von Kunstmuseum-Hamburg.de
Hier gezeigte Abbildungen:
Unbekannter Florentiner Stecher – Bildnis einer Dame
Unbekannter Florentiner Stecher – Der Triumph der Zeit (Ausschnitt)
Unbekannter Florentiner Stecher – Der Prophet Samuel
Cristofano Robetta – Zwei Musen
Unbekannter venezianischer Stecher – Blatt aus der Folge der Tarocchi
Andrea Mantegna – Die Grablegung (Ausschnitt)
Nicoletto da Modena – Der heilige Antonius der Eremit
Benedetto Montagna – Der heilige Hieronymus (Ausschnitt)
Giulio Campagnola – Christus und die Samariterin
Jacopo de’ Barbari – Der heilige Hieronymus
Meister J. B. – mit dem Vogel – Satyrweibchen
INE alte Tradition leitet den Ursprung des italienischen Kupferstiches von der Niellotechnik her. Niellen wurden ausgeführt, indem man in die Linien der in eine Silberplatte eingegrabenen Zeichnung eine Mischung aus schwarz gebranntem Schwefelsilber einschmolz, so dass dann, nachdem die Platte geschliffen und poliert war, das Bild leuchtend schwarz von dem hellen Metallgrunde sich abhob. Unser Berichterstatter Giorgio Vasari weiss zu erzählen, dass die Versuche von solchen, zum Zwecke der Niellierung gravierten Platten Abdrücke in Schwefel und auf Papier zu gewinnen, den Florentiner Goldschmidt Maso Finiguerra um 1460 auf die Erfindung des bis dahin gänzlich unbekannten Kupferstiches gebracht habe. Wird nun auch diese Erzählung durch eine Reihe von Tatsachen, vor allem durch das Vorhandensein fast 20 Jahre älterer, datierbarer deutscher Kupferstiche in das Reich der Fabeln verwiesen, ist es auch, wie eingangs dargelegt, schon an sich widersinnig von einer „Erfindung“ des Kupferstiches durch einen Einzelnen zu reden, so liegt in der Tradition doch ein Kern von Wahrheit insofern als der Kupferstich sich in der Tat aus der Goldschmicdegravierung entwickelt hat. In Italien lässt die Technik der ältesten Kupferstiche diesen ihren Ursprung noch deutlich erkennen. Ja wir sind imstande, abgesehen von der Datierung durch die Kunstformen und Kostüme, die eine sichere Kontrolle gewähren, eine Gruppe von Kupferstichen gerade wegen dieser noch sehr engen Beziehung zur einfachen Metallflächen-Gravierung als die älteste nachzuweisen.
Der Stilcharakter dieser Blatter zeigt, dass die Anfänge des Kupferstiches auch in Italien in eine Jahrzehnte hinter dem Zeitpunkte der vermeintlichen Entdeckung Finiguerras zurückliegende Epoche hinaufreichen müssen.
Künstlerisch sind diese Kupferstiche meist nicht sehr anziehend. Die Formen sind merkwürdig plump und wulstig, vornehmlich die weichlich gerundeten Falten und die üppig gelockten Haare, die Umrisse stark ausladend und sehr unruhig gef ührt. Ein ähnliches Formensystem finden wir in florentinischen Cassonebildern und anderen ornamentalen Malereien aus dem zweiten Viertel des XV. Jahrhunderts. Dem entsprechen auch die überladenen Kostüme und die phantastischen, antikisierenden Rüstungen, die wir ähnlich, aber in ge-mässigteren Formen in Fra Angelicos Gemälden sehen können. Besonders charakteristisch ist die schwere, noch grösstenteils gotische Ornamentik. Nichts ist bezeichnender tür den handwerklichen Goldschmicdestil als die unverhältnismässig grossen ornamentalen Füllstücke an der Architektur, die Riesenkandelaber und Vasen mit unförmigen Blumen, mit denen die Stecher hier jeden freien Fleck auszuf üllen suchen. Bäume und einzelne am Boden und selbst in der Luft angebrachte Pflanzen werden sehr stark stilisiert, oft wie Zierteile behandelt. Die Darstellungen und die einzelnen Formen kommen vor der Masse der Linien und Ornamente überhaupt gar nicht zur Geltung. Es sind mehr mit Formen bedeckte Flächen als wirkliche Bilder. Der enge Zusammenhang mit der frühen, noch nicht durch die Renaissanceformen umgestalteten Goldschmiededekoration ist hier augenfällig. Er wird auch durch den Gharakter der Stichtechnik bewiesen. Die Umrisse sind breit und sehr seicht in das Metall eingerissen, so dass die Ränder noch ihre Rauheit bewahren und die Farbe einen matten, graulichen Ton erhält. Die kurzen, engen, meist geraden Schraffierungslinien sind ganz in der Alt, die wir auf gravierten Metallgcräten der Zeit noch beobachten können, wohl mit einem rundgespitzten Goldschmiedepunzen, nicht mit einem Grabstichel, eingeritzt.
Der grösste Teil der Kupferstiche dieser Gruppe ist erst seit kurzem bekannt oder als so frühen Ursprunges erkannt worden. Die Albertina in Wien besitzt eine Passionsfolge (B. XIII, p. 77, Nr. 16 25) und die Triumphe nach
Petrarca (B. XIII, p. 1 1 6, Nr. 12 —17), das Dresdener Kabinett eine Madonna mit Katharina und Theodoras (Pass. V, p. 14, Nr. 7), das British Museum eine grossartige, ganz in XIasaccios Geist komponierte Auferstehung Christi mit der Devise der Medici (Pass. V, p. 69, Nr. 66) und ein Martyrium des h. Petrus Martyr. Eine aussergewöhnlich feine, frühe Arbeit dieses Stils bewahrt das Berliner Kupferstichkabinett in dem vielbewunderten Profilbrustbild einer Dame (s. Abb.). Das Gesicht ist mit einer gefühlvollen Konturlinie sicher Umrissen und nur hauchartige Schatten sind um Mund und Auge eingraviert. Der reiche burgun-dische Kopfputz, der um 1440 — 50 in Italien Mode war, das Kleid und das Halsband zeigen aber wieder die schweren, zu grossen, stark füllenden Ornamente, die nur ein Goldschmied mit dieser Sorgfalt und solchem Interesse am Technischen ausgeführt haben kann. Gröber und vielleicht etwas später ist das Profilbildnis des „gran Turco“, eigentlich des griechischen Kaisers, in derselben Sammlung.
In einer Reihe anderer Stiche sehen wir die ornamentalen Uebertreibungen dieses Stils schon wesentlich gemässigt, die Formen aber ziemlich stark verhaut und verweichlicht, ohne die Detaildurchbildung der oben aufgeführten Blätter. Die Technik beginnt sich schon vom Zwange der Ornamentik zu befreien und das Bild mehr zur Geltung zu bringen. Das erkennt man besonders an einem Blatte mit sechs Szenen aus der Legende des h. Jacobus (Trivulziana), einer Darstellung der Sage vom Zauberer Virgil (Pass. V, p. 22, Nr. 42, Dresden), einer Himmelfahrt Mariae (Pass. V, p. 42, Nr. ppb, Paris) u. a. m. Besonders wichtig ist ein Kalenderblatt mit der Auferstehung Christi und den vier Evangelisten (British Museum), weil es der älteste genau zu datierende italienische Kupferstich ist. Aus dem Kalender lässt sich nämlich mit Sicherheit entnehmen, dass die Platte im Jahre 14dl angefertigt ist, wenn auch der erhaltene Abdruck vielleicht erst 1466 hergestellt wurde. Die Datierung, die wir aus den Kostümen und dem Kunstcharakter der Kupferstiche dieser Gruppe gewannen, wird also durch dieses Blatt, dessen Unterschrift durch Spracheigentümlichkeiten einen neuen Beweis für ihren florentinischen Ursprung bietet, bestätigt. Wir werden also die älteren oben erwähnten Stiche dieser Gruppe vor oder um die Mitte des XV. Jahrhunderts setzen dürfen.
