Quantcast
Channel: fresh-seed
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2002

Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 1

$
0
0
von Kunstmuseum-Hamburg.de

m Mittelpunkt der holländischen Kunst steht Rembrandt van Rijn, der Zeit nach wie nach der Bedeutung und dem Umfang seiner Produktion. Selbst wenn Rembrandt nicht der geniale Künstler gewesen wäre, den wir in ihm bewundern, müßten wir uns mit ihm wie kaum mit einem anderen holländischen Maler beschäftigen : so außerordentlich reich ist das Werk, das er hinterlassen hat. Von seinen Gemälden sind uns mehr als sechshundert erhalten; sein Radierwerk ist umfangreicher, als das irgend eines anderen alten Malerradierers, und von seiner erstaunlichen Fruchtbarkeit als Zeichner geben noch mehr als tausend Blätter seiner Hand Zeugnis, die nach dem Inventar seiner Versteigerung doch nur einen kleinen Teil seiner wirklichen Leistungen als Zeichner ausmachten. Kein Maler außer Rubens, der fast das gleiche Alter erreichte, kann sich mit Rembrandt an schöpferischer Kraft und Ergiebigkeit vergleichen, keiner übertrifft ihn im Reichtum an Darstellungsgebieten, keiner vor allem in der Eigenart seiner Kunst, in der Fülle und Tiefe der Gedanken wie in ihrer malerischen Wiedergabe.

Den Anwalt von Rembrandt braucht heute niemand mehr zu machen. Der Künstler steht unserer modernen Kunstanschauung näher als Raffael und Michelangelo, er wird ihnen gleich geachtet und von Sammlern gleich hoch bezahlt. Als Eugène Delacroix vor einigen sechzig Jahren in sein Tagebuch die Notiz eintrug: »vielleicht kommt man noch einmal dahinter, daß Rembrandt ein viel größerer Maler ist, als Raffael«, fügte er doch noch halb als Entschuldigung hinzu: »ich schreibe diese Gotteslästerung, über die allen Schulmännern die Haare zu Berge stehen würden, nieder, ohne endgültig Partei zu nehmen«. Heute ist Rembrandt so populär, daß sein Name gelegentlich schon mißbraucht wird, um modernen Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Koloffs Bemerkung: »Man darf nur das Wort Rembrandt aussprechen, so ist es gerade, als wenn man Kunst sagt, ja viel mehr«, beginnt sich zu bewahrheiten, da man jetzt schon unter seiner Flagge lange ästhetische Gespinste abzuwickeln liebt, die einer richtigen Würdigung des Künstlers nur hinderlich sein müssen.

Rembrandts Kunst ist eine so packende, so vielseitige, daß sie zu allen Zeiten ihre begeisterten Anhänger gehabt hat, mochte auch die Richtung der Kunst noch so abweichend, die Ästhetik ihm noch so entgegen sein. Selbst zur Zeit des tiefsten Verfalls der holländischen Malerei, unter der Herrschaft der Dosenmaler, eines Ridder van der Werff und Willem van Mieris, hatte Rembrandt unter seinen Landsleuten eifrige Freunde. Die Engländer haben, seitdem sie zu sammeln begannen, Rembrandts Gemälde und Radierungen in erster Linie gesucht, und in Paris gehörten seine Bilder selbst zur Zeit eines Boucher und Greuze zu den höchstbezahlten. Damals brachten die Kaiserin Katharina, der Kurfürst von Hessen und August der Starke ihre herrlichen Sammlungen Rembrandtscher Gemälde zusammen. Sir Joshua Reynolds war der wärmste Verehrer des Künstlers und besaß eine ganze Reihe trefflicher Bilder seiner Hand. , In Deutschland knüpfte gleichzeitig eine Gruppe von Künstlern, unter denen der Maler Dietrich und der Stecher Schmidt die bekanntesten sind, an seine Kunstauffassung an. Selbst während des Empire, zur Zeit eines David, hat die Achtung des Künstlers nicht aufgehört, und seither hat sie mehr und mehr zugenommen und ist heute eine allgemeine. Hatte man im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts den Feinmalereien Rembrandts aus seiner Jugend die größte Bewunderung entgegengebracht, so begeisterten die Romantiker sich an seinen dramatisch belebten Bildern aus der Mitte der dreißiger Jahre; die später in der modernen Malerei zur Herrschaft kommende Richtung des braunen Tons fand in Rembrandts Gemälden seiner mittleren Zeit ihr Vorbild, während die modernste Kunst die mehr skizzenhaften Werke seiner letzten Jahre am höchsten schätzt.

