Kennen Sie den Lärm eines Dampfhammers ? Oder sind Sie schon mal in einer Kesselschmiede gewesen?
So etwa müssen Sie sich meinen ersten Besuch auf unserm neuen Expeditionsschiff vorstellen. Ein ohrenbetäubender Krach, ein Prasseln, Knattern, Kreischen, Pfeifen — Hoppla! Der Hut rutscht über die ganze Vorderfront, daß man plötzlich im Dustern steht! „Ent-schuld’gen Se man!“ Das hört man wie aus größerer Ferne, und wenn man den Kopf wieder aus dem Hut rausgekriegt hat, ist der Mann mit dem 5 m langen Balken auf der Schulter schon weder achtern. Schadenfroh sieht man, daß der Mann mit dem Balken auch noch andre Leute anbufft. Da kriegt man schon wieder einen Klaps von irgendwoher. „Männeken, hier müssen Se Weggehen, det ist gefährlich, hier liegt ’ne Starkstromleitung.“ Mit einem Sprung ist man 3 Schritte seitwärts. Da steht man natürlich schon irgendwem anders im Wege. Und dann schüttelt man bloß noch den Kopf. Aus diesem Wust von Eisenplatten, Kabeln, Balken, diesem geradezu unvorstellbaren Tohuwabohu soll in 14 Tagen ein Schiff entstehen. Vorläufig sieht das Ganze noch wie ein Schuttabladeplatz für alte Schrauben und Müllschippen aus.
Wir sind alle mächtig neugierig, welcher Phönix aus der dreckigen Asche aufcrstchen wird. Das heißt, zwei wissen es schon ganz genau! Der eine ist der Chefingenieur der Werft, und der andere ist der Chefingenieur Uhlig vom Schiff selber. Die beiden haben die Umbaupläne ausgeheckt. Die sind ganz ruhig und finden den Müllhaufen völlig normal. Die beiden wissen also! Und dann ist noch jemand da, der glaubt zu wissen, das ist der Expeditionsleiter. Glaubt zu wissen, ist falsch gesagt, er hofft zu wissen, er betet inständig zu allen Göttern von Alteisen und zerschlagenen Nähmaschinen, daß die Pläne, die er genau kennt, die ja erst auf seine Vorschläge hin aufgestellt wurden, erstens wirklich durchführbar sind und zweitens nicht in zwei Jahren, sondern in zwei Wochen erfüllt werden. Auch er stolpert über alle Kabel, Drähte und alten Schrauben, aber er ist dankbar dafür. Gott sei Dank! Gott sei Dank! Je mehr Strippen hier hegen, desto mehr Leute arbeiten und desto schneller ist der Kahn fertig und desto früher können •wir abreisen und . . . Der Expeditionsleiter scheint seinen eigenen nicht unbedeutenden Schutzengel zu besitzen! Alle Alteisengötter sind offenbar von ihm bestochen und . . . tatsächlich haben sie erreicht, daß der gesamte Altschraubenmüll am vierzehnten Tage darauf restlos verschwunden ist.
Aber soweit sind wir heute noch nicht, wir flüchten vor all dem Schamott in den „Salon“, in dem erfreulicherweise nicht gerade genietet und geschweißt wird, und beulen die Dellen aus unsere eingeschlagenen Stiefelkappen “wieder aus. Dabei schimpft man ein bißchen, dann steht man auf und stellt sich gegenseitig vor: Kraul, Regula, Amelang, immer mit so ’ner kleinen Verbeugung und Ansatz zu einem leichten freundlichen Lächeln. Man kennt sich ja nicht, man ist sich so fremd wie in der Untergrundbahn. Was weiß man schon von den Herren X. oder Y. Was sagt dem Unerfahrenen der Name „Kraul“ ? Erst nach 8 Tagen weiß man, daß es eigentlich „Seine Walheit“ Kraul der Erste heißen müßte. Aber davon später.
Zunächst kommt jetzt der Expeditionsleiter, Kapitän Ritscher, heißt uns alle willkommen und entwickelt den Expeditionsplan zum ersten Male an Bord der „Schwabenland“, dem Schiff, das uns bis an den antarktischen Kontinent bringen soll.
An dieser ersten Besprechung nehmen die 6 Wissenschaftler, die Flugzeugführer und sämtliche Schiffsoffiziere und Ingenieure teil. Es ist gut, einmal in größerem Kreise den groß angelegten vollständigen Plan dieser mit modernsten Forschungsmitteln ausgerüsteten Expedition zu hören. Jeder von uns kennt eigentlich nur sein engeres Fachgebiet.
Ich gucke mir die einzelnen Gesichter an, und da ist auf jedem zu spüren, wie ein wenig Stolz und Freude aufsteigt, teilhaben zu dürfen an einem so großen Werk.
Kapitän Ritscher ist zu Ende, und da ist bei ihm selber auch dieser verräterische Glanz in den Augen, die Freude, Leiter einer Unternehmung zu sein, die, wenn nur ein bißchen Glück dabei sein wird, die neidischen Augen der ganzen Welt auf uns lenken muß. Vielleicht freut er sich auch über die vielen begeisterten Mitarbeiter, die anscheinend ohne -weiteres willens sind, ihrem Käpt’n zum Südpol, Nordpol oder noch einem dritten Pol zu folgen. Und dabei kann diesmal sogar bloß einer angegriffen werden.
Vierzehn Tage später soll die „Schwabenland“ ihre Probefahrt laufen. Die Deutsche Werft hat dazu 50 Prominente eingeladen. Alles Herren vom Ministerialrat aufwärts. Keine Frauen! Frauen gehören nicht zur Prominenz. Auch die Stewards wissen, was sich gehört. Jeder lumpige Doktor wird heute mindestens zum Professor oder Geheimrat ernannt. Trägt er eine Seemannsmütze, dann ist er Admiral.
