aus dem Kunstmuseum Hamburg
Die weissen Stellen auf der afrikanischen Landkarte schrumpfen immer mehr zusammen und bedecken sich unter der fleissigcn Arbeit der Forscher und Geographen mit Flüssen, Gebirgen und Ortsnamen. Wer heutzutage in eine unserer Kolonien geht, um Eingeborene zu studieren, die von europäischer Kultur noch ganz unberührt sind und die noch kaum einen Weissen zu Gesicht bekamen, muss schon erhebliche Strecken zurücklegen, um tief ins Innere zu gelangen, wo er seinen Wunsch erfüllt sieht. — Jedoch wird der gute Beobachter bald dahinterkommen, dass die Zivilisation sich durchaus nicht etwa von der Küste aus gleichmässig nach dem Innern zu ausbreitet, sondern dass sie sich zuerst auf einer schmalen Spur weit nach dem Hinterland zu bewegt, um sich dann von dieser Linie aus nach den Seiten hin zu verbreiten. Die Wege, auf denen die Kultur siegreich ins Innere vordringt, sind die grossen Handelsstrassen, die oft seit Hunderten von Jahren von eingeborenen Händlern benutzt werden. Dieser Händler, der ursprünglich nur sein Vieh oder seine Kolanusslasten auf langem schwierigen Wege ins Innere brachte und dafür Salz nach der Küste führte, ist der erste Pionier europäischer Kultur, der sich bald daran gewöhnt hat, europäische Errungenschaften, die mehr oder weniger nützlich sind, den Eingeborenen zu übermitteln. Auf diesem Wege haben sich dann Handelsniederlassungen etabliert, die unter der Leitung von Weissen stehen und ihrerseits wieder ihre Waren nach dem Innern vorschieben.
Kaum einen Tagemarsch abseits von dieser Verkehrsader trifft man häufig noch auf unverfälschtes Buschleben und findet Eingeborene, die den Weissen nur vom Hörensagen kennen.
Diese Leutchen wollen wir uns heute näher ansehen. Je nach Art des Stammes ist der Eindruck, den der erste Weisse auf diesen macht, verschieden. Sie verhalten sich freundlich oder ablehnend, jedoch meist furchtsam abwartend, bis der Bann durch freigebige Geschenke des weissen Wundertieres gebrochen ist. Die Art, dem Weissen fordernd und unverschämt entgegenzutreten, wie sie Wissmann und Peters schildern, ist wohl im heutigen Afrika sehr selten geworden. — Einer unserer Mitarbeiter schildert uns seinen Besuch bei den Tamberma, einem noch vollständig im Urzustände lebenden Stamm hoch oben im nördlichsten Togo:
Ich wollte studienhalber diesen Stamm aufsuchen, der in halber Höhe des Gebirges seine burgähnlichen Wohnungen hat und scheu und furchtsam ist wie das Wild der Steppen. Da kam es denn darauf an, sich möglichst vorsichtig den weit ins Land schauenden Burgen zu nähern, um nicht leere Häuser zu finden, da die Leutchen sich bei Gefahr hoch in das unzugängliche Gebirge zu flüchten pflegen. Der freundliche Bezirksamtmann von Sokodé hatte schon einen Tag vorher einige redegewandte Polizeisoldaten vorausgeschickt, um die Dörfler von unserer bevorstehenden Ankunft zu benachrichtigen und sie über den friedfertigen Zweck unseres Besuches aufzuklären. — Am nächsten Morgen in aller Frühe bewegte sich unser kleiner Zug in der Talsohle entlang den Tamberma-bergen zu. Wir liessen die Pferde einen gemächlichen Schritt gehen und suchten alles zu vermeiden, was die ängstlichen Bergbewohner etwa erschrecken konnte. — Bald lagen die Burgen in der grellen Sonne vor uns und wir liessen die Pferde zurück, um nacli einer mühseligen Kletterpartie das vorderste Gehöft zu erreichen, wo wir noch die uns vorausgeschickten Polizisten in lebhaftem Disput mit den Eingeborenen erblickten. Als wir nun über die letzte Felsplatte steigend vor ihnen auftauchtcn, schwand ihnen schon wieder der Mut, und wie die Hasen lief die ganze Horde bergan, um hinter dem zackigen Kamm des Gebirges Deckung vor dem gefährlichen weissen Teufel zu suchen.
