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Werden und Vergehen der Welt im arischen Mythus

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aus dem Kunstmuseum Hamburg

Woher kommen die Welten, die Götter, die Menschen und alle die Dinge, die zwischen Himmel und Erde sind? Und wohin gehen sie alle wieder, vor allem die Götter und Welten, die, wenngleich sie das irdische Leben des Menschen überdauern, doch einem grollen kosmischen Gesetz unterworfen sein müssen?

So fragt der Mensch aller Zeiten und Völker, und die vergleichende Betrachtung von Mythen und Märchen ergibt eine oft erstaunliche Übereinstimmung in der Fragestellung sowohl als auch in der Beantwortung. Es will deshalb zunächst auch nicht einfach erscheinen, eine russische Unterschiedlichkeit in der vergleichenden Mythenforschung zu erkennen. Und doch ist eine solche vorhanden, ist der arische Mythus der Weltentstehung grundsätzlich verschieden vom chinesischen, babylonischen oder dem der Azteken. Obwohl die Vorstellungen von einer kosmischen Ordnung auch im arischen Rassebereich auf den ersten Blick verschieden zu sein scheinen, ist doch trotz räumlicher und zeitlicher Unterschiede ein großes, gemeinsames Grundgefüge erkennbar. Gleiches Wissen um ein ewiges Weltgesetz tut sich kund im gestaltgewordenen Erlebnis des germanischen Nordlandes, im grübelnden Versunkensein des vedischen Indien und im feiernden Gebet des grollen, glaubensstarken Ariers Zarathustra.

Von den Weltentstehungsmythen, die uns aus dem arischen Rassebereich überkommen sind, geben Rigveda und Edda die erhabensten Zeugnisse. Fast 2000 Jahre vor dem Beginn der philosophischen Weltbetrachtung in Griechenland stoßen arische Weise in Indien bereits bis an die Grenzen menschlicher Erkenntnis vor, über die hinaus es kein Wissen mehr gibt. Wir können heute nur in Ehrfurcht vor der zwingenden Klarheit arischen Weistums stehen, das sich in all seiner Tiefe im 10. Buch des Rigveda, Kapitel 129, offenbart:

1. „Nicht das Nichtseiende war damals und auch nicht das Seiende; nicht der Luftraum war, nicht der Himmel darüber Was bewegte sich? Wo? In wessen Schutz? War das Wasser, die unergründliche Tiefe?

2. Nicht der Tod war damals und auch nicht die Unsterblichkeit, kein Unterschied war zwischen Nacht und Tag. Das Eine atmete ohne Wind aus eigener Kraft; nichts anderes als dieses gab es.

6. Wer weiß es gewiß, wer kann es hier verkünden, woher sie geboren ist, woher diese Schöpfung stammt? Diesseits sind die Götter von der Erschaffung dieses All. Wer aber weiß, woraus es geworden ist?

7. Woraus diese Schöpfung geworden ist, ob sie erschaffen ist oder nicht? Er, der ihr Aufseher ist im höchsten Himmel, er weiß es gewiß, oder ob auch er es nicht weiß?“

Jedem christlichen Denken wäre diese letzte Frage als ein schwerer frevel und eine Verleugnung der göttlichen Allmacht erschienen. Der arische Geist Indiens kennt keine solche lähmende Fessel, weiß um keine absolute göttliche Offenbarung, die jedes diesbezügliche menschliche Sinnen und Denken von vornherein verdammt. Gleich den Griechen Homers, gleich den Germanen der eddischen Heldenlieder, so tritt auch er mit stolzem Selbstbewußtsein und einer fast heiteren Gelassenheit seinen Göttern gegenüber. Auch er weiß, daß die Götter „diesseits sind von der Erschaffung des All“ und daß sie wie der Mensch einer größeren Weltordnung unterworfen sind. Und diesen letzten Grund der Welt in Worten zu fassen, unterfängt er sich in ganz nach innen gewandter, einsamer Versenkung in die lockenden und verheißenden Gefilde des Geistes. Was am Anfang nicht war, das vermag auch er nur zu sagen. Aber gleich einem Heimatlosen, der es nicht mehr zu deuten vermag, so sucht er und ringt um Erkenntnis, treibt das Wort in die tiefsten Gründe und findet lange vor einem Plato und Aristoteles letzte und oberste Grundbegriffe: atman und brahman — das Eine und das All. — sat und ǎsat — Sein und Nichtsein. So ist gerade unser Text ein bezeichnendes Beispiel für die Abwendung des arischen Indiens von der mythischen und bildhaften Gestaltung des dichterischen Erlebens und der Hinwendung zum grübelnden Verstand, zum abstrakten Begriff.