Während dieser Stil, wie eine Anzahl von Kupferstichen einer ähnlichen, aber vergröberten und viel härteren Technik beweist, noch einige Zeit inUebung bleibt, tritt, wahrscheinlich in den sechsziger oder im Anfänge der siebziger Jahre der florentinische Kupferstich in eine neue Phase seiner Entwickelung. Das Interesse, das einige bedeutende Maler an der Technik zu nehmen beginnen, und ihre tätige Teilnahme an der Arbeit führen den Kupferstich aus der engen Sphäre der handwerklichen Goldschmiede auf ein freieres und weiteres Feld der Tätigkeit und lenken seine Entwickelung in neue Bahnen.
Viele bedeutende italienische Maler sind, wie bekannt, aus der Schule der Goldschmiede hervorgegangen und haben die Tätigkeit des Plastikers mit der des Malers verbunden. Einige der hervorragendsten dieser Maler-Goldschmiede wie Antonio Pollaiolo und Francesco Francia sind als besonders geschickte Niellatoren weithin berühmt gewesen. Antonio Pollaiolo (1429—98) können wir mit einer gewissen Sicherheit einige vorzüglich feine Nielien, von denen uns Abdrücke auf Papier erhalten sind, zuschreiben, besonders einen „Liebesbrunnen“ (Pavia, Dutuit 385), eine „Furtitudo“ (Dutuit 425), eine Allegorie (Parma), Herkules die Hydra erlegend (Dutuit 338). Von Maso Fini-guerra(i42
Wenn nun auch die Technik der Gravierung für das Niello ihrem Zwecke gemäss eine durchaus andere ist als die des Kupferstiches für den Bilddruck; wenn auch nicht der Kupferstich aus der Niellotechnik, sondern vielmehr das Niello-Abdrucksverfahren von dem Kupferstiche hergeleitet werden muss, so ist doch die Niellotechnik ihrerseits nicht ohne Einfluss auf die Ausbildung der ibd^ck” Kupferstichtechnik in Italien geblieben. Niellen wurden häufig in Kupferstich kopiert, um als Vorlagen zu dienen, und ebenso wurden neue Muster für Niellen häufig durch den Kupferstich vervielfältigt. Eine gewisse Annäherung an die jede einzelne Linie scharf und tief ausgrabende Technik der Niellogravierung kann an einzelnen florentinischen Kupferstichen, die sich jener älteren Gruppe anschliessen, beobachtet werden z. B. an einer Himmelfahrt Christi (Florenz, Uffizi), einem Tod Mariae (Pass. V, p. 1 5, Nr. 11), einer Kreuztragung und Kreuzigung (Pass. V, p. 68, Nr. 64.) und einer Geburt Christi (Pass. V, p. 67, Nr. 62). Vor allem aber war durch ihre Tätigkeit als Goldschmiede und Niellatoren jenen Maler-Goldschmieden die Kupferstichtechnik so vertraut geworden, dass sie ohne Schwierigkeiten selbständig eingreifen konnten, wenn sie den Bilddruck ihren künstlerischen Absichten nutzbar machen wollten.
Die Zeichnungen angesehener Künstler bildeten damals das hauptsächlichste Studienmaterial in den Künstlerwerkstätten; Entwürfe einzelner bedeutender Meister wurden, wie wir wissen, auch als Vorbilder zur Ausführung von Werken durch jüngere oder geringere Kräfte hoch geschätzt. Es lag deshalb sehr nahe, das man diese viel begehrten und kopierten Zeichnungen grosser Künstler durch den Kupferstich zu vervielfältigen wünschte, und dass jene Meister selber ihre Entwürfe in einer authentischen, gewissermassen monumentalen Form zu überliefern suchten. Es ist kein Zufall, dass gerade die Künstler, deren Zeichnungen, wie uns berichtet wird, als Studienmaterial und als Vorlagen am höchsten geschätzt waren, wie Pollaiolo, Botticelli und Mantegna, nicht nur sich bald von einer Schar von berufsmässigen Stechern umgeben sahen, sondern auch schliesslich selbst an die Ausführung von Kupferstichen Hand anlegten. Sie beginnen in der Kupferstichtechnik ein neues, bequemes Mittel zum ganz freien, durch keine Konvention oder Bedenklichkeit eines Bestellers beengten Ausdruck ihrer Ideen zu erkennen. Gerade hierin liegt die grosse Bedeutung des Bilddruckes besonders in Italien und für die Zukunft.
Der deutsche Kupferstich sucht den Stil der Zeichnung dem System der Technik, das er vor allem auszubilden bestrebt ist, anzupassen. In den italienischen Maler-Stichen bestimmt der Charakter der Vorzeichnung, der künstlerischen Skizze, die Technik und die Formenbildung des Kupferstiches. Dieser Vorgang wirkt künstlerisch belebend, aber technisch hemmend auf die Entwickelung des italienischen Kupferstiches, der deshalb technisch schnell hinter dem deutschen zurückbleibt und erst viel später wieder durch sein Vorbild sich weiter zu entwickeln vermag.
In Florenz ist es zuerst Antonio Pollaiolo, der die Kupferstichtechnik zur unmittelbaren und genauen Nachbildung von Zeichnungen heranzieht. Ihm selber kann mit Sicherheit allerdings nur ein einziges, grosses Blatt, das eine Anzahl wild kämpfender nackter Männer darstellt, zugeschrieben werden B. 2 ). Es trägt seine volle Namensbezeichnung: „Opus Antonii Pollaioli Florentini“ und lässt bis in alle Einzelheiten seine charakteristische Formenbehandlung erkennen. Die drei anderen Stiche, die unter Pollaiolos Namen gehen, scheinen nur von Schülern nach seinen Zeichnungen ausgeführt zu sein. Der Künstler sucht hier den Stil seiner Federzeichnungen mit ihren festen Umrissen und den in der gleichen Richtung schräg gegen den Umriss gezogenen, geraden Schraffierungslinien unmittelbar auf das Kupfer zu übertragen. In dem einzigen, bekannten frischen Abdrucke des Kampfes der Gladiatoren in der Sammlung des Fürsten Liechtenstein sind die schräg einander kreuzenden Linien der Schraffierung von ausserordentlicher Feinheit und Schärfe, die Massen bilden zarte, silbrige Töne, die infolge der seichten Stichelführung in den anderen bekannten, durchgängig späteren Abdrücken verloren gegangen sind.
Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass von dieser und von anderen, vielleicht verlorenen Arbeiten Pollaiolos die Technik, die sich der Wirkung der Federzeichnung nähert, und die wir in einer grossen Gruppe Florentiner Kupferstiche beobachten können, ausgegangen sei. Wir werden sie deshalb als die „pollaioleske“ bezeichnen dürfen. In vielen Darstellungen ist sein Stil, wenn auch in verblasster Form, deutlich kenntlich, andere nähern sich mehr der Art Filippo Lippis, der den Technikern der Gravierung vielfach Vorbilder geliefert zu haben scheint. Dann haben die Stecher auch Zeichnungen anderer Stilrichtungen, besonders auch Botticellis, in dieser bequemen Technik, die gestattete, mit verhältnismässig geringer Mühe grosse Flächen zu füllen, verwertet oder kopiert. Entlehnungen von Motiven aus bekannten Kunstwerken und häufige Wiederholungen der gleichen Typen und Gruppen kennzeichnen eine Serie grosser Blätter mit reichen Darstellungen biblischer Szenen, wie z. B. der Sindflut, Moses auf dem Berge Horeb, Davids Sieg über Goliath, Salomo und die Königin von Saba, die Anbetung der Könige, das jüngste Gericht (Pass. V, p. 6, 39 u. 71), die offenbar mehr praktische als künstlerische Zwecke verfolgten. Man wollte mit solchen grossen Blättern wohl einen billigen Ersatz für Altargemälde, Predellen, häusliche Andachtstafeln usw. liefern. Es sind uns einige dieser Stiche und Folgen erhalten, die leicht koloriert oder ganz übermalt, auf Leinwand oder Holz aufgezogen, tatsächlich diesen Zwecken gedient haben. Eine Reihe kleiner Stiche ist zum Bekleben von Schachteln und anderen Geräten, als Rahmen und dergleichen benutzt worden. Man sieht, wie sich in Italien der Bilddruck viel mehr als in Deutschland auch in seiner Verwendung der monumentalen Kunst nähert.
