Ein fideles Gefängnis

Hin und wieder erscheint im Daressalamer Hafen auch ein Segelschiff. Neben den „Windhunden“ der Ozeane behaupten bekanntlich auch die „Leinwandkästen“ ihr viel älter angestammtes Recht im salzig-feuchten Element. Die hohen Kosten der Suez-Kanal-Passage lassen die Segler ihren Weg nach unserer Kolonie in Ostafrika — auch in dieser Hinsicht historischer Ueberlieferung getreu — noch immer um das Kap der guten Hoffnung nehmen. Recht günstig ist eine Reise zu nennen, wenn sie, von Hamburg bis Daressalam, in 80 bis 90 Tagen zurückgelegt wird. Die Dampfer der Deutschen Ostafrika-Linie, welche um Gibraltar herum durch das Mittelmeer und das Rote Meer fahren, brauchen für eine Reise von dem gleichen Ausgangspunkte nach demselben Ziele nur etwa 35 Tage, worin dann auch noch die Aufenthaltszeiten in 10—12 Zwischenhäfen mit eingerechnet sind. Die Segelschiffe machen hingegen die gesamte Reise in der Regel ohne jede Zwischenlandung, sozusagen in einem „Ruck“, der aber bei ungünstigem Winde und schlechter See nicht selten auch vier volle Monate und noch längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Die vielgeschilderte Romantik des Seelebens hat allein auf den Segelschiffen ihre.Heimat, aber auch die Langweile und die Entbehrung! Kein Wunder, dass die Seeleute der Segelschiffe, nach so ewig langer Fahrt, im endlich erreichten Hafen beim ersten Landbesuch, dann zuweilen etwas heftig, lange entbehrte Lebensfreuden nachzuholen sich bemühen. Eigentlich mehr als das Uebermass ist dann die Ungewohnheit eines stärkeren Alkoholgenusses die unmittelbare Ursache, wenn ungezähmte Jugendkraft oft recht toll über die Stränge schlägt. In Afrika war zuerst der — Durst, ergo fehlte es von Anbeginn auch in Daressalam nicht an den zu seiner „Bekämpfung“ erforderlichen, mehr oder minder anheimelnden deutschen Kneipen. Und: was nützet dem Seemann sein Geld, wenn er doch ins Wasser fällt? Nach solchem Rezept haut er dann gern einen Teil oder auch die ganze Heuer los! Wird was wird!

So waren denn auch einst in der deutscho-stafrikanischen Kapitale drei derartige Jünger Neptuns, brave deutsche Burschen von der Waterkant, etwas stark in Fahrt und, wegen allzu heftiger Betätigung ihrer Lebensfreude, schliesslich mit Unterstützung der auch im dunklen Erdteile über Ruhe und Ordnung in gewissen, wenn auch etwas weiter gesteckten Grenzen wie daheim, wachenden Hermandad, etwas früh am Morgen hinter Schloss und Riegel des Polizei-Gewahrsams geraten Ihre gute Laune hatte aber durch diese Präventiv-Massregel nicht weiter Schaden genommen. Offenbar verliess die braven Seeleute auch in diesem engeren Teile der deutschen Kolonie nicht ein gewisses Heimatsgefühl, das ihnen jeden Schrecken vor Obrigkeit und Amtsgewalt nahm. Die lustig verlebte Nacht wirkte noch am nächsten Morgen nach, und markige Seemannslieder entstiegen ihrer so weit ja ganz behaglichen Behausung im Europäergefängnis! Die ermahnenden Zurechtweisungen des Gefängnisaufsehers fruchteten nicht viel; das dreiblättrige Kleeblatt sang weiter seine frohen Weisen, und erheiterte sich ausserdem durch kräftige Scherze mit den schwarzen Polizei-Soldaten und den im Hofe arbeitenden „Kettengefangenen“ männlichen und weiblichen Geschlechtes. Es war ein echtes, rechtes, fideles Gefängnis für das alkoholvolle Trio. Durch den Lärm, und wohl auch durch die Meldung des Unteroffiziers herbeigeführt, erschien mit strenger Amtsmiene der jugendliche Bezirks – Amtmann, Chef der Lokalverwaltung am Tatorte des fortgesetzt polizeiwidrigen Vergnügens, ohne aber bei den fidelen Insassen des „Kittchens“ durch dieses Moment allein irgendwelchen Eindruck zu erzielen. Im Gegenteil, eine recht kordiale Begrüssung wird auch der neuen Erscheinung auf der engbegrenzten Bildfläche zuteil, die der Herr Bezirksamtmann in nachsichtiger Weise durch die mit ein wenig Nachdruck gegebene Erklärung zu dämpfen trachtet: „Ich bin der kaiserliche Bezirksamtmann von Daressalam“.

Aufrichtige Bewunderung entstrahlt den weinseligen Augen der drei lustigen Brüder, welcher der älteste von ihnen schliesslich in zutraulicher, gemütvoll-mahnender Art in der Sprache Reuters folgenden Ausdruck verleiht: „Min Jung’ Du hast’n fein Posten, harn man fastl“ — Der drolligen Humoristik des Augenblicks konnte sich auch der „Polizei-Gewaltige“ nicht verschliessen, und so hallte von neuem ein frohes Gelächter in den Hallen des wirklich fidelen Gefängnisses!

Otto Stollowsky.

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