Vom Sammeln.
Drei gute Genien wirken am Behagen im Hause vor Allem, drei freundliche Geschwister: Sie heißen Ordnung, Geschmack und Sammelfreude. Die Sammelfreude sucht und schafft herbei, der Geschmack wählt und wertet, die Ordnung weist jedem seinen Platz, waltet und erhält. Vom Sammeln sei hier die Rede. Der Sammeltrieb (oder die Sammelfreude) ist ein wichtiger Kulturfaktor : Er verbindet Natur und Menschenwerk mit dem Menschen, er verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Gegenwart mit der Zukunft, er schlägt Brücken von Seele zu Geist und von Geist zu den Seelen. Er bereichert, belehrt, er hebt die Achtung vor göttlichen und menschlichen Schöpfungen, er mehrt Wissen und Erkenntnis. Seine Wurzeln liegen tief im Gemüt, wenn er sich auch oft als einen Sohn des Verstandes ausgibt.
Nichts erscheint ihm zu gering, er ist so recht ein Beamter der Alliebe, die ihn bestellt hat und besoldet, ihre vielfältigen Kinder zu vereinen, zu hüten und zu bewahren. Wo er nicht zu einer sinnlosen Leidenschaft, zur törichten Habgier, zur eigennützigen Gewinnsucht entartet, da bringt er nur Segen und Anregung. Wenn er auch nicht im eigentlichen Sinne zu den erzeugenden Tätigkeiten gehört, so kann man ihm doch nicht eine gewisse Fruchtbarkeit abstreiten: Sammlungen, feinsinnig und von hoher Warte zusammengestellt, können wie lebende oder sagen wir künstlerische Organismen, die Generationen nicht nur entzücken, sondern auch befruchten. Bei Bildung dessen, was man Stil nennt, hat er einen hervorragenden Anteil. In dieser Hinsicht ist er ein naher Verwandter der Kunst, die er so gerne beschützt.
In jedem umfangreicheren Menschen ist er hoch entwickelt, aber er lebt auch in den schlichtesten Seelen. Alle großen Künstler sind leidenschaftliche Sammler, von denen angefangen, die die Schatzkammer ihres Gedächtnisses mit Hilfe ihrer scharfen Sinne mit den Abbildern der Dinge und der Ereignisse füllen, bis zu den großen Eroberern, die die Museen ihres Vaterlandes mit den Schätzen der Kunst und der Natur aus aller Welt füllen.
Was sammelte ein Goethe nicht alles? Man gehe nach Weimar und forsche in dem behaglichen schlichten Tempel des Genius nach: Er sammelte Stiche und Holzschnitte, Erinnerungen und Naturalien, Fayencen und Statuen, er sammelte sich selbst. Es gab für ihn, den umfangreichsten aller Deutschen, so viele Gründe immer mehr’und immer aufs neue zu sammeln. Und wie er, so taten es und tun es noch alle die Großen, die da wissen, was es heißt: Sein Leben und das Leben der Menschheit zu leben.
Will man den Sammeltrieb in Kategorien einteilen, so mag man von einem ästhetischen reden, einem, der auf das Aneignen solcher Werte bedacht ist, die dem Empfinden Erregungen und Anregungen bereiten, von einem wissenschaftlichen, der darauf ausgeht, wohlgeordnetes Material für geistige Arbeiten zu beschaffen, einem praktischen, der sich damit beschäftigt, Werkzeug und Vorbild zu technischen Zwecken zu gewinnen, und endlich einen zärtlichen, der seine Genüge findet, wenn er Dinge, die für ihn mit einer lieben Erinnerung an Orte, Zeiten und Menschen verknüpft sind, um sich häuft.
Endlich könnte man auch noch von einem phantastischen Sammeltrieb reden, doch bei näherer Betrachtung ist er im Grunde nur eine Spielart des ästhetischen oder wissenschaftlichen odei eine Perversion eines der beiden. Vielleicht könnte man auch von einem Sammeltrieb der Sinne, des Verstandes, des Gemüts und der Kräfte sprechen. Für eine häusliche Kultur ist das Sammeln von höchster Wichtigkeit. Man vergegenwärtige sich ein Haus, wo nur angeschafft und beschafft wird und halte sich dagegen ein Hauswesen vor Augen, wo liebevolle Sammelgeister walten.
Hier seelenlose Nüchternheit, geschäftliche Tapeziererherrlichkeit im besten Falle, dort reiches geordnetes Leben, geistige Gastlichkeit und freundliche Fülle — hier kalte Unpersönlichkeit, dort Persönlichkeit und Menschlichkeit. Am behaglichsten werden sich immer die Häuslichkeiten ausnehmen, wo jeder Sammeltrieb ein Feld hat: Eine schöne Bücherei, Jagdtrophäen, Waffen, Bildnisse verehrter Helden. Was ist das Zimmer des Hausherrn ohne solche Beigaben oder ähnliche? Was ist das Zimmer der Hausfrau — und wäre es vom raffiniertesten Raumkünstler ausgestattet, ohne den zärtlichen Sammelgeist, der nicht müde wird, Bildnisse von Lieben um sich zu versammeln und kleine mysteriöse Nichtigkeiten zu verteilen? Es würde eben das Beste, das Weiblich-Persönliche fehlen. Alle feineren Raumkünstler tragen klug erwägend diesem Sammeltriebe Rechnung, indem sie diesen Dingen liebevoll schützende und rechtfertigende Einheiten gestalten.