Durch Rembrandt ist die holländische Kunst erst zum reinen Ausdruck ihres Charakters gelangt. Er bildet den Höhenpunkt ihrer malerischen Entwickelung. In Deutschland liebt man es jetzt, Rembrandt als einen Deutschen in Anspruch zu nehmen; richtig ist nur, daß er der Sproß eines rein germanischen Stammes und seine Kunst eine echt germanische ist. Sie ist der mächtigste Ausdruck germanischer Kultur überhaupt, die unter ihren Künstlern keinen vollkommneren Vertreter kennt. Die Kunst hat bei den germanischen Völkern sich wiederholt zu einer Blüte entwickelt, die mit den höchsten Kunstphasen der Griechen und Italiener den Vergleich aushält. Während jedoch die Gotik in Frankreich auf romanischem Stamme emporwuchs und sich herrlich entfaltete und daher neben germanischen auch romanische Elemente enthält, während die Kunst eines Rubens zwar echt germanisch ist, aber erst durch die Berührung mit der italienischen Kunst zur Reife gebracht wurde, ist die Kunst Rembrandts wie die der Brüder van Eyck rein germanisch. Mit jenen älteren Epochen hat seine Auffassung manche Verwandtschaft. Die bestrickende Mystik des Mittelalters, das Hochstrebende und doch Insichabgeschlossene der gotischen Dome mit ihrem zauberhaften Helldunkel, die tief religiöse Stimmung dieser Kunst ist auch ihm eigentümlich; aber Rembrandt strebt nicht mehr nur nach oben, verliert sich nicht ins Unendliche, sucht die höchsten Ziele nicht außerhalb des Menschen, sondern er erkennt das Göttliche im Menschen selbst, findet Frieden und Beruhigung im eigenen Herzen. Es ist eine ganz eigene Mystik, die aus den Gemälden des großen Holländers wie aus seinen Skizzen mit Stift und Radiernadel zu uns spricht: kein überirdisches Rauschen wie in den mächtigen weihrauchdurchwehten Hallen gotischer Dome, kein fanatisches Streben nach Abtötung des Fleisches in Gedanken an ein schöneres Jenseits, sondern die stille Befriedigung in der Arbeit, im Leben für die Mitmenschen, die Mystik der Liebe, die in der Zuversicht auf die Vorsehung auch in der bescheidenen Hütte Einzug hält, selbst aus den häßlichsten Köpfen, aus den tief gefurchten Zügen des Alters beseligend zu uns spricht.

Rembrandt ist der Endpunkt einer Entwickelung, die mit den van Eycks einsetzt. Mit den großen Entdeckern der Natur für die Kunst, mit den Begründern der »Renaissance« diesseits der Alpen hat er den strengen Realismus, die unbestechliche Ehrlichkeit und Sicherheit in der Auffassung und Wiedergabe der Natur, die schlichte menschliche Empfindung, das Aufgehen in den Aufgaben, die er sich gestellt, und den koloristischen Sinn gemein. Aber statt der Schönheit der Lokalfarben und ihrem emailartigen Schmelz bei den van Eycks gibt er eine intensive Lichtwirkung, der die Farben oft bis zur völligen Negierung untergeordnet sind, statt der höchsten Vollendung in der gleichmäßigen Durchführung bewußte Freiheit und Verschiedenartigkeit einer bald rauhen, bald feinen, immer eigenartigen, raffinierten Technik, statt der Existenzmalerei Seelenmalerei; statt der einfachen Zuständlichkeit und nüchternen Sachlichkeit der van Eycks ist bei ihm alles Leben, alles Empfindung.

