Von Charles Nagel, Handelssekretär in Präsident McKinleys Kabinett.
Nun, da durch die Abberufung unserer Truppen in Deutschland das während der Kampagne von 1920 gemachte Versprechen eingelöst ist, mag man über die Gründe nachdenken, die zu der Belassung der U. S. Okkupationsarmee an Ort und Stelle führten, und über die Folgen, die ihr Scheiden haben wird.
Hier werden sich zweifellos Viele über die Heimkehr unserer Truppen freuen, während drüben, woran ebenfalls nicht zu zweifeln ist, der Befehl unserer Regierung bei den Deutschen mit Bestürzung aufgenommen werden wird. Ihre erste Frage ist: Was nun? Es steht fest, dass unsere Truppen durch andere ersetzt werden — welcher Art diese Truppen sein werden, das ist die Sorge, die die Deutschen bedrückt. Ihre Furcht ist, dass die „schwarze Zone“ weiter ausgedehnt wird.
Eine der überraschenden Nachkriegserscheinungen in unserem Lande ist die vollkommene Gleichgültigkeit, mit der die Amerikaner die von den Franzosen dekretierte Anwesenheit schwarzer Heere auf deutschem Boden hinnehmen. Unsere eigene Unduldsamkeit gegen Farbige ist so stark, dass ihre Behandlung hierzulande zu den schwärzesten Blättern unserer Geschichte zählt.
Die Tatsache, dass die Bürger der Vereinigten Staaten nicht geschlossen gegen die Schwarzen Truppen in Deutschland protestiert haben, kann einesteils nur mit dem Wunsche erklärt werden, Frankreichs Vorgehen zu billigen und zu decken, und anderenteils durch die Absicht, jede weitere Demütigung des deutschen Volkes gutzuheissen.
Diese Haltung ist so offenkundig, dass eine zeitlang Männer in hervorragenden politischen Stellungen sowohl, wie auch ein Teil unserer Presse die Anwesenheit schwarzer Truppen in Deutschland mit kecker Stirn leugneten. Dies geschah angesichts der Tatsache, dass angesehene Engländer, deren Worte man doch sonst so willig als massgebend hinnimmt, und sogar Ver. Staaten-Offiziere das Vorhandensein und das Benehmen jener Truppen aus eigener Anschauung bestätigten.
Proteste, die tatsächlich erfolgten, wurden nicht beachtet, weil sie von Seiten der natürlichen Freunde des deutschen Volkes kamen; deshalb hielten es Viele für unangebracht an einflussreicher Stelle vorstellig zu werden. Wie klug oder töricht dies gewesen, bleibe dahingestellt; allerdings scheint leider immer mehr Grund für die Ansicht vorhanden zu sein, dass jeder, der hierzulande auf seinem Recht und seinem Standpunkt beharrt, um beide kämpfen muss.
Dass schwarze Truppen in grosser Zahl auf deutschem Boden stehen, kann indessen nicht mehr bezweifelt werden; es kann auch nicht geleugnet werden, dass diese Truppen sich oft Verbrechen von ausgesuchter Scheusäligkeit schuldig machen. Trotzdem bemerkt man hier nicht die Spur eines Protests oder der Entrüstung. Der Grund dieses Schweigens ist fraglos derselbe: man ist nicht willens Frankreich einen Vorwurf zu machen — und ist nur zu willens Deutschland jeder Bedrückung zu überlassen.
Abgesehen von der bewiesenen Gleichgültigkeit, hat man geltend gemacht, dass es nicht gerecht sei besonderen Einwand gegen die schwarzen Truppen zu erheben; alle französischen Truppen seien als ein Ggnzes zu betrachten, ihre Führung sei von diesem Standpunkte aus nur in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Dieses Argument wurde von den Verfechtern der tatsächlichen Gleichheit der Rassen vertreten; sie verlangen, dass Klage gegen die Grausamkeiten aller Truppen erhoben werde und dass kein Grund dafür vorliege, die Schwarzen besonders auszusuchen.
