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Was geht im Islam vor?

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aus dem Kunstmuseum Hamburg

Die Rolle des Mohammedanertums in der Gegenwart

Ibn Saud, der König von Hedschas, vertritt am stärksten die Forderung nach einem unabhängigen Arabien. In seiner klug abwartenden und äußerst verschlossenen Haltung ist er den Briten seit langem ein unbehaglicher Faktor in ihrer Rechnung im Vorderen Orient.

Deutsche Kampfflugzeuge donnern über die Moscheen und heiligen Stätten des Islams in Nordafrika. Der Krieg hat sich bis auf den Boden der islamitischen Welt ausgedehnt. Hierbesitzt England seine stärksten Bastionen, aber hier tritt gegen die Briten nicht nur der deutsche Flieger und Soldat zum Kampfe an, sondern auch der Nationalismus der arabischen Völker, an deren Fahnen der Halbmond des Propheten leuchtet. Unsere Truppen haben in Bosnien und auf dem übrigen Balkan Berührung gefunden mit den Überresten der Islamiten, die von den bis vor die Tore Wiens brandenden Wellen der Türkenheere auf dem Boden des Abendlandes zurückgelassen worden sind. Verschleierte Frauen gehen durch die Straßen von Sarajevo, und vom Turm der Moscheen in Saloniki ruft der Muezzin die Gläubigen. Ist nun der Islam eine dahindämmernde Religion des Fatalismus, wie manche meinen mögen? Gibt es einen Panislamismus, eine Einheit von politischer Bedeutung? Ist es der Islam oder das Nationalgefühl, das die Völker des Orients zum Kampf um die Freiheit antreibt?

Wer die Wirklichkeit des Islams von heute verstehen will, muß ein wenig zurückgreifen in die Vergangenheit. Denn vieles ist nur aus ihr erklärlich, und zum Ursprung drängen die lebendigen Kräfte des modernen Mohammedanismus, die mit einer geistigen Erneuerung ihres Glaubens auch Anspruch auf eine neue Weltgeltung verbinden. Islam heißt „Hingabe“. Daß Mohammed lbn Abdallah diese Lehre verkündete, weiß jedes Schulkind. Aus Elementen vorhandener Religionen, so des orientalischen Christentums, der jüdischen Religion und des arabischen Heidentums, aus religiöser Verzückung und im Glauben an ein nahe bevorstehendes Weltgericht, bei dem er seine Araber für das Paradies retten wollte, gewann der Prophet in jener kargen Wüstenlandschaft bei Mekka und Medina am Ostufer des Roten Meeres seine Offenbarungen und Gesichte. Dort vernahm er seine Visionen und die Worte Gottes, die dann in die 114 Suren des Korans gegossen wurden. Das war um die Zeit zwischen 570 und 632 nach der Zeitrechnung, und seitdem sind die Städte des Hedschas allen Gläubigen heilig. Es war eine völkisch-arabische Religion, die da entstand.

Die arabische Rasse, die Wüste, die Kräfte der Alten Welt mit ihren zahlreichen übereinandergestürzten Weltreichen, Glaubensschöpfungen und erregenden Philosophien standen Pate bei der Schöpfung Mohammeds. „Wir Araber“, sagte einmal König Ibn Saud, „sind wie die Wadis unserer Wüste!“ Er meinte damit jene ausgetrockneten Flußbetten, in die sich irgendwann einmal die Ströme von Wolkenbrüchen ergießen, alles vernichtend, was sich dem elementaren Ereignis entgegenstellt. So zeigte auch die Ausbreitung des Islams das Bild einer Hochflut, der nichts widerstehen konnte. Mohammed starb ohne Söhne; es war auch nichts über seine Nachfolge bestimmt. Als er abberufen wurde, war er Herrscher über das Hedschas als Oberpriester seiner Religion, als Heerführer seiner Scharen und als Chef seines Staates. Hätte sich nicht eines Tages seine Lieblingsfrau Alscha über seinen Schwiegersohn Ali geärgert, weil dieser es bei einem Skandal, in dem ein Halsband und ein fremder Mann eine gewisse Rolle spielten, versäumte, sogleich die Partei Aïschas zu ergreifen, wären dem Islam mancher Kampf und jene große Spaltung erspart geblieben, die bis heute zwischen Sunniten und Schiiten besteht. Familienzwist und Stammesfehden haben von Ursprung an immer wieder blutige Schatten über die Geschichte des Islams geworfen. Ali, als der Mann der Tochter Fatima des Propheten, wäre der gegebene Nachfolger gewesen. Aber zum ersten Kalifen („Stellvertreter“) wurde Mohammeds Schwiegervater, Abu Bekr, bestimmt. Ihm folgten zwei andere Kalifen; erst der vierte war Ali. Aber er konnte sich gegen die mächtige Aristokratie und die Partei Aïschas nicht durchsetzen. Die Familie Omaija griff nach der obersten Würde. Die Omaijaden machten die Kalifenwürde erblich, verlegten den Sitz nach Damaskus, verschafften aber dem arabisch-islamitischen Reich mit Feuer und Schwert eine gewaltige Ausdehung. Die Schia Alis, die „Partei“ des Tochtermannes Mohammeds, erkannte nur ihn als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten an. Die Parteigänger, die Schiiten, verweigerten dem Kalifat aus anderem Sippen die Gefolgschaft. Rituelle und Auslegungsgegensätze traten hinzu, so daß die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten unheilbar wurde. Diese Orthodoxen folgten der Sunna, dem „Weg“, den Mohammed und die vier ersten Kalifen festgelegt hatten, und bilden die übergroße Mehrheit des Islams. Die Kalifen der aufsteigenden Araber waren zugleich die Vormänner der Kirche, Oberhäupter der Staates, die Feldherren und Stellvertreter Mohammeds. Das Bekenntnis des Islams drang über sämtliche Länder des Nahen Ostens, Nordafrikas und im Osten bis zum Indus. „Aschhadu an la ilaha illallah, aschhadu anna Muhammadan rasulallah.“ —

„Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer dem einen Gott, ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.“

Diese Worte bilden Gebet oder Kampfruf; es ist eine volkstümlichschlichte Lehre. Der Islam kennt keine Mysterien und keine Heilsmittel. Keine Mittler stehen zwischen Gott und den Gläubigen, und das Ritual enthält keine schweren Verpflichtungen, sondern nur wenige Gebote: fünfmaliges Gebet am Tage, eine Almosenabgabe, Fasten im Monat Ramadan und eine Wallfahrt nach Mekka. Als totale Weltanschauung umspannte der Islam das Leben der Gläubigen ganz, er entwickelte eine sittliche Pflichtenlehre und ein Rechtssystem. In dieser Einheit hatte er eine mächtige Werbekraft.

Auf die Omaijaden folgten die Abbasiden, die Familie eines Vetters des Propheten. Sie errichteten die Kalifatsherrschaft in Bagdad, und von ihnen ist uns allen Harun al Raschid (780—809) bekannt, der die Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht sammeln ließ. Nach großer Blüte und gewaltiger Ausdehnung in West und Ost folgte eine Zeit dauernder Kämpfe, wenn auch Kunst und Wissenschaften noch bis ins 13. Jahrhundert weitergediehen. Sektierer und Separatisten zerstörten das Reich. Aus Persien kamen starke kulturelle Einflüsse, aber es wurde das Kerngebiet der Schiiten. Machtpolitisch war das Eindringen der türkischen Völker um 1000 von einschneidender Bedeutung. Und als 1258 die Mongolen in das Zweistromland einbrachen, war die politische Stellung des Kalifen vollends über den Haufen gestoßen. Es blieb die geistliche Würde des Kalifats. Nach ihr griffen die Eroberer, um ihre Macht unter den islamitischen Völkern auszudehnen. Nach dem Zusammenbruch des arabischen Reiches erfolgte die Aufspaltung der einst einheitlichen islamitischen Welt in Staaten und Dynastien. Später trat noch der Nationalismus der Völker und Rassen nachdrücklich in Erscheinung. Von einer politischen Einheitsfront des Islams ist seitdem nicht mehr die Rede. Aus einem Religionsstaat entstanden viele Länder islamitischer Religion.

Die Kalifen waren nach ihrer Vertreibung Flüchtlinge am Hofe der Mamelucken in Ägypten, bis die Sultane des Osmanenreiches seit 1517 die Würde des Kalifats für sich beanspruchten. Bis in die letzte Zeit haben die Herrscher in Konstantinopel die geistige Oberhoheit über alle Moslemin gefordert, aber nur teilweise in der Hand halten können. England stellte im Weltkriege die Unterstützung des arabischen Nationalismus als Sprengmittel gegen das türkische Reich und erzielte Erfolge, um dann die Araber doch zu betrügen. Das Kalifat aber wurde von der modernen Türkei Kemal Atatürks im Jahre 1924 abgeschafft. Die wichtigste Rolle bei der Ausbreitung des Islams spielte der Dschihad, der heilige Krieg.