Rembrandt ist Holländer durch und durch, er kann nur in Holland gedacht und nur in Verbindung mit der holländischen Malerei ganz verstanden werden. Und doch ist er mehr, geht er weit über die holländische Kunst und Kultur hinaus: Rembrandt bedeutet einen Höhepunkt in der Entwickelung aller Kunst. In diesem Sinne hat man von ihm behaupten können, er würde die Malerei erfunden haben, wäre sie nicht schon erfunden gewesen. Denn während die holländische Malerei sich zersplittert und jeder Künstler nur in seinem beschränkten Fach etwas leistet, faßt Rembrandt die Kunst wieder als Ganzes auf, wagt sich an ihre höchsten Aufgaben, und die Lösung, die er dafür findet, ist eine neue, tiefsinnigere, als sie die Kunst vor und nach ihm gefunden hat. Das, was er zur Darstellung bringt, ist freilich gegenständlich nichts Neues. Seine biblischen Motive, seine mythologischen Darstellungen und Genreszenen finden wir auch bei seinen Vorgängern, insbesondere bei seinen Lehrern; auch diese geben, wie Rembrandt, ihre Motive in genrehafter Auffassung meist in kleinen Figuren und mit Vorliebe inmitten der Landschaft. Selbst die orientalischen Kostüme hat Rembrandt von ihnen entlehnt und nur in seiner Weise und zu seinen Zwecken weiter ausgebildet. Aber die Art, wie der Künstler alles dies zum Ausdruck bringt, ist eine höchst persönliche und eigene. Alle seine Landsleute, auch die besten, geben nur ein Stück des holländischen Lebens und holländischen Landes, das sie mit größter Treue und höchster Vollendung zu künstlerischer Darstellung bringen. Rembrandt allein geht darüber hinaus, hebt das spezifisch Holländische empor in eine ganz eigene Welt und versetzt uns in ein ungeahntes Wunderland. Wenn wir einen Ter Borch, Pieter de Hooch, Jacob van Ruisdael oder Paulus Potter bewundern, weil sie uns den kleinen Ausschnitt aus Land und Leuten von Holland mit unnachahmlicher Wahrheit und Feinheit und höchster künstlerischer Meisterschaft zu schildern wissen, so liegt Rembrandts Größe gerade darin, daß er sich davon frei macht, daß er seinen Darstellungen den allgemeinen menschlichen Charakter aufprägt und sie mit einem Schein umgibt, der sie wie aus einer höheren Welt erscheinen läßt Fromentin nennt ihn treffend den »großen Denker, der, ohne abseits zu leben, mit keinem unter seinen landsmännischen Künstlern in näherer Verbindung steht, der keinen von ihnen wiederholt und sie doch alle zusammenfaßt, der scheinbar sein Zeitalter, seine Heimat, seine Freunde und sich selbst malt und der doch im Grunde nur einen bis dahin unbekannten Winkel der menschlichen Seele gemalt hat«.

Rembrandt ist ein Realist wie alle Holländer der großen Zeit; ja, er geht in der Wirklichkeitsdarstellung noch weiter als seine Landsleute. Nicht nur in der Treue und im Verständnis, mit dem er das Leben ergreift und wiedergibt, auch in der Rücksichtslosigkeit, mit der er es selbst in seinen gewöhnlichen Formen und Äußerungen und nicht selten auch in seiner Widerwärtigkeit und Brutalität zum Ausdruck bringt. Unscheinbar und alltäglich sind fast alle seine Gestalten, und häufig begegnen wir solchen, die geradezu als häßlich bezeichnet werden müssen. Wie er sie in seiner Umgebung sah, verkümmert in den Formen, wie diese unter der schweren nordischen Tracht und unter den Müh-salen des Lebens sich entwickeln mußten, kleinlich und gewöhnlich in den Typen, mit einem Ausdruck, der von ihren Sorgen und Leiden erzählt, gerade so schildert er seine Leute. Für seine genreartigen Bilder wie für seine Darstellungen aus dem Leben Christi und der Geschichte der Patriarchen, ja selbst für seine mythologischen Kompositionen sucht er die Modelle in seiner nächsten Umgebung, unter den Seinen, unter seinen Bekannten, vor allem unter den armen Juden des Viertels, in dem er sein Haus hatte, und aus dem er nur selten herauskam. Mögen freilich seine heidnischen Götter und Göttinnen, wenn er sie ausnahmsweise einmal darstellt, in ihrer klassischen Schönheit und ihrem ursprünglichen Charakter dadurch stark beeinträchtigt werden, einen höchst eigenartigen Reiz weiß er auch ihnen zu verleihen durch das schwellende Leben der nackten Körper und den leuchtenden Ton ihrer sammetartigen Haut. Den großen Griff aber tat er dadurch, daß er die biblischen Geschichten in diese Alltagswelt hineinversetzte. Indem er die Darstellungen durch seine künstlerischen Mittel weit über die banale Wirklichkeit erhob, entsprach er zugleich der schlichten Form und dem tiefen Inhalt der Erzählungen. Rembrandt ist der erste, ja, er ist in gewissem Sinne der einzige gewesen, der die Bibel im Geiste der Bibel malerisch zum Ausdruck gebracht hat. Die Heilige Geschichte trägt er nach Hothos Ausdruck »nicht nur ins Bürgerliche und Häusliche, nein auch ins Bäuerische dreist hinein, um ihre Wunder durch seine Wunder erneut zu schildern«. Seine Darstellungen aus dem Neuen Testament sind keine pathetischen Schilderungen aus dem Leben Christi oder der Apostel wie bei Giotto; sie sind keine klassisch empfundenen Szenen, wie bei Masaccio oder Raffael, aber sie sind die laute Verkündigung der Religion der Liebe, des Evangeliums von der Gnade und Erlösung, die auch dem Niedrigsten und Unglücklichsten — und arm und elend sind seine meisten Gestalten — zu teil wird. Christus und seine Jünger, die aus den Ärmsten ihres Volkes hervorgegangen waren, wenden sich an das Volk, leben und wirken unter ihm und für dasselbe; wenn Rembrandt in seinen Bildern wieder auf das Volk zurückgreift, wenn er den Erlöser in Knechtesgestalt darstellt, der »weder Gestalt noch Schöne« hat, so handelt er nur im Sinne der Bibel. Die schlichte Wahrheit seiner Darstellung, die Ehrlichkeit und Tiefe seiner Empfindung reden eine ebenso deutliche und zugleich gewinnende Sprache wie die Worte des Evangeliums; der Geist der Liebe und Barmherzigkeit spricht aus allen seinen Schilderungen mit so überzeugender Lebendigkeit und so ergreifender Innigkeit, daß alle anderen malerischen Darstellungen biblischer Motive daneben verblassen und kalt erscheinen. Die italienische Kunst kennt das Evangelium nur durch die Vermittelung der Kirche, die holländische Malerei, dank Rembrandt, schöpft ihre Kenntnis unmittelbar aus der Bibel; jene stolziert in dem vornehmen antikisierenden Gewände der katholischen Kirche, diese in dem anspruchslosen Kleide des protestantischen Kleinbürgertums von Holland.

