aus dem Kunstmuseum Hamburg
,,Non dobbiamo sfruttare ll palrimonio del passato.“
Mussolini.
Vielleicht in keinem Punkte ist unsere Auffassung über die Aufgaben der künftigen Architektur derjenigen der Moderne so entgegengesetzt, wie im Punkte der Tradition.
Während die Moderne, vertreten durch den französischen Architekten le Corbusier und einen Kreis deutscher Nachbeter, auf dem Standpunkt steht, Tradition sei ein archaistischer Begriff, und mit der modernen Bauweise stehe die Architektur an ihrem Anfänge, erklären wir die Tradition für eines unserer heiligsten Guter und für eine der wichtigsten Grundlagen, auf der sich eine neue, das Wort „Stil“ verdienende Architektur aufbaut. Für die Begriffsverwirrung, die im Lager der extremen Vertreter der jüngsten Baugestaltung herrscht, gibt es kaum ein schlagenderes Beispiel wie dies: auf der einen Seite reden sie vom Sieg des neuen Baustils und auf der anderen sorgen sie in jeder Weise für Abschaffung und Verächtlichmachung der Grundlagen, auf denen allein ein Stil erwachsen kann. So ist auch der Begriff Kultur längst durch den der Zivilisation ersetzt. Aber Zivilisation, ein Komplex gleichmäßig über die ganze Welt verbreiteter äußerlicher Merkmale, ist etwas, das mit dem Innenleben, mit dem Wesenhaften eines Volkes nichts zu tun hat. NurKultur hängt mit der Wesensart eines Volkes zusammen. Verläßt es freiwillig und leichtfertig den Boden dieser Kultur, dann geht es der nur ihm gemeinsamen Wesenszüge und damit der Kraft, einen seiner Wesensart adäquaten Stil zu schaffen, verlustig. Kultur ist Achtung vor der Vergangenheit, vor der Tradition.
„Nur darum —schreibt Ernst Robert Curtius in einem Aufsatze der ‚Literarischen Welt’— möchten wir die Tradition bei uns neu und höher gewertet sehen, weil sie eine unvergleichliche Intensivierung des Lebens ermöglicht. Der Lebensinhalt eines die Tradition leugnenden Menschen wird an Gehalt immer arm und dürftig sein. Die Gegenwart der Tradition im Einzel- und Gesamtleben bedeutet Steigerung, Reichtum, Vervielfachung der Möglichkeiten und der Weltaspekte. Richtig verstanden ist die Tradition also kein Museumsgegenstand, sondern ein Präzisionsinstrument zur Verstärkung der Wellen, die das Universum auf uns entsendet. Wer nur in der Aktualität lebt, empfängt von der Welt zu wenig.“
Es scheint das Schicksal ewiger Wahrheiten zu sein, nur in Vollnaturen lebendig zu werden, um mit ihnen auch wieder zu sterben. Schon einmal in dem hinter uns liegenden halben Jahrhundert verworrener Stilgeschichte hat ein Mann die Lage unseres Volkes richtig gesehen und vor dem Abgleiten in eine rein äußerliche Zivilisationsepoche gewarnt. Julius Langbehn, der Rembrandtdeutsche, hat wie kaum ein zweiter den Jungbrunnen unserer Kraft in der Hochhaltung der Stammeseigentümlichkeiten des deutschen Volkes gesehen. Er beklagt, daß das Gefühl hierfür vielfach abhanden gekommen und damit ein Stück Volksseele verloren gegangen sei, das wieder erobert werden müsse; denn nur in ihr kann er die wahre Grundlage für eine echte Kunst, für eine echte Kultur erblicken. Was die deutschen Baumeister nach 1870 gebaut, ist für ihn Afterkunst und Scheinkultur. Auch er sieht in der im Volkscharakter verankerten Tradition den Grundpfeiler einer echten Baukunst, die allein zum Stil führt:
„Gott hat die Sprache der Bauleute verwirrt . . . Werden die Deutschen wieder selbständig (d. h. aus ihrem und nur ihrem Erleben heraus) bauen lernen, so werden sie auch wieder einen Stil haben.“
