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Rembrandt und seine Zeitgenossen – Die Landschaftsmalerei in Holland

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von Kunstmuseum-Hamburg.de

chon die niederländischen Meister, die mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts die Malerei in den Niederlanden zu einer selbständigen Kunst neben und trotz der italienischen erhoben, zeigen einen stark entwickelten landschaftlichen Sinn. Ja, die landschaftlichen Hintergründe in den Gemälden der Brüder van Eyck und ihrer Nachfolger, wie in den Kalenderbüdem und einzelnen Darstellungen der Miniaturmaler ihrer Richtung sind in der naiven Treue der Beobachtung und in der vollendeten Wiedergabe der Einzelheiten unübertroffen. In den nördlichen Provinzen war Albert Ouwater in Haarlem, wohl ein Nachfolger der van Eyck, von dem uns bisher leider nur ein Innenbild bekannt ist, gerade wegen der Landschaften in seinen Gemälden besonders berühmt. Bei den ihm folgenden Frühholländern Geertgen tot St. Jans und Lucas van Leiden können wir noch heute die feine landschaftliche Empfindung, den Sinn für starke Licht- und Lufttöne, der sie vor den Vlamen auszeichnef, bewundern. Auch Hieronymus Bosch und namentlich Pieter Brueghel, deren landschaftliche Schöpfungen ebenso groß erfunden wie ursprünglich gesehen und durch einheitliche Stimmungen zusammengehalten sind, waren auf halbholländischem Boden geboren. Aber die schwere politische Spannung, die über dem Lande lag, unterbrach schon vor der Mitte des 16. Jahrhunderts diese Entwickelung. in den folgenden Jahrzehnten machte der verheerende Krieg jeder bedeutenden Betätigung der Kunst in den holländischen Provinzen ein Ende. Die Erfolge, welche die Staaten allmählich über die spanischen Heere errangen, das rasche, außerordentliche Aufblühen der Städte und die religiöse Duldung wirkten zusammen, um gegen die Wende des Jahrhunderts eine Reihe tüchtiger Künstler aus den spanischen Nieder landen nach dem Norden zu locken. Diese Emigranten, die um ihres Gtaubens willen ihr Land verließen und in Amsterdam eine neue Heimat fanden, waren meist Landschaftsmaler. Naturgemäß verleugnen sie ihren flämischen Charakter auch in ihren späteren Bildern nicht. Um sie versammelt sich eine jüngere Schar gleichfalls meist «us dem Süden ausgewanderter Maler, die eine ähnliche Richtung verfolgen. Den Waldesbildern eines Qilles van Coninxloo mit den mächtigen Baumriesen und dem heimlichen Dunkel, den Berglandschaften eines Pieter Schoubroeck mit den reichen Tälern und waldigen Höhen bei effektvoller Beleuchtung fehlt zwar noch die individuelle Belebung, die richtige Raumund Lichtwirkung und malerische Behandlung, aber die poetische Empfindung ihrer noch allgemein gesehenen, überfüllt komponierten Weltlandschaften bleibt nicht ohne Einfluß auf die spätere Entwickelung der holländischen Malerei, namentlich der Kunst, wie sie sich in Amsterdam entwickelt.

Neben dieser halb fremden und daher vielfach fremdartig wirkenden Kunst entwickelt sich frühzeitig eine selbständige holländische Landschaftsmalerei auf rein nationaler Basis; anfangs nur langsam und unsicher, seit dem zweiten Viertel des Jahrhunderts aber in raschem, zielbewußtem Anwachsen. Wie die Ausbildung des Stillebens und des Sittenbildes, so ist auch die der Landschaftsmalerei bis zu einem gewissen Grade, namentlich anfangs, an bestimmte Kunststätten des Landes geknüpft. In der engen Weltstadt Amsterdam schafft die Sehnsucht nach der freien Natur das Seebild und die Gebirgslandschaft; in Haarlem begeistert man sich für die schönen farbigen Szenerien der Umgebung mit den buschigen Dünen und den weiten Blicken in die Ferne; im Haag, in dem nahen Leiden und Dordrecht geht den Künstlern bei ihren Studien am Meeresstrand und an den breiten Flußläufen das Verständnis auf für die feinen Veränderungen, welche die Luft auf die Erscheinung der Landschaft herverbringt: sie entdecken die tonige Landschaft. Aber diese lokalen Unterschiede, die schon an sich schwer zu erkennen sind, verwischen sich noch mehr infolge der Wanderlust der holländischen Künstler, zumal der Landschaftsmaler. Zudem wirkt die Anziehungskraft der Weltstadt Amsterdam übermächtig. So vereinigt sieh hier allmählich die Mehrzahl bedeutender Meister. Durch sie werden dann auch die lokalen Richtungen der Nachbarstädte wesentlich beeinflußt. Die Landschaftsschule von ganz Holland schließt sich zusammen und treibt gemeinsam die Blüte hervor, die sich mehr als ein viertel Jahrhundert erhält, bis sie, schon in den siebziger Jahren, plötzlich und rasch verkommt, da die Meister in Manier und kleinliche Nachahmung verfallen.

