Textübersetzung aus dem Kunstmuseum Hamburg
Die Entwicklung der Landwirtschaft
Bereits im Mittelalter hatte Mecklenburg mit seinen blühenden und wohlhabenden Bauerndörfern und seinen in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht gleich bedeutsamen Seestädten, von denen Rostock die älteste Handelsmesse des Nordens bildete, durchaus seine Eigenständigkeit als Wirtschaftsgebiet bewiesen. Im Jahre 1552 hatten süddeutsche Kaufleute über den mecklenburgischen Wirtschaftsraum die erste Einzelkarte Norddeutschlands hersteilen lassen, ein Zeichen, wie hoch man schon damals im Reich dessen Bedeutung als Brücke zwischen den großen Zentren des Handels im Norden und Süden veranschlagte. Weit stärker aber stellte gerade das für Mecklenburg politisch und sozial so dunkle 18. Jahrhundert indirekt die wirtschaftliche Eigenständigkeit dieses Raumes unter Beweis, denn nur ihr allein hatte Mecklenburg es zu verdanken, wenn es dieses