aus dem Kunstmuseum Hamburg
DAS Problem des Reiterdenkmals ist ein dreifaches. Der Künstler muss zwei organische Gebilde, die, verschieden in ihrer Struktur, sich nach verschiedenen Gesetzen bewegen, zu einem geschlossenen Ganzen verschmelzen; er muss die materiell überwiegende Masse der quantitativ geringeren geistig unterordnen; er muss endlich eine ungeheure Last auf verhältnismässigig schwachen Stützen ruhen lassen. Nur die gleichzeitige Lösung dieser drei Aufgaben verleiht dem Werke Lebenswahrheit und Vollkommenheit, und nur dem ausgezeichneten Künstler ist es vergönnt, beides zu erreichen. Daher hat das Reiterdenkmal stets zu den vornehmsten Aufgaben der Plastik gehört und den wenigen Auserwählten weithin schallenden Ruhm eingetragen.
Wie das Grabdenkmal verdankt auch das Reitermonument der Begierde nach Ruhm, diesem „höchsten von des Lebens Gütern allen“, sein Erscheinen in der christlichen Kunst. Mit dem Grabdenkmal ist es die Lieblingsschöpfung der Monumentalskulptur geblieben seit jenen Zeiten, wo die erste Renaissancebewegung wie ein Vorfrühling über die staunenden Menschen kam. Es ist früh hinaus getreten in die lebendige Tageshelle aus dem Dunst und Dämmer der Kirchen, an deren Wänden, in bleichem, kühlem Marmor prächtig aufgebahrt, ein welker Gelehrtenruhm zu immer tieferem Vergessen hinüberschlief. Wie eine Verkörperung unzerstörbar reckenhaften Heldengeistes stehen dagegen die Reiter mitten im bunt vorüberlärmenden Getriebe des Alltags, erzählen lebendig von ferner Zeiten Kraft und Kühnheit und trotzen allem Vergessen mit dem stolzen Trost der Toten: „denn das irdische Leben flieht, und die Toten dauern immer.“
Italien, speziell Toscana, darf, wie für das Grabmonument, so auch für das Reiterdenkmal, das zuerst ja nur einen Teil der Grabskulptur darstellte, des Ruhmes vollsten Kranz entgegennehmen, Denn Meister aus der Schule Niccolö Pisano’s waren es, die den Herren von Verona zum ersten Male Reiterbildnisse als Bekrönung auf ihre hochstrebenden Gräber setzten. Drei Sarkophage von gotischen Baldachinen überdacht, so erheben sich neben S. Maria Antica die Grabmale dieser hochfahrenden Tyrannen aus dem Geschlechte der Scaliger. Das älteste, noch an die Seitenwand der Kirche gelehnt und von Can Grande I. schon zu seinen Lebzeiten (1329) errichtet, ist auch das trefflichste. Eine kecke Wendung des Kopfes beim Reiter wie beim Pferd, ein straffer Sitz in der schwergeschienten Rüstung, eine leise Bewegung in der auf dieser luftigen Höhe vom Winde durchwehten Turnierdecke — und ein Bild höchst individuellen, charaktervollen Lebens ist geschaffen, das mit Recht Vorbild und Typus für eine ganze Schaar nachfolgender geworden ist. Allein diese nachschaffenden Meister sahen ihrem Vorbilde kaum mehr als die technischen Vorzüge ab, ohne rechtes Verständnis für das, was da in grossen Linien und Formen mit monumentaler Schlichtheit vor ihnen stand. Kein Pomp des Beiwerkes konnte die mangelnde innere Grösse ersetzen; die Unfreiheit dem Vorbilde gegenüber liess mehr und mehr die Naturform erstarren, und so zeigten sich denn schon im Grabmal des Bernabo Visconti zu Mailand (1348) die Ratlosigkeit, die Masse zu stützen, und das mangelnde Verständnis des Pferdeleibes auf’s bedenklichste.