Der Waffenstillstand mit Spanien im Jahre 1609 wirkte wie ein Zauberschlag auf das nationale Leben; auch in der Kunst sproß die schlummernde Saat mit frischer Keimkraft hervor. Holland hat fortan seine eigene Kunst, der die Schilderung der eigenen Person wie die schlichte, naive Wiedergabe der Heimat und des Heims mit allem, was dem Holländer darin heb und teuer war, darstellungswert erschien. Hatte die Malerei, da die Kirchen schmucklos bleiben mußten, doch vornehmlich die Aufgabe, für das bürgerliche Haus zu schaffen. Durch ihre anspruchslose bescheidene Auffassung, mit der sie alles dauernd festhielt, was das stolze Eigentum ihrer Landsleute war, wurde sie rasch populär, füllte sie mit ihren Schöpfungen auch die bescheidenste Bürgerwohnung. Porträtisten der heimischen Landschaft erstehen gleichzeitig in den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts fast im ganzen Lande, selbst in kleineren Städten. Ihre kleinen Landschaften, Ölbilder wie Aquarelle und durchgeführte Zeichnungen, häufig noch in Anlehnung an alte Monats- oder Jahreszeitenbilder entstanden, sind nüchterne und knappe Schilderungen des holländischen Landes, ohne besondere Wahl und größere Kunstfertigkeit, aber treu und ehrlich wiedergegeben mit dem Leben, wie es sich täglich abspielte: die einfachsten Motive vom platten Lande, das glücklich vom Feinde befreit war, vom Strand und vom Meer, das die eigenen Schiffe jetzt beherrschten. Noch erscheinen diese Bilder und Bildchen wie das Stammeln eines Kindes, denn alles war neu, alles mußte von vorn wieder gelernt werden. Aber dieses fröhliche Entdecken im eigenen Lande, unter den nächsten Menschen, der Wagemut, mit dem das Neue naiv gegeben wird, gibt ihnen eine frische Erscheinung, erweckt unsere Mitfreude, muß diese auch den hohen künstlerischen Genuß ersetzen.

Das unverdrossene, ehrliche Naturstudium brachte die Künstler allmählich zur Beobachtung komplizierterer Erscheinungen in der Landschaft. Sie gewannen Verständnis für den Reiz in der Verschiebung und Durchschneidung der Linien, für die Bedeutung des Horizontes, der Ausblicke in die Ferne und aus der Höhe, für die Wölbung des Himmels und der reichen Wolkenbildungen, für die Beleuchtung zu verschiedenen Tageszeiten; und mit der Erkenntnis der Linien- und Luftperspektive wurde ihnen auch die eigentümliche Schönheit der holländischen Landschaft in der Abtönung ihrer Lokalfarben durch den Dunst des nahen Meeres, der die Luft ganz durchtränkt, bewußt. Mit den zwanziger Jahren entwickelt sich die holländische Landschaftsmalerei nach dieser Richtung zu einer ersten, sehr beachtenswerten Blüte. Eine Reihe von Künstlern im Haag, in Haarlem, Rotterdam und Amsterdam, voran Jan van Goyen, wissen die mannigfachen Reize der heimischen Gefilde mit der eigentümlichen Luftstimmung an den Kanälen und an der See in einer Fülle meist kleiner Bilder verschiedenartig, oft pikant und voller Kunst in der malerischen Wiedergabe zur Anschauung zu bringen.

Weiter in der Entwickelung gefördert wurde diese Tonmalerei durch die Beobachtung des Sonnenlichtes, das durch den Einfluß der holländischen Atmosphäre golden gebrochen wird. Die im Sonnenglanz gebadeten Weiden Hollands oder das träge Wasser, welches das Licht schimmernd zurückstrahlt, gelegentlich auch die flache Landschaft im milden Glanze des Mondiichtes, haben damals einzelne Künstler, vor allen Aelbert Cuyp und Jan van der Cappelle, mit einer Leuchtkraft und Klarheit geschildert, die noch über die Lichfwirkung der klassischen Landschaften eines Claude Lorrain hinausgeht.

