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Die deutsche Bewegung in Amerika. Rückblicke und Aussichten.

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aus dem Kunstmuseum Hamburg

Der Kampf um deutsche Kultur in Amerika.

„Der Deutsche ist erwählt von dem Weltgeist an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten . . . dem, der den Geist bildet, muß zuletzt die Herrschaft werden.“

Wie frischer Frühlingshauch zieht es heute durch die Geister von Deutsch-Amerika, und unwillkürlich treten mir beim Anblick dieser Festversammlung die Worte unseres großen Volksdichters auf die Lippen:

Der Sommer ist hart für der Thür,
Der Winter ist vergangen.

Was vor fünfzehn Jahren noch ein Traum kühner Schwärmer schien, ist heute zur erhebenden Wahrheit geworden: das Deutschtum in Amerika, das lang zerstreute, hat sich aus freiem Antrieb zur Einheit zusammmengefunden. Der deutsch – amerikanische Nationalbund mit seinen zwei Millionen Mitgliedern stellt heute eine Kulturmacht dar, deren Einfluß nach innen und außen wir selbst noch nicht voll ermessen können. Nie zuvor hat unser Volkstum in diesem Lande eine gleich verantwortungsvolle und gebietende Stellung eingenommen.

Zwar an Versuchen, das amerikanische Deutschtum zur einheitlichen Macht zusammenzuschließen, hat es auch im vergangenen Jahrhundert nicht gefehlt. Nach jeder großen Zuwanderung ist der Gedanke einer zusammenfassenden Organisation aufgetaucht; so in den dreißiger, den fünziger und achtziger Jahren. Aber dem deutsch-amerikanischen Nationalbund ist von allen diesen Versuchen zuerst und allein der Bestand beschieden. Dafür scheint mir diese Stiftungsfeier und der Geist, aus dem sie geboren, die beste Bürgschaft.

Zweierlei ist es, was nach meiner Ansicht der deutschen Bewegung die Zukunft sichert: daß sie in ihrem innersten Wesen deutsch-amerikanisch, d. h. vom Geiste des hingehendsten Patriotismus getragen ist, und daß sie, aus diesem patriotischen Geiste heraus, den Kampf um deutsche Kultur auf ihre Fahne geschrieben hat.

Wer möchte leugnen, daß unsere deutsch-amerikanischen Vorfahren, die sich um die Einheit ihrer Volksgenossen bemühten, nicht auch von heißer Liebe zu ihrer neuen Heimat beseelt waren? Denn auch in der Fremde schlägt das deutsche Gemüt neue Wurzeln der Heimatliebe, ohne die es verdorren müßte. Kein überzeugenderer Beweis aber für die Hingabe jener Männer an dies Land, als daß sie in den Kämpfen für seine Freiheit und Einheit ihr Blut vergossen. Und doch will es mir scheinen, als bestehe zwischen dem deutsch-amerikanischen Geiste von damals und von heute ein bedeutsamer Unterschied. Noch waren die Führer jener Zeiten, besonders die achtundvierziger, mit dem Philistererbe der deutschen Kleinstaaterei und des französischen Weltbürgertums belastet. Neben ihrem Haß auf die deutschen Fürsten, der gewiß nur allzu berechtigt war, konnte der Glaube an das deutsche Volkstum und seine unverwüstliche, Diplomaten und Fürsten überragende Kraft nicht aufkommen. Und in ihrer Schwärmerei für die abstrakten Phrasen des Weltbürgertums vergaßen sie ihre eigentliche Mission als Deutsche. Wie eng die demokratischen Hoffnungen und Bestrebungen der achtundvierziger Flüchtlinge, der Männer wie Karl Heinzen, Karl Schurz u. a. im Grunde an Frankreich und Paris und nicht an Deutschland als lebensbestimmenden Mittelpunkt geknüpft waren, das zeigt der Verzweiflungsschrei, der durch ihre Reihen ging, als der Staatsstreich Napoleons III. ihre Luftschlösser einer Weltrepublik grausam vernichtete.

So konnten die Deutsch-Amerikaner jener Tage, trotz des entscheidenden Einflusses, den ihr Auftreten in der Sklavenfrage auf politischem Gebiete ausübte, sich doch gar vielfach in kleindeutsche Philisterkreise abschließen, und damit versäumen, das eigentliche höhere Kulturleben Amerikas, das in seinen besten Vertretern, wie Margaret Füller, Longfellow, Emerson, Theodore Parker u. a. unserer deutschen Kultur bereits zustrebte, dauernd auch in den breiten amerikanischen Massen mit deutschem Geiste zu befruchten. Ja manche der achtundvierziger Flüchtlinge, darunter berühmte Namen, mochten es sogar über sich zu gewinnen, ihr Deutschtum, wenigstens zeitweise, von sich zu werfen und den charakterlosen Versuch zu machen, sich zu Anglo-Amerikanern umzuhäuten. Umsonst rief Karl Heinzen diesen Überläufern zu:

„Amerikanisiert werden können wir nur geographisch und politisch; wer aber seine Erinnerungen, seine Bildung, sein Denken, seine Sprache, sein ganzes geistiges und gemütliches Leben, mithin seine ganze Natur opfern könnte, dem dominierenden Amerikanertum zulieb, der wäre ein Niederträchtling, ein Sklave.“

