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Deutsches Leben in Deutsch-Südwest Afrika

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aus dem Kunstmuseum Hamburg


Ich werde oft von Freunden und Bekannten gefragt: Wie lebt Ihr denn eigentlich da unten in Südwest? Wenn man dann im Scherz antwortet: Sehr gut, nur die Formen sind etwas anders als zu Hause, wer eine neue Flasche Bier haben will, schiesst mit dem Revolver in die Decke, und wenn es Sekt sein soll, so kracht eine Salve — dann macht der Frager wohl manchmal ein etwas misstrauisches Gesicht, aber er ist oft doch geneigt, an solche Sitten zu glauben. In alten Zeiten soll es so zugegangen sein, und als der „Fürst Bismarck“ in Swakopmunel noch eine ganz kleine Baracke war, und die übrige Einwohnerschaft, wie die Sage berichtet, in Höhlenbauten am Abhang des Strandes oder in Wellblechbuden hauste, da hat, wer Bier wollte, nicht „Ober“ gerufen, weil noch kein Exemplar eines solchen Menschen zwischen Oranje und Kuncne existierte, sondern er hat geschossen. Heute gibt es nicht nur Hotels die Menge, sondern auch Kellnerfracks und — eine Neuerung, die der Krieg gebracht hat — auch Trinkgelder, und zwar keine kleinen. Im alten Südwest hätte sich schwer jemand gefunden, der ein Trinkgeld nahm.

Südwest ist eine deutsche Kolonie, und wie könnte eine solche existieren ohne Vereine? Das Vereinsleben blüht, aber es trägt zum Teil doch etwas andere Züge, als zu Hause. Die Männer im Lande, namentlich die älteren Ansiedler, wissen alle ihre Waffe zu handhaben und lieben sie; daher ist der Schützenverein an jedem Platz der erste; dann kommen die Krieger- und Turnvereine. Es gibt Leute, die ganz wunderbar gut schiessen, und das ist kein Wunder, denn wer da will, hat reichliche Uebung auf der Jagd. In Südafrika muss der Jäger meist auf ganz andere Entfernungen sein Ziel im Busch und in der Steppe aufs Korn nehmen, als zu Hause1 bei der Treibjagd oder auf dem Anstand, und die durchsichtige klare Luft ermöglicht ihm das auch, wenn die Hand sicher ist. Die Meinung, dass die Eingeborenen besonders gute Schützen seien, ist dagegen ganz falsch. Es gab nur einen Herero, der für sein Schiessen berühmt war: der Grossmann Saul von Oljenga, bei dem ich 1903 auf der Reise von Waterberg nach Groolfontein noch meine Ochsen tränkte.

Zwei Jahre später wurde er unglückseligerweise in dem Augenblick erschossen, wo er sich als erster von den alten Kapitänen, die Orlog gemacht hatten, mit seinen Leuten auf Treu und Glauben ergeben wollte. Im allgemeinen konnten die Hereros nur über das Standvisier schiessen; mit den Klappen wussten sic nichts anzufangen. Auch die Hottentotten haben uns nicht darum so grosse Verluste beigebracht, weil sie gute Schützen waren, sondern weil sie fast nur aus dem Hinterhalt aut allernächste Entfernung schossen. Dasselbe tun die Eingeborenen natürlich auch auf der Jagd.

Stiftungsfeste, Fahnenweihe und Weihnachtsfeier vereinigen die Kameraden mit ihren Familien ausser den offiziellen Schiesstagen. Ein Weihnachten drüben sicht freilich anders aus als bei uns. Auf der südlichen Halbkugel sind die Jahreszeiten umgekehrt; wenn wir Winter und kurze Tage haben, herrscht dort die grösste Hitze und das längste Tageslicht. Ich habe es selbst erlebt, wie die Wachslichter und die Schokoladenfiguren am Weihnachtsbaum in Windhuk so butterweich geschmolzen waren, dass sie von den Zweigen fielen, wo man sie mühsam belestigt hatte. Wie ein Weihnachtsbaum drüben aussieht? Manche lassen sich einen, in feuchtgehaltenes Moos verpackt, in natura aus der Heimat schicken, und gelegentlich kommt solch ein Exemplar auch in brauchbarem Zustande an.