Rembrandt kannte seine Bibel auswendig; dies können wir fast im buchstäblichen Sinne behaupten, ob wir auch keinerlei schriftliches Zeugnis dafür haben. Schon die Mutter hatte ihm die Liebe zu dem heiligen Buche, zu ihrem Buche, eingeflößt; wenn er sie malt oder radiert, zeigt er sie mit Vorliebe gerade mit der Bibel im Schoß. In der kleinen Bibliothek, welche kurz erwähnt wird im Inventar seiner Versteigerung — so bejammernswert für den Künstler selbst, von höchstem Wert aber für sein Gedächtnis, denn dieses Verzeichnis redet eine beredte Sprache über den Künstler wie über den Menschen Rembrandt — wird neben »fünfzehn Büchern in verschiedenem Format« nur eine »alte Bibel« ausdrücklich namhaft gemacht. In seiner bildlichen Exegese des Alten wie des Neuen Testaments hält sich Rembrandt strenger an den Text als alle anderen Künstler; eine Menge feiner kleiner Züge sehen wir nur von ihm beobachtet, nur er sucht den Lokalcharakter, das Milieu regelmäßig zu passendem Ausdruck zu bringen. Seine Gemälde und Radierungen, vor allem aber seine Zeichnungen lehren uns zahlreiche Motive kennen, die nie ein anderer Künstler aus der Bibel herausgelesen hat; aus ihnen könnte man eine illustrierte Ausgabe der Bibel herstellen, die, wie an Treue und Tiefe der Empfindung, so auch an Reichhaltigkeit der Darstellungen die Bibelillustrationen aller anderen Künstler zusammen übertreffen würde.