Nur allzu viele wurden zu solchen „Sklaven“ und versanken mit ihren Nachkommen in eine Kultur, die der deutschen keineswegs ebenbürtig war. Wo in einer Generation, wie in jener, das eigentliche deutsche Bewußtsein, d. h. die Überzeugung, fehlt, daß das Höchste und Ewige, das ich als Mensch erreichen kann, mir nur im eignen Volkstum sich offenbart und nicht etwa bei Römern, Franzosen oder Amerikanern, da müssen auch die Einheitsbestrebungen einseitig bleiben und den Keim des Todes in sich tragen. Man glaubte damals das Bindemittel in der Politik oder im religiösen Radikalismus gefunden zu haben und ahnte nicht, daß dieser vermeintliche Kitt zum Scheidewasser wird, wenn es gilt, ein großes Volkstum zum Ganzen zusammenzuschließen. Noch heute haben wir die unseligen Folgen jenes Wahnes gewisser Fanatiker nicht ganz überwunden, der unser Deutschtum jahrzehntelang in die beiden Lager von „Frommen“ und „Freisinnigen“ zu trennen suchte. Und noch erinnere ich mich lebhaft der heftigen Kämpfe, die ich in den achtziger Jahren mit den Führern beider Lager zu führen hatte, als es galt, unter unseren Volksgenossen, unabhängig von Politik und Religion, dem unantastbaren Besitz der Einzelüberzeugung, das deutsche Selbstgefühl zu wecken und der Einheit von heute die Wege zu bereiten.

Denn wir Deutsch-Amerikaner können und wollen nicht als abgeschlossener Volksteil im Ganzen dieses Staatswesens Parteipolitik treiben, sei es auf religiösem oder auf öffentlichem Gebiete. Aber gerade darum können und sollen wir, als das Gewissen der Nation, in die großen Lebensfragen der Politik, sowie vor allem ins innerste Kulturleben der werdenden Nation bestimmend, ja entscheidend ein-greifen. Ich kann mir für die geeinte Macht unseres Volkstums keine Stellung denken, die höher, patriotischer und zugleich verantwortungsvoller wäre. So hielten die Deutsch-Amerikaner während des Bürgerkrieges schon einmal die Geschicke des Landes in der Hand; aber sie entglitten ihnen wieder, weil sie es zu einer lebensfähigen Organisation nicht bringen konnten.

Ich kann nicht oft genug betonen, daß der Umschwung im Denken und Empfinden, ja im ganzen Lebensgefühl des Deutsch-Amerikaner-tums durch die großartige Feier zum Gedächtnis der Gründung von Germantown herbeigeführt wurde. Und nicht oft genug kann ich darauf hinweisen, wie uns, über Nacht gleichsam, die Erkenntnis aufging, daß wir einem Volkstum angehören, das auch in diesem Lande eine lange und ruhmreiche Geschichte hat, so ruhmreich und so wesentlich für die Gesamtgeschichte der amerikanischen Nation wie die irgendeines anderen Volksteiles.

Der Feier von Germantown im Jahre 1883 folgte dann langsam übers ganze Land hin die Feier des „Deutschen Tages“, zum Gedächtnis jener ersten deutschen Ansiedelung in Pennsylvanien und weckte in Hunderttausenden das gleiche historische Bewußtsein und das schlummernde Einheitsgefühl. Daneben entstanden in verschiedenen Städten Vereine zur Erforschung der deutsch-amerikanischen Geschichte. Ich selbst genoß das Glück, bei der Gründung solcher Vereine in Baltimore, in New York und später in San Franzisko mitwirken zu dürfen und den neuen deutschen Geist durch Wort und Schrift zu verbreiten.

Schließlich darf ich ein geschichtliches Ereignis nicht vergessen, das zuerst das erwachende Einheitsgefühl unter den Deutsch-Amerikanern hell auflodern ließ und mit zur Begründung des Nationalbundes drängte. Ich meine das Mißverständnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten während des Spanisch-Amerikanischen Krieges und seine Begleiterscheinung: die, von England geschürte, Überhebung des sogenannten „Angelsachsentums“ jener Tage. In diesen kritischen Zeiten, wo sich aller langverhaltene Deutschenhaß der amerikanischen Massen auf uns entlud, waren wir Deutsch-Amerikaner es, die den gewissenlosen angelsächsischen Kriegshetzern Einhalt geboten. Und damals mochte Amerika wie Deutschland erfahren, daß wir Deutsch-Amerikaner einen Patriotismus pflegen, der die höchsten Interessen der neuen Heimat treuer schützt als amerikanische Hetzer und die Interessen der alten Heimat treuer als deutsche Diplomaten.

Der eben geschilderte Umschwung in der ganzen Geistesverfassung des Deutsch-Amerikaners, den das erweiterte geschichtliche Denken brachte, bestand vor allem im Erwachen und in der Steigerung des deutschen Selbstgefühls. Ich weiß recht wohl, welchen Anteil an dem seelischen Vorgang, den ich meine, die Einigung Deutschlands hatte und der Anhauch neuen gewaltigen Lebens, der, vom Vaterlande her, seitdem weckend und kraftstählend uns zuwehte. Aber mächtiger noch als der Anblick politischer Größe, wirkte die erwachende Erkenntnis von der Macht und Wirkung deutscher Kultur.