An Filippo Lippis Manier erinnert eine hübsche Folge von Darstellungen aus dem Leben Christi und die Triumphe nach Petrarca (Pass. V, p. 7 1 s. Abb.). Ganz botticellesken Charakters sind eine Madonna mit Michael und Helena (Pass. V, p. 108 Nr. 33), ein Abendmahl (Pass. V, p. qd Nr. 1 iq) und besonders eine aus zwei Platten zusammengesetzte, 82 zu 57 cm grosse Himmelfahrt Mariae Pass. V, p. 42 Nr. 100), die häufig für ein eigenhändiges Werk Botticellis angesehen wird. Der Meister ist aber an diesen Arbeiten, die allerdings auf Zeichnungen oder Gemälden von ihm beruhen, nicht als ausführender Stecher, ja überhaupt nicht unmittelbar beteiligt, sein starker Einfluss aut den Bilddruck macht sich vielmehr in einer anderen Gruppe von Stichen nicht bloss in der Zeichnung sondern auch in der eigenartigen Technik nach einer ganz anderen Richtung hin geltend.
Man hat schon seit längerer Zeit den gesamten Vorrat an Florentiner Kupferstichen des ausgehenden XV. Jahrhunderts nach ihrer Technik in zwei Gruppen einzuteilen sich gewöhnt, in die Stiche der breiten und in die der feinen Manier. Sieht man von der ältesten Gruppe und ihren Ausläufern und Verzweigungen ab, so kann diese Einteilung wohl als berechtigt beibehalten werden. Die Gruppe der breiten Manier in der Art der Federzeichnung ist die oben nach der Herkunft des Stils und der Technik als poilaioleske bezeichnete, während für die Stiche der feinen Manier Botticellis Stil und seine mehr malerische Behandlung der Form so sehr massgebend gewesen sein muss, dass wir diese Gruppe wohl auch die „botticelleskc“ nennen dürfen.
Botticellis enge Beziehungen zum Kupferstich sind durch Vasari bezeugt. Aus seinen Worten geht allerdings nicht hervor, dass der Künstler selber in Kupfer gestochen habe, wohl aber, dass er sich mit der Herausgabe von Kupferstichen, die der Stecher Baccio Baldini nach seinen Zeichnungen ausführte, angelegentlichst beschäftigt habe. Wir können jedenfalls eine ganze Anzahl der besten Florentiner Stiche auf diese Zusammenarbeit Botticellis mit Baldini oder anderen Technikern zurückfuhren und dem Maler einen wesentlichen Anteil an der Entwickelung der Technik beimessen.
War in der pollaioleskcn Gruppe die Federzeichnung das stilbestimmende Element, so sucht die eigenartige Technik der Stiche dieser Gruppe augenscheinlich die Wirkung der mehr malerischen, getuschten Feder- oder Silberstittzeich-nung, die das beliebte Ausdrucksmittel der Florentiner Maler und im besonderen Botticellis war, nachzuahmen. Die Schatten werden nicht durch Lagen gleich-mässiger Schraffierungslinien erzeugt, sondern es soll durch Massen ganz enger, unregelmässiger, oft einander kreuzender, feiner Strichelchen ein starker Farbenton, der abgestuft in das Licht übergeht, erzielt werden. Die überhaupt nicht starke Umrisslinie tritt dabei ganz zurück, und die Schatten wirken in guten Drucken tatsächlich wie ein Tuschton, Jas Ganze gewinnt ein malerisches Aussehen.
In einzelnen guten Arbeiten tritt der botticelleske Charakter der Zeichnung besonders stark und klar hervor, wie z. B. in dem temperamentvollen, aus zwei Platten zusammengesetzten Zuge des Bacchus mit Ariadne Pass. V, p. 44 Nr. 10p), in den drei Stichen des 1477 gedruckten „Monte Santo di Dio“ des Bettini, den frühesten datierten Werken dieses Stils, dann in den schon erwähnten 19 Kupferstichen im Dante von 1481, deren Kompositionen ziemlich schematisch aus Motiven von Botticellis grossen Zeichnungen zur göttlichen Komödie in Berlin und im Vatikan zusammengesetzt sind. Ferner in den beiden grossen Blättern mit der Bekehrung Pauli Pass. V, p. 14, Nr. 6 und Christus vor Pilatus Pass. V, p. 41, Nr. 98 und in einigen, wahrscheinlich für ornamentale Zwecke bestimmten Rundbildern mit biblischen und allegorischen Darstellungen aus der Sammlung Otto (B. XIII, p. 143, Nr. 1 24 s. Abb. S. 1 tG u. 196).
Bei vielen anderen Blättern dieser Gruppe ist Botticellis Stil weniger deutlich. Die Stecher sind hier selbständiger oder von anderen Vorbildern abhängig, wie z. B. in den sieben Planeten, in den Folgen der Propheten (s. Abb.) und Sibyllen, deren einige nach Stichen des Meisters E. S. kopiert sind. Der deutsche Stich scheint überhaupt um diese Zeit seine ersten Erfolge in Italien errangen und zahlreiche Vorbilder geliefert zu haben. Vasari berichtet uns, dass der Maler und Stecher Gherardo Miniatore (1445-—1497) Schongauersche Kupferstiche, die bekanntlich auch auf den jungen Michelangelo einen grossen Eindruck machten, mit Eiter kopiert habe. Leider können wir keine der verschiedenen italienischen Kopien nach Schongauer mit Sicherheit aut Gherardo zurückführen.
Während sich die Technik der pollaiolesken Gruppe nicht über das Ende des XV. Jahrhunderts hinaus verfolgen lässt, hat die botticelleske Manier noch im Anfänge des XVI. Jahrhunderts eine Weiterbildung erfahren, die allerdings nicht als Fortschritt bezeichnet werden kann. Ausser einer Anzahl von Kupferstichen, in denen diese Technik etwas vergröbert ist, wie dem ganz im Stile Filippino Lippis gezeichneten h. Hieronymus Pass. V, p. 108, Nr. 36 und der Madonna mit dem Evangelisten und einer Heiligen (Pass. V, p. 69, Nr. 67) gehören auch die Arbeiten zweier uns namentlich bekannter Stecher in diese Gruppe. Lucantonio de Uberti ist schon als Holzschneider erwähnt worden. Seine Kupferstiche sind sehr derb und grob, den eben erwähnten nicht unähnlich, zum Teil aber nach recht guten Zeichnungen gestochen. Die Herodias und eine Frau mit zwei Kindern u. a. sind nur mit seinem Monogramm aus L. A. F. F. bezeichnet, das grosse Blatt nach dem RafFael zugeschriebenen Fresko in S. Onofrio zu Florenz trägt seinen vollen Namen: Lucantonio (Pass. V, p. 6z und 194).
Ebenso unselbständig wie Lucantonio ist Cristofano Robetta (1462 bis 1522), dessen Namen wir aus Urkunden und aus Bezeichnungen auf seinen Stichen kennen. Mit ihm beginnt schon die Periode, in der der Kupferstich sich zur gewerbsmässigen Reproduktionstechnik entwickelt. Als Stecher ist Robetta aber wesentlich geschickter als Lucantonio. Er behandelt die Umrisse zarter und die Modellierung ganz in der Art der botticellesken Stiche oft fein und malerisch. Seine Zeichenkunst ist recht dürftig, sobald er sich in Einzelheiten von seiner Vorlage entfernen muss. Wohl alle seine, etwa 40 Kupferstiche sind freie Nachbildungen von italienischen Gemälden, wie z. B. Herkules mit Antaeus’ und Herkules mit der Hydra nach Pollaiolo (Uffizi), die Madonna dem h. Bernadinus erscheinend nach dem Bilde der Badia zu Florenz von Filippino Lippi, dem er sich überhaupt mit Vorliebe anschliesst (s. Abb.), oder nach Stichen Schongauers wie die Geburt Christi, der h. Paulus und der h. Laurentius. Seine landschaftlichen Hintergründe entlehnt er öfters Dürerschen Blättern.