In gewissem Sinne ist das allerdings vollkommen richtig. Es ist richtig, soweit es sich um die Schwarzen handelt; es ist jedoch nicht richtig, soweit dabei die französische Regierung inbetracht kommt. Die schwarzen Truppen werden nicht als französische Bürger oder Gleichberechtigte der französischen Bürger geschickt. Sie werden Rassen entnommen, die in jeder Hinsicht unterjochte Völkerschaften sind. Was immer auch die Freunde der farbigen Völker sonst denken mögen, sie müssen zugeben, dass man nicht von Deutschland jene ideale Auffassung von Gleichberechtigung fordern kann, die Frankreich in Wirklichkeit nicht anerkennt. Sie sollten auch nicht verlangen, dass unser Urteil in diesem Fall auf diese Voraussetzung gegründet sei.
Man hat vielleicht behauptet, wir seien nicht gerecht gegen Frankreich, weil seine Bevölkerung gesellschaftlich gegen die Schwarzen weit toleranter sei als wir; bei ihnen kennt man das Rassenvorurteil und die Abneigung nicht, die wir gewöhnlich zutage legen. Das trifft ohne Frage zu, aber es ändert nichts an der Sache. Gesellschaftlich sind die Franzosen gewiss duldsamer, aber politisch gibt die französische Regierung dieser Gesinnung keinen Ausdruck.
Die Lage in Frankreich ist der gerade Gegensatz der unseren: wir haben konstitutionell den Farbigen vollkommene Gleichberechtigung bewilligt und verweigern gesellschaftlich diese Gleichstellung vollkommen, verweigern sie in Hinsicht auf gewerbliche Gelegenheiten grossenteils.
Frankreich, von allen Vorwänden und Sentimentalitäten entkleidet, verurteilt den Schwarzen zu der denkbar schlimmsten Erniedrigung. Aus diesem oder jenem Grund mag Frankreichs Sendung der Schwarzen nach Deutschland Verteidiger oder Entschuldiger finden; in Wirklichkeit hat Frankreich dem Schwarzen indessen eine Rolle zuerteilt, die unvermeidlich das Vorurteil verschärfen muss, dem er so ungerechterweise immer ausgesetzt war.
Da dies nicht bestritten werden kann, muss für die Gleichgültigkeit der meisten Amerikaner ein anderweitiger Grund vorliegen und wir dürfen uns nicht wundern, dass die Deutschen sich mit diesen moralischen Abstraktionen nicht zufrieden geben wollen.
Frankreich mag zweierlei Absichten verfolgen. Die erste ist die Demütigung des deutschen Volkes — darin ist es fraglos sehr erfolgreich. Gleichzeitig erzielt es ein unerwartetes Resultat. Wie Dr. Paul Rohrbach uns versicherte, ist Frankreich unbewusst der beste Freund des deutschen Volkes: es zwingt, wie dies keine andere Macht der Welt vermocht hätte, die Deutschen zum Zusammenhalten. Unter den obwaltenden Verhältnissen, gegenüber den offenkundigen Absichten kann das deutsche Volk einfach nicht Auflösungsgedanken Raum geben.
Die Massregeln der Franzosen mögen ihren gegenwärtigen Zwecken dienen — und die Zukunft? Frankreich kann von Deutschland unmöglich etwas anderes als Misstrauen und Feindschaft erwarten. Und dieses Gefühl des Misstrauens greift auch bereits und das sehr rasch auf : andere Länder über. Die Hindernisse, die Frankreich allen wirtschaftlichen Wiederherstellungsplänen in den Weg legt, sind ganz dazu angetan ihm die so nötige Unterstützung zu verscherzen, wenn es sich den Verwirrungen und Unruhen gegenüber sieht, die seine derzeitige Handlungen unvermeidlich zurfolge haben müssen. Seine Absicht bis an den Rhein vorzudringen ist so klar wie sein Entschluss sich bei der Erreichung dieses Zieles lediglich auf die Gewalt zu verlassen.