Ich wäre der letzte, zu verkennen, was der Deutsche auf dem Gebiete der politischen Geschichte dieses Landes geleistet hat, und mit Klopstock möchte ich stolz ausrufen, daß Deutsche es waren, die in den Freiheitskämpfen Amerikas stets glänzend voranleuchteten. Aber im wesentlichen ist die deutsch-amerikanische Geschichte, zu der ich auch die Einwirkung deutschen Geistes vom Vaterlande her zähle, die Geschichte deutschen Kultureinflusses in Amerika.

Langsam, aber mit überwältigender Klarheit ging uns die Überzeugung auf, daß die vielgepriesene amerikanische Kultur, die bisher von vielen Deutschen als ein Höheres angestaunt wurde, erst im Werden begriffen ist, namentlich auf den höchsten Gebieten des Menschenwesens, daß sie ihr Bestes und Bleibendes an deutscher Kultur genährt hat und daß es unser geschichtlicher Beruf ist, als Vertreter deutscher Kultur schaffend und bildend in die amerikanische Kulturentwicklung einzugreifen. Das heißt nicht, furchtsam und zaghaft, wie in früheren Zeiten, bloß für die Erhaltung deutscher Sprache und Sitte in kleinen, abgeschlossenen Kreisen kämpfen und im übrigen die ganze nationale Geistesentwicklung, die uns schließlich doch ergreift und verschlingt, anderen Kräften, d. h. nur zu oft unberufenen und feindlichen, überlassen. Es heißt vielmehr, nationale Kulturpolitik im höchsten und edelsten Sinne treiben. Und dies letzte Ziel unseres geschichtlichen Berufes werden wir erst dann erreichen, wenn wir auf die kulturschaffenden Mächte im Nationalleben, besonders das Erziehungswesen, das niedere wie höhere, gestaltenden Einfluß gewinnen, ja dem höheren Geistesleben der Nation unser Kulturideal überhaupt erst einpflanzen.

Was ist Kultur? Für uns Deutsche bedeutet sie im letzten Grunde wahres, höheres, im Mutterboden unserer Volksnatur wurzelndes Menschentum. Kultur in diesem Sinne genommen, ist nicht an Gelehrsamkeit gebunden, noch weniger ist sie erträumter Alleinbesitz empfin-delnder Ästhetenkreise, sondern sie lebt im ganzen Volke. Jeder Deutsche, auch der einfachste, in dem unser Volkslieder– und Sprichwörterschatz lebendig gefühlter Besitz ist, in dem sich die sittlichen Grundzüge des deutschen Wesens: sein Pflichtgefühl, seine tiefe Innerlichkeit und Wahrhaftigkeit, wenn auch noch so bescheiden und unbewußt, verkörpert haben, hat Teil an deutscher Kultur. So gut wie der Hochgebildete, der in seinem Leben zu verwirklichen sucht, was in der Blütezeit deutscher Kultur unsere großen Dichter und Denker als wahres Menschentum verkündeten.

Wo deutsches Gemüt und deutsche Festfreude, wo deutsche Musikliebe und deutscher Frohsinn erscheinen, da waltet echt deutsches Menschentum, das unser heimlichstes Sehnen und Streben tiefer und vollkommener verwirklicht, als der landläufige Menschencharakter, auf den es unsere englisch-amerikanische Umgebung abgesehen hat. Wohl hat auch dieser seine schönen und nachahmenswerten Eigenschaften: den Zug ins Große, den unverwüstlichen Optimismus, die rastlos tätige, auf die Wirklichkeit gerichtete Verstandesmäßigkeit und den opferwilligen Gemeinsinn. Nur hat man uns diese Eigenschaften in den letzten Jahren, hier wie in Deutschland, bis zum Übermaß angepriesen, und gewisse Schmeichler, amerikanische wie deutsche, haben daraus zu politischem Verbrauch ein falsches Lichtbild des amerikanischen Nationalcharakters zusammengemalt, das, nach dem Urteil einsichtiger Amerikaner, der Wirklichkeit wenig entspricht. Denn wir wären gewissenlose Patrioten, wollten wir die Schattenseiten dieses Charakters, wie sie in manchen Kreisen sich zeigen, verkennen und gelassen Zusehen, daß sie dem werdenden Nationalcharakter bleibend sich aufprägen: der Hang zur Heuchelei, der Mangel an Ehrgefühl, vorzüglich in Geldsachen, die hastige Oberflächlichkeit, das feige Beugen vor der öffentlichen Meinung und die maßlose nationale Eitelkeit. Welcher Klarblickende möchte die Gefahren unterschätzen, die gerade einer freien Nation drohen, in der solche Charaktereigenschaften ungehindert wuchern und weiterfressen dürfen? Zwar an Ermahnung und Lehre fehlt es in unserer predigtfrohen Nation nicht, aber weder Schule noch Kirche haben es bisher vermocht oder vielleicht auch nur gewagt, die Axt an die letzte Wurzel des Übels zu legen. Kein Rausch religiöser Augenblickserregung und keine abgestandene Weisheit altkluger Moralpredigt reicht in die Tiefe, wo Wille und Gesinnung die sittliche Tat frei erzeugen müssen.

