Sternbald
Nietzsche ist zweifelsohne ein großer Philosoph – v.a. in dem Sinne, dass er ein großer Schriftsteller ist. Man sollte sich mit ihm beschäftigt haben, aber besser nicht in zu jungen Jahren.
Er rühmt selbst nicht zu unrecht seine sprachliche Begabung, wenn er in seiner ihm eigenen Bescheidenheit behauptet, die deutsche Sprache zu ihrer höchsten Ausdrucksfähigkeit gebracht zu haben.
Ebenfalls nicht zu Unrecht teilt er in seinen Schriften gerne wiederholt mit, was für ein feiner Psychologe er ist. Auch hier spricht er die Wahrheit.
Und gerade hier liegt das Problem für junge Leser: Viele der Menschen, die überhaupt einmal in ihrem Leben in ein philosophisches Werk schauen, ist Nietzsche zu extrem. Bei der Minderheit, die eine Resonanz empfindet, i.d.R. wegen der geteilten Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft und dem Empfinden, in einer dekadenten Welt zu leben, kommen dann aber psychologische Mechanismen zur Wirkung, die dem Leser einen unglaublichen Kick gegeben: Nietzsche suggeriert ihm auf sehr geschickte Weise, er gehöre zu einer Elite ganz besonders klarsichtiger und unerschrockener Denker, die über dem dekadenten Rest der Gesellschaft stehen – eben so wie Nietzsche selbst. Man ist dann Mitglied im Club der „Hyperboräer“.
Ein scharfer Beobachter und Denker war er ja, und daher kann man aus der Lektüre tatsächlich viele Anstöße erhalten, aber letztendlich führt seine Philosophie den Leser in eine Sackgasse – genauso wie ihn selbst.
Eine Philosophie ist nur etwas wert, wenn sie lebenstauglich ist, und da ist der „Philosoph mit dem Hammer“ so kläglich gescheitert, wie niemand sonst. Ich weise nur einmal hin auf die Kluft zwischen seiner Idealisierung des brandschatzenden und meuchelmörderischen Renaissancetyrannen Cesare Borgia (Sohn des Judenpapstes Alexander VI.) und seinen weinerlichen Briefen, in denen er von Selbstmordgedanken berichtet, weil die Jüdin Lou Salomé ihm den Juden Paul Ré vorgezogen hatte. In seinen Schriften hat er sich dann als eloquenter Wüterich an der ungerechten Welt gerächt.
Ich habe beobachten können, dass wirklich jeder, der die Philosophie Nietzsches verinnerlicht hat, damit nur frustrierende Erfahrungen macht. Die Vorstellungen von „Herrenmoral“ (die für einen Nietzscheaner zwangsläufig die eigene Moral sein muss) und „Hyperboräertum“ blasen das Ego auf; machen arrogant und hartherzig. Zunächst einmal ist man auch unbelehrbar, weil man meint, ganz souverän über den Dingen zu stehen und alles verstanden zu haben.
Da die Welt, vereinfacht gesagt, auf dem „Wie du mir, so ich dir“-Prinzip basiert, verursacht das Blessuren. Man kann das schon einige Jahre durchhalten, aber in der Regel kommt mit zunehmendem Alter die Erkenntnis. Mitunter ermöglicht dies dann auch einen anderen Blick auf das Christentum, v.a. wenn man das Glück hatte, durch lebende Beispiele zu sehen, dass es nicht das ist, was uns Frau Käsemann oder der neue Judenpabst verkaufen wollen.