Wir könnten statt dieser wenig erfreulichen Erscheinungen um so glänzendere an den Schluss dieser Betrachtung des Florentiner Kupferstiches im XV. Jahrhundert stellen, wenn wir einige Verrocchio und Leonarcfo zugeschriebene Blätter wirklich als eigenhändige Stiche dieser grossen Künstler ansehen dürften. Die dem ersten zugewiesenen Arbeiten sind aber norditalienisch, und Leonardos jedenfalls nur mittelbare Teilnahme am Kupferstich fällt erst in die Zeit seines Mailänder Aufenthaltes, gewinnt also nur für die dortige Stecherschule eine Bedeutung. So bleiben dem quattrocentistischen Kupferstich in Florenz als hervorragende, feste Punkte nur die beiden Meister Pollaiolo und Botticelli.
Wie im Holzschnitte bildet auch in der Tätigkeit für den Kupferstich neben Florenz Venedig die wichtigste Pflegestätte. Dialektische Eigentümlichkeiten der Inschriften und andere Umstände ermöglichen es uns, eine ansehnliche Reihe von Kupferstichen als Erzeugnisse einer venezianischen Stecherschule nachzuweisen, die wir aber nicht so weit zurückzuverfolgen imstande sind wie die florentinische. Dem Stil Antonio Vivarinis stehen nahe eine Madonna mit Heiligen und musizierenden Engeln (Venedig, Bibi. Marciana) und eine groses Darstellung der sieben Todsünden (Florenz, Uffizf , und der, vielleicht etwas später entstandene Liebesbrunnen des Museums zu Bassano, der auf burgundische Vorbilder zurückgeht und in der Landschatt deutsche Motive benutzt. Für die bedeutendste Serie von venezianischen Kupferstichen, die sogenannten Tarockkarten, hat erst neuerdings ein Manuskript von 1^68. in das einzelne Blätter, nachweislich während seiner Anfertigung, eingeklebt sind, den Zeitpunkt, vor dem sie entstanden sein müssen, bestimmt. Sie sind in Wirklichkeit nicht Spielkarten, sondern bilden eine Art von Lehrbilderbuch mit Darstellungen der Repräsentanten der Stände, der Künste, Wissenschaften, Tugenden und Himmelssphären. Sie müssen schon deshalb venezianischen Ursprunges sein, weil der „Herzog* venezianisch als „doxe“ bezeichnet ist und die Insignien des Dogen von Venedig trägt. Das bestätigen andere Dialekteigenheiten und der Stil der Zeichnung, der mit der Art Bartolomeo Vivarinis und Carlo Crivellis die stark ausgebogenen, etwas gezierten Bewegungen, die eigentümliche Bildung der dicken, runden Köpfe und der Hände mit starker Mittelhand und sehr-dünnen Fingern, die zierlich steifen Falten und überhaupt die ganze melodische Weichheit der Stimmung gemein hat.
Zwei Kupferstich-Serien sind uns von diesen offenbar sehr beliebten und für Kunstwerke aller Art häufig als Vorbilder benutzten Darstellungen erhalten. Die eine (Bartsch XIII, p. 131, Kopien, s. Abb.) ist vollkommen venezianisch, die andre (Bartsch XIII, p. 120, Originale) weicht im einzelnen stark von der ersten ab und steht ihr an Feinheit und Sorgtalt der Technik sehr nach, während ihre Zeichnung vielfach freier und lebendiger ist. LTeber das Verhältnis der beiden Serien zueinander und über ihr gemeinsames Vorbild hat sich noch nichts sicheres feststellen lassen. Entweder ist die besser gestochene Folge eine zum Teil freie und gegenseitige Nachbildung nach der minder fein ausgeführten, die aber die Originalzeichnungen treuer und verständnisvoller wiedergibt, oder beide Folgen sind nach derselben Vorlage, Zeichnungen oder Miniaturen, mehr oder weniger genau und sorgfältig kopiert worden.
Zeichnerisch und technisch schliessen sich an die sogenannten Tarocchi einige Kupferstiche an, die mit ihnen eine Gruppe bilden. Hierher gehören unter anderen zwei Darstellungen von sogenannten Liebesbrunnen (British Museum, Pass. V, p. 188, Nr. 99 und iooj und eine Puttenweinlese (Albertina, Pass. V, p. 48, Nr. 121). Besonders interessant ist der Tod des Orpheus (Pass. V, p. 47, Nr. 120), eine Komposition, die uns in Bildern, Majoliken, Holzschnitten und Zeichnungen öfters wieder begegnet. Venezianische Arbeit sind auch die schönen Landkarten in der 1478 in Rom gedruckten Ausgabe der Cosmographia des Ptolemaeus.
Die Technik dieser Stiche ist ausserordentlich sauber und sorgfältig und deutet auf eine lange Uebung im Kupferstich für den Bilddruck. Die Umrisse sind sehr fein und sicher geführt, die regelmässigen und klaren Schraffierungen werden von ziemlich langen, feinen und engen, häufig in zwei oder drei Lagen schräg sich kreuzenden, geraden Strichen gebildet. Nur in einzelnen Blättern sind die Umrisse gröber und die Schraffierungen lässiger. Wie die Zeichnung ist auch die Technik viel steifer als die florentinische, aber von viel grösserer, fast kalligraphischer Sorgfalt und von einer dort unbekannten Zartheit der Töne. Auch die Druckfarbe ist, gegenüber der dunkelgrünlichen oder schwarzen in Florenz, viel zarter, silbriggrau mit grünlichem Schimmer. Die Ornamente sind in den meisten Exemplaren der Tarocchi leicht mit Gold gehöht.
Eine Gruppe von Kupferstichen ganz ähnlicher Technik weist in den Formen der Zeichnung, in Bewegungen, Typen und Gewandbehandlung bestimmt auf Ferrara hin; sie bildet eine Abzweigung der venezianischen Entwickelungsreihe, wie wir sie ganz ähnlich im Holzschnitt beobachtet haben. Ein ganzes Kartenspiel dieses Stils befindet sich im Privatbesitz in Mailand und einzelne Karten in Wien, London usw. (Pass. V, p. 12 p). Die sehr lebhaft bewegten Gestalten aus der alten Mythologie und Geschichte sind recht geschickt in den Raum komponiert, Körperformen und Gewandung eigentümlich geschwollen und gewunden, aber auch so kraftvoll und so sorgfältig ausgearbeitet wie in den Bildern ferraresischer Meister, besonders der Richtung Cosme Turas. Mit diesen Karten müssen z. B. ein unbeschriebenes Martyrium des h. Sebastian in der Trivulziana, ein h. Johannes der Evangelist in Bologna, ein h. Antonius Eremita (Pass. V, p. 11 5, Nr. 80) u. a. m. zusammengestellt werden.