Deutsche Kultur und deutsches Menschentum gipfeln zuletzt im freien deutschen Menschen, der den Mittelpunkt seines Wesens in sich selbst und in seinem Volkstum gefunden hat, der den Mut besitzt, unabhängig vom Druck der Konvention und der Meinungsmache, in Gesellschaft und Politik ein Eigenleben zu führen, und in dem gerade darum der Puls des großen nationalen Gesamtlebens um so heißer und kräftiger schlägt. Ja, in dem vor allem die selbstbestimmende Kraft sittlicher Freiheit lebendig ist und nach Betätigung in der Umwelt von Staat und Gesellschaft drängt. Wer je den Schrei einer der vielen geängsteten Menschenseelen vernommen hat, die heute aus der Hetzjagd, der Leere und der Tyrannei unseres Nachahmungs-und Schablonenlebens heraus nach wahrem Eigenleben rufen, der weiß, was der amerikanischen Kultur im letzten Grunde noch mangelt. Nie wird die Demokratie Amerikas ihre höchste Bestimmung erreichen, so lange die Freiheit ihrer Institutionen nicht von wahrhaft freien Menschen, von Persönlichkeiten im deutschen Sinne, gehütet wird, und die Selbstbestimmung sittlich freier Charaktere der ruchlosen Zügellosigkeit, die unter dem Namen des „Individualismus“ geht, nicht gebietende Schranken setzt. — Welch gewaltige Aufgabe für den deutsch-amerikanischen Nationalbund! Nicht darum aber, weil wir Deutsch-Amerikaner uns pharisäisch für bessere Menschen halten, sondern weil wir bescheiden und treu uns bemühen, dem Bilde eines höheren Menschentums, das unsere Kultur uns ins Herz gedrückt hat, nachzuleben, zählen wir es zu den patriotischen Pflichten des Nationalbundes, unsere Einsicht in diesen Dingen der ganzen Nation zu Diensten zu stellen. Es mag unsern politischen Klüglingen und seichten Verstandesmenschen utopisch erscheinen, dem drohenden Niedergang unserer freiheitlichen Einrichtungen mit dem Hinweis auf unser Menschenideal begegnen zu wollen. Die wir jedoch wissen, wie unser deutsches Volk einst aus sittlichem und politischem Verfall sich an diesem Ideal zu neuem Leben aufrichtete, sind überzeugt, daß nur eine nationale Wiedergeburt aus gleichem Geiste uns retten kann. Der Bestand einer Nation und ihre Machtstellung unter den Völkern hängt nicht von ihrem materiellen Reichtum, noch weniger von der Schlauheit ihrer Diplomatie, sondern von der Stärke, der Ausbildung und der Erneuerungsfähigkeit der sittlichen Kräfte ab, die sie in ihrem Schoße birgt.

Gerade das Chaos, das im Augenblick in unserer politischen Welt herrscht und Denkenden wie Zynikern die verzweifelte Frage auf die Lippen zwingt: kann sich dies Volk noch länger selbst regieren, deutet nach meiner Meinung auf die tiefsten Grundgebrechen unseres nationalen Lebens. Fast alle Ratschläge sind verbraucht. Die Ehrfurcht vor der Hoheit der Gesetze, der willkürlich gemachten wie der ewigen, sittlichen, ist von der ruchlosen Goldgier aus dem Gewissen Unzähliger gelöscht worden. Der Richterstand selbst hat, zum Teil durch Schuld einzelner unwürdiger Vertreter, sein altes Ansehen eingebüßt und wird nun von manchen Demagogen öffentlich als Stand der Untreue und Bestechlichkeit verleumdet. Nur das Gespenst eines mystisch waltenden „Volkswillens“ scheint dem nationalen Hoffen als letzter Halt geblieben. Und wie die Auguren der Römerzeit aus den Eingeweiden der Opfertiere, so suchen die Demagogen unserer Tage aus den Zuckungen dieses

„Volkswillens“ ein rettendes Zukunftsorakel zu lesen und ängstlich‘ lauschen sie auf jeden Flügelschlag der öffentlichen Meinung. Betrogene Betrüger! Nicht länger mehr spendet der Volkswille wie in der Heroenzeit unserer Demokratie, als es noch lautere und furchtlos mannhafte Charaktere gab, rettende Orakel. Noch nie hat die Gottesstimme des Volkes sich unreiner Organe bedient, sondern stets nur durch den Mund von Männern gesprochen, in deren Wesen die Nation ihre Verkörperung erblickte. Erst dann, wenn die amerikanische Kultur der Zukunft wieder ganze Männer erzieht und das Volksleben mit dem sittlichen Geiste eines neuen gesunden Menschentums durchdrungen hat, dürfen wir auch wieder auf das Orakel des Volkswillens lauschen.

Vergessen wir Deutsch – Amerikaner inzwischen nicht, daß der Nationalbund mit seinen zwei Millionen Mitgliedern auch ein Teil des amerikanischen Volkswillens ist, und daß es heute in unserer Macht liegt, dem Ganzen des verkehrten-oder mißleiteten Volkswillens die Richtung zum Guten und Rechten zu geben. Lassen wir in unserer Mitte einen Hauch vom Geiste unseres Fichte lebendig werden!

Wenn es in diesem Lande so weit gekommen ist, daß wenige mehr zu wagen scheinen, öffentlich ihre wahre Meinung zu bekennen, aus Furcht vor der Geldmacht, die in allen möglichen Gestalten von „Interessen“ und „Rücksichten“ unser Leben verseucht hat, dann zeigen wir dem zagen Geschlechte den Mut des unverfälschten freien Wortes. Wenn heute das lauernd Diplomatische, die listige Berechnung, das sogenannte „Politische“ mit seinem Gefolge von Lüge, Verstellung und Heuchelei nur zu oft unseren Umgangston beherrschen, dann bekennen wir uns zur rücksichtslosen Wahrheit, die allein frei macht.