Wie weit Rembrandt strenggläubig war, das ist eine Frage, die durch seine Bibelfestigkeit keineswegs von selbst beantwortet wird. Die heilige Schrift war ihm das Buch, mit dem er groß geworden war; ihre Erzählungen hatten seine Phantasie erfüllt, als er noch ein Kind war, sie hafteten fest in seinem Gemüt, er dachte und schuf nur mit ihr und aus ihr heraus. Gewiß in völlig naiver Weise, ohne sich große Skrupel zu machen, aber auch ohne sich für dogmatische Spitzfindigkeiten, die damals in Holland die meisten Kreise heftig bewegten, besonders zu interessieren oder gar daran teilzunehmen. Man hat Rembrandt zu einem Sektierer machen wollen, man hat auf Grund der Angabe eines seiner Biographen einen Mennoniten in ihm vermutet, weil er die Bildnisse mehrerer angesehener Mennoniten gemalt und radiert hat: doch hat der Künstler auch zahlreiche andere Geistliche Hollands porträtiert, mit denen er durch seine Gattin Saskia van Uylenborch, eine nahe Verwandte holländischer Theologen, in Beziehung gekommen war; und der Umstand, daß er seine Kinder in der Landeskirche taufen und daß er sie darin begraben ließ und selbst darin begraben ist, wie alle kirchlichen Urkunden, die wir über ihn besitzen, ergeben mit Wahrscheinlichkeit, daß er der Landeskirche angehörte. Es wäre sehr unberechtigt, Rembrandt als Verfechter dogmatischer Zänkereien hinzustellen, wenn diese auch seinerzeit nicht als solche erschienen, vielmehr damals einen Hauptinhalt des ganzen öffentlichen Lebens bildeten; ebenso falsch ist es aber auch, ihn für einen Freidenker oder gar für einen Atheisten zu halten, wie es die romantische Zeit tat, die in ihm den finstern Republikaner sehen wollte. Freilich wissen wir jetzt durch eine Reihe wenig erbaulicher Urkunden, daß Rembrandt infolge seines leidenschaftlichen Temperaments und einer starken Sinnlichkeit mit der Moral gelegentlich in öffentlichen Konflikt kam und auf Kirchlichkeit oder auch nur auf Dekorum und Ruf nicht zu viel hielt. Auch zeigen einzelne seiner Darstellungen, wie die herrliche Radierung des »Faust«, und weiter die Tatsache, daß er mit gelehrten Juden und Katholiken verkehrte, daß er sich durch Dogmen nicht unübersteigliche Schranken setzen ließ, sondern über die letzien Dinge, über Religion und Philosophie selbständig zu denken liebte. Für einen Zweifler oder Ungläubigen haben wir ihn deshalb doch nicht zu halten. Der Künstler hat sich seinen Verpflichtungen gegen die Kirche nie entzogen; auch sprechen seine Bilder eine zu einfache, treue Sprache, um eine solche Vermutung nur aufkommen zu lassen.

In seinen Schöpfungen ist Rembrandt ein Apostel des Christentums wie kein zweiter Künstler. Er hat den biblischen Darstellungen keineswegs den Reiz des Mystischen genommen, er verleiht ihnen durch eine seltsame Lichtführung einen überirdischen Schein, der recht eigentlich die Kraft und der Zauber seiner Kunst ist; aber er schildert in schlichtester und wahrster Weise, mit aller Kraft des Gemüts, mit der Tiefe des Herzens, und darum ergreift er uns so unmittelbar, läßt uns so tief mit empfinden. Er übertrug, nach Koloffs Ausspruch, »den Urtext der Heiligen Schrift in schlichte holländische Prosa, und die Wunder des Orients gestalteten sich in seiner Vorstellung wie in seiner Darstellung zu wirklichen Lokalbegebenheiten und wahren Geschichten«. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß sich die strenggläubigen Holländer als das wahre Volk Gottes betrachteten und als die unmittelbaren Nachfolger der Apostel und der ersten Christen fühlten, daß sie in altchristlichen Traditionen zu leben glaubten und daher die biblische Geschichte gewissermaßen als die Geschichte des eigenen Volkes ansahen. Die Darstellungen aus dem Leben Christi und der Patriarchen waren ihnen wirkliche Geschichtsbilder und erschienen ihnen nicht anders als Schilderungen des eigenen politischen Lebens, als Genreszenen der täglichen Umgebung, ln dem »Jahrhundert der Theologie« stand die Religion im Mittelpunkt des ganzen Lebens; Jesuitentum und Calvinismus, die äußersten Pole, in denen sie zur Erscheinung kam, und um die sich der geistige Kampf fast eines Jahrhunderts drehte, fanden ihre volle malerische Verherrlichung gleichzeitig in einem und demselben germanischen Volksstamm, der sich unter verschiedenen Einflüssen nach zwei entgegengesetzten Richtungen entwickelt hatte; so sind Rembrandts Schilderungen aus der heiligen Schrift der höchste Ausdruck des holländischen Calvinismus, wie die religiösen und Heiligen-Bilder des Rubens den Geist der Gegenreformation, des Jesuitentums, künstlerisch am glänzendsten verherrlichen. In ihm hat der Protestantismus seinen höchsten Triumph gefeiert, hat die religiöse Malerei überhaupt ihren letzten echten und zugleich ihren ergreifendsten Schilderer gefunden.