Dass es vor allem an der ungenügenden Kenntnis des Rosses lag, mussten die Künstler allmählich selbst mit Schrecken wahrnehmen, und dies um so eher, je eifriger sie auch für die menschliche Gestalt das Studium des Nackten zu betreiben begannen. Dem Quattrocento gebührt auch auf diesem Gebiete der Ruhm, die Form von der Formel erlöst zu haben. Dabei ist es wundervoll zu sehen, wie die Ehrfurcht vor der Natur die ernsthaften Künstler vor der Nachahmung der so innig verehrten Antike gehütet hat. Stand doch in Rom, damals noch vor dem Lateran, das Reiterbild eines antiken Kaisers, das auf gut Glück nachzubilden wohl verlockender, bequemer und gefahrloser erscheinen musste, als das schrittweise Erforschen der Natur. Statt dessen wollte man von diesem Werke nichts lernen, als was es Künstler zu lehren im Stande war: die treffliche organische Verbindung von Ross und Reiter, die intime Kenntnis des bewegten Pferdes und den Vorzug der Bronze für das Material.
Mit dem richtigen Instinkte grade des einen, das vor allem Not that, warf sich alles, was künstlerischen Trieb und Drang in den Fingern spürte, auf die Erforschung des Pferdes in Bewegung. Die Feste der hohen Gesellschaft, Turniere, Jagden, Kriegszüge boten den willkommensten Studienplatz. Die Vor-und Hinterhand des Pferdes, die Gangart, die Thätigkeit des Schulterblattes, die Verbindung des Halses mit dem Rumpfe — alle diese im Trecento künstlerisch toten Gebiete wurden nun erschlossen, und im letzten Drittel des Jahrhunderts konnten, durch die Resultate ihrer Vorgänger mannigfach bereichert, Verrocchio und Lionardo mit tiefstem wissenschaftlichem Ernst den ersten Vorstoss in das Gebiet der Pferdeanatomie wagen. Maler und Bildhauer arbeiteten gleichzeitig daran, das Erreichte nutzbar zu verbreiten;; überall, wohin man sah, verschenkte der Martinsreiter seinen Mantel, ritt Georg den Drachen zu Tode, kam der stolze Reiterzug der heiligen drei Könige einhergesprengt. Herzoge an der Spitze der kleinen Staatengebilde, Condottieri im Solde der Republiken sorgten eifrig mit ihrem Reiterbilde in Erz für ein spätes Gedenken, oder erhielten wohl auch ein solches „nach heidnischer Weise“ als Lohn für ihre Thatcn. Und versagten einmal die Mittel, so wurde gelegentlich, wie im Florentiner Dom, nur ihr Conterfei al fresco auf die Mauer gemalt, als stände dort oben drohend und schützend zugleich ihr reisiges Bildnis.
In Donatellos Gattamelata und Verrocchios Colleoni sind die gewaltigsten Zeugen der Reiterplastik jener Zeit erhalten. In beiden, die Köpfe der Pferde vielleicht allein ausgenommen, tritt der Einfluss der Antike ganz zurück; beide geben das Reiterideal ihrer Schöpfer und ihrer Zeit. Aber wie verschieden ist dieses! Wie ein Stück plötzlich in Erz gebannter Natur stellte Donatello seinen Reiter in wuchtigen Formen vor die massige Architektur des Santo in Padua (1453). Keiner vor und nach ihm hat das rein animale Dasein der Kreatur so überzeugend auszudrücken verstanden. In Verrocchios Denkmal hingegen (1495) spürt man den Einfluss der 40 Jahre, die es von Donatello trennen. Sein Colleoni, der im Sattel machtvoll emporgereckt seine Blicke wie Raubvögel über die brausende Schlacht sendet, ist Ausdruck einer dramatisch gespannten E mpfindung. lieber der Gewalt, mit der diese sich Bahn bricht, vergessen wir ganz die übertrieben sorgsame Behandlung des Details, wodurch namentlich das Ross den Zeitgenossen als „eine zu rohe Nachahmung der Natur, die den Eindruck eines der Haut entblössten Pferdes hcrvorrufe.“ erschien.