Wo aber die Wahrheit herrscht, da redet auch das Gewissen seine vernehmliche Sprache. Hüten wir unser deutsches Ehr- und Pflichtgefühl! Es ist die heilige Quelle, aus der unser Volkstum seine sittliche Jugendkraft trinkt. Aus ihrem Rauschen spricht das deutsche Volksgewissen, und in ihren Tiefen ruht das Geheimnis der Macht und Größe deutscher Kultur.

Vor nicht langer Zeit wurde die Tatsache allgemein bekannt, daß die Bürger eines ziemlich großen Landbezirks in einem der mittleren Staaten seit Jahren bei den öffentlichen Wahlen ihre Stimmen — gegen 20000 — an den Meistbietenden verkauften und darin nichts Unehrenhaftes fanden. Mit buchstäblichem Zittern durchflog ich den Artikel, worin der Richter, der das Verbrechen auf deckte und die Hauptschuldigen hinter Schloß und Riegel brachte, die Geschichte des unerhörten Handels darstellte, ob unter den Schuldigen auch deutsche Namen seien. Es wurde in dem Artikel jedoch ausdrücklich betont, daß die Bewohner jenes Bezirkes ausschließlich aus Anglo-Amerikanern bestehen.

Meiden wir den Deutsch-Amerikaner, der je auf ähnlich ehrlosen Schlichen betroffen wird, wie einen Aussätzigen und wachen wir über die politische Unbescholtenheit des Nationalbundes wie über die Ehre unserer Frauen und Töchter!

Was den sittlichen Charakter der deutschen Menschenkultur lebendig erhält und unüberwindlich macht, ist der Geist der deutschen Erziehung. Nie hat sich ein Prophetenwort herrlicher erfüllt als was unser Schiller am Begihh des 19. Jahrhunderts seinem Volke zurief:

„Der Deutsche ist erwählt von dem Weltgeist an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten . . . dem, der den Geist bildet, muß zuletzt die Herrschaft werden.“

Daß der Geist deutscher Bildung das Erziehungswesen unseres Landes endlich ergreife und die ersehnte nationale Wiedergeburt schaffe, ist eines der höchsten Ziele des Nationalbundes. Wohl ist es wahr, daß der Gedanke der deutschen Volksschule vor ungefähr 70 Jahren dem System unserer öffentlichen Schulen zugrunde gelegt wurde, aber keine Phrase unserer nationalen Eitelkeit darf uns darüber täuschen, daß dies Institut heute vielfach entartet ist. Es sollte das Bollwerk der Freiheit sein und ist zu einer Stätte des ödesten Mechanismus und unverantwortlicher Zeitvergeudung geworden, wo in zuchthausmäßiger Einförmigkeit jedes Eigenleben des Kindes vernichtet wird, um die Schablonenware zukünftiger Bürger herzustellen, die Vertreter des mystischen „Volkswillens“ und gedankenlosen Opfer der Demagogen. Vergebens haben sich die einsichtigen unter den amerikanischen Schulmännern schon längst gegen diese geist- und zwecklose Erziehungsmaschine aufgelehnt, die das Land jährlich über 400 Millionen Dollars kostet. Vergebens hat Charles W. Eliot, der ehrwürdige Expräsident der Harvard Universität, die Einförmigkeit als den Fluch unseres Erziehungssystems gebrahdmarkt und damit einen seiner Grundfehler getroffen. In keinem anderen Lande steht das Schulwesen, das niedere wie das höhere, in loserem Zusammenhang mit dem eigentlichen Leben der Nation als bei uns. Während der Aufschwung Deutschlands und seine führende Stellung auf allen Gebieten der höheren Kultur ohne sein hochentwickeltes Erziehungswesen gar nicht denkbar wäre, gelten die Schulen dieses Landes, niedere wie höhere, sofern sie nicht rohem Utilitarismus dienen, den weitesten Kreisen noch immer als eine Art Luxusanstalten, wo schlechtbezahlte, weltfremde Ideologen aristokratische Müßiggänger heranbilden.

Der deutsch-amerikanische Nationalbund ist keine Gesellschaft von Pädagogen, aber er hat, kraft seiner besseren Einsicht, das Recht und die patriotische Pflicht, in dieser wichtigsten nationalen Sache ein Wort mitzureden. Es gibt in Amerika keine zentrale Leitung der Erziehungsangelegenheiten, und wie die Demokratie in dieser Sache bisher versagt hat, so muß von ihr auch die Hilfe kommen. Warum wählen wir in die lokalen Schulbehörden anstatt politischer Streber oder Ignoranten nicht Männer von akademischer Bildung und pädagogischer Einsicht? Es bedarf keiner besonderen Erleuchtung für den Laien, um zu begreifen, daß die trostlose Verstandes- und Gedächtnisdressur in unseren Volksschulen, die krankhafte Übertreibung der rein formalen mathematischen Fertigkeit auf Kosten der Charakter- und Gemütsbildung, mit allen Waffen bekämpft werden muß, um der Erziehung zur Persönlichkeit Raum zu schaffen. Dringen wir durch unsere Staatsund Ortsverbände auf die Einführung des Unterrichts im Deutschen in die höheren Klassen der Volksschulen und überzeugen wir die Schulbehörden, daß der deutsche Unterricht in den Mittelschulen nicht durch unfähige Lehrer zur Farce gemacht werden darf. Bestehen wir daneben auf einem lebendigen Unterricht in der Geschichte, in dem die deutschamerikanische Geschichte wie die Geschichte Deutschlands endlich zu ihrem Rechte kommen müssen. Die Tatsache, daß in unseren Mittelschulen und vielen unsern Colleges und Universitäten außer der Geschichte Roms und Griechenlands nur englische Geschichte gelehrt und die Geschichte eines Kulturvolkes wie das deutsche totgeschwiegen wird, ist für uns Deutsch-Amerikaner geradezu eine Schmach. Von der Wirkung dieses Totschweigens der Geschichte ihrer Väter auf die Seelen unserer deutsch-amerikanischen Jugend brauche ich nicht zu reden.