Diese handwerklich sorgsame, zierlich feine, venezianische Technik, die in provinzieller Beschränktheit und in bescheidener Anlehnung der Malerei dienend gefolgt war, wurde nun durch den Genius eines Grossen für kurze Zeit an eine führende Stellung in der gewaltig aufstrebenden Entwickelung der italienischen Kunst gehoben. Weit mächtiger als die Florentiner Meister greift Andrea Mantegna in die Entwickelung des Kupferstiches ein. Nicht nur seine Technik und sein künstlerischer Inhalt, sondern vor allem auch seine Stellung im gesamten Kunstbetriebe erfährt durch die Teilnahme des grossen Malers eine Umgestaltung. Der Kupferstich gewinnt durch ihn Monumentalität der Bildwirkung. Mantegna weiss auch im engen Rahmen der gestochenen Zeichnung die Vorstellung gewaltiger Grössen Verhältnisse zu erregen und der Darstellung volle Körperlichkeit zu verleihen. Das Werk des Bilddruckes stellt sich damit zum ersten Male den Schöpfungen der monumentalen Kunst gleichwertig an die Seite. Die Begeisterung für seine Grossheit der Konzeption, seine Kraft und Leidenschaftlichkeit des Ausdruckes weist Dürer sein Ziel, den deutschen Bilddruck über die miniaturhaft erzählende Schilderung des einzelnen zu einheitlicher Bildwirkung und inhaltlich konzentrierter Komposition zu erheben. Die schwungvolle Grösse der Naturanschauung Mantegnas und Dürers Gedankentiefe hat allein der Grösste der Grossen, Rembrandt, zu vereinigen und zu steigern vermocht. — In Mantegnas Tätigkeit liegt nicht allein der Glanzpunkt des italienischen Kupferstiches sondern überhaupt ein Wendepunkt in der Geschichte des Bilddruckes zu hohen, für seine Kräfte nur oft auch zu weit gesteckten Zielen.
Mantegna ist 1431 bei Vicenza geboren, in Padua und dann bis an seinen Tod 1506 in Mantua als Maler des Markgrafen tätig gewesen. Wie seine Florentiner Kunstgenossen hat er, wie es scheint, ursprünglich den Grabstichel nicht selber in die Hand genommen, sondern zur Reproduktion seiner hoch-geschätzten und als Studien und Vorbilder viel begehrten Zeichnungen berufsmässige Kupferstecher, deren es in den sechziger und siebziger Jahren des XV. Jahrhunderts in Oberitalien schon eine Anzahl gegeben haben muss, heranzuziehen gesucht. Seine Erfahrungen scheinen in persönlicher wie auch in künstlerischer Beziehung recht traurige gewesen zu sein. Das erste erfahren wir aus seinen Streitigkeiten mit zwei Kupferstechern, dem Mantuaner Zoan Andrea und dem Reggianer Simone Ardizoni um 1475, das letztere lehrt uns eine Reihe von Kupferstichen, die nach Zeichnungen aus seiner frühen Zeit ausgeführt sind. Diese Blätter, die fälschlich dem Meister selber zugeschrieben werden, sind augenscheinlich schwache, in der zeichnerischen Durchbildung wie in der Technik misslungene Versuche von Künstlern, die seinen Intentionen nicht zu folgen imstande waren. Es sind das die Geisselung Christi, die Kreuzabnahme, die Grablegung in Hochformat, Christus in der Vorhölle, die Madonna in der Grotte nach der Anbetung der Könige in den Uffizi u. a. m. Von mehreren dieser Blätter existieren gleichzeitige und etwa gleichwertige Wiederholungen. Die Stecher konnten weder, wie er es wohl verlangte, die Züge seiner Zeichenfeder unmittelbar auf die Kupferplatte übertragen, noch ihre eigene, gewohnte Technik auf so neue und grosszügige Formenbildungen, wie sie ihnen in Mantegnas Zeichnungen Vorlagen, anwenden.
Da seine Unterweisung nicht hinreichte, entschloss sich der Meister endlich selber Hand anzulegen. Er scheint das erst spät, wohl in den achtziger Jahren getan zu haben, denn alle seine eigenhändigen Arbeiten zeigen seinen Stil der späten Periode. Der früheste seiner eigenhändigen Stiche scheint die sitzende Madonna mit dem Kinde zu sein, die, ursprünglich eine freie Studie, erst später durch die Heiligenscheine in eine Madonna verwandelt wurde. Sie verrät in der Technik noch eine gewisse Unsicherheit und Härte; die Wirkung entspricht hier offenbar noch nicht ganz der Absicht. Von den vier grossen mythologischen Darstellungen, die, wie Dürers Nachzeichnung nach der einen beweist, jedenfalls vor 1494 ausgeführt sind, steht das Bacchanal mit dem Silen den drei anderen technisch sehr nach; die beiden Blätter mit den Kämpfen der Tritonen und Seekentauren und vor allem das Bacchanal bei der Kufe zeigen seine vollkommene Meisterschaft in der Beherrschung der Technik. Wohl die letzten seiner eigenhändigen Werke des Stiches sind die leidenschaftlich dramatische Grablegung in der Breite s. Abb.’ und die ganz statuarisch konzipierte Gruppe des Auferstandenen zwischen Andreas und Longinus.
Hier erreicht seine Technik eine Vollendung in der Durchmodellierung der Formen, eine Weichheit in der Verschmelzung der einzelnen, dünnen Schraffierungslinien zu feinen Tönen, eine Zartheit der Uebergänge vom Umriss zum Schatten und vom Schatten zum Licht, von der allerdings nur die äusserst seltenen, ganz frühen Abdrücke eine Vorstellung geben können, die aber dann die meisten späteren Leistungen des Grabstichels in den Schatten stellen. Hier geht die Wirkung über die Absicht, Studienblätter zu vervielfältigen, weit hinaus zur Schöpfung von in sich abgerundeten, bis in alle Details malerisch fein ausgeführten Helldunkelgemälden.
Mantegnas Technik ist der Pollaiolos im System nahe verwandt, in ihrer künstlerischen Verwendung ist sie durchaus ein Novum. Die Linien verlieren die Schärfe und Starrheit der schematischen Schraffierungsstriche Pollaiolos, sie werden beweglich ohne die gleichmässige, diagonale Richtung aufzugeben, und gewinnen fast den Charakter von zarten Kreidestrichen, die sich zu einem Gesamtton verbinden.
Die Stechweise, die Mantegna ausbildet, bleibt das freilich nie erreichte Vorbild fast für die gesamte Kupferstichproduktion in Oberitalien bis zu Marcantonio Raimondi, bis der Einfluss der deutschen, im besonderen der Dürer-schen Technik der Entwickelung eine neue Richtung gibt. In erster Linie waren es allerdings wohl der gewaltige Reichtum seiner Erfindung und seine imponierende Gestaltungskraft, die eine grosse Anzahl von Stechern an ihn fesselten; natürlich geht aber mit der Nachahmung seiner Formengebilde die Nachahmung seiner Technik Hand in Hand. Auch die Stecher, die zu unbehilflich und zu wenig feinfühlig gewesen waren, nach seinen Anweisungen ihre Technik seinem Zeichnungsstil anzupassen, konnten nun aus den Vorbildern, die er in seinen Stichen lieferte, eine ihnen gemässe Methode der Strichbildung abstrahieren. Wir sehen das an den späteren Arbeiten jenes Zoan Andrea, in dem wir den Stecher einiger der früher fälschlich Mantegna selber zugeschriebenen Blätter vermuten durften. Die mit den Buchstaben „ZA“ bezeichneten Stiche, die wir mit aller Wahrscheinlichkeit Zoan Andrea zuweisen können, sind, soweit wir wissen, nach Zeichnungen italienischer Meister gestochen, zum Teil aber auch nach deutschen Stichen, besonders von Dürer, direkt kopiert. Mit dem oben erwähnten Holzschneider Zoan Andrea Vavassore kann der Mantuaner Kupferstecher nicht identisch sein, da jener bis tief in das XVI. Jahrhundert in Venedig tätig ist, während unser offenbar viel älterer Künstler bald von Mantua nach Mailand gezogen sein muss, um hier in Zeichnungen Leonardos und seiner Schüler neue Vorbilder für seinen Grabstichel zu suchen.
Einige andere, unbekannte Stecher müssen in noch viel engeren Beziehungen zu Mantegna gestanden haben als solche Techniker wie Ardizoni und Zoan Andrea. Eine Anzahl von Kupferstichen, die wir nicht als eigenhändige Arbeiten des Meisters ansehen können, scheinen jedenfalls in seiner Werkstatt und unter seinen Augen entstanden zu sein. Seine persönliche Beihilfe möchte man in einem der Kupferstiche, die seine Entwürfe zu dem Triumph Cäsars (in Hampton-Court) wiedergeben, dem Blatte mit den Opfertieren und Elefanten (B. 12), vermuten. Geringer sind die anderen gestochenen Teile des Zuges, die Trophäenträger (B. 13 u. 14) und die sogenannten Senatoren (B. 11), von denen verschiedene Wiederholungen erhalten sind, und Herkules und An-taeus (B. 16). Die übrigen Mantegna zugeschriebenen Blätter, wie der Schmerzensmann (B. 7), Sebastian (B. 10), Herkules im Kampfe mit einer Schlange (B. 15), die beiden Bettler (Pass. 24), stehen technisch seinem persönlichen Stile ferne oder sind nicht einmal nach seinen Zeichnungen ausgeführt, wie die Leonardesken Köpfe (B. 21—23).
