aus dem Kunstmuseum Hamburg
Der Kampf um deutsche Kultur in Amerika.
(1904.)
An Schimpf- und Spottnamen hat es zwischen den germanischen Stämmen von jeher nicht gefehlt, und nicht wenige unserer alten Völkernamen haben, wie bekannt, ihren Ursprung im Volkswitze.
Auch die Scheltnamen, Dutchman und Dutch, die den Deutschen bei seiner Ankunft in England und Amerika schon seit Jahrhunderten grüßen, dürfen hierzu gezählt werden, wenn ihre Entstehung und Geschichte auch nicht aus dem englischen Volkshumor zu erklären ist. Sie sind ein Spiegel englischer Gesinnung gegen Deutschland und die Deutschen, in den zu blicken außerordentlich lehrreich ist.
Daß sie der ausgewanderte Deutsche heute als nationale Beleidigung zu empfinden beginnt, zeigt sich besonders deutlich in Amerika. Das Erwachen deutschen Selbstgefühls hat auch in diesen Dingen einen gewaltigen Umschwung gebracht. Seitdem die Worte „deutsch“ und „Deutscher“ für uns einen neuen, innigen Klang gewonnen haben, will uns ein spöttischer oder höhnischer Ton bei ihrem Gebrauch wie Frevel erscheinen. Darum vor allem fühlt der Deutsch-Amerikaner in dem Schimpfnamen Dutchman und Dutch eine Beleidigung, weil er den Zusammenhang noch dunkel empfindet, den sie mit dem Worte „deutsch“ haben. Wer mich in Amerika einen Schwaben, Bayer oder Nassauer schilt, erregt mein Lächeln, wer mich einen Dutchman heißt, verletzt mich. —
Wie alle germanischen Dialekte, so besaß auch das Angelsächsische einst eine dem Worte „deutsch“ entsprechende Form (theodisc), und ihr Gebrauch zeigt, daß auch die Bedeutung die gleiche war. Beide nämlich meinen ursprünglich „volksmäßig“ oder „dem Volke zugehörig“. Aber das alte angelsächsische Wort ging der englischen Sprache schon früh verloren. Wenn daher im 14. Jahrhundert, wohl zuerst bei Wiclif*), das Wort Duche für Deutsch, d. h. deutsche Sprache, auftritt, so hat das natürlich mit dem alten theodisc nichts zu tun, sondern ist die englische Wiedergabe oder, wenn man will, Verstümmelung des Wortes „deutsch“. Auf welchem Weg unser Wort nach England gekommen ist, läßt sich schwer bestimmen.
*) Wiclif, Selected works. London 1885. III, 100.
Man hat geglaubt, es sei den Engländern durch die Holländer zugeführt worden, die sich ja noch bis ungefähr 1600 als Deutsche gefühlt hatten. Allein die wenig gangbare mittelholländische Form „dietsch“, von der man das Wort ableiten will, wäre im englischen Munde wohl kaum zu Dutch geworden. Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts unterscheiden außerdem die Engländer zwischen Low Dutch und High Dutch — neben Low und High Almain und Low und High German —, was beweist, daß ihnen der Begriff Dutsch für das ganze deutsche Gebiet galt. Nehmen wir hinzu, daß englische Schriftsteller*) schon im 16. Jahrhundert die Form Dutchland für Deutchland und im 17. Jahrhundert Dutcher für Deutscher gebrauchen, so ergibt sich wohl mit Gewißheit, daß das Wort Dutch die anglisierte Form von „deutsch“ ist, die aus einem hochdeutschen Sprachbezirk nach England gebracht wurde.
Auf alle Fälle aber steht fest, daß dem Worte Dutch ursprünglich keine geringschätzige oder spöttische Meinung beiwohnte.. Wie ist nun diese entstanden?
Der amerikanische Geschichtschreiber John Fiske spricht in seinem Buche Dutch and Quaker Colo nies die Ansicht aus, sie sei während der Kriege entstanden, die England und Holland im 17. Jahrhundert um die Seeherrschaft führten, und die Engländer hätten sich mit dem dummen Schimpfnamen gewissermaßen für den zähen Widerstand rächen wollen, den die Holländer ihrer Eroberungslust entgegensetzten. Allein es läßt sich nachweisen, daß Dutch im lächerlichen Sinne schon vor jenen Kriegen gebraucht wurde, und wenn diese auch zur Verbreitung jenes Sinnes beigetragen haben mögen, so müssen wir doch nach anderem Ursprung suchen.
Dieser ist wohl ohne Zweifel in dem Umschlag zu finden, der in den Beziehungen zwischen England und Deutschland am Ende des 16. Jahrhunderts eintritt; damals, als das mächtig aufstrebende Inselreich sich anschickte, dem niedergehenden Deutschen Reiche die Weltherrschaft zu entwinden. Hatte man noch während der Reformationszeit Deutschlands Führerschaft auf religiösem, wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiete willig anerkannt, so blickte der Engländer nun mit veränderten Gefühlen auf dieses Land hin. War doch seine eigene Heimat, der im Kampfe mit Spanien die Seeherrschaft wie die protestantische Vormacht zugefallen war, im Zeitalter der Königin Elisabeth überall mit Riesenschritten vorangeeilt, wo Deutschland, die alte Weltmacht, zurückzugehen schien. Und mit diesem gesteigerten nationalen Selbstgefühl verband sich bald angelsächsischer Hochmut, der sich Deutschland gegenüber um so überlegener dünkte, je weniger er von diesem Lande von jetzt an wußte.