Das Wetter ist nicht schlecht, aber schließlich auch nicht so überwältigend gut, daß es sich lohnen würde, im Liegestuhl auf Deck ein Nachmittagsschläfchen zu halten. Selbst wenn wir Liegestühle hätten. Aber vorsichtshalber sind gar keine vorhanden. Außerdem soll gearbeitet werden. Mit Dr. Todt, dem Sekretär der Expedition, mache ich einen schüchternen Versuch, die irgendwie auf dem Schiff verstauten hunderterlei Kisten und Kasten zu ordnen. Aussichtsloses Bemühen. Man kann den Kisten nicht anriechen, was drin steckt. Als wir nicht feststellen können, was uns gehört, wollen wir wenigstens das suchen, was uns nicht gehört. Auch das müssen wir aufgeben, nachdem wir drei Koffer, die unsern hochprominenten Gästen gehören, auf die schwarze Liste gesetzt haben. Todt ist schadenfroh; er bleibt nämlich in Hamburg. „Viel Glück zum Sortieren!“ sagt er. Dann gehen wir statt zu arbeiten lieber frühstücken, das ist viel bekömmlicher. Das andre, das wird sich schon von alleine festtreten.
Inzwischen finden alle möglichen Besprechungen statt. Deswegen sind die Herren aus den Ministerien vor allen Dingen hergekommen. Sie haben so eine Reihe wichtiger Sonderwünsche, meistens haben sie auch Geld gegeben und möchten nun gern sehen, wie es eigentlich verwandt worden ist. Und die Leiter der verschiedenen wissenschaftlichen Institute haben ihre Extrasonderwünsche. Andererseits wird auch kostenloser Nachhilfeunterricht erteilt. Da steht Dr. Regula, seines Handwerks Meteorologe, und pustet gegen das Schalenkreuz eines Windmessers, um einem Finanzgewaltigen einen 25-msec-Sturm vorzumachen. Und als der Finanzgewaltige auch mal pusten darf, wird er anerkennend belobt: „Na ja, es geht ja schon ganz schön!“
Es ist eine Expedition besonderer Art! Wer es bisher noch nicht gemerkt haben sollte, sieht es an der eingeladenen Prominenz und hört es in den allgemeinen und Sondersitzungen. Daneben spuken viele Gerüchte herum. Ein Aushilfssteward fragt mich: „Na, wollen Sie denn wirklich bis zum Südpol?“
„So? Erzählt man sich das?“
„Ja, wat die Frau Meiern is aus dem Grünkramladen vom Gänsemarkt, die meinte auch gestern zu mein’ Kollegen seiner Frau: Frau Hornpichel, sag ick Ihnen, Ihr Sohn, der auf der „Schwabenland“ is, der kommt bis an’n Südpol. Da will ick ’n Besen fressen! — Na sehn Sc? Wie sich det Volk det schonst erzählt?“
„–— Und, meine Herren, um zum Schluß zu kommen, ich
beglückwünsche Sie dazu, Teilnehmer der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39 zu sein, die nach 26 Jahren Pause wieder einmal versuchen will, in dem immer noch unbekanntesten Erdteile wertvolle wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Ich wünsche Ihnen und Ihrem bewährten Expeditionsleiter beste Gesundheit und Arbeitskraft. Kommen Sie gut heim und bringen Sie gute Ergebnisse mit. Heil Hitler!“
So etwa sind die Abschiedsworte von Ministerialdirektor Wohlthat, dem geistigen Vater der Expedition, nachdem er mit jedem einzelnen von uns alle wissenschaftlichen Sonderaufgaben durchgesprochen hat.
Nachher auf der Bahnfahrt von Cuxhaven nach Hamburg gibt er den Wissenschaftlern noch einmal Gelegenheit, sich aus seiner großen Erfahrung und Übersicht wertvolle Ratschläge zu holen.
Rattata, rattata, rattata . . .
Jeder von uns ist glücklich, dieses „Rattatata“ zu hören. Wären doch beinahe vorher alle prominenten Gäste mitsamt eines größeren Teils der Besatzung auf höchst unrühmliche Art — ertrunken und erstunken. Man lache nicht! Es war wirklich so! Dran schuld war ein Maschinist, der, ohne zu ahnen, was er anrichtete,plötzlich alle — aber auch alle! — Abwässer der „Schwabenland“ in dickem Strahl in das Motorboot rauschen ließ, das uns an den Kai bringen sollte. Die ausgestoßenen Verwünschungen erreichten den Maschinisten erst nach 17 Minuten. In der 19. Minute wären wir abgesoffen! Aber es war ein hübscher Zug von dem Mann, daß er einigen Herren Gelegenheit bot, die anwesenden hilfeflehenden Damen auf Händen zu tragen.
Also wieder Rattatata, Rattatata . . .
Hamburg Hauptbahnhof. Alles aussteigen!
……auf frohes Wiedersehen im April und nochmals alle Gute!
Ich stehe mutterseelenallein auf der Straße, den Kopf poch an-gefiillt vom Krach der Schiffsschraube, geographischen Problemen, Jägerlatein über Pinguine und Raubwale, guten Vorsätzen, tausenderlei Sachen, die ich nicht vergessen sollte, Grüße von Paulsen an Dr. Lehmann und von Kapitän Kraul an Tante Minchen, und … da stürze ich rasch zum nächsten Latemenpfahl und notiere kurz, was ich mir morgen noch alles besorgen muß: Streichhölzer, Bleistift, ein paar Kleiderbügel. . .
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