Aber nicht nur an diesem Punkte ist es, wo der Nationalbund fördernd und wegweisend in die Entwicklung unseres höheren Erziehungswesens eingreifen müßte. Vor allem dadurch, daß wir keine Gelegenheit versäumen, die breiten Massen des amerikanischen Volkes über den wahren Geist der Universitäten und ihren Beruf im nationalen Leben aufzuklären. Ist es doch längst die Überzeugung unserer fortschrittlichen akademischen Kreise, daß von allen Volksteilen nur das Deutsch-Amerikanertum ein wahres Verständnis für ihre Bestrebungen und Wünsche hat. Nur der gebildete Deutsche begreift im ganzen Umfange, daß die Pflege der wissenschaftlichen Forschung und die Förderung der geistigen und sittlichen Kultur in der Nation der eigentliche Zweck der Universitäten ist, und daß sie diesen Zweck nur unter der Voraussetzung absoluter Freiheit erreichen können. Nur der Deutsche, der den Segen freier Forschung und ungehinderter Lehrfreiheit kennt, versteht, daß eine monarchisch oder gar despotisch organisierte und geleitete Universität, inmitten der freien Demokratie, ein Widerspruch ist, der dem Aufstieg der Nation zur höchsten Kultur zuletzt im Wege stehen muß. Denn von dieser kann nur da die Rede sein, wo die Wissenschaft und nationales Leben in innigster Wechselbeziehung stehen, und die Führer des höheren Geisteslebens zugleich die Bannerträger der nationalen Ideale sind. So glänzend der Aufschwung der amerikanischen Wissenschaft während der letzten Jahrzehnte auf vielen Gebieten auch gewesen ist, so ist sie nach Charakter und Wirkung doch esoterisch geblieben und wird es bleiben, so lange den Vertretern des höheren Geisteslebens die Luft der Freiheit versagt ist, ohne die es ihnen unmöglich wird, die Universitäten zu nationalen

Anstalten im deutschen Sinne zu gestalten. Darum wird die amerikanische Universität auch auf der Stufe der bloßen Schule verharren, bis ihr der Begriff jener höheren, wahren Freiheit aufgegangen ist, die ihr Gesetz in sich trägt und der äußerlichen Regeln und Zwangsvorschriften nicht bedarf.

Um so mehr scheint es mir die patriotische Pflicht des Nationalbundes, die öffentliche Meinung durch Wort und Schrift zur Überzeugung zu leiten, daß unsere Universitäten zu Bildungsstätten der Geistesfreiheit werden müssen, von denen allein eine nationale Wiedergeburt ausgehen kann. Man streiche aus dem deutschen nationalen Leben den Einfluß von Männern wie Fichte und Schleiermacher und anderen großen akademischen Lehrern und sehe zu, was die deutsche Kultur als Weltmacht heute wäre! Sorgen wir dafür, daß es zukünftig in Amerika als nationale Schmach gelten wird, die freie Forschung und die Lehrfreiheit, die heiligsten Güter eines Kulturvolkes und die Quelle seiner Kraft und Größe zu verkürzen oder zu unterdrücken.

Es ist ewig zu beklagen, daß der Gedanke einer deutschen Universität in Amerika, der zuerst in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auftaucht und später von Karl Heinzen u. a. befürwortet wurde, nicht zur Ausführung kam. Von welchem Einfluß ein solches Institut, an das man Männer wie Ludwig Uhland zu berufen gedachte, auf die Entwicklung der amerikanischen Wissenschaft hätte werden können, zu einer Zeit, wo selbst die besten amerikanischen Colleges, wie Harvard und Yale noch kleine schulmäßige Anstalten von streng kirchlichem Charakter waren, läßt sich kaum ermessen. Noch weniger die Wirkung, die von einem solchen Mittelpunkte deutschen Kulturlebens auf unser Volkstum ausgegangen wäre.

Den Gedanken heute wieder aufzunehmen, wäre im Hinblick auf die Anzahl, den Reichtum und die seitherige Entwicklung der amerikanischen Universitäten ohne Zweck. Aber in anderer Gestalt ihn lebendig werden zu lassen, halte ich für eine der schönsten Aufgaben des Nationalbundes.