Das Weltenschicksal in der Edda ist noch echter Mythus, umwoben vom inhaltsschweren Nornenspruch und geheimnisdurchwirkten Gesichten weiser Seherinnen. Wo in Indien schon letztmögliche Helligkeit begrifflichen Denkens ist, da umwittert die Weissugung der germanischen Wölwa das raunende Singen des nordischen Landes, da atmet jedes Wort noch erdhafte Nähe. Gewiß, es sind in Frage und Beantwortung viele verwandte Züge unverkennbar vorhanden, jedoch wirkt „Der Seherin Gesicht“ wie eine machtvolle Musik, brausend in schicksalhaften Akkorden und wiederum flüsternd und von ewigen Dingen leise erzählend — wo sich im arischen Indien nur noch das Wort um letzte Sinndeutung müht.

Mit der Weissagung der Seherin beginnt die Edda. Daran allein schon mag die Bedeutung erkannt werden, die man ihr von alters her zumaß. Versuche dieses Gedicht vom Weltenschicksal in einem aus gänzlich anderen Regionen stammenden religiösen Sinne deuten zu wollen, sind immer wieder gescheitert. Die Weissagung der Wölwa ist keine Religion, und sie will keine sein. Sie ist eine begnadete, mythische Vision einer Zeit, die noch urtümliche Erlebnisbereiche kannte, einer Zeit, die Wäldern und Meeren wabernde Geheimnisse abzulauschen verstand.

Die Seherin berichtet ihre geheime Kunde mit einer Stimme, die allen Lärm gebieterisch verstummen macht und feierliche Stille fordert:

„Ich heische Gehör von den heiligen Geschlechtern,
von Heimdalls Kindern, den hohen und niedern;
Walvater wünscht es, so will ich erzählen
der Vorzeit Geschichten aus frühster Erinnerung.
Zu der Riesen Ahnheer reicht mein Gedächtnis,
die vor Zeiten erzeugt mich haben;
neun Welten kenn ich, neun Räume des Weltenbaums,
der tief im Innern der Erde wurzelt.
In der Urzeit war´s, als Ymir lebte:
da war nicht Kies noch Meer und kalte Woge;
nicht Erde gab es noch Oberhimmel,
nur gähnende Kluft, doch Gras nirgends!“

Welch eine Kluft zwischen dem „Sein und Nichtsein“ des Rigveda und dem „Kies und Meer und kalte Woge“ unseres Gedichts! Dort die Grenzen einsamer Grübeleien des Geistes, hier die erlebten Züge des nordischen Landes! Auf der einen Seite bereits der erste große Versuch einer rein verstandesmäßigen Erlassung eines heimatlos und in jener Umwelt nie heimisch gewordenen Ariertums, auf der anderen die großartige Ausformung von Geschautem und Erlebtem im mythischen und zugleich dichterischen Wort, das noch lebendigste Beziehung zu jenem Grunde zeigt, auf dem es gewachsen ist. Wenn irgendwo, so werden hier am besten die Klüfte ersichtlich, die den arischen Geist in der weiteren Entwicklung verschiedene Wege gehen lassen.

Der germanische Mythus von der Weltentstehung ist ein zeitloses Dokument lebendiger Wechselwirkung von Erleben und Gestalten. Und wie die Seherin zunächst die früheste Vorzeit aus der mythischen Erinnerung heraufbeschwört, so entrollt sie im folgenden Zug um Zug ein grandioses Weltbild vor unseren Augen, ein Weltbild, aus dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit unerbittlicher Notwendigkeit folgern. Götter und Menschen entstehen, ein Schaffen und Bauen ist’s, — und „da kam auch Krieg in die Welt“, eine Tatsache, mit der es sich heldisch auseinanderzusetzeu gilt. Mutet es zunächst an, wie wenn der Werdeprozeß der Welt eine großartige Symphonie in Dur ist, so flicht die Seherin bald die ersten Mollakkorde hinein. Sie ahnt das Unheil, das niemand abzuwenden in der Lage ist. Götter- und Weltendämmerung zieht herauf. Die Götter rüsten, und es rüsten die Menschen, in unnachahmlicher Weise deutet die Wölwa die untrüglichen Anzeichen des bevorstehenden Endes:

„Es befehden sich Brüder und fällen einander,
die Banden des Bluts brechen Schwestersöhne;
arg ist´s in der Welt, viel Unzucht giebt es –
Beilzeit, Schwertzeit, es bersten die Schilde,
Windzeit, Wolfzeit, eh die Welt versinkt –
nicht einer der Menschen wird den andern schonen.