Rund fünfzig Jahre hat es gedauert, bis diese unter dem Schutt internationaler Zivilisation begrabene ewige Wahrheit von einer Bewegung wieder ans Licht gehoben wurde, die in der Pflege der Tradition den Urquell eines Volkes ehrt und sich darin eins weiß mit den Besten der Nation. Daher ist es unerheblich, wenn die Modernen in dem Sinn für Tradition nur Verknöcherung und Verkalkung sehen wollen, wo sie Ehrfurcht sehen sollten vor dem, was uns eine gewiß nicht arme Vergangenheit hinterlassen hat. Es ist unerheblich, wenn sie gegen die Tradition als einen Komplex abgestorbener und ihres Inhaltes beraubter Ideale den „lebendigen Geist“ ausspielen. Zum „lebendigen Geist” gehört mehr, als die fanatische Anbetung einer Richtung, die dem Augenblick dient. Geist und vor allem solcher, der den Anspruch auf Lebendigkeit erhebt, weht durch Jahrhunderte. Es ist kein Zufall, daß die moderne Bauweise den Stempel des Primitiven trägt. Wer den Wert der Tradition nicht in einer Steigerung, nicht in einer Bereicherung des Lebens erblickt, kann gar nicht anders wie primitiv sein. Nur dertraditionsbewußte Mensch ist imstande, unserem Volke Führer zu sein durch das steinige und dornenvolle Ödland der Gegenwart. Führung, die nicht aus dem tiefen und klaren Born der Tradition schöpft, hat in einer die Erneuerung unseres Volkes erstrebenden Bewegung keinen Platz. „Tradition ist die gesiebte Vernunft des gesamten Volkes: sie tragt die Seele, den Grundwillen des Volkes, von einem Jahrhundert in das andere. Deshalb kann man sich für sie begeistern“, sagt die gewiß über allen Verdacht der Verkalkung oder der Einseitigkeit erhabene Schriftstellerin Ricarda Huch. Wenn sie statt „gesiebte Vernunft“ gesiebtes Wesen und statt „kann“ muß man sich begeistern gesagt hätte, wäre der Ausspruch in seiner lapidaren Einfachheit eines der schönsten Denkmäler deutschen Geistes.
Die Vertreter der modernen Bauweise machen es sich leicht. Indem sie die ganze Vergangenheit leugnen, sich sozusagen an den Anfang allen Geschehens setzen, versuchen sie das, was sie bauen, der Kritik zu entziehen. Sie dekretieren, sie schreiben vor, daß das, was sie schaffen, gut ist. Das Recht, Vergleiche mit der Baukunst früherer Jahrhunderte anzustellen, ersticken sie diktatorisch im Keime. Eines der gültigsten Lebensgesetze, das Gesetz der Entwicklung, setzen sie außer Kraft und glauben damit die Herren der Situation zu sein. Aber noch nie haben, wofür die Geschichte mehr als ein Beispiel aufzuweisen hat, die strengen Herren lange regiert. „Notverordnungen“ können sich nur in Zeiten der Ausnahmezustände für kurz oder lang halten. Dann wird eine stärkere Zeit rücksichtslos über sie hinweggehen. Diese stärkere Zeit ist im Anbruch. Wir stehen vor dem Ereignis einer neuen Götterdämmerung, in der das Schicksal der Götter die extremen Architekten der neuen Bauweise treffen wird.
Text aus dem Buch: Die Architektur im Dritten Reich, Verfasser: Straub, Karl Willy
Siehe auch:
Architektur im Dritten Reich – Geleitwort
Architektur im Dritten Reich – Haben wir den Neuen Baustil?
Architektur im Dritten Reich – Von der internationalen Bautechnik zum nationalen Baustil
Architektur im Dritten Reich – Sinn und Unsinn der Neuen Sachlichkeit
Architektur im Dritten Reich – Wieder Schmuckverlangen in der Architektur
aus dem Kunstmuseum Hamburg