Nicht nur, was überirdisch ist, auch alle anderen Motive sah der Künstler mit seinem »doppelten Gesicht«, mit scharfem Wirklichkeitssinn, aber verklärt durch ein eigentümliches Licht. Bei den Porträts scheint freilich die schlichte Naturwahrheit das stilbildende Element des Lichtes zu verdrängen; fast die Hälfte sind ähnlich den Bildnissen der gleichzeitigen holländischen Porträtmaler: einfach aufgefaßt, in gleichmäßiger Tagesbeleuchtung gesehen, gesund und solide in der Ausführung, bestimmt in der Zeichnung, treffend und ungesucht in der Charakteristik. Aber aus den Selbstbildnissen, wie aus den Bildnissen seiner Anverwandten und Bekannten, die er niemals mit dieser strengen Einschränkung seiner eigenen künstlerischen Phantasie wiedergibt, sehen wir, daß der Künstler nur auf ausdrückliche Bestellung auf die ihm eigene Lichtbehandlung verzichtete und malte wie alle anderen; wo ihm freie Hand gelassen wurde, suchte er auch dafür seine Ausdrucksweise, in der niemand vor ihm oder nach ihm gesprochen hat. Er zeigt uns seine Leute, wie sie, durch einen hellen Lichtstrahl plötzlich beleuchtet, aus dem Dunkel heraustreten und vom Glanz des Lichtes umflossen sind. Nicht bloß die treffende Wiedergabe der natürlichen Erscheinung, vor allem die Seele der Menschen will er uns schildern, keine Falte ihres Herzens soll uns verborgen bleiben. Diese visionäre Auffassung ist auch seinen Landschaftsbildem eigentümlich; ja sie erzählen vielleicht am deutlichsten, wie grundverschieden Rem-brandt von allen anderen Künstlern war. Statt die Landschaft zu malen, wie er sie in seiner Heimat sah: flach, mit weitem Horizont und hohem Himmel, hell und in den Dunst der Meeresluft gehüllt, schafft er sich durch hohe Bergwände, dichte Baumgruppen und aufgetürmte Gewitterwolken oder durch die Dämmerstimmung der einbrechenden Nacht eine abgeschlossene düstere Szenerie, die ein heller Lichtschein oder die scheidende Sonne mit den letzten Strahlen phantastisch aufleuchten läßt. Die Elemente kommen zum Worte, die unwiderstehlichen Gewalten des kosmischen Lebens. Und doch ist es eine höchst persönliche Zwiesprache, die der Künstler mit der Natur hält; er belauscht ihre Stimmungen und setzt sie in engste Beziehung zu unseren menschlichen Empfindungen.

Rembrandts Kunst ist eine durchaus subjektive. In seinen Werken sind seine tiefsten Empfindungen, selbst seine Beziehungen und Erlebnisse niedergelegt; seine Gemälde und Radierungen geben uns daher ein Spiegelbild seines Lebens und Denkens.

Aus dem Buch: Rembrandt und seine Zeitgenossen : Charakterbilder der grossen Meister der holländischen und flämischen Malerschule im siebzehnten Jahrhundert. Bucherscheinung im Jahr 1906.

Rembrandt Kunstgalerien auf Kunstmuseum Hamburg

Siehe auch: Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 1, Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 2, Holländische Genremaler unter dem Einfluss von Rembrandt, Das Holländische Sittenbild, Rembrandt und seine Zeitgenossen – Frans Hals, Rembrandt und seine Zeitgenossen – JAN STEEN, Rembrandt und seine Zeitgenossen – GERARD TER BORCH, Rembrandt und seine Zeitgenossen – Die Landschaftsmalerei in Holland, Rembrandt und seine Zeitgenossen – HERCULES SEGERS, Rembrandt und seine Zeitgenossen – JAN VAN GOYEN UND SALOMON VAN RUYSDAEL, Rembrandt und seine Zeitgenossen – MEINDERT HOBBEMA, Rembrandt und seine Zeitgenossen – ARNOUD VAN DER NEER, Rembrandt und seine Zeitgenossen – AELBERT CUYP.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2002

Trending Articles