DieEmpfangsräume sollen freilich frei sein vom Allzumenschlichen und Allzupersönlichen. Hier muß der äst he tisch e Sammeltrieb regieren, und Affektionswerte sind hier nicht am Platze. Die Gastlichkeit verlangt Diskretion und verbietet es, dem ferneren Besucher mit seinen innersten Liebhabereien zu kommen. Gute Gemälde und schöne Gegenstände von allgemeinem Interesse sind hier allein am Platze. Doch das sind Lehren, die allgemein bekannt sind.
Eine hübsche Bücherei, werschätzte sie nicht! Wirkliche Sammlungen wissenschaftlicher oder ästhetischer Art größeren Umfanges zu einem kleinen Museum vereint, verleihen einem Hause besonderen Reiz, zumal auf dem Lande sind sie unschätzbare Anreger, Tröster an Regentagen und an langen Winterabenden.
Auch Korridore eignen sich auf das trefflichste, Sammlungen irgend welcher Art geschmackvoll zu gruppieren. Gravüren aus fernen Ländern, Ethnographika, Waffen, Jagdtrophäen sind ein weit persönlicherer Schmuck, vorausgesetzt eine wirkliche Sammelleidenschaft hat sie herbeigetragen, als die schönsten Schablonierungen oder rhythmischen Ornamente eines Baumeisters. Dergleichen sind in öffentlichen Gebäuden, in Hotels, in Schulen vielleicht angebracht, dem Geiste echten Behagens, das aus dem Menschlichen seine Befriedigung und Freude erzeugt, widersprechen sie.
So achten denn tüchtige Raumkünstler, ehe sie ihr Werk in einem Hause beginnen, sorgfältig auf die Sammelleidenschaften der Bewohner, und wo sie solche entdecken, beginnen sie auf diesen fußend ihr Werk, und wo sie keine starken finden, da suchen sie nach Ansätzen und der Möglichkeit, welche zu entwickeln: Denn ohne sie ist und bleibt ein Hauswesen allenfalls ein Dokument für die begabte Persönlichkeit des Raumkünstlers oder Architekten, wird aber nie ein Dokument für die Persönlichkeit der Bewohner sein, wofern diese nicht ihren Ehrgeiz in rauhem Puritanismus suchen — oder in absoluter Unpersönlichkeit, was allerdings auch ein Ausfluß von Persönlichkeit, wenn auch kein menschlicher und sympathischer sein kann.
Am verbreitetsten ist in unseren Tagen das Antiquitätensammeln und in manchen Städten gibts ebensoviel Altertumshändler wie Brotläden. Es ist das kein gutes Symptom und deutet darauf hin, daß man spielerisches Maskieren, ein Sich-in-andere-Zeiten-Hineinstimmeln dem gesunderen und frischeren Sich-in-seine-Zeit-einleben vorzieht. Aber auch wirtschaftlich und kulturell ist das Altertumssammeln kein Glück! Ist es denn menschlich, ist es gerecht, daß ein Künstler sein hundertjähriges Ver-hungerungsjubiläum gefeiert haben muß, bis ein Trödler oder ein schäbiger Zwischenhändler den Lohn für sein heiliges Schaffen einstreichen kann! — Gott sei Dank hat das Altertumssammeln seine Strafe in sich: Selten sind die guten Antiquitäten, alt wie es selbst, ist das Fälschen, und die Austin’s de Bordeaux, die im Mittelalter antiquitätenhungrige Kaiser anschmierten, betrügen auch noch unsere antiquitätenlüsternen Damen und Herren — und betrügen sie hoffentlich noch so lange, bis sie es endlich lernen, daß gute ehrliche Schöpfungen ihrer Zeit besser sind als die besten, aber unehrlichen Fälschungen vergangener Werte.
Und — Gott sei Dank: Unser modernes aufblühendes Kunstgewerbe und unsere frische junge Kunst mit ihrem unendlichen Reichtum, bietet denVerständigen und Einsichtigen längst ein dankbareres ästhetisches Sammelgebiet als die zweifelhafte Luft der Trödlerläden.
Es hat Sinn, historische Dokumente zu sammeln, es hat Sinn, praktische Dinge zu Nutz und Frommen zu vereinen, es hat Sinn, Kunstwerke aus allen Zeiten zu sammeln, wenn sie echt und gut sind — aber seine Wohnung mit Trödel zu bevölkern, mit altem Gerümpel elendester Technik und Machart, nur weil es den Nachteil hat, alt und schmutzig zu sein — das hat eben keinen Sinn, kuno graf Hardenberg.
Bildverzeichnis:
Fritz Pfuhle-Die Blaue Madonna
Ludwig Muhrmann-Erntebild
Otto Heinrich Engel-Mutter und Kind
Paul Plontke-Florentinisches Fuhrwerk
Paul Plontke-Venus
Siehe auch:
Die Kunst und die Gegenwart
Die Lebensfrage der Kunst
Die Landschaft ist ein Seelenzustand
Vom Wert der Anschauung
Ein Kriegerdenkmal
Was ist Expressionismus?
Linie und Form in der Plastik
Der Tastsinn in der Kunst
Fritz Boehle
Ratschläge vorm Verkauf von Kunstbesitz
Waldemar Rösler
Franz Hoch
Silhouetten
Die Kunst nach dem Kriege
Ein Deutsches Ledermuseum
Heldenhaine und Ehrenhaine
Kriegs-Gedächtnis-Male
Lebenswerte der Kunst
Constantin Meunier-Denkmal der Arbeit
Die Anfänge einer neuen Architektur-Plastik
III. Deutsche Kunstgewerbe-Ausstellung
Neue Brunnen und Denkmäler von Franz Metzner
Monumentale Kunst
Franz Metzner-Steinmetz und Bildhauer
Bildhauer Georg Kolbe
Zum Denkmals-Problem
Die Grosse Berliner Kunst-Ausstellung