Mehr als je bedarf unser Volkstum, das nun endlich zum Eigenleben erwacht ist, des lebenspendenden Mittelpunktes, des gemeinsamen Herdes deutscher Kultur, von dem aus ihm Licht und Wärme zustrahlen. Mir schwebt zur Erfüllung dieses hohen Zweckes die Errichtung eines Institutes für deutsche Kultur vor, das, etwa nach dem Vorbild der Berliner Akademie der Wissenschaften organisiert, die Sammelstätte werden könnte für hervorragende deutsch-amerikanische und reichsdeutsche Gelehrte, und der Geistesmarkt, auf dem sich der Austausch des Kulturbesitzes beider Völker in fruchtbringendster Weise vollziehen würde. Hier sollten neben deutsch-amerikanischer Geschichte die zahllosen Kulturbeziehungen zwischen Deutschland und Amerika, deutsche Sprache und Literatur, deutsche Geschichte, deutsche Volkskunde, deutsche Kunstgeschichte und deutsche Philosophie ihre wissenschaftliche Pflege finden, und von hier aus wären die Resultate der Forschung durch Wort und Schrift in die weiten Kreise der Nation zu tragen. Denn bliebe es auch die Hauptaufgabe einer solchen Akademie, für deutsche Kultur unserem deutsch-amerikanischen Volkstum fortdauernd neue Lebenskräfte zuzuführen, dann müßte sie den deutschen Kulturbesitz nicht weniger eifrig dem anglo-amerikanischen Volksteil vermitteln. So erst möchte der gesunde Grundgedanke im Professorenaustausch fruchtbar werden und zur Verwirklichung kommen, was in den dreißiger Jahren schon ein Deutsch-Amerikaner prophetisch als den eigentlichen Zweck einer deutschen Universität in Amerika hinstellte:

„Austausch der jeder Nation eigenen Künste und Wissenschaften führt zur Vollkommenheit.“

Deutschland ist heute eine Weltmacht, nicht nur im politischen Sinne, sondern weit mehr noch im Hinblick auf seine Kultur. Je klarer sich im alten Vaterlande das Bewußtsein dieser einzigen Weltstellung und der damit gegebenen Verantwortung entwickelt, um so mehr wird das erwachende Pflichtgefühl drängen, sich in die Tat umzusetzen. Es gibt keine politischen Erwägungen, die das deutsche Volk verhindern könnten oder dürften, zusammen mit dem deutsch-amerikanischen Nationalbund ein Institut zu schaffen, das beide Völker zu gemeinsamer Arbeit auf den höchsten Gebieten des Menschenwesens vereinen und ein Bollwerk des Friedens werden würde für alle Zeiten. Das Interesse, das sich in verschiedenen Teilen Deutschlands für das Germanische Museum in Harvard gezeigt und in wertvollen Gaben von Kunstwerken bekundet hat, beweist, daß es im alten Vaterlande an tätigem Verständnis für die deutsche Kulturmission nicht mangelt. Es steht daher zu erwarten, daß es an vaterländischer Beteiligung nicht fehlen wird, wenn es gilt, ein Institut von der großen Kulturbedeutung, wie das geplante, zu errichten.

Bedarf es im Angesicht solch hoher nationaler Aufgaben, wie sie der Nationalbund sich gestellt hat, noch einer Rechtfertigung für unser Streben?

Vor einigen Jahren erschien unter dem Titel „ The melting pot“ ein Drama, in dem uns der Verfasser, der bekannte Zionistenführer Israel Zangwill, als der Weisheit letzten Schluß verkündete, Amerika sei der große Schmelztiegel, in den die verschiedenen Rassen und Nationalitäten mit allem, was sie als solche stempelt: ihren Sprachen, Überlieferungen, Anschauungen und Sitten zu werfen seien, damit sie dort zu „Amerikanern“ umgeschmolzen würden.

Für uns Deutsch-Amerikaner bedeutet diese Predigt des Stückes eine Mischung von fader Phrase und unhistorischem Denken, das gerade Gegenteil dessen, was wir anstreben, und sie muß von uns um so entschiedener und schärfer bekämpft werden, je beifälliger sie vom gedankenlosen Janhagel aufgenommen wurde.

Denn wir treten nicht als ausgestoßene oder verfolgte Rasse, Schutz und Hilfe suchend, in die amerikanische Nation ein, sondern als gleichberechtigter Teil dieser Nation, als Glieder eines edeln Volkstums, das seit mehr als zweihundert Jahren hier seine zweite Heimat gefunden und gemeinsam mit dem blutverwandten angelsächsischen Stamm dieses Staatswesen begründet und ausgebaut hat. Auch brauchen wir uns nicht erst zu „Amerikanern“ umgießen oder umformen zu lassen, sondern wir sind es im politischen Sinne — und nur in diesem —, sobald wir uns im Bürgereid dafür erklären und uns dem großen Körper unserer deutsch-amerikanischen Volksgenossen anschließen.

Am entschiedensten aber protestieren wir gegen die grenzenlose Anmaßung, die unsere deutsche Persönlichkeit in die Schablone eines fabriksmäßigen Volkstypus pressen möchte. Nicht nur, weil diese Art der Gleichmacherei die Vernichtung bedeuten würde alles dessen, was wir als das Heiligste unseres Volkstums und seiner Kultur ansehen, sondern auch darum, weil das Unterfangen selbst dem deutschen Geiste wie ein Frevel zuwider ist. Denn so löblich es einem kurzsichtigen Patriotismus auch Vorkommen mag, das Rassen- und Völkergemisch dieses Landes mit allen Mitteln in eine einzige Form zu zwingen und die gottgegebene Mannigfaltigkeit in einer künstlich gemachten Schablone untergehen zu lassen, so verhängnisvoll für die Zukunft der Nation muß diese irregeleitete, dem römisch-gallischen Geiste entsprungene Einheitsmache unserem deutschen Sinne erscheinen.

