aus dem Kunstmuseum Hamburg
Das Mittelalter ist die Zeit des Feudalismus. Früher galt die germanische Gefolgschaft, galt germanische Treue als die Quelle des Lehnswesens.
Seitdem sich jedoch gezeigt hat, daß auch die Japaner einen vollständig ausgebildeten Feudalstaat besaßen, dessen Entwicklung sachlich wie zeitlich mit der des Frankenreiches übereinstimmt, ist diese Ansicht nicht mehr aufrechtzuhalten. Ich denke mir den Hergang vielmehr so: In den Weltreichen war die Gleichheit des einzelnen vor dem Gesetz ziemlich weit durchgeführt Berühmt ist der Erlaß Caracallas über das römische Bürgerrecht.
Ähnlich waren in China die Herzogsgewalten gebrochen und eine allgemeine Gleichheit der Untertanen hergestellt. In Rom wie in China eine große gleichförmige Masse, aus der ein einziger, der Kaiser, hervorragte. Gegenüber dieser weitgehenden Gleichheit in Rom und China erfreuten sich dagegen Persien und Indien einer ausgesprochenen Gliederung in Klassen. Ja, Iran kann geradezu als Vorbild des Mittelalters in den Feudalstaaten betrachtet werden, wie denn auch so vieles, was den farbigen Schimmer ritterlicher Romantik trägt, der Sport, die Reitkunst, Minnedienst, Parzival und andere Sagenstoffe auf Persien als Heimat deuten. Nun kamen die neuen Rassen vom Norden: Germanen, Slawen, Türken, Tibeter und Tungusen. Sie brachen in die Kulturzone ein und gründeten auf dem Boden der alten Reiche ihre neuen Staaten. Es gab hinfort Sieger und Besiegte, Herren und Knechte. Zwar hatte es schon früher Sklaven gegeben, doch das waren meist fluktuierende Elemente, keine bodenständigen. Der Grundsatz des Feudalstaates ist eben Beherrschung und Ausbeutung einer klassenmäßig abgestuften Bevölkerung durch wenige privilegierte Stände. Dazu kommt noch die geistliche Gewalt: Die byzantinischen und deutschen Kaiser waren vor allem Herrscher der Christenheit; ein mohammedanischer Fürst, ob er nun Araber oder Türke oder Perser war, strebte in erster Linie danach, Nachfolger des Propheten zu sein.
Das ganze Mittelalter teilt sich in zwei Epochen. In der ersten spielt der Staat fast gar keine Rolle, in der zweiten eine überwiegende, zuletzt fast ausschließliche. Anfänglich herrschte eben Faustrecht, später Ordnung und Verwaltung.
Ein herrlich farbenprächtig Bild war das Leben im Mittelalter. Hochragend der Kaiser; nur wenig unter ihm die Fürsten, die fest im Lande wurzelten und auf ihre Macht vertrauten; sodann eine zahlreiche, kampfgeübte Ritterschar, die niemand über sich anerkannte, als den Kaiser; ansehnliche Städte mit reichgekleideten Patriziern und tüchtig aufstrebenden Zünften; dazu die geplagten fronenden Bauern auf dem platten Lande, endlich, unabhängig von diesen allen, die Kirche. Bunt fluteten die Ereignisse, und wie der Sprühschaum, wie ein Regenbogen an einem Wasserfall, so leuchtend, aber auch so schwankend, war die Staatsverfassung des deutschen Mittelalters. Sie war nur so weit Wirklichkeit, als die Kraft des einzelnen, Fürsten wie Kaisers, ausreichte, die Theorie in Praxis umzusetzen.
Am wenigsten entwickelt war der Staatsbegriff bei den Russen. Noch immer ist es bezeichnend für Slawen, daß sie fremder Führer bedurften. So Böhmen, das der Franke Samo zur Macht führte, Bulgaren und Polen, deren Adelskaste kasisch war; so die Russen, die durch die Normannen bezwungen und zum Einheitsstaat gebracht wurden. Nach einem Jahrhundert zerfiel allerdings der russische Einheitsstaat in unabhängige Großfürstentümer. Die Einheit, die trotzdem fortbestand, war mehr kirchlicher als staatlicher Art. Nun kamen die Mongolen. Von ihnen lernten die Russen den Absolutismus.
Noch früher war jedoch im Westen eine Art Absolutismus im Werden. Das Königreich Sizilien unter staufischer Herrschaft ist das erste Beispiel eines nach neuzeitlichen Grundsätzen regierten Verwaltungsstaates, wie denn Friedrich II. der erste moderne Mensch im Abendland ist. Es dauerte indes ziemlich lange, bis das Beispiel des großen Staufers Nachahmung fand. Nur in China stoßen wir auf ähnliches. Der chinesische Premierminister Wang an-tschi versuchte 1060 gradezu, den Staatsozialismus einzuführen, und zwar in noch viel weitgehenderem Maße, als dies bei uns Graf Kanitz befürwortete. Der Versuch des ostasiatischen Kanitz ist zwar ebenfalls gescheitert; doch verdient der chinesische Premierminister schon deshalb Beachtung, weil er die allgemeine Wehrpflicht einführen wollte.
Erst nach Jahrhunderten wurden die Gedanken Friedrichs II. wieder aufgenommen. Am nächsten kam ihm die Verwaltung Karls V. und Philipps II. Die Umwandlung der Natural- in Geldwirtschaft bedeutete einen völligen Wandel im Staatsleben und infolgedessen auch im Staatsbegriff. Zuletzt war der Staat nicht mehr eine Vereinigung aller Freien, sondern lediglich eine große Rechen- und Versorgungsanstalt, und der König nur der erste Beamte. Diese Entwicklung führt zu dem preußischen Staate Friedrich Wilhelms I., und, in mannigfachen Verzweigungen und Ausläufern, bis zur Gegenwart.
Text aus dem Buch: Männer, Völker und Zeiten, eine Weltgeschichte in einem Bande, Verfasser: Wirth, Albrecht.
Siehe auch:
Männer, Völker und Zeiten – Anfänge
Der alte Orient und Griechenland
Arier und Chinesen
Juden und Phönizier
Feudalherrschaften in China, Indien, Vorderasien und Hellas
Homer
Assyrer und Perser
Religionsstifter und Philosophen
Perserkriege
Peloponnesischer Krieg
Anfänge Roms
Politischer Niedergang Athens
Alexander der Große
China und Rom
Punische Kriege
Der Staatsbegriff im Altertum
Kelten und Romanen
Hellenismus
Wuti und Cäsar
Römischer Imperialismus
Germanen
Christentum
Die Cäsaren und die späteren Han
Römische Spätzeit – Anfänge Japans
Völkerwanderung – Weltstellung des Christentums
Die Reiche der Völkerwanderung
Der Islam
Karl der Große
Anfänge der modernen Völker
Papsttum und Kaisertum – Aufstieg des Papstes
Die Kreuzzüge
Westöstliche Kulturvermittlung
Der Kampf der Weltreligionen