Giovanni Antonio da Brescia, den wir nur aus den Bezeichnungen auf seinen zahlreichen Stichen kennen, muss sich ursprünglich ebenfalls eng an Mantegna angeschlossen haben, dessen Zeichnungen und Stiche er eifrig kopiert hat. Er bildet Mantegnas Stechweise in ganz ähnlicher Weise wie Zoan Andrea zu einem regelmässigen, starren Liniensystem um. Die Technik sinkt damit wieder in den Schematismus zurück, aus dem sie Mantegnas Genie emporgehoben hatte. Giovanni Antonio hat, wie Zoan Andrea, zahlreiche Kupferstiche von Dürer kopiert, ohne in den Geist oder in die Technik des Deutschen tiefer einzudringen. Im Beginne des XVI. Jahrhunderts scheint er sich in Rom, wohin der Strom Künstler und Handwerker zu ziehen begann, in den Kreis der Stecher um Raffael gemischt zu haben. Er kopiert Stiche Marcantons, dessen Technik er nachzuahmen sucht, sticht Zeichnungen Raffaels und reproduziert mit besonderem Eifer neu entdeckte antike Statuen.
Ein Nachahmer Mantegnas ist in seinen Anfängen auch Nicoletto Rosex da Modena, der ebenfalls bis in den Anfang des XVI. Jahrhunderts tätig gewesen ist. In seinen frühen, meist unbezeichneten Stichen schattiert er noch ganz in der Art Mantegnas ohne Kreuzschraffierungen mit gleichmässigen diagonalen Strichlagen. Auch in Fornjen und Motiven ist die Anlehnung an Man-tegna sehr stark. Er kopiert aber auch Stiche von Schongauer, frühe Blätter von Dürer, später auch nach dem Meister J. B. mit dem Vogel und selbst nach Marcanton. Nicoletto zeigt eine besondere Vorliebe für die Antike, die in seinem über 120 Blätter umfassenden Werke einen breiten Raum einnimmt; unter anderem hat er die Marcaurelstatue und den 1495 gefundenen Apollo von Belvedere, schon restauriert, nachgebildet. Seine felsigen Landschaften mit reicher Staffage von antiken Gebäuden und Figuren aller Art behandelt er mit grosser Liebe und eingehender Sorgfalt. Nicoletto ist kein selbständig erfindender Künstler, aber ein feiner und sehr geschmackvoller Zeichner, der den Gesichtern und Bewegungen seiner Gestalten eine grosse Anmut zu verleihen und sie geschickt in die Landschaft hinein zu komponieren weiss (s. Abb.). An den charakteristischen Typen und an der Landschaft sind seine Arbeiten leicht zu erkennen. In seinen späteren Stichen beginnt er mit gerundeten und sich kreuzenden Taillen zu modellieren und nähert sich schliesslich sogar der Art Marcantons.
Wie die Maler gehen auch die Kupferstecher Oberitaliens vielfach vom Studium Mantegnas zur Nachahmung der Venezianer Meister, besonders Giovanni Bellinis über. Diese Hinneigung nach Venedig macht sich schon stärker bemerkbar bei Benedetto Montagna ausVicenza(geb. um i47o,gest. nach 153 5). Als Maler und Zeichner folgt er dem Stile seines bedeutenderen Vaters und Lehrers Bartolomeo Montagna. In seinen früheren Werken behandelt er die geraden, langen Schraffierungen sehr scharf und energisch, aber nicht ohne eine gewisse Steifheit und Nüchternheit, z. B. in dem Opfer Abrahams (B. 1) und in der Madonna (B. 7, 1). Später, wie er sich rein venezianischen Vorbildern mehr nähert, z. B. in dem ganz in der Art Basaitis gezeichneten Hieronymus (B. 14 s. Abb.) und zahlreichen mythologischen Darstellungen, wird seine Modellierung weicher und effektvoller, die Schatten werden oft durch Punkte zart in das Licht übergeleitet, die Landschaft wird, mehrfach mit Verwendung von Dürer-schen Motiven, in venezianischer Art ausgestattet und abgestuft. Auch Montagna hat wie seine oberitalienischen Genossen Stiche von Dürer kopiert.
Ganz Venezianer ist Girolamo Mocetto (tätig um 1490—1531), von essen Geschick als Maler eine Reihe von Gemälden kein sehr glänzendes Zeugnis ablegt. Auch in seinen Stichen ist er als Zeichner schwach und unselbständig. Für einige seiner meist umfangreichen Blätter, wie für die Judith und für Johannes den Täufer benutzt er augenscheinlich Zeichnungen von Mantegna, in den meisten seiner Stiche schliesst er sich ganz an Giovanni Bellini an, dessen Taufe Christi in S. Corona zu Vicenza er in einem seiner grössten Kupferstiche frei nachgebildet hat. Glücklicher als in der Bildung der Formen und der Gewänder ist er in seinen Typen, denen er oft eine ganz bellineske, melancholische Anmut verleiht. Seine Technik besteht in einer Umbildung der mantegnesken Schraffierung zu kräftigeren und farbigeren, aber auch gröberen Effekten durch Massen von ziemlich dicken und rauh geränderten, gekreuzten Strichen.
Eine technische Eigenart hat von den Stechern dieser venezianischen Gruppe nur Giulio Campagnola (geb. in Padua 1482) auszubilden gewusst. Als Wunderkind in den Wissenschaften und Künsten ist er früh berühmt geworden. Allerdings scheint sein Talent mehr in der Nachahmung bestanden zu haben, da immer nur seine täuschenden Kopien nach Bellini und Mantegna gelobt werden. Sein Vorbild ist ausser Mantegna, nach dessen Zeichnung er den Johannes den Täufer (B. 3) stach, und Dürer vor allem Giorgione gewesen. Mehrere seiner Darstellungen, besonders Christus und die Samariterin (B. 2 s. Abb.) mit der poetischen Insellandschaft, der junge Hirte (B. ö), der Astrolog von 150p (B. 8) u. a. m. zeigen in den vollen, weichen Formen, dem träumerischen Ausdruck der Gesichter, in der Stimmung der Töne und der Landschaft mit der Kunstweise des grossen Malers die engste Verwandtschaft. Seine Technik hat Campagnola dem Charakter seiner Vorlagen in sehr geschickter Weise anzuschmiegen gewusst, indem er die sehr regelmässig gezogenen, runden Tailen durch Massen feiner Punkte untereinander und mit dem Lichte verbindet und so ganz tiefe Schatten und sehr zarte Uebergänge erzielt. In manchen Stichen wie dem h. Johannes (B. 3) und der liegenden Frau (P. 11) sucht er die Schatten ausschliesslich durch Punkte wiederzugeben. Die stärkeren, malerischen Effekte hat er aber nur durch die Verbindung von Punkten mit Linien hervorgebracht.
Diese Manier, die wir mit Wahrscheinlichkeit auf Giulio Campagnola zurückführen dürfen, hat Beifall und Nachahmung gefunden. Wir haben schon bei Benedetto Montagna ähnliche, allerdings schüchterne Versuche beobachtet; wir sehen auch Maler, wie den Vicentiner Marcello Fogolino und den Cre-moneser Altobello Meloni in ihren gelegentlichen, interessanten Grabstichelarbeiten die Technik Campagnolas bevorzugen. Eine ganz eigentümliche Erscheinung ist der anonyme Stecher, der nach dem Datum auf einem seiner Blätter der Meister von 1515 genannt wird. Alle seine Stiche, für die der tief dunkel schraffierte Hintergrund und die merkwürdige Modellierung der stark ausladenden Muskeln charakteristisch sind, stellen antike Gegenstände oder Ornamente dar. Seine Technik ähnelt der der Schüler Mantegnas, besonders der Zoan Andreas, ist aber viel kühner und kontrastreicher.
