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Wir Deutsch-Amerikaner

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aus dem Kunstmuseum Hamburg.

Wir Deutsch-Amerikaner fühlen heute mehr als je den Druck der bösen Kriegsjahre, die wie ein schwerer Alp auf unsern Gemütern lasten. Er hält uns gefangen wie ein wüster Traum, den wir nicht abschütteln können, so lange unser Stammvolk geknechtet und geknebelt am Boden liegt. Wie ein Blitz aus heiterm Himmel traf uns die Kriegserklärung, und die wahnwitzige Verleumdungspropananda, die gleichzeitig von den englischen Zeitungen gegen alles, was sich deutsch nannte, systematisch in Szene gesetzt wurde, wollte uns schier den Verstand rauben.

Wir waren so stolz auf die gewaltigen Kulturschöpfungen unseres alten Vaterlandes gewesen, auf seine unvergleichlichen Leistungen auf allen Gebieten des Wissens and Könnens, stolz auf seine sittliche Grosse, stolz auf seine weltgebietende Stellung im Rate der Völker. Eifrig bestrebt, uns als würdige Söhne dieses grossen Volkes zu erweisen, hatten wir stets versucht, gründlich und gewissenhaft unsre Pflichten als Bürger des Landes unserer Wahl zu erüllen. Für das Wohl und Wehe ihrer neuen Heimat hatten die deutschen Einwanderer seit den Tagen ihres ersten Erscheinens Leben und Gut eingesetzt, wie es auf jedem Blatte der amerikanischen Geschichte verzeichnet steht.

Deutsche Bauern hatten den Urwald ausgerodet und in fruchtbares Ackerland verwandelt, die Pfälzersiedlung der Grafschaft Lancaster in Pennsylvanien hat sich bis auf den heutigen Tag den Ruf als “garden spot of the United States“ bewahrt, deutsche Handwerker nahmen wegen ihrer zuverlässigen Arbeit auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens eine bevorzugte Stellung ein, deutsche Gelehrte betimmten den Lehrgang unserer Universitäten, und — last but not least — deutsches Blut floss in Strömen, als es galt, das Leben selbst für die Erhaltung der Republik zu opfern.

Und nun wurde auf einmal bei Ausbruch des Krieges die deutsche Kultur als Teufelswerk gebrandmarkt. Wir Deutsch-Amerikaner wurden zu Bindestrich-Amerikanern, d. h. zu Bürgern zweiter Klasse gestempelt, und als die Vereinigten Staaten selbst in den Krieg eintraten, waren wir den schmachvollsten Verfolgungen und Bechimpfungen ausgesetzt, viele von uns wurden aus ihren Stellungen vertrieben und unsere Söhne gezwungen, gegen unser eigenes Fleisch und Blut die Waffen zu ergreifen.

Nicht wenige von ihnen liegen in Frankreichs Erde begraben. Was war die Ursache? In lügnerischer, erfolgreicher Hetze gegen die Mittelmächte hatte allerdings die Northcliffepresse sich selbst überrollen, und die sprichwörtliche Unwissenheit der Amerikaner in Sachen europäischer Politik hatte sich diesen gewissenlosen Meistern satanischer Berichterstattung nur allzugünstig erwiesen, aber hatten wir Deutschamerikaner uns nicht allzuleicht übertölpeln lassen?

Von Natur und Erziehung unpolitisch veranlagt, sind wir von jeher eine Beute der Parteipolitiker gewesen, weil uns Politik nicht nur ein „garstig“ Wort, sondern auch ein schmutziges Geschäft war, und wir dieses gern andern Rassen überliessen. Darum standen wir ganz und gar hilflos da, und unser Protest gegen den Krieg und die Kriegshetzerei wurde nur mitleidig belächelt oder grausam verhöhnt.

In verbrecherischer Weise haben wir es versäumt, uns zu amerikanisieren, d. h. den deutschen Staats- und Freiheitsbegriff, der wesentlich geistigen und kulturellen Ursprungs ist, durch rege Teilnahme am politischen Leben mit dem amerikanischen, der wesentlich die Merkmale des puritanisch pragmatischen Utilitarismus an sich trägt, zu verquicken. Statt dessen haben wir Eigenbrötelei getrieben. Wir haben in unzähligen geselligen und religiösen Vereinigungen unsre Sonderinteressen verfolgt unu uns dabei zersplittert und gegenseitig bekämpft.

Aber auch das ist erklärlich, denn der Deutsche ist mehr individualistisch veranlagt als irgend ein andres Volk. Unser Bestes und unser Schlechtestes wurzelt in diesem bis zur äussersten Grenze getriebenen Sondertum, nicht seit heute oder gestern, sondern seit es eine deutsche Geschichte gibt. Hier die Eigenart und Frische unsres geistigen Schaffens, der Ameisenfleiss unsres industriellen Lebens, jene zähe, elastische, verjüngende Kran, welche auch heute wieder die Ketten des in Versailles auferlegten Sklavenjoches brechen wird, auf der andern Seite Zwietracht, Zersplitterung, der ganze Jammer eines nie zu überwindenden Partikularismus.