Die Sonne wird schwarz, es sinkt die Erde ins Meer.
Vom Himmel fallen die hellen Sterne;
es sprüht der Dampf und der Spender des Lebens,
den Himmel bedeckt die heiße Lohe.“

Götter- und Weltendämmerung. — das ist der kühnste arische Gedanke. Er erst vollendet den Mythus der Weltentstehung und läßt das großartige Werden in einem ebenso gewaltigen Vergehen ausklingen. Eine fertige, geschaffene und dann sich selbst überlassene Welt kennt arischer Geist ebensowenig wie ein Jüngstes Gericht. Welt ist ihm vielmehr „ein aus sich selbst rollendes Rad“, sinnhaft gedeutet im Symbol des Hakenkreuzes. Vedische Texte heißen die kosmische Ordnung auch oft „das große Rad des Werdens“, das schicksalerfüllt unaufhaltsam weiterrollt. Götter- und Weltenuntergang ist selbst auch kein letztes Ende, dem ein Leben in was auch immer für einem Jenseits folgt.

Seit Nietzsche ist der Begriff der „ewigen Wiederkunft aller Dinge“ eine fest umrissene Größe. Wenn aber irgendwo, so ist die Lehre von der Wiederkunft in erhabenster Weise in der Völuspa dargestellt, fast vorerlebt. Ja. die Götterdämmerung ist ohne einen neuen Weltenmorgen im germanischen Sinne — sinnlos in des Wortes wahrster Bedeutung. Erst wenn „Böses besser wird und Baldr heimkehrt“, ist die sieghafte Wendung zum Guten vollzogen. Denn daß das Licht über die Finsternis, das Gute über das Böse letztlich triumphieren wird, ist die heiligste arische Gewißheit, die in der Lehre des großen arischen Persers Zarathustra in einem hehren Abgesang ihr zeitloses Gepräge fand.

Siehe auch:

Deutsche Mythologie – Seelenglaube und Naturverehrung
Deutsche Mythologie – Der Seelenglaube
Deutsche Mythologie – Die Seele als Atem, Dunst, Nebel, Schatten, Feuer, Licht und Blut
Deutsche Mythologie – Die Seele in Tiergestalt
Deutsche Mythologie – Die Seele in Menschengestalt
Deutsche Mythologie – Der Aufenthaltsort der Seelen
Deutsche Mythologie – Der Seelenkultus
Deutsche Mythologie – Zauberei und Hexerei
Deutsche Mythologie – Der Maren- oder Alpglaube
Deutsche Mythologie – Schicksalsgeister
Deutsche Mythologie – Der Mütter- und Matronenkultus
Deutsche Mythologie – Naturverehrung
Deutsche Mythologie – Naturerscheinungen in Tiergestalt
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Elfen und Wichte
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Zwerge
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Hausgeister
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Wassergeister
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Waldgeister
Deutsche Mythologie – Die elfischen Geister – Feldgeister
Deutsche Mythologie – Die Riesen – Name und Art der Riesen
Deutsche Mythologie – Die Riesen – Luftriesen
Deutsche Mythologie – Die Riesen – Berg- und Waldriesen
Deutsche Mythologie – Die Riesen – Wasserriesen
Deutsche Mythologie – Der Götterglaube
Deutsche Mythologie – Name und Zahl der Götter
Deutsche Mythologie – Mythenansätze und Mythenkreise
Deutsche Mythologie – Mythenansätze und Mythenkreise – Der Feuergott
Deutsche Mythologie – Mythenkreise – Licht und Finsternis. Gestirnmythen.
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Tius
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Foseti
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Wodan
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Donar
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Balder
Deutsche Mythologie – Die einzelnen Götter – Deus Requalivahanus
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen
Deutsche Mythologie – Die Mutter Erde
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen – Nerthus
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen – Nehalennia
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen – Tanfana
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen – Hludana
Deutsche Mythologie – Die Göttinnen – Haeva
Deutsche Mythologie – Die himmlischen Göttinnen – Frija
Deutsche Mythologie – Die himmlischen Göttinnen – Ostara
Deutsche Mythologie – Die himmlischen Göttinnen – Baduhenna
Deutsche Mythologie – Die himmlischen Göttinnen – Walküren
Deutsche Mythologie – Die himmlischen Göttinnen – Schwanjungfrauen
Deutsche Mythologie – Der Kultus
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Gottesdienst, Gebet und Opfer
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Opferspeise
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Opferfeuer
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Der Götterdienst im Wirtschaftsverbande
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Der Götterdienst itn Staatsverbande
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Der Götterdienst im Kriege
Deutsche Mythologie – Der Kultus – Der Götterdienst des Einzelnen im täglichen Leben
Deutsche Mythologie – Das Priesterwesen
Deutsche Mythologie – Wahrsagerinnen und Priesterinnen
Deutsche Mythologie – Das Erforschen der Zukunft
Deutsche Mythologie – Ort der Götterverehrung
Deutsche Mythologie – Tempel
Deutsche Mythologie – Tempelfrieden
Deutsche Mythologie – Tempelschatz
Deutsche Mythologie – Götterbilder
Deutsche Mythologie – Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt
Deutsche Mythologie – Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt – Der Anfang der Welt
Deutsche Mythologie – Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt – Die Einrichtung der Welt
Deutsche Mythologie – Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt – Das Ende der Welt


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