Mehr als alle anderen Stecher der venezianischen Gruppe ist Jacopo de’ Barbari, der schon oben als Zeichner für den Holzschnitt genannt worden ist, von der deutschen Stichtechnik beeinflusst worden. Man hat ihn sogar zu einem Deutschen machen wollen, obwohl seine künstlerische Herkunft von Bar-tolomeo Vivarini in seinen Bildern und in seinen etwa 30 Kupferstichen ganz klar zutage tritt. Seine Beziehungen zu Dürer, dem seine Kenntnisse der Antike, der Perspektive und der Proportionslehre Eindruck gemacht hatten, lassen Barbari für uns ein viel grösseres Interesse gewinnen als er seiner künstlerischen Bedeutung nach beanspruchen dürfte. Er hat jedenfalls bei seinem Aufenthalte in Deutschland 1500 — 1505 und dann in den Niederlanden, wo er Hofmaler der Regentin Margarete war, grossen Einfluss auf nordische Künstler ausgeübt.
In der technischen Ausführung seiner frühesten, ziemlich dürftig gezeichneten Stiche, die augenscheinlich noch in Venedig entstanden sind, wie „Sieg und Friede“ (B. 1 8) oder dem Priap-opfer (B. ip), geht Barbari nicht von Mantegna, sondern wie es scheint, von der Nachahmung deutscher, Schon-gauerscher Stechweise aus. Er modelliert mit weiten, kräftigen und klaren, etwas gerundeten Taillen und erzielt die Tiefe der Schatten durch Verdickung und engere Stellung der Linien. In seinen späteren Arbeiten, wie „Apollo und Diana“ (B. 16), den „drei Gefangenen“ (B. 17) und besonders dem „Schutzengel“ (B. ip) kommt er der mit einzelnen, gerundeten Linien modellierenden Technik Schongauers und Dürers noch näher (s. Abb.). Schliesslich sucht er in seinen letzten Stichen, wie dem h. Sebastian (P. 27), Cleopatra (P. 28), Mars und Venus (B. 20) nicht ohne Erfolg die feine, runde Strichführung und die zarten silbrigen Töne der frühen Werke des Lucas von Leyden nachzuahmen. Auch in diesen seinen besten, durchaus in nordischer Technik ausgeführten Blättern verleugnet er aber seinen venezianischen Ursprung nicht.
Der vorzügliche Stecher, der seine Arbeiten mit einem Monogramme aus zwei durch eine Schleife verbundenen P bezeichnet, ist mit dem Friauler Maler Martino da Udine, genannt Pellegrino da S. Daniele (um 1470—1547) identifiziert worden, da sich dasselbe Zeichen auch aui Gemälden dieses Meisters findet. Während aber Martino als Nachahmer des Cima da Conegliano beginnt und später mit Giorgione, Palma und Pordenone zu wetteifern sucht, zeigen jene Stiche die feinknochigen, scharf gezeichneten Formen ferraresischer Maler, im besonderen die des Ercole Roberti. Ob zur Erklärung dieses ferraresischen Charakters der Stiche die Tatsache, dass Martino zwischen 1503 und 1514 mehrfach in Ferrara tätig gewesen ist, genügt, oder ob wir in dem Stecher PP. eine andere Persönlichkeit zu erblicken haben, muss noch dahingestellt bleiben. Zu beachten ist allerdings, dass Martino sich in einzelnen Gemälden, besonders der Verkündigung von 1519 in der Akademie in Venedig, sehr eng an spätere Ferraresen, besonders an Garofalo anzulehnen scheint, und dass die späteren, überarbeiteten Zustände zweier seiner Hauptblätter eine ganz ähnliche Formbildung erkennen lassen. Während nämlich der erste Abdruckszustand der reichen und sehr fein durchgeführten Darstellung des „Triumphes der Selene“ (P. 4), ebenso wie die Kreuzabnahme (P. 2) und der h. Christoph (P. 3), in einer ganz eigentümlich zarten Technik mit dünnen Umrisslinien und ganz fein strichelnder Schraffierung überaus delikat, wohl mit der Nadel, ausgeführt ist, zeigt ein späterer, überarbeiteter Zustand der beiden ersten Stiche weichliche, breite Formen, die durch eine mehr malerischeBehandlung der Schatten mit Punkten und ganz kurzen, dickeren Strichen hervorgebracht ist.
Die einzigen, sicher datierbaren, in Mailand hergestellten Kupferstiche aus dem XV. Jahrhundert sind die drei Illustrationen in der Summula di paci-fica conscientia, die P. de Lavagna im Jahre 1479 in Mailand druckte. Nur einer der drei Stiche enthält ausser rein geometrischen und ornamentalen Zeichnungen auch eine figürliche Darstellung, die Verkündigung, die aber so klein ist, dass sich kaum mehr als eine Aehnlichkeit mit der älteren venezianischen Technik erkennen lässt. Wir sind aber wohl berechtigt, eine Reihe von Blättern wegen ihrer stilistischen Verwandtschaft mit Bildern der mailändischen Schule und mit den oben erwähnten ältesten mailändischen Holzschnitten, besonders dem Autorbildnisse im Paulus Florentinus von 1479, als mailändische Erzeugnisse anzusehen. Es sind meist ziemlich dürftige Zeichnungen mit sehr weichem runden Formen und Falten, in der Art der venezianischen Stiche, mit ziemlich engen, kurzen, geraden Strichen schraffiert, die um 1480 entstanden sein mögen, z. B. eine unbeschriebene Verkündigung in Berlin und eine Kopie danach in Wien (Pass. V, p. 67, Nr. 6i N, ein Crucirixus mit Franciscus und Hieronymus und eine Stigmatisation des h. Franciscus in Berlin, eine thronende Madonna mit Engeln (Pass. V, p. 185, Nr. 88) und zwei Jünglinge am Meere (Pass. V, p. 189, Nr. 102) im British Museum, endlich eine Geburt Christi Pass. V, p. ii), Nr. 79 in Paris, zu der sich eine Zeichnung in der Akademie in Venedig befindet. Hierher gehört auch die grosse und bedeutende Darstellung des Inneren einer zerfallenen Kirche mit reicher Staffage British Museum und Casa Perego in Mailand), die die Bezeichnung: „Bramantus fecit in Mio“ (Milano) trügt und deshalb für eine eigenhändige Arbeit des Architekten ausgegeben worden ist. Wahrscheinlich rührt nur die Zeichnung dieser Komposition, die man wohl als ein architektonisches und perspektivisches Studienblatt ansehen darf, von Bramante her, die Formen der Figuren zeigen mailändischen Charakter, die Technik ist der der eben erwähnten Stiche, besonders der Geburt Christi, sehr verwandt, nähert sich aber mehr der Art der Mantegnaschule. Zoan Andrea, der, wie wir aus seinen Stichen nach mailändischen Vorlagen ersehen können, hier tätig gewesen ist, mag der Lehrmeister dieses und anderer mailändischer Stecher gewesen sein.
Von diesen mailändischen Künstlern können wir nur einen namhaft machen, den Miniator Fra Antonio da Monza, der in Zeichnung und Technik eine gewisse Eigenart besitzt. Einige, meist umfangreiche Kupferstiche dürfen ihm wegen ihrer bis in alle Einzelheiten genauen stilistischen Uebereinstimmung mit seinen Miniaturen mit grösster Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden, so z. B. eine Madonna mit zwei Engeln B. XIII, p. 85, Nr. 3) und eine Beweinung Albertina), die mit besonders reichen und feinen landschaftlichen Gründen ausgestattet sind. Besonders interessant ist sein Stich nach Leonardos Abendmahl (Pass. V, p. 1 8 1, Nr. 4), das auch anderen Mailänder Stechern der Zeit als Vorlage gedient hat P. 5 — 8).
