Von Gustav A. Rietzschel, Leipzig.
Erkenne Dich selbst! So schrieben Griechenlands Weise mit ewigen Lettern über ihr Volksheiligtum, über einen nationalen Vereinigungspunkt ihrer Welt. Dieses Wort war aber zugleich der Leitspruch ihrer Wissenschaft, ihrer Erziehung. Das Menschentum stand im Mittelpunkt ihrer Kultur, und wir brauchen das Wort vom Menschen als Mass aller Dinge nicht immer im Lichte seiner übelsten Folgerungen zu betrachten. Auch in unseren Tagen ringen sich ähnliche Ansichten immer mehr und mehr durch; man kann fast alle Fragen der Unterrichts- und Erziehungsreform in ihrem Lichte betrachten. Wie wenig kennen wir uns heutigen Tages selbst.
Der Geschichtsunterricht führt uns in die graue Vorzeit und vernachlässigt die Epochen, die die Grundlagen für das Verständnis des modernen Menschen sind. Der biologischen Unterweisung aber fehlt meist noch jeder Anschluss nach Seite der Anthropologie; es ist, wie Spencer mit Recht sarkastisch hervorhebt, für den Menschen der Gegenwart nichts Schimpfliches, in seinem Körperhaus ein Fremdling zu sein. Und doch ist es nicht schwer, sich in ihm heimisch zu machen.
Es scheint modern-pädagogischen Ansichten zu widersprechen, in einem Teilfache des biologischen Unterrichts nicht vom Naturobjekt, sondern von einem künstlichen Ersatzmittel, also beispielsweise vom Modell auszugehen. Und doch macht sich das in der anthropologischen Unterweisung unbedingt nötig, ein Standpunkt, den führende Methodiker teilen.
Ganz abgesehen von ästhetischen oder sittlichen Bedenken, die von verschiedenen Seiten erhoben werden, lassen sich natürliche Präparate vom Menschen nur durch sehr kostspielige Präparationsmethoden so gestalten. dass sie unterrichtlich verwendbar sind. Im allgemeinen sind an ihnen Einzelteile kaum deutlich erkennbar. Die Demonstration des inneren Baues fordert zahlreiche Schnittpräparate. Man braucht eine Fülle von Präparaten einzelner Organe und neben diesen ganze Apparate, um die gegenseitige Lage zu zeigen, kurzum, was ein Modell, z. B. der Verdauungsapparat, zeigen kann, lässt sich kaum und nur unvollkommen an einer Serie von Präparaten zeigen. Dazu kommt die schwere Beschaffung von Material und der damit verbundene hohe Preis, die stets notwendige, fachmännische Kontrolle der Sammlung, alles Umstände, die gegen Naturpräparate und für gute Modelle sprechen; denn die Vertiefung des biologischen Unterrichts fordert auch auf diesem Gebiete nur das beste.
Aus der grossen Gruppe der wissenschaftlichen Lehrmittel verdienen nun die „Anatomischen Modelle vom Menschen“ eine ganz besondere Beachtung. Man hat hinsichtlich dieser Modelle bisher oft aufs Ausland, besonders auf Pariser Fabrikate, verwiesen und seine Modelle als führend bezeichnet, und es ist deshalb in Deutschland eine neue Serie anatomische Modelle „Der Mensch“ herausgegeben worden, die allen berechtigten Anforderungen entsprechen und jeder Kritik standhalten dürfen. Die Masse ist fein, fest, körn- und strukturlos, dass sie Wachsabgüsse, die allerdings für die Schule unbrauchbaren, aber besten Nachbildungen, vortäuscht.
Die Farbengebung ist völlig naturgetreu. Matte, ästhetisch wirkende Farbtöne sind den gewöhnlichen grellen und glänzenden vorgezogen, die nur für Organe in Anwendung kommen, die in Natur von Flüssigkeiten umspült sind. Nicht nur die Schule hat aber einen Vorteil von der Anschaffung anatomischer Modelle, sondern sie stehen zugleich im Dienste der Volksbildung, der Volksaufklärung.
Ein gesundes, arbeitskräftiges und arbeitsfreudiges Geschlecht ist eine Existenzbedingung des Staates. Es kann aber nur bestehen auf der Grundlage der Selbsterkenntnis der Selbstverantwortlichkeit, wie sie nur auf dem Boden biologischer, in unserem Falle anthropologischer und der sich daraus ergebenden hygienischen Kenntnisse möglich ist. Diese grosse soziale Bedeutung aller anthropologischen Unterweisung spricht zugleich für den Wert den die wichtigste Veranschaulichung dieses Unterrichts, das anatomische Modell, hat. Seine unterrichtliche Verwertung lehrt, durch naturgemässes Leben Körper und Geist leistungsfähig zu erhalten, alle in ihm ruhenden Anlage zu entwickeln und vor Entartung zu bewahren. So können die Hilfsmittel der anthropologischen Unterweisung zugleich von höchster Bedeutung im Kampfe für eine der wichtigsten sittlichen Maximen einer zukünftigen Generation sein.
Siehe auch:
Wir Deutsch-Amerikaner
Deutsch-Amerika
Die Deutsch-Amerikaner und das Kaiserreich
Gedanken über die Zukunft des Deutschtums in Amerika
Wie das alte Österreich starb
Wie das alte Österreich starb II
Die Deutschen in Amerika
Die Deutschen in Amerika II
Eine Audienz bei Richard II. (Richard Strauss)
Die Lüge als Fundament
„Deutsch-Amerikas“ Mission
Schundromane auf dem Scheiterhaufen
Lincoln und das deutsche Element
Die Geschichte der Revolution
Der Aufbau Palästinas
Deutschland und der Weltfriede
Vaterland vor der Wiedergeburt
Das Schicksal der deutschen Kolonien
Der letzte Zar im Kreise seiner Familie
Krupp-Werk in Friedens-Arbeit
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Deutschlands chemische Industrie in der Nachkriegszeit
Jerusalem die Heilige Stadt
Die Schwarzen Truppen in Deutschland
Schiffsmodelle als Zimmerschmuck
„Bismarck“-„Majestic“- der Meeresriese
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