Der zweite Grund für diese Okkupation ist die Ausnützung der deutschen Ebene als Exerzierplätze für seine Söldnerheere. Frankreich will die Truppenaushebung aus seinem eigenen Volk auf ein Mindestmass beschränken und seine Streitkraft in grösserem Masse aus den unterjochten Völkern ziehen. Es folgt dabei Englands Beispiel, das — zum Segen für die Menschheit — mehr und mehr auf Schwierigkeiten und Widerstand stösst. Eben die Ausbildung, die diese Leute zum Kampfe gegen andere erhalten, ermöglicht und begeistert sie zum Kampfe für ihre eigene Freiheit. Es scheint, dass die edlen Versprechen der Demokratisierung seiner Zeit gegen alles Erwarten gerade von diesen Völkern ernst genommen wurden und das hilft nun der guten Sache. Unverantwortliche Propaganda fordert ihren Tribut von allen imperialistischen Ländern und Frankreich wird seiner Strafe nicht entgehen. Letzten Endes können wir in dieser „neuen Freiheit“ eine Bewegung für vernünftige Beziehungen zu Abhängigen finden.
So klar liegen die Absichten der momentanen französischen Politik auf der Hand, dass die verflossene Abrüstungskonferenz sehr wohl die Gelegenheit hätte beim Schopf fassen können, wenn sie ernstlich die Abrüstung zu Lande beabsichtigt hätte. Ein einfaches Uebereinkommen, das keiner Regierung erlaubt für Heer und Flotte andere Leute als ihre eigenen Staatsangehörige auszubilden, hätte die Armee, die jetzt die Welt beunruhigt, sofort reduziert. Diese Abmachung hätte jede andere Armee in bestimmten Grenzen gehalten, es hätte abhängige Rassen von einem Verhältnis befreit, das dicht an Sklaverei grenzt und es hätte gleichzeitig jeder herrschenden Nation die volle Verantwortlichkeit für Kriegsdrohungen aufgebürdet.
Frankreich hätte natürlich Protest eingelegt. Aber während damit der Misserfolg der Konferenz noch deutlicher zutage getreten wäre als dies ohnehin schon der Fall ist, hätte dieser Protest wenigstens der Welt einen der Gründe enthüllt, warum Frankreich auf seinen schwarzen Truppen in Deutschland besteht und warum es seine Haltung nicht durch Gründe oder Argumente rechtfertigt, sondern durch jene Unterdrückung von Tatsachen, die es so erfolgreich vor dem Kriege und während des Krieges übte. Wäre die Frage der Konferenz vorgelegt worden, dann hätten wir sofort, und ohne weitere Diskussion erkannt, dass Frankreich zurzeit keine Verständigung und keine wirklichen Friedensmassregeln will. Es wendet Gewalt an in der Hoffnung hinreichend Widerstand und Unruhen heraufzubeschwören, um vor der Welt jede künftige wirtschaftliche oder militärische Pression zu rechtfertigen, die ihm sein ersichtliches Streben nach Gebietserweiterung erfüllt.
Siehe auch:
Wir Deutsch-Amerikaner
Deutsch-Amerika
Die Deutsch-Amerikaner und das Kaiserreich
Wie das alte Österreich starb
Wie das alte Österreich starb II
Die Deutschen in Amerika
Die Deutschen in Amerika II
Eine Audienz bei Richard II. (Richard Strauss)
Die Lüge als Fundament
„Deutsch-Amerikas“ Mission
Schundromane auf dem Scheiterhaufen
Lincoln und das deutsche Element
Die Geschichte der Revolution
Der Aufbau Palästinas
Deutschland und der Weltfriede
Vaterland vor der Wiedergeburt
Das Schicksal der deutschen Kolonien
Der letzte Zar im Kreise seiner Familie
Krupp-Werk in Friedens-Arbeit
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Deutschlands chemische Industrie in der Nachkriegszeit
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