aus dem Kunstmuseum Hamburg
Die Verhandlungen in der französischen Deputiertenkammer über die Niedermetzelung der Armenier in Adana haben gewiß manchem deutschen Leser zu denken gegeben. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde von Berlin aus die Parole ausgegeben, daß es mit dem Protektorat Frankreichs über die Christen im Orient vorüber sei; namentlich für China wollte man diesen Satz nicht mehr gelten lassen und stellte dagegen mit Recht die Behauptung auf, daß das Deutsche Reich stark genug wäre, seine Angehörigen im Ausland überall — also auch im Orient — selbst zu schützen. Jetzt benutzt man in Paris die blutigen Vorgänge in der zilizischen Ebene dazu, um die Erinnerung an „das Protektorat Frankreichs im Orient“ wieder aufzufrischen, an das außerhalb Frankreichs doch kein Mensch mehr glaubt. In der Sitzung der Deputiertenkammer, am 17. Mai d. J., bemerkte der Minister des Auswärtigen, Pichon, daß Frankreich gewillt sei, auf Grund des guten Rechts und der Ueberlieferung, für sein Protektorat im Orient einzutreten. Mit Verlaub: das „Recht“ Frankreichs auf dies Protektorat ist äußerst fadenscheinig und der „Ueberlieferung“ können die andern Mächte die Tatsache entgegensetzen, daß sie im Laufe der Zeit genügend stark geworden sind, um in solchen Fragen, wie sie jetzt durch die Christen Verfolgungen in Adana herauf beschworen worden sind, auch ein Wort mitzureden. Schließlich kann es auch uns in Deutschland nicht gleichgültig sein, wenn sich Frankreich jetzt wiederum das Protektorat im Orient anmaßt, denn in diesem politischen Akte steckt auch ein Stück handelspolitischer Kalkulalation. Wer dem Türken die Ueberzeugung beizubringen weiß, daß er das Anrecht auf eine bevorzugte politische Stellung im Orient besitzt, der hat es nicht schwer, sich auch Vorteile in wirtschaftlicher Beziehung herauszuholen. Auch aus diesem Grunde sollten wir daher nicht stillschweigend über die in der Deputiertenkammer zu Paris gefallenen Aeußerungen hinweggehen, sondern offen Einspruch dagegen erheben, daß immer noch der Popanz des „französischen Protektorats über den Orient“ aus der politischen Rumpelkammer herausgeholt wird, auf Grund dessen sich jetzt Frankreich wieder in den Vordergrund zu drängen sucht. Nur als Gleichberechtigte stehen jetzt die europäischen Mächte der türkischen Regierung gegenüber; eine „Vormacht“ — noch dazu „auf Grund des guten Rechtes und der Ueberlieferung“ gibt es heute im Orient nicht mehr.
Wenn auch die Zeit vorüber ist, da der allerchristlichste König von Frankreich sich anmaßen konnte, den Schutz aller Christen im Orient zu übernehmen, so läßt sich doch nicht leugnen, daß auch heute noch das Ansehen Frankreichs in der Levante hoch in Ehren steht und daß die französische Sprache als Verkehrssprache der handeltreibenden Bevölkerung in Syrien und Nord-Mesopotamien immer ausgedehntere Verwendung findet. Seit der politischen Umwälzung in der Türkei hat Frankreich in seinem Bemühen nicht nachgelassen, den Türken die Elemente der Bildung und des Wissens zuzuführen. Hierüber gibt der folgende Artikel Aufschluß:
D. 0. K, 1909, 19. November.
Text aus dem Buch: Bagdad und Teheran : politische Betrachtungen und Berichte, Verfasser: Wiedemann, Max.
Siehe auch:
Bagdad und Teheran : politische Betrachtungen und Berichte – Vorwort
Die Türkei, Deutschland und die Westmächte.
Deutschlands Verhältnis zur Türkei
Der Verkauf deutscher Kriegsschiffe an die Türkei
Die Sorgen der türkischen Marine um ausreichende Transportschiffe