*) Thomas Heton, 1576. G. Chapmann, Alphonsus. Shute, Treatise on Architecture, London 1563.
Während man im Zeitalter der Reformation die deutsche Literatur aufmerksam verfolgte und nachahmte, schien man jetzt von dieser höchstens noch die Bücher zu kennen, die von Alchemie oder Zauberei handelten*). In what Language shall’s conjure in? High Dutch, thafs full in the mouth, heißt es in Fletchers Drama Fair Maid, am Anfang des 17. Jahrhunderts.
Ebensowenig wie von deutscher Literatur und Sprache über die man so zu witzeln begann, wußte man damals in England von deutschen Verhältnissen und von deutscher Geschichte. Das zeigen am besten eine Anzahl englischer Schauspiele jener Zeit, die Vorgaben, in Deutschland zu spielen, in Wirklichkeit aber geschrieben scheinen, um alles Deutsche zu verhöhnen. Man glaubt, den angelsächsischen Jingo von heute zu hören, wenn es in einem dieser Stücke heißt: Trod on the neck of Oerman Frederick. Der Kaiser Barbarossa ist gemeint. Ja, die Dramatiker jener Tage wußten recht wohl, was der englische Pöbel gern hörte, der sein Land als die kommende Weltmacht, den Hort des Protestantismus zu betrachten begann, und mit Verachtung auf Deutschland herabsah, dessen Kaiserhaus mit Spanien verwandt und verbündet war.
Welcher Art die Vetterngefühle waren, die man in jenen ersten Flegeljahren Englands gegen Deutschland hegte, erfährt man so recht, wenn man das G. Chapman zugeschriebene Drama Alphonsus, Emperour of Germany liest. Wie muß der englische Janhagel gejubelt haben, als er in diesem Schauspiel die morsche deutsche Reichsmaschine, den Kaiser und die Kurfürsten verhöhnt sah, eine alberne deutsche Prinzessin wirkliches Dutch reden hörte, und zufrieden gewahrte, wie neben diesen gemeinen, dummen, trunkenen Deutschen die Engländer als wahre Tugendengel glänzten. This play, thoy it bear the name of Alphonsus was writ in honor of the English Nation, wird uns ausdrücklich berichtet. Und aus der Stimmung gegen Deutschland und deutsches Wesen, die uns Schauspiele wie dieses zeigen, ist denn gewiß auch eine Reihe von Redensarten hervorgegangen, worin der Deutsche beschimpft wird. Denn eigentlicher Witz und Humor, und wäre es auch nur der Witz der Gasse, liegt keinem dieser Ausdrücke zugrunde, sie sind eben nur Schimpfworte.
Obwohl man sich in England der Mäßigkeit im Trinken damals so wenig brüsten konnte, wie heute, wo die Trunksucht sogar unter Weibern herrscht, so wird dort doch das deutsche Trinklaster schon im 16. Jahrhundert verhöhnt. Es ist das alte germanische Laster, gegen das auch Luther damals eiferte. The drunken Dutch, Dutchmanlike drinking, Dutch bellied und ähnliche Ausdrücke erscheinen oft. A Dutch bargain wird darum so genannt, weil, wie schon Th. Nash im Pierce Pennilesse (1592) sagt: many Dutchmen will never bargain, but when they are drunke. Sogar der größte Stolz des deutschen Mannes, seine Tapferkeit, wird nun von dem Engländer auf seine Völlerei zurückgeführt. Dutch courage ist der Mut des Trunkenen. A gill of bratidy, the best thing to inspire courage in a Dutchman sagt ein englischer Schriftsteller um 1700.
*) Hierüber vergleiche man die trefflichen Ausführungen bei Charles H. Herford, Siudies in Ihe literary relations of England and Germany in the 16th Century. 165 ff.
Aber nicht nur die Trunksucht des Deutschen, auch sein wachsendes materielles Elend trifft während des Dreißigjährigen Krieges der englische Spott. Denn damals wohl ist zuerst die grausam höhnische Redensart Dutch comfort entstanden, womit der für den Engländer zweifelhafte Philistertrost bezeichnet wird, daß ein schreckliches Obel nicht noch schlimmer ausgefallen sei. Für uns freilich steht hinter Dutch comfort nicht nur die unverwüstliche Hoffnungsfähigkeit des Deutschen, sondern auch die Geduld, mit der er sein politisches Elend, die Unterdrückung durch seine Fürsten und seine Armut ertrug. Auf deutsche Armut und Genügsamkeit zielt auch das Hohnwort Dutch breeches; womit der englische Matrose die Streifen blauen Himmels bezeichnet, die sich nach einem Sturm zeigen, und die, wenn auch noch so klein und zerrissen, gut genug seien zu einem Paar Hosen für einen Dutchman, d. h. Deutschen.