An dem Wahne, die Eigennatur und das Eigenleben der einzelnen Volksarten unterdrücken oder gar vernichten zu können, um sie in das Joch einer einheitlichen Sprache, wie einer einzigen Staats- und Rechtsform zu beugen, ist, dank dem deutschen Widerstand, einst das römische Altertum zugrunde gegangen. Der offene oder versteckte Versuch, unsere deutsche Volksart, d. h. unsere Sprache, unsere Sitten und Anschauungen in der Sudelküche eines nationalen Schmelztiegels verschwinden zu lassen, entspringt dem gleichen Wahne und wird sich ebenfalls, wenn auch in anderer Weise, bitter rächen.

Der Mutterboden für alles Schöpferische, Charakteristische und sittlich Tüchtige einer Nation ist die Volksart. Sie vernichten, heißt jenen Boden untergraben und dem Verfall entgegenarbeiten. Kein besserer Beweis hierfür als die Tatsache der Kriminalstatistik, wonach die junge Nachkommenschaft der Einwanderer in unseren Großstädten eine größere Zahl von Verbrechern stellt als die Eingewanderten selbst. Und noch bedeutsamer ist die Tatsache, daß der Charakter ihrer Verbrechen genau derselbe ist, den man an den jungen Verbrechern rein amerikanischer Abkunft beobachtet hat. Wenn irgendwo, so mag sich hier die Wohltat des nationalen Schmelztiegels offenbaren. Losgelöst von den Banden ihrer angeborenen Volksart, die in der Volksschule oft systematisch zerstört werden, um den Amerikanisierungsprozeß zu beschleunigen, und der Stützen beraubt, die in Sprache und sittlichen Anschauungen ihrer Väter liegen, ist es nur zu leicht verständlich, wie die junge Einwanderergeneration haltlos einer verbrecherischen Umgebung zum Opfer fallen muß.

Kein Vernünftiger wird leugnen wollen, daß sich aus den verschiedenen Völkerelementen dieses Landes eine neue Nation bilden wird und zum Teil schon gebildet hat. Dafür sorgt schon die gemeinsame Sprache. Aber nur der politisch Kurzsichtige oder der verbohrte Theoretiker mag fordern wollen, daß dieser nationale Bildungsprozeß den Untergang der Volksarten bedeuten müsse, zugunsten einer angelsächsischen Schablone. Einförmigkeit ist das Ziel der Tyrannei, ob sie nun in monarchischer oder in demokratischer Verkleidung auftritt; das Ideal der deutschen Kultur aber ist die Freiheit, die ohne die Mannigfaltigkeit, worin sich wahres Leben allein offenbart, nicht gedacht werden kann. Was wäre die deutsche Kultur ohne die treu bewahrte Stammesverschiedenheit des deutschen Volkes, der sie ihre Vielseitigkeit und Tiefe verdankt? Und hat unter den amerikanischen Ansiedlungen nicht gerade Neu-England die größte Kulturrolle gespielt, weil hier sich die ursprüngliche Volksart am längsten rein erhielt? Wir Deutsch-Amerikaner sind darum der Überzeugung, daß gerade von der Erhaltung und Pflege der Volksarten, vorzüglich unserer eigenen mit ihrer unvergänglichen Kultur, nicht nur die Zukunft der amerikanischen Kultur, sondern auch der Fortbestand unseres freien Staatswesens abhängt. Und so werden wir fortfahren, uns jeder undeutschen Einheitsmache zu widersetzen und unser Volkstum an allem Großen, Echten, dem Innersten deutschen Geistes Entsprossenen zu nähren. Schärft uns doch die Ferne den Blick für alles Wesenhafte deutscher Kultur, und nicht umsonst haben wir den Heroen unseres Volkstums, die uns, wie Schiller und Goethe, unsichtbar in die Ferne begleiteten, Denkmäler unter uns gesetzt, und es abgelehnt, deutsche Mode- und Tagesgötzen zu feiern.

Und wir vertrauen der geheimen Zauberkraft deutschen Geistes. Hier, wo er mit dem Geiste anderer Volkselemente in Wettkampf tritt, muß es sich zeigen, ob er zur Weltmacht berufen ist. Wenn aber Angelsachsen und Kelten im Zeichen des Schmelztiegels zu siegen hoffen, dann erinnern wir uns der Fabel von den drei Ringen, die unser Lessing in seine klassische Dichtung von Nathan dem Weisen verwoben hat.

Vertrauen wir Deutsch-Amerikaner nur der geheimen Kraft des Ringes, den wir von unsern Vätern ererbten, „streben wir nur um die Wette, die Kräfte des Steins in unserem Ring an Tag zu legen“ — glauben wir nur vor allem an uns selbst — unseres Steines Kraft wird sich schon bei unsern Kindeskindern zeigen: dem von deutschen Idealen erfüllten amerikanischen Volke der Zukunft!

Text aus dem Buch: Der Kampf um deutsche Kultur in Amerika : aufsätze und vorträge zur deutsch-amerikanischen Bewegung, Verfasser: Goebel, Julius.


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