Den beiden biederen Polizisten war es noch im letzten Augenblick gelungen, je einen der Ausreisser am Handgelenk festzuhalten und uns als einzige Vertreter ihres Stammes zur Ansicht vorzuführen. Dieser Würde wurden die beiden bis an die Zähne bewaffneten Herren durchaus nicht gerecht, denn angstvoll greinend und zähnefletschend sahen sie zitternd den weissen Teufel auf sich zukommen und glaubten, dass ihr letztes Stündlein nahe sei. Zunächst bemühte ich mich, den Eindruck meiner furchterregenden Erscheinung dadurch abzu-schwächcn, dass ich meine mit Geschenken beladenen Begleiter vortreten liess. Ich nahm eine Handvoll von dem dort sehr geschätzten Salz und hielt sie dem einen lammermanne hin, der nicht wagte, seine Hand danach auszustrecken. Um seinen Geschmacksorganen die Güte meines Geschenkes gleich zu übermitteln, steckte ich ihm nun ein kleines Stückchen von dem Salz in den Mund, indem ich ihn möglichst jovial angrinste. Der Erlolg war, dass auch seine breiten Lippen sich zu einem verlegen ängstlichen aber schon verstehenden Grinsen aufwarfen. Nun war der Bann bald gebrochen; andere Geschenke folgten, die beiden, die sich jetzt sehr mutig vorkamen, waren von unserer friedlichen Absicht überzeugt und bemühten sich nun lebhaft, die vorhin ausgerissenen Volksgenossen zurückzurufen, die wie die Paviane vorsichtig hinter den höchsten Klippen hervorlugten. Sie vergassen auch nicht, sie wegen ihrer Aengstlichkcit weidlich zu verhöhnen, da sie selbst allen Grund zu haben glaubten, sich als Helden zu fühlen. Nach und nach leisteten kleine Trupps der Aufforderung Folge, und vorsichtig, immer auf dem Sprunge, wieder auszukneifen, kamen die waffenstarrenden Hasenfüsse herabgeklettert, um sich auch ihren Anteil an den Geschenken zu sichern. Dann liess der Häuptling auf meinen Wunsch die grosse Tanztrommcl schlagen, und nach kurzer Zeit bewegte sich das Völkchen ausgelassen in rhythmischem Tanze auf einem grossen freien Platz der Talsohle, und ich hatte ausreichende Gelegenheit, mir die Leute näher anzusehen.
Noch ängstlicher als die Bergbewohner sind die Stämme in den Urwalddörfern. Im Innern Liberias hatte ich anfangs viele Mühe, die Scheu der Leute zu überwinden, und längere Zeit fand ich auf meiner Reise leere Dörfer vor, deren Bewohner vor mir mit ihrer ganzen Habe in den Busch gcflohen waren. Alle Vorsicht unserer Karawane war anfangs vergeblich, unser Herannahen wurde immer rechtzeitig entdeckt, und durch grosse Signaltrommeln wurden alle umliegenden Dörfer von unserem Kommen rechtzeitig verständigt. Eines schönen Tages gelang es mir jedoch, einen willigen Führer zu finden, der uns auf versteckten Jägerpfaden und durch dichtes Dorngestrüpp unbemerkt und unangemeldet direkt mitten auf den Platz eines bewohnten Dorfes führte. Schon vorher deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass wir überraschend in das Dorf kommen würden. Frauen kamen uns entgegengeschritten, die Wasserkalebasse auf dem Kopf balancierend. Kaum hatten sie uns erblickt, da schossen sie auch schon davon, seitwärts in den Wald, um sich im dichtesten Lianengeschlinge zu verkriechen. Die Schafe weideten ruhig in der Umgebung des Dorfes und die Hühner gackerten ahnungslos in den dunstigen Urwaldmorgen hinein.
Aus dem Dorf scholl uns schon von weitem fröhlicher Tanzlärm entgegen, und unartikulierte Schreie liessen vermuten, dass man hier Gott Bacchus mit Palmwein gründlich huldigte. Nun ist die letzte Waldlichtung schnell durcheilt, eine Oeffnung in der starken Mauer lässt uns ein, und wir befinden uns auf dem grossen Dorfplatze einer in ekstatischer Trunkenheit tanzenden Menge gegenüber. Tableau! Musik und Gesang verstummen auf einen Schlag; die betrunkenen Mienen ernüchtern sich: „Was will der weisse Teufel hier?“ Nach längeren beruhigenden Erklärungen meines Dolmetschers und Darbieiung von Geschenken schliesst sich, allmählich beruhigt, doch immer noch misstrauisch, wiederum der Kreis zum Reigen. Der Bann ist gebrochen und dieallgemeineTrunken-heit hilft über die ängstliche Situation hinweg. Jetzt kann ich ruhig beobachten. Männer, Weiber und Kinder drehen sich im Taumel rhythmisch um ein frisches Grab, das einen angesehenen, gestern verstorbenen Häuptling beherbergen soll und deshalb in der Mitte des Dorfplatzes liegt. Ich frage einen der abseits stehenden Leidtragenden, ob denn der Verstorbene wirklich unter jenem grossen Steine ruhe, und vergnügt grinsend antwortet er mir: „Nein hier!“ und zeigt auf seinen wohlgefüllten Bauch.
„Die vornehmen Leute werden bei uns aufgegessen, damit ihre Seele wieder in den Körper eines Menschen fährt und er so wieder unter uns weilt.“ —
Sehr spassig ist oft das Verhalten der Kinder. Bei der Annäherung an ein Dorf ergreift sie gewöhnlich derselbe Schrecken wie die Erwachsenen, und auch sie suchen ihr Heil in schleunieer Flucht. Tritt man unvermutet in eine Hütte ein, wird man von Schreckensgeheul empfangen. Unsern naiven Dorfkindern möchte es allerdings wohl ganz ähnlich gehen, wenn unerwartet ein Schwarzer in seiner Nationaltracht in eine Bauernstube treten würde. Haben die kleinen Schwarzen aber erst einmal die Scheu vor dem ungewohnten Anblick überwunden, dann treibt sie die Neugier bald in die Nähe des Weissen, der sich unausgesetzt von Scharen von Kindern umlagert und begleitet sieht. Ihm gilt dann ihr ganzes Interesse, bewundernd wird er angestaunt und sein Gebahren kritisiert, und wenn er dann nach einiger Zeit das Dorf verlassen hat, spielt die Jugend überall: „Weisser“. —
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