Auch die deutsche Frau entging dem englischen Schimpfe nicht. Schon im Anfang des 17. Jahrhunderts ist der Ausdruck a Dutch slop (eine deutsche Schlampe) gebräuchlich, wohl darum, weil sie es den Engländerinnen an Putz nicht gleichtat. Berichtet doch Breuning von Buchenbach*) schon aus dem Jahre 1595, daß die englischen Damen „in italienischem Habitu gingen, mit entblößten Brüsten“, was also in Deutschland damals noch nicht Mode war. Wenn sich G. Chapman in dem vorher erwähnten Drama Alphonsus sogar über die Keuschheit deutscher Mädchen und Frauen lustig macht:
I think the Maids in Germany are mad,
Ere they be marryed they will not kiss,
And being marryed will not go to bed,
so dürfen wir uns diese törichte Beschimpfung aus damaligem liederlichem Engländermunde schon zur nationalen Ehre anrechnen.
Faßt man die Charakterzüge des Deutschen, die der Engländer und, ihm nachäffend, der Amerikaner seit den letzten drei Jahrhunderten in zahlreichen Redensarten zu verspotten suchte, zu einem Bilde zusammen, so ergibt sich ein dummer, gutmütig-schwacher (Dutch comfort) aufgedunsener (Dutch bellied), komisch aussehender (a funny Dutch look, his face is Dutchy), Trunkenbold (drunken Dutchman, Dutch drunkard), der nur im Rausche Handel treibt (Dutch bargain) und Mut zeigt (Dutch courage), eine unverständlich-barbarische Sprache spricht (that is double Dutch to me) und mit seinem Unglauben für die Hölle (Dutch infidel), wie mit seiner Philosophie für das Irrenhaus reif ist.
*) H. J. Breunings von Buchenbach, Relation über seine Sendung nach England im Jahre 1595. Stuttgart 1865.
Das ist die Fratze, die in der Gedankenwelt vieler englisch Sprechenden auch heute noch irgendwie fortwirkt: bei Kindern und Ungebildeten in grellen Farben, bei Gebildeten in mehr verblaßten Tönen. A danmed Dutchman ist auch diesem der Ausdruck größter Verachtung für den Deutschen. Kein Wunder, daß die Furcht, für diese Fratze gehalten zu werden, schon viele Tausende, zumal in früheren Jahren, ihre deutsche Herkunft hat verleugnen lassen! —
Und diese Fratze, die der englische Volksgeist aus Unwissenheit, Hochmut oder Eifersucht sich in seiner Sprache boshaft vom Deutschen geschaffen hat, ist denn auch schließlich das Modell gewesen, das Charles G. Leland in seinen albernen Hans Breitmann Ballads gesessen hat. Niemand hat für diese Tatsache größeren Spürsinn als die Engländer selbst. Denn als zu Ende des letzten Jahrhunderts englischer Krämerneid und Haß gegen das aufstrebende Deutsche Reich zuerst offen losbrachen, da wurden die halbvergessenen Breitmann Ballads von Leland hervorgesucht und unter wieherndem Beifall in den Singspielhallen öffentlich rezitiert. Glaubte man doch in diesem Hans Breitniann den verhaßten Dutchman endlich einmal in seiner ganzen Lächerlichkeit leibhaftig vor sich zu haben. —
Ich verstehe nicht, wie gebildete Deutsche so wenig Volksbewußtsein haben konnten, um sich, wie Leland im Vorwort zu den Ballads versichert, an diesen Gedichten zu ergötzen und sie für die Burleske eines gewissen Typus der sogenannten Achtundvierziger zu halten. In einem künstlich nur für englische Lachzwecke gemachten Kauderwelsch, das nie ein Deutscher so gesprochen hat, schildern diese »Ballads« einen rohen, im Bierdusel verkommenen Strolch, der, ohne jeden versöhnenden Zug von Gemüt, Humor oder Heldentum, in jeder Weise der Fratze entspricht, die wir in den erwähnten Redensarten kennen lernten. Keine beißendere Verhöhnung der staatsmännischen, sozialen und sonstigen Reformansprüche jener Achtundvierziger als Gedichte wie Breitmann and the Turners mit diesen Strophen:
Hans Breitmann, shoined de Turners:—
Mein Gott! how dey drinked and shwore,
Der vas Swabians und Tyrolers
Und Bavarians by de score.
Some vellers coomed from de Rheinland
Und Frankfort on-de-Main.
Boot dere vas only one Sharman dere,
Und he vas a Holstein Dane.
Hans Breitmann shoined de Turners:—
Mit a Limburg cheese he coom;
When he open de box it shmell so loudt,
lt knock de musik doomb.
Text aus dem Buch: Der Kampf um deutsche Kultur in Amerika : aufsätze und vorträge zur deutsch-amerikanischen Bewegung, Verfasser: Goebel, Julius.
Siehe auch:
Die deutsche Bewegung in Amerika. Rückblicke und Aussichten.
Zur deutschen Frage in Amerika.