Den Schiffstransport vertragen die Bäume ganz gut, aber die Verfrachtung in den offenen Güterwagen bei der ausdorrenden Sonnenhitze und der grossen Lufttrockenheit in Südafrika halten sie schwer aus, obwohl der Transport von Swakopmund nach Windhuk nur wenige Tage dauert. Wer einen natürlichen Baum haben will, baut sich einen aus wilden Spargclstauden, deren feine Nadeln angebrannt sogar ganz ähnlich riechen wie Tannen, oder er holt sich einen hübsch gewachsenen Dornbusch. Es gibt aber auch künstliche Weihnachtsbäume zum Zusammenklappen, die von Jahr zu Jahr verwahrt werden. Statt der Nadeln tragen sie fein zerschlissene grüngefärbte Federn. Merkwürdig macht es sich, wenn in der Hochsommerglut des südafrikanischen Dezember das alte Weihnachtslicd erklingt:

„ . . . Und hat ein Blümlein bracht,
Mitten im kalten Winter,
Wohl zu der halben Nacht. . . “

Das schönste Weihnachtsgeschenk für den Ansiedler draussen sind immer die Briefe aus der Heimat, die der schwarze Postbote bringt. Im Norden, zwischen den einzelnen, weit entlegenen Stationen, wird der Postbeutel meist durch Ovamboboten befördert, die ihn an einem Stock über den Rücken tragen. Oft bekommt der Eingeborene einen Stock mit gespaltener Spitze zum Ausweis, dass er Bote ist, in die Hand; in den Spalt ist ein Brief oder ein weisses Blatt Papier eingeklemmt.

Mir steht noch lebhaft der Weihnachtsabend 1903 auf Station Grootfontein vor Augen, wenige Wochen vor dem Ausbruch des Hereroaufstandes, von dessen Bevorstehen wir alle damals noch nichts ahnten.

Nach alter afrikanische Sitte hatte der Stationschef Oberleutnant (jetzt Hauptmann a. D.) Volkmann, alle Weissen, die auf Grootfontein wohnten oder vorübergehend anwesend waren, Militär und Zivil, auf die Station geladen und eine Kiste Bier, Punsch, Honigkuchen usw. aufgelegt. Dazu brannte der in diesem Falle „künstliche“ Weihnachtsbaum. Mehr als einen von denen, die am Abend des 24. Dezember um die Tafel zusammensassen, hatten am 12. Januar schon die Hereros hinterrücks im Busch oder auf seiner Karre überfallen oder ermordet.

Aeusseren Luxus und Bequemlichkeit braucht der Afrikaner nicht, um vergnügt zu sein. Der neue Ansiedler, der sparen will, steckt soviel wie möglich von seinem Geld in Vieh, Pumpen, Proviant usw. Wenn es nicht anders geht, baut er sich einen Pontok nach Art der Hereros und ladet seine Freunde zum „Diner“ in solch ein Gehäuse. Die Koibmöbel hat er sich schon auf der Ausreise in Madeira gekauft und auf dem Ochsenwagcn bis auf den frisch erworbenen eigenen Grund und Boden gebracht.

Solch ein Kaffernpontok ist übrigens, wenn er ordentlich gebaut ist gar keine so schlechte Wohnung. Er sieht aus wie eine Halbkugel, innen von Flechtwerk ,aussen mit dem berühmten afrikanische Material, Lehm und Ochsenmist in sachverständigem Mischungsverhältnis, überzogen, und hält im Winter warm und im Sommer kühl. Allerdings ist es nicht ratsam, einen Pontok zu beziehen, in dem schon Eingeborene gehaust haben, denn um die Mengen von Ungeziefer zu vertilgen, die es darin gibt, dazu reicht überhaupt kein Insektenpulver aus. Auch der deutsche Afrikaner, der als Farmer drüben lebt, macht sich gern das Burensprichwort zu eigen:

„Wo ich mich wohlfühlen soll, darf ich den Rauch meines Nachbarn nicht sehen“.

Allein und stolz wie ein Freiherr sitzt er auf seiner Farm von 5000 oder 10000 Hektar, und auf der Farm wird sparsam gelebt! Ich kenne Farmer, die mit Genugtuung erzählten, dass sie jahrelang nicht ein Stück aus ihrer Herde geschlachtet hatten, ausser wenn sich einmal ein Tier das Bein gebrochen hatte. Kalbfleisch zu essen, hält der richtige Bur beinahe für ebensolch eine Sünde, wie der Herero es tut. Dafür muss die Büchse Fleisch liefern. Der richtige Farmer hat auch keine Spirituosen in seinem Hause; das wäre für sein Empfinden sträflicherLuxus. Die Buren, und hier und da auch ein deutscher Ansiedler haben aber Pain-Killer. Das ist eine teuflischeMixtur zum Einreiben bei Rheumatismus und dergleichen, aber wenn jemand ganz in Verzweiflung ist, so braucht er es auch innerlich. Die Eingeborenen schätzen den Pain-Killer sogar hoch, weil er stärker brennt als gewöhnlicher Schnaps. Als ich im Oktober 1903, vor dem Aufstande, eine Studienrundreise durch die Farmen im Windhuker Bezirk machte, da gab es nur in einem einzigen Hause, dessen Herr später auch sein Leben unter den Kugeln und Kirris der Hereros lassen musste, Wein.