Indem diese Künstler so die heimische Landschaft, Land und Meer, in ihrer charakteristischen Form unter der Einwirkung von Licht und Luft in der mannigfachsten und oft vollendetsten Weise zur Darstellung brachten, hatten sie doch die Vielfältigkeit der sie umgebenden Erscheinungswelt noch keineswegs erschöpft; andere Eigentümlichkeiten der holländischen Landschaft waren vernachlässigt oder noch unberücksichtigt geblieben. Der strenge, durch gleichmäßige Horizontalen und kürzere Vertikalen geregelte Aufbau, ihr Reichtum in den Einzelheiten, die Lokalfarben waren über dem Streben nach impressionistischer Wiedergabe der tonigen Wirkung nicht zu genügender Geltung gekommen. So beginnt sich, als eben die Tonmalerei in der Landschaft ihre höchsten Triumphe feierte, die Opposition gegen diese Auffassung zu regen. Hatte der Amsterdamer Hercules Segers in seinen Alpentälern neben dem Verständnis für Lichtwirkung und Ferne wieder den Sinn für große Formen und stilvollen Aufbau der Landschaft geweckt, so entdeckten jüngere Haarlemer Maler, voran Cornelis Vroom, die Schönheiten des Waldes mit seinen alten Bäumen, seinem frischen Grün und seinem heimlichen Dunkel Damit führten sie zugleich ein neues Element in die Landschaftsmalerei ein, die Stimmung, die Übertragung unserer menschlichen Empfindungen auf die Natur, die Einwirkung bestimmter Beleuchtungen und Färbungen in der Landschaft auf unser Gemüt. Diese Stimmung hatten neben und vor jenen Haarlemer Meistern mit sehr viel größerer Entschiedenheit Segers und vor allem Rem-brandt recht eigentlich zum Grundmotiv der landschaftlichen Kompositionen gemacht. Auf dieser Grundlage bringt ein jüngerer Haarlemer Maler, Jacob van Ruisdael, die holländische Landschaftsmalerei zu ihrer höchsten und letzten Blüte. Auch in seinen Bildern ist die Stimmung ein wesentliches Moment, ja das, welches ihnen ihren besonderen Reiz gäbt; aber der Künstler vernachlässigt darüber nicht die detaillierte Wiedergabe der Natur, durch die er seinen Landschaften den Eindruck strenger Objektivität wahrt. So geht ihm auch erst der Reichtum der Motive seiner Heimat auf. Die mannigfachen Schönheiten des holländischen und niederdeutschen Landes: die weiten Fernsichten mit dem hohen Himmel, die dunklen Wälder, den belebten Strand mit dem Blick auf die See und das einsame Meer selbst, ja auch Städtebilder schildert Ruisdael und schildern die zahlreichen Meister, die mehr oder weniger selbständige Nachfolger werden, unter Beobachtung der vielfachen atmosphärischen Einwirkungen;, der Beleuchtung beim Wechsel der Tageszeiten und zu den verschiedenen Jahreszeiten, bald in stiller Einsamkeit, bald mit dem bunten Treiben, das sich darin abspiell

Neben dieser durch mehr als ein Vierteljahrhundert in glänzender Blüte sich entfaltenden nationalen Kunst geht eine andere Richtung der holländischen Landschaftsmalerei, die in Italien ihre Motive sucht und durch die Künstler in Rom, anfangs durch den deutschen Maler Elsheimer, später durch Claude, wesentlich beeinflußt wird. Vom katholischen Utrecht ausgehend und hier schon wegen der Beziehungen zu Rom besonders gepflegt, erfreut sie sich, wie die klassizierende akademische Kunst überhaupt, der Protektion der gelehrten Kreise. Mit der zunehmenden Verbreitung der klassischen Bildung, mit der Steigerung von Luxus und Formalismus, mit dem Eindringen des romanischen Einflusses und der Verzopfung des ganzen Lebens in Holland erhält diese Richtung der Landschaftsmalerei mehr und mehr das Übergewicht über die urwüchsige Lust an der Heimatsschilderung. Der Sinn für das Große, für Wahrheit und Stimmung in der Landschaft verliert sich und macht der Freude am Kleinen und Glatten, dem Unwahren Platz. Die zierlichen idyllischen Landschaftsbildchen mit Motiven aus der Umgebung Roms und mit lüsterner mythologischer Staffage werden wieder die allgemeine Mode. Die Künstler kehren zur Nachahmung eines Elsheimers, selbst eines Brueghels, von der sie fast ein Jahrhundert früher ausgegangen waren, wieder zurück oder gefallen sich in der faden und kleinlichen Nachäffung der Kulissenmalerei italienischer Nachahmer des Salvator Rosa und Gaspard Poussin. Während jene Anfänger der nationalen Kunst trotz ihrem Ungeschick in der biederen Naivität und dem Ernst ihres Strebens unser Gefallen erwecken, haben diese Dekadenzler fast nur noch eine kulturhistorische Bedeutung. Mehr als anderthalb Jahrhunderte hat die holländische Landschaftsmalerei gebraucht, bis sie sich aus dem Stadium der Nachahmung zu frischer Naturempfindung und freier Schöpfung wieder durchgearbeitet hat.

Aus dem Buch: Rembrandt und seine Zeitgenossen : Charakterbilder der grossen Meister der holländischen und flämischen Malerschule im siebzehnten Jahrhundert. Bucherscheinung im Jahr 1906.

Siehe auch, Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 1, Rembrandt und seine Zeitgenossen Teil 2, Holländische Genremaler unter dem Einfluss von Rembrandt, Das Holländische Sittenbild, Rembrandt und seine Zeitgenossen – Frans Hals, Rembrandt und seine Zeitgenossen – JAN STEEN, Rembrandt und seine Zeitgenossen – GERARD TER BORCH.


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