Auf Grund älterer Nachrichten hat man auch Leonardo da Vinci zu den Kupferstechern rechnen zu können geglaubt, zumal einige Blätter, wie eine Reihe grosser Ornamente aus Knotenwerk und das überaus feine ProfilbrustbiJd eines schönen Mädchens Pass. V, p. 180, Nr. 2) durch Inschriften ihrer Herkunft aus der angeblich von Leonardo gegründeten „Academia Leonard! Vinci“ erweisen. Trotzdem wird man die eigenhändige Ausführung selbst dieses besten und reizvollsten mailändischen Kupferstiches durch den Meister keineswegs als Tatsache gelten lassen dürfen. Vier Skizzen Leonardos zu der Reiterstatue des Francesco Sforza, ein Blatt mit Studien für Pferdeköpfe und die, wie erwähnt, auch in Holzschnitt kopierte, vorzüglich frei und leicht bewegte Gestalt des Dichters Bernardo Bellinzoni Paris, Rothschild verraten wie andere leonardeske Stiche jedenfalls deutlich die Stechweise und die Schwäche der Zeichnung eines Giovanni Antonio da Brescia.
Im Kreise der Schüler Leonardos sind einige Kupferstiche entstanden, die man grösstenteils, ohne Berechtigung, Cesarc da Scsto zugeschricben hat. Die Formgebung erinnert sehr stark an die oben erwähnten Holzschnitte in mailändischen Drucken des beginnenden XVI. Jahrhunderts. In der technischen Behandlung sucht man die Wirkung der weich vertreibenden mailändischen Malweise durch zarte Modellierung mit engen, kurzen, runden Schraffierungen und Punkten wdederzugeben. Die Hauptblätter dieser Gruppe sind: eine von Bartsch dem Franzosen Duvet zugeschriebene allegorische Darstellung, ein Kampf von wilden Tieren gegen einen Drachen, nach einer Zeichnung Leonardos, die Enthauptung Johannes des Täufers (Pass. VI, p. 257. Nr. 6 5, British Museum), ein Hirsch und ein Reh, die fälschlich Giulio Campagnola zugeschrieben worden sind (Pass. V, p. 16 5. Nr. 16 u. 17).
Unter den Stätten, an denen der Kupferstich in Italien gepflegt wurde, ist keine f ür die weitere Entwicklung dieser Kunst so bedeutungsvoll geworden wie Bologna, die Heimat Francesco Francias und Marcantonio Raimondis. Von einem früheren Betriebe des Kupferstiches in dieser Stadt wissen wir nichts, wie es scheint, tritt Bologna erst mit Francesco Francia in den Wettbewerb ein. Wir kennen allerdings keine sicher beglaubigten Kupferstiche von Francia, aber als einer der bedeutendsten Metallgraveure und Niellatoren seiner Zeit und als der Lehrer zweier der tüchtigsten Stecher kann er trotzdem einen hervorragenden Platz in der Geschichte des italienischen Kupferstiches beanspruchen. Seine Kunst, figurenreiche Kompositionen in der feinsten Durchbildung aller mannigfaltigen Einzelheiten auf kleine Metallflächen einzugravieren, erregte die Bewunderung seiner Zeitgenossen. Zwei gut beglaubigte niellierte Silberplatten, sogenannte Majestates, von seiner Hand sind in der Pinakothek zu Bologna erhalten. Von der einen, die eine Kreuzigung darstellt, wird ein Probeabdruck auf Papier in der Albertina in Wien aut bewahrt. Auch einige andere Papierabdrücke von unendlich zart und fein gezeichneten und gravierten Nielien können mit einer gewissen Sicherheit Francia zugeschrieben werden, z. B. das Brustbildnis eines Bentivoglio (Dutuit 587) und Orpheus, der den Tieren singt Dutuit 353). Neben Florenz scheint Bologna das bedeutendste Zentrum der Goldschmiedekunst in Italien gewesen zu sein, und wie dort hat man auch hier sehr häufig ausgeführte Niellen oder Zeichnungen für solche als Vorbilder in Kupfer kopiert (§, Abb. . Wir kennen eine ganze Reihe dieser nielloartigen Stiche von der Hand eines Meisters, der seine Arbeiten mit dem Monogramm O. P. D. C., einmal auch mit seinem vollen Namen Opus Peregrino da Ces (ela?) bezeichnet hat. Pcrcgrino, der bis in den Anfang des XVI. Jahrhunderts tätig gewesen sein muss, ist ohne Zweifel ein Schüler Francias gewesen, er hat unter anderem auch dessen oben erwähntes Niello mit Orpheus für den Abdruck nachgestochen und ist höchstwahrscheinlich neben anderen Genossen in der viel besuchten Werkstatt Francias beschäftigt gewesen. An Feinheit der Zeichnung und Schärfe des Stiches stehen seine Arbeiten denen des Meisters weit nach.
Der künstlerisch selbständigste Schüler Francesco Francias, der Meister ]. B. mit dem Vogel, ist schon oben als Zeichner für den Holzschnitt besprochen worden. Die fünfzehn mit seinem Monogramm bezeichneten Kupferstiche zeigen deutlich seinen Zusammenhang mit der bolognesischen Schule, sie besitzen aber doch so viel Eigenart in der Kompositon und besonders im mädchenhaften Ausdruck der Frauenköpfe, dass man sein Schul Verhältnis zu Francia bisher meist nicht erkannt hat. Seine Technik mit rundlichen, ziemlich harten Taillen zeugt schon von einem Studium Dürerscher Holzschnitte und Kupferstiche, denen er auch mehrfach die Motive für Baumgruppen und ganze landschaftliche Hintergründe entlehnt hat. Er zeichnet mit feinem Formgefühl und mit bemerkenswerter Freiheit und bekundet eine besondere Vorliebe für antike Gegenstände. Seine anziehendste Arbeit, Leda mit ihren vier Kindern, mit denen ihr Vater Jupiter als Schwan mutwillig scherzt (B. 3), ist ein antikes Idyll schon von ganz correggeskem Reiz der Erfindung und der Formengebung.
Ebenso fein ist das Satyrweibchen mit ihren beiden Jungen (B. z s. Abb.), der Triton mit seiner Familie (B. 5) u. a. m. Die Tätigkeit des Meisters J. B. mit dem Vogel, der eine der bedeutendsten Erscheinungen unter den italienischen Stechern um 1500 gewesen ist, scheint auf diesem Gebiete nur eine gelegentliche gewesen zu sein. Dagegen hat einer seiner Mitschüler in Francias Werkstatt sich der technischen Ausbildung des Kupferstiches vollständig gewidmet und die Entwickelung dieser Kunst mit einem Eifer und einer Energie gefördert, die ihm für mehrere Jahrzehnte die Führerschaft nicht nur unter den italienischen Stechern gesichert haben. Marcantonio Raimondi geht von den Formen Francias und von der venezianischen, schon durch den Einfluss der deutschen Stechkunst umgebildeten Technik aus, er kommt aber, vermöge seiner klaren Erkenntnis der Bedürfnisse, durch eingehendes Studium Dürerscher Stechweise und vor allem durch sein ausserordentliches Anpassungsvermögen an den modernen Stil der monumentalen Kunst zu Resultaten, die ihn nicht sowohl als den Vollender der Bestrebungen der Vergangenheit, sondern vielmehr als den Bahnbrecher für eine neue Entwickelungsphase der Kupferstechkunst erscheinen lassen.
Aus dem Buch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten aus dem Jahre 1911, Autor Kristeller, Paul, 1863-1931.
Siehe auch: Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Vorwort, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Die Technik des Bilddruckes, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Das fünfzehnte Jahrhundert – Der Holzschnitt in Deutschland, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Deutschland und in den Niederlanden, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in den Niederlanden, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in Frankreich, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in England, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Holzschnitt in Spanien, Kupferstich und Holzschnitt in vier Jahrhunderten – Der Kupferstich in Italien.