Kommt der Farmer dann einmal zur Stadt, so hält sich der und jener freilich schadlos, und wenn es auch die Nebenmenschen merken, so ist ihr Urteil doch milde. Ein berühmtes Original, einer der ältesten Ansiedler im Lande, war in dieser Beziehung der Farmer C. Der hatte einmal eine Gerichtsverhandlung, und der Bezirksrichter proponierte der Gegenpartei einen Vergleich mit den Worten: „Sie wissen doch, dass C. nun einmal ein besonderes Genie ist.“ Darauf ging der Mann zum Regierungsarzt und sagte: „Herr Doktor, ich bitte um ein Attest, dass ich kein Genie bin; so und so ist es mir gegangen.“ Der Doktor antwortete: „Dass Sie kein Genie sind, kann ich nicht schreiben, aber wenn Sie wollen, will ich Ihnen attestieren, dass Sie ein meist besoffenes Genie sind.“ Derselbe C. hatte lange vorher seinen Ruf durch ein Gedicht auf einen besonders eifrigen und exakten Beamten gegründet, der später zu hohen Würden emporstieg; es hiess:

Der Assessor

Einst hatte der Assessor einen wunderbaren Traum.
Er schwamm in einem Tintenfass von unbegrenztem Raum,
Und rings umher am Rande der Farmer Clique sitzt;
Er strampelt mit den Beinen und alles wird bespritzt.
Und jeder Tropfen Tinte, der einen Farmer traf,
Vergrössert sich und dehnt sich und wird ein Paragraph;

Und jeder Paragraphe sich einen Farmer packt
Und zwickt ihn und zwackt ihn, bis dass er Geld berappt.

Was ein richtiger Südwestafrikaner ist, kritisiert natürlich immer die Regierung, aber es ist meist nicht so schlimm gemeint. Was wäre Südwestafrika ohne Ausflüge, zu Pferde oder mit der Karre. Auf Wegen, die nach heimischen Begriffen überhaupt keine sind, saust so ein hohes zweirädriges Gefährt mit sechs Maultieren davor wie im Sturm durch den Sand, über Klippen und Wasserrisse. Ich bin einmal in einer mässig hellen Mondnacht auf solch einer Pad im Tempo von 18 Kilometern die Stunde, nach der Uhr kontrolliert, 1 1/2 Stunden durch den dichten Busch westlich von Omaruru gefahren, aber es passierte nichts. Die gewöhnlichen Jagdrennen werden vielfach auch von Damen mitgeritten, natürlich im Herrensitz, der jetzt für Damenreiten in Südwestafrika fast vorwiegend gebräuchlich ist. Bei einem der letzten Windhuker Reiten wurden z. B. die Töchter des Gouverneurs von Schuckmann, „die Schuckmädchen“, wie sie im Lande hiesscn, viel bewundert. Oft tut sich ein ganzer Verein zum Picknick zusammen, z. B. nach der Tränenklippe, 11 Kilometer von Windhuk am alten Baiweg nach Swakopmund gelegen. Die Tränenklippe hat ihren Namen davon, dass in früheren Zeiten, als es noch keine Eisenbahn gab, alle Leute, die auf Urlaub oder nach Hause gingen, bis dorthin von Windhuk aus das Geleit erhielten. Bei der Klippe wurde der Ochsenwagen ausgespannt und der Abschiedstrunk genehmigt. Manch einer hat sich ein oder zwei Kisten Bier für die dreiwöchentliche Pad an die Küste aufgeladen, und Abends, wenn die berittene Schar der Freunde nach gerührtem Abschied durchs nächtliche Dunkel heimwärts nach Windhuk sprengte, zählte der nur noch wenige liebe Flaschenhäupter, die der Banibuse irgendwo im Wagen verborgen hatte, damit ein Schluck auf den Weg übrig blieb. Das war das alte, fröhliche Südwest. Heute ist man viel anspruchsvoller geworden. Es wird vielleicht etwas mehr gearbeitet und — leider! — fängt auch der dumme heimische Standesdünkel hier und da an, sich breit zu machen, aber der Kolonist vom rechten Schrot und Korn weiss darum doch, was er wert ist und wie er leben kann. Also: „Na denn prost, Südwest, wir wollen uns wieder vertragen“, wie Leutweins geflügeltes Wort hiess.

Paul Rohrbach.

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