seine Wohnräume.

Wenn wir heute nach unserer Kenntnis des antiken Orients das Kostüm in Rembrandts Werken als gründlich verfehlt bezeichnen müssen, so tut das ihrem Werte so wenig Eintrag, wie etwa das englische Lokalkolorit den römischen Dramen Shakespeares. Goethes Worte über diese gelten auch für Rembrandts Bilder: »Menschen sind es, durchaus Menschen, und denen paßt wohl auch die römische Toga. Hat man sich einmal darauf eingerichtet, so findet man seine Anachronismen höchst lobenswürdig, und gerade daß er gegen das äußere Kostüm verstößt, das ist es, was seine Werke so lebendig macht.«

Man muß Rembrandt im Ganzen betrachten, nur dann ist er verständlich, erscheint er unübertroffen. Im Einzelnen zeigt er manche Härten und Schroffheiten, ja scheinbare Schwächen und Fehler, welche nur die Kehrseiten seiner Genialität sind. Nicht immer ist es ihm gelungen, seine durchaus neue Art, zu sehen, zum vollen künstlerischen Ausdruck zu bringen, nicht selten tut er den Dingen in seiner rücksichtslosen Eigenart Gewalt an, aber auch dann weckt schon sein Wollen hohes Interesse und bedeutet einen künstlerischen Wert. Rembrandt gehört zu den Gewaltigen, die mit ihrem eigenen Maße gemessen sein wollen; selbst was uns heute in seinen Werken als übertrieben, als gewaltsam oder karikiert erscheint, ist durch sein Streben, stets das Charakteristische und Große zu geben, innerlich bedingt und mag einer anderen Zeit wieder anders als uns und begreiflicher erscheinen. Ohne das Schwerverständliche, Rätselhafte ist seine Persönlichkeit nicht zu denken; der Reiz zu neuem Studium und der ewig wachsende Genuß seiner Werke liegt darin mit beschlossen.

Aus dem Buch: Rembrandt und seine Zeitgenossen : Charakterbilder der grossen Meister der holländischen und flämischen Malerschule im siebzehnten Jahrhundert. Bucherscheinung im Jahr 1906.

Rembrandt Kunstgalerien auf Kunstmuseum Hamburg

Siehe auch: Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 1, Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 2, Holländische Genremaler unter dem Einfluss von Rembrandt, Das Holländische Sittenbild, Rembrandt und seine Zeitgenossen – Frans Hals, Rembrandt und seine Zeitgenossen – JAN STEEN, Rembrandt und seine Zeitgenossen – GERARD TER BORCH, Rembrandt und seine Zeitgenossen – Die Landschaftsmalerei in Holland, Rembrandt und seine Zeitgenossen – HERCULES SEGERS, Rembrandt und seine Zeitgenossen – JAN VAN GOYEN UND SALOMON VAN RUYSDAEL, Rembrandt und seine Zeitgenossen – MEINDERT HOBBEMA, Rembrandt und seine Zeitgenossen – ARNOUD VAN DER NEER, Rembrandt und seine Zeitgenossen – AELBERT CUYP.

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