Noch einen Schritt weiter, den letzten, den es zu machen galt, ging Lionardo. In seinem Francesco Sforza für Mailand unternahm er es zuerst, das Ross in voller Ungebundenheit galoppierend darzustellen. Allein dem alten Fluch sein er Schöpfungen, unvollendet zu bleiben, verfiel auch dieses kolossale Werk. Wahrscheinlich kam es überhaupt nicht überdas cavallo hinaus. Was wir verloren, lässt eine Reihe Studienblätter mit schmerzlicher Deutlichkeit erkennen. Welch ein Sturm in diesen Skizzen! Dabei in dem gefallenen Krieger, über den der Reiter triumphierend hinwegsprengt, ein altes Motiv von antiken Sarkophagreliefs auf die Monumentalplastik übertragen! Die Arbeit des ganzen Jahrhunderts vor ihm schien Lionardo zum Ziele führen zu wollen. Und wer anders als er hätte die entfesselte Bewegung mit den Forderungen der Technik und den Gesetzen der Theorie in Einklang zu bringen gewusst? Mit dem Gipsmodell des Pferdes, das französische Scharfschützen mutwillig zur Zielscheibe nahmen, zertrümmerten sie ein Werk, das gerade den Künstlern ihrer Nation vielleicht wie kein anderes das Ziel hätte weisen können, an dem sie später so hart vorübergingen.
Hatte Lionardo selbst, vielleicht unbewusst, auf die Antike zurückgegriffen, so gab sich nun die Hochrenaissance mit voller Absichtlichkeit dem gefährlichen Zauber der Antike hin, deren grade um diese Zeit dem Schutt der Vignen entsteigende Marmorbilder zu kritikloser Bewunderung entflammten. Beides, die kühle Formengewandtheit, die in jenen späten Werken der antiken Kunst herrschte, und die immer mehr verstandesgcmäss betriebenen theoretischen Studien am Pferdeskelett, beschleunigten die Aufstellung eines abstrakten Idealrosses, von dem sich das naturfrische Quattrocento weislich fern gehalten hatte. Der Marc Aurel, durch Michelangelos Neuaufstellung vor dem Kapitol zu doppelten Ehren gebracht, ward nun Norm und Muster für alle Reitermonumente. Im Cosimo I, den Gian Bologna 1594 auf der Piazza della Signoria in Florenz aufstellte, tritt dies deutlich zu Tage. Das Verhältnis von Ross zu Reiter, die Gangart des Pferdes und die Bildung des Sockels sind Nachahmungen des alten Imperatorenbildes. In der Eleganz und dem Pathos der Pose verspürt man den Tropfen gallischen Blutes, der durch Gian Bologna’s Adern floss. Sein Schüler Tacca knüpfte mehr an Lionardo an und verstand es zuerst, indem er die Virtuosenstücke der modischen Reitkunst berücksichtigte, das Pferd in springender Bewegung frei zu bilden. Durch seine Thätigkeit in Spanien und Frankreich kamen nun diese Länder unter die Herrschaft des italienischen Reiterideales.
Seine endgiltige Ausbildung fand dieses Ideal unter Berninis Händen in dem antikisierend barocken Constantin zu Rom, und das nunmehr tonangebende französische Cäsarentum, zu dem der Künstler später enge Beziehungen unterhielt, versäumte nicht, sich diesen schmeichelhaften Typus selbstgefällig für seine Zwecke anzueignen. Je mehr aber das Reiterdenkmal zu einer halb selbstverständlichen Huldigung für die hohen Herren herhalten musste, je grössere Sorgfalt wandten die Künstler dem Porträt zu, auf das man bisher, namentlich im Quattrocento, weniger Gewicht zu Gunsten der charakteristischen Erscheinung gelegt hatte. Die Formel für das Ross war ja ohnehin gefunden. Endlich wurde auch das Piedestal, ursprünglich die Grabkammer für die Ueberreste des toten Helden, der Träger geistreicher oder glatter, stets aber deutlicher Schmeichelei und verlockte die Phantasie der Künstler oft zu seltsamer Hebung. Auch hier hatte Tacca mit den berühmten vier gefesselten Mohren, die er mit Ketten an den Marmorsockel eines seiner Standbilder schmiedete, die erste entscheidende und noch ge-schmackvolle Anregung gegeben, der Schlüter beim Grossen Kurfürsten bewusst gefolgt ist. Bald genug indessen ersetzte sie der Klassizismus durch allegorische Gestalten mehr oder minder deutlichen Gepräges, die endlich den Spott eines französischen Spassvogels erweckten, der an das Piedestal der Reiterstatue Louis’ XV von Bouchardon die Verse heftete:
Les vcrtues front á pied
Et le vice est á cheval.
