aus dem Kunstmuseum Hamburg
Seitdem die türkische Regierung unter erheblichen Geldopfern die maritimen Streitkräfte des Landes zu erweitern strebt, hat eine Sorge alle Flottenfreunde in der Türkei erfaßt. Man erkennt mit Schrecken, daß für die Verproviantierung der Kriegsschiffe und die Beförderung von Truppen im Kriegsfälle keine genügende Anzahl von Transportdampfern vorhanden ist. Um dem Mangel abzuhelfen, fordern die türkischen Zeitungen die Gründung einer einheimischen Dampfschiffahrtsgesellschaft mit staatlicher Beihilfe. Schon in Friedenszeiten sollen türkische Handelsdampfer in möglichst großer Zahl in Dienst gestellt werden, um im Kriegsfall als Transportdampfer verwendet werden zu können. Man rechnet mit dem Solidaritätsgefühl der „Ottomanen“ und erwartet, daß diese den türkischen Schiffen stets den Vorzug geben werden; ein gutes Geschäft sei daher den Schiffen sicher.
Wie naiv doch diese türkischen Heißsporne kalkulieren; als ob das Solidaritätsgefühl die Ottomanen davon abhalten wird, Schiffe anderer Nationalität zu benutzen, wenn sie besser eingerichtet sind und sicherer fahren, als die türkischen Dampfer. Auch aut diesem Gebiete lassen sich die Folgen jahrzehntealter Unterlassungssünden im Umdrehen nicht beseitigen. Die Schaffung einer Handelsflotte — vielleicht schwebt der Türkei das Beispiel Japans vor, das sich innerhalb weniger Jahrzehnte eine achtunggebietende Flotte von Handelsdampfern geschaffen hat — kostet viel Geld; das aber fehlt vorläufig den Türken, und vom Auslande her werden sie sich die hierfür benötigten Geldmittel schwerlich so bald beschaffen können. Daher erscheint die Besorgnis der türkischen Marine wegen des Fehlens ausreichender Transportschiffe wohl begründet, und es bleibt ein schwacher Punkt im Marineprogramm der Türkei, daß sich die im Entstehen begriffene neue Flotte im Kriegsfall nicht auf die erforderliche Anzahl von Hilfsschiffen stützen kann.
Durch Lieferung von Kriegsschiffen und Kanonen allein gewinnen wir vielleicht zeitweilig die Sympathie der Türken, um aber wirtschaftlich in der Türkei weitere Fortschritte zu machen, dazu bedarf es noch anderer Mittel. Und die liegen vor allem auf dem Gebiete der Bildung und Erziehung. Diese Gedanken lagen dem Vorgehen Frankreichs zugrunde, das bekanntlich schon seit Jahrzehnten der Ausbildung seiner Schulen und hohem Lehranstalten im Orient seine besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Als eine „Reminiszenz aus der Zeit, da Frankreich als einzige europäische Macht auf diesem so wichtigen Gebiete im Orient tätig war, konnten jene Auslassungen des französischen Ministers des Auswärtigen Pichon vom Mai 1909 betrachtet werden, die der französischen Nation wieder die Stelle der christlichen Vormacht im Orient zusprechen wollten. Gegen das Ansinnen, dies angebliche Recht Frankreichs auf die Vormachtstellung im Orient anzuerkennen, war der folgende Artikel gerichtet:
Frankreich — noch immer die „christliche Vormacht“ im Orient
D. 0. K. 1909. 21. Mai.
Text aus dem Buch: Bagdad und Teheran : politische Betrachtungen und Berichte, Verfasser: Wiedemann, Max.
Siehe auch:
Bagdad und Teheran : politische Betrachtungen und Berichte – Vorwort
Die Türkei, Deutschland und die Westmächte.
Deutschlands Verhältnis zur Türkei
Der Verkauf deutscher Kriegsschiffe an die Türkei