Deutsch-Amerika ist selbstverständlich kein Landesgebiet, sondern ein Problemgebiet. In seinen Grenzen handelt es sich einmal um den Einfluß deutscher Kultur auf Amerika; des weiteren gehört dahin die Frage nach den Rechten und Pflichten der Amerikaner von deutscher Abstammung; und schließlich kommen hier Amerikas Beziehungen zu Deutschland und der Einfluß amerikanischer Kultur auf das deutsche Volk in Betracht. Alle diese Fragenkreise hängen aufs engste zusammen und so mag der gemeinsame Name „Deutsch-Amerika“ diese Einheit der Probleme zum Ausdruck bringen. Vor allem aber wächst täglich die Bedeutung dieser Fragenkreise und doch scheint die Unsicherheit bei ihrer Beurteilung noch schneller zu wachsen.
In meinem Werke „Die Amerikaner“ mußte ich an alledem vorübergehn. Es galt dort, das Wesen des reinen Amerikanertums aus sich selbst heraus zu erklären. Die Beziehungen Amerikas zum Deutschtum und das Leben und Streben der Deutsch-Amerikaner kamen dort kaum in Betracht. Der Glaube an den Kulturwert der deutsch-amerikanischen Beziehungen mußte aber den Wunsch erwecken, nun auch dieses von Vorurteilen verdunkelte Fragengebiet einmal voller zu beleuchten.
Das neue Thema freilich verlangte eine neue Behandlungsweise. Als ich Amerika schilderte, konnte ich den Stoff in geschlossenem Zusammenhang darstellen; in Deutsch-Amerika dagegen handelt es sich um Zerstreutes und Vereinzeltes, um Ansätze und Regungen, um Stimmungen und Forderungen. Wer solches Gebiet kennen lernen will, sollte sich mitten hineinbegeben in das Gewirre.
Da schien es mir denn der sicherste Weg zu sein, wenn ich statt einer einheitlichen Darstellung eine lose Sammlung von Reden und Briefen, Berichten und Erörterungen darbiete, so daß jeder einzelne Beitrag nicht nur sachlich dem Deutsch-Amerikakreise zugehört, sondern auch praktisch durch Vorgänge in diesem Gebiet veranlaßt wurde. Dadurch bleibt die lebendige Wirklichkeit der Fragen am treuesten gewahrt; die Dinge bieten sich, wie sie in unser tägliches Leben eingreifen.
An Material für solche Sammlung konnte kein Mangel sein. Viel hundert Male hatte ich in den letzten zehn Jahren zu deutschamerikanischen Fragen das Wort zu ergreifen. Freilich war das alles stets nur für die besondere Stunde berechnet. Und da ich nun einige solcher Gelegenheitsstücke aneinanderreihe, versuche ich auch nirgends, die Spuren der zufälligen Anregung zu beseitigen. Dadurch mischt sich ja freilich, besonders in den Briefen, viel Persönliches in die Diskussion und manches muß durchaus unter dem Gesichtspunkt des besonderen Anlasses gewürdigt werden. Durch die wechselseitige Ergänzung können sie aber doch vielleicht über das Vorübergehende hinausführen und wirklich ein Bild von den dauernden Verhältnissen in Deutsch-Amerika bieten.
10. August 1908.
Hugo Münsterberg.
Siehe auch:
Die Deutsch-Amerikaner und das Kaiserreich
Wie das alte Österreich starb
Wie das alte Österreich starb II
Die Deutschen in Amerika
Die Deutschen in Amerika II
Eine Audienz bei Richard II. (Richard Strauss)
Die Lüge als Fundament
„Deutsch-Amerikas“ Mission
Schundromane auf dem Scheiterhaufen
Lincoln und das deutsche Element
Die Geschichte der Revolution
Der Aufbau Palästinas