Einen der bizarrsten Gedanken für die Piedestalbildung verwirklichte Falconet, dessen Peter der Grosse einen kaum behauenen Granitfelsen hinaufsprengt.
Unter all diesen Reitern der Barockzeit behauptet Schlüters Grosser Kurfürst nach einstimmiger Wertung den vornehmsten Rang. Seit Jahrhunderten war es das erste Reiterdenkmal, das in deutschen Landen wieder errichtet wurde. Denn die alten Steinbilder der deutschen Kaiser im Bamberger Dom und am Strassburger Münster, in denen die gute Tradition der Antike mit individuellem Leben glücklich gepaart erscheint, waren in Folge des Zusammenbruches des alten Kaiserreiches ohne Nachfolge geblieben. Und Kaiser Max zog in jener Zeit, da die Künste blühten und es eine Lust war zu leben, vor, sein düsterstolzes Grabmal in Innsbruck zu bauen, statt irgendwo in seinen deutschen Landen sein Reiterstandbild zu errichten. Burgkmairs Holzschnitt, der ein so mannhaftes Reckenbild des Kaisers giebt, beweisst, dass die rechte künstlerische Kraft dazu nicht gefehlt hätte.
Erst Schlüter schuf mit sicher formender Meisterhand einen Reiter, einen königlichen, aber noch war es nicht der deutsche, den wie den Dürerschen Tod und Teufel umsonst bedrohen. An Schlüter suchten Schadow und diejenigen anzuknüpfen, in deren Hände die ersten Entwürfe zum Denkmale Friedrichs des Grossen gelegt wurden. Aber sie fanden nicht mehr die alten Wege. Auch Rauch, dem es vergönnt war, das Denkmal endlich zu Stande zu bringen, fand sie nicht, und die neuen, die er einschlug, führten nicht ans ersehnte Ziel. Denn so sehr er strebte von der Natur zu lernen, sein an der Antike geschultes Auge sah im mer nur das Typische, ohne bis zum Individuellen vorzudringen. Und wenn er sich auch vom äusserlichen Beiwerk der Antike, z. B. vom Kostüm, in strenger Selbstzucht befreite, so kam er einerseits nicht über die trockene Uniformdarstellung, anderseits nicht über die abgegriffene Allegorie hinaus.
Erst in neuer Zeit, wo seine Schüler Wolff, Drake, Kiss, Bläser und deren Anhänger Rauchs Reitertypus überall aufgestellt haben, wird dem Publikum bewusst, wie wenig eigentlich all diese Gebilde darstellen, was sie sein sollten. Der Fluch der Denkmalskonkurrenzen raubt zudem der Monumentalplastik die Ruhe einer inneren Weiterentwicklung. Und dennoch, schon weht ein erfrischender Wind über die verstaubten Ateliermodelle, die immer aufs neue herhalten müssen, und freudig tauscht der internationale künstleriche Verkehr ein, was jugendfrische Kraft, an keine Tradition gebunden, erobert. Heut, wo man anfängt, die Natur wieder mit unbescholtenen Augen zu sehen, wird dies auch dem Reitermonument zu neuem Leben verhelfen. Die Zeichen dafür mehren sich: die trefflichen Reiter auf dem Dach unseres Reichshauses stehen da, wie Herolde vor eben geöffneten Schranken. Und sehe ich recht, so wird aus dem Geiste der grossen Monumente des Quattrocento das strahlende Erzbild erstehen, das unser Hollen und unsere Arbeit ans Ziel führt: der deutsche Reiter.
Hans Mackowsky.