Eine Nation von Dutzenden von Stämmen, Städtchen und Gesellschaftsgruppen, und zugleich eine Nation von Denkern! In diesem Gegensatz liegt die Tragik und zugleich auch der endliche Triumph des deutschen Volkscharaktuers. Der auf die Spitze gestellte Widerstreit eines natürlichen, angestammten Sondergeistes mit einem uns nicht minder angeborenen Einigungstrieb hat unser soziales Leben hüben und drüben zu dem interessantesten und lehrreichsten, zugleich aber auch zum kumlmervollsten gemacht.

Um aber für die Einheit reif zu werden, müssen wir erst reif werden für das Verständnis und die Würdigung unseres Sonderlebens. Der alte preussische Wahlspruch „Jedem das Seine“ liefert den Schlüssel zur Verständigung in allen sozialen Fragen, besonders in einem Lande mit so ausgeprägtem Völkergemisch wie Amerika. Die Predigt von der Gleichheit aller Menschen war die gefährlichste Lüge des achtzehnten Jahrhunderts, denn wo Freiheit ist, ist keine Gleichheit und umgekehrt. Das hat die Geschichte unserer Republik zur Genüge bewiesen. Auch in dem Worte „Demokratie“ ist der Begriff des Herrschens enthalten, aber es ist nicht das Volk, sondern Personen, die auch im demokratischen Staate „herrschen“. ln der Pflege und Verbreitung dieses grundlegenden, klassen- und völkerversöhnenden Gedankens liegt darum unsere Mission als Deutsch-Amerikaner, insofern wir uns noch als Angehörige des Volkes der Denker betrachten. Es ist das geistige Band, das uns alle umschlingt, welcher religiösen oder politischen Richtung wir auch angehören.

Wollen wir nun durch Taten beweisen, dass unsere Liebe zum alten Vaterlande echt ist, und das kann nur in Zeiten grosser Not geschehen, dann dürfen wir nicht die Hände müssig in den Schoos’ legen und resigniert ausrufen: „Es hat ja doch keinen Zweck!“ Wir müssen zunächst unter uns selbst einig werden und uns in diesem Einigkeitsbewusstsein an der praktischen Politik des Landes unserer Wahl beteiligen. Praktische Politik ist aber für uns Arbeit an der sozialen Wohlfahrt des Einzelnen wie des Ganzen nach dem Grundsatz „Jedem das Seine“. Es ist geistige Arbeit, das Beste, was wir als Deutsche unserer neuen Heimat zu gehen haben, um auch der alten gerecht zu werden. Um dieses Ideal zu verwirklichen, müssen wir unbedingt unser deutsch-amerikanisches Schrifttum weiter pflegen, denn es ist das einzige Mittel zur gegenseitigen Verständigung, das einzige Forum, vor dem wir reden dürfen über das, was unser Herz bewegt, die einzige Brücke, die zur Heimat führt, die einzige Quelle, an der wir uns geistig erfrischen können, wenn wir uns englisch müde geredet haben.

Darum begrüssen dich „Deutsch-Amerika“ wir Deutsch-Amerikaner.

Von Prof. R. C. SCHIEDT (Lancaster, Pa.)

Siehe auch:
Deutsche Geschichte-Zeittafel
Germanen kämpfen um Europa
Die Wikinger, eine neue germanische Welle.
Das Reich der Deutschen beginnt
Großtaten des deutschen Volkes-Das Rittertum und seine Aufgaben
Großtaten des deutschen Volkes-Deutsche gewinnen Raum im Osten
Deutsche Bauern und Bürger sichern das Neuland.
Deutsche Städte — deutsche Kunst.
Großtaten des deutschen Volkes-Die deutsche Hanse.
Der deutsche Bauer und sein Schicksal
Eine neue Welt tut sich auf— Große Erfindungen
Fürstentrotz und Glaubensstreit zerstören das Reich.
Die Not ruft den Erneuerungs willen des Volkes wach.
Martin Luther, der Reformator.
Volkskämpfe im Schatten der Reformation.
Der Kampf deutscher Fürsten gegen Kaiser und Papst.
Glaubenskämpfe in anderen Ländern Europas.
Am Glaubensstreit geht das Reich zugrunde.
Der Dreißigjährige Krieg (1618—1648).
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Ein neues Deutschland ersteht.
Um die Herrschaft über Europa und die Welt.
Wiedergeburt und Befreiung des deutschen Volkes.
Das deutsche Volk will die Einheit.
Bismarck errichtet das neue Reich.
Das Reich unter Kaiser Wilhelm II.
Im Weltkrieg unbesiegt.
Die Schmach von Versailles und die Republik


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