„Wer im heiligen Kriege gegen die Ungläubigen fällt, stirbt sündenlos. Er geht unmittelbar in den siebenten Himmel ein“,

predigt die Sunna. Der Dschihad galt zu Mohammeds Zeiten den Mekkanern, bei denen der Prophet nicht anerkannt wurde. Er wurde dann zur Kampfparole in der Geschichte des Islams, die eine durchaus aggressive ist. Den Dschihad konnte nur der Kalif ausrufen; dann mußten alle Gläubigen entweder Kriegsdienste leisten oder Kriegssteuern zahlen. Die Sultankalifen in Konstantinopel ließen zum Zeichen des heiligen Krieges die Fahne des Propheten („sandschak scherif“) auf der Hagia Sofia in Konstantinopel aufpflanzen.

Der Islam umfaßt heute ungefähr 250 Millionen Gläubige. Seine Verbreitung reicht von der Westküste Afrikas bis nach Holländisch-Indien, von Deutsch-Ostafrika bis in die Kirgisensteppen Rußlands und die Nordwestprovinzen Chinas. Es ist jener Gürtel der Erde, der durch Wüsten und Steppen und Hochebenen ausgezeichnet ist, wo Hirten und Nomaden daheim sind, in den wenigen Städten aber der Handel große Reichtümer sammelt. Die islamitische Welt ist nicht reich an Rohstoffen, und vier Fünftel aller Gläubigen leben unter europäischer Herrschaft; davon allein 95 Millionen unter der britischen Flagge. Völker aller Farben beten zu Mohammed.

Berber und Mauren, Tuaregs und Somalineger, Osmanen, Bosniaken, Araber, Javaner, Inder, Iranier und Turkmenen, Malaien und Kalmücken, Kirgisen und Chinesen. Die indischen Moslemin, unter ihrem Führer Aga Khan, stellen sich gut mit England. In Nordchina und Chinesisch-Turkestan fördert Japan den Islam. In den arabischen Ländern stehen die Gläubigen im Aufstand gegen Engländer und Juden, in Sowjetrußland lebt der Islam unter der Decke, und in Französisch-Nordafrika arbeitete er lange parallel mit dem Kommunismus. Die europäische Türkei trennt streng die Kirche vom Staat. Das Königreich Ibn Sauds ist ein reiner Kirchenstaat. Die einen Moslemin warfen sich der abendländischen Zivilisation in die Arme, die anderen suchten fanatisch die reine Lehre des Propheten zu erwecken. Die Azhar-Universität in Kairo, wo in fünfzehnjährigem Studium ständig viele Tausende von jungen Moslemin aus aller Welt zu Priestern und Gelehrten des kanonischen Rechtes erzogen werden, sucht nach einer modernen Synthese, und von dort gehen die Missionare hinaus, die zum Beispiel in Afrika eine wachsende Ausbreitung des Islams erreichen konnten.

So vielfältig ist die islamitische Welt, so uneinheitlich sind die Fronten. Aber es gibt auch islamitische Weltkonferenzen und Bestrebungen, in der Gestalt eines Kalifen einen religiösen Mittelpunkt für alle Gläubigen zu schaffen. Der Islam verlangt, daß der Kalif ein Araber von einwandfreier Abstammung sei, vorbildlich fromm, von allen Moslemin gewählt und fähig, die Lehre des Propheten mit der Waffe zu verteidigen. Es wurde berichtet, daß die Azhar-Geistlichkeit den König von Ägypten zum Kalifen erheben möchte, aber auch dem einzigen unabhängigen arabischen König, dem einundsechzigjährigen Ibn Saud, wurde ein Streben nach der Kalifatswürde nachgesagt. Dieser aber ist der Oberste der puritanischen Sekte der Wahabiten. Alle diese Entwicklungen sind undurchsichtig. Man versteht zu schweigen. Aber die Hoffnungen, daß der Islam angesichts der Konflikte unter den europäischen Mächten wieder zu einer größeren Geltung gelangen könnte, sind sehr lebendig.

Halten wir fest: Der Islam ist eine Religion, zur Zeit ohne geistliches Oberhaupt. Die Gemeinsamkeit liegt im Glauben und im Besitz des arabisch geschriebenen Koran. Es gibt Mittelpunkte des religiösen Lebens, so Kairo, so Mekka und Medina. Die Schiiten freilich betrauern in Kerbela und Kufa die Gräber ihrer Heiligen. Von einem Panislamismus als politischer Einheitsfront kann man nicht sprechen. Der Islam als Religion weist die zwei großen Konfessionen der Sunniten und Schiiten auf. Daß diese konfessionelle Spaltung überwunden werden könnte, ist unglaubwürdig. Es gibt dazu die puritanischen Wahabiten und mehrere Sekten und Orden.

Das ist die religiöse Lage. Die Rasse spielt an sich keine trennende Rolle im Bereich des Glaubens, wohl aber ist sie entscheidend bei der politischen Entwicklung der einzelnen islamischen Völker. Im Wahabismus kommen Arabertum, fanatischer Glaubenseifer und politische Staatskunst des Königs Ibn Saud zusammen. Ende des 18. Jahrhunderts predigte Mohammed Ibn Abdul Wahab den Glauben in ursprünglicher Reinheit. Mit ihm verbündete sich der Fürst Mohammed Ibn Saud von Nedschd.in Zentralarabien. Riad wurde die Hauptstadt eines sehr erfolgreichen Wirkens, bis der Sultan in Konstantinopel eingriff, die Wahabiten besiegte und ihren Anführer köpfen ließ. Darauf zerfiel alles, in der Fürstenfamilie von Nedschd aber lebte das Vorbild des großen Ahnen weiter. Ibn Saud, 1880 geboren, mußte als Fünfjähriger vor den Schammar-Beduinen nach Koweit fliehen. Erst als Zwanzigjähriger eroberte er sich in.abenteuerlichster Weise die Stammburg seiner Väter in Riad und begann nun eine Erneuerung des Wahabismus und einen machtpolitischen Kampf gegen die tausendfach zerrissenen Araberstämme, bis er nach dreißig Jahren Herr in Arabien und über die heiligen Stätten war.

Dieser Ibn Saud schuf mit seinem unabhängigen, islamischen Araberstaat ein ungeheuer lebendig wirksames Vorbild für alle anderen arabischen Völker. Neben diesem Reich sind als unabhängige Staaten islamischer Religion noch die Türkei, Iran, Afghanistan zu nennen. Unter fremder Botmäßigkeit stehen die arabischen Staaten Irak, Syrien, Palästina, Transjordanien und Ägypten, Marokko und Tunis sind nur noch Scheinstaaten unter französischer Herrschaft. Aber in allen diesen Ländern paart sich der Nationalismus mit dem Glauben im Kampf gegen die Fremde. Alle anderen Moslems leben entweder als Minderheiten innerhalb von großen Staatsverbänden, so in Sowjetrußland, in Indien und in China, oder als reine Kolonialvölker unter der Fremdherrschaft, so in Holländisch-Indien und in Afrika.

Das ist das politische Bild. Wo ein Volk von Moslems um seine Unabhängigkeit kämpft, werden sicher die Sympathien aller Gläubigen und manche Unterstützung auf seiner Seite sein. Den heiligen Krieg kann aber praktisch heute nur die Geistlichkeit einzelner Länder proklamieren. Er bleibt dann auf diese und ihre Freunde beschränkt. Einen Dschihad zu entfachen, den alle Gläubigen in blinder Gefolgschaft auf sich nehmen, ist vorläufig eine Utopie. Aber wäre es denn noch möglich, etwa die gesamte Christenheit zu einem Kreuzzug zu vereinigen?

Andere Kräfte und Ideen sind stärker geworden und formen die Völker nach den Elementen, welche Rasse, Landschaft und Geschichte in ihnen gebildet haben. Wo aber der völkische Kampf sich mit dem glühenden Eifer des Glaubens vermählt, dort entstehen Gemeinschaften, an denen auf die Dauer auch die stärkste Fremdmacht zu Schaden werden muß. Dieser Prozeß ist an manchen Steilen der islamischen Welt im Gange, und er richtet sich vornehmlich gegen England. Deutschland ist Freund des Islam und der arabischen Völker. Es wünscht im Grundsatz allen Nationen, daß sie sich so entwickeln mögen, wie Gott sie geschaffen hat. England hingegen muß jede Regung in den Ländern des Propheten ängstlich überwachen. Es gebraucht heute nach alter Methode Zwist und Spaltung als Kampfmittel. Auf längere Sicht gesehen aber kann der erneuerte und lebendig geglaubte Islam doch eine Gemeinschaft schaffen, an der die britische Fingerfertigkeit abgleitet!

 

Emir Abdullah von Transjordanien, seit Jahren eine willige Figur im Schachspiel der britischen Orientpolitik. Erst kürzlich ging sein Name durch die Weltpresse, als er durch ein Attentat seines eigenen Sohnes, der die britische Einstellung des Vaters ablehnt, schwer verwundet wurde.

 

Der Großmufti von Jerusalem Hai Amin Al Husseini ist die Seele des arabischen Freiheitskampfes in Palästina. Husseini, der als „Ausleger des Korans“ nicht nur ein bedeutender geistlicher Würdenträger ist, sondern auch großen politischen Einfluß ausübt, hat sich als ein unversöhnlicher Gegner der britischen Politik erwiesen.

 

Feisal II., der Erbe des Thrones vom Irak, der jüngste König der Welt. Er wird sich noch kaum bewußt sein, daß sein Land das einzige Heil in der Freiheit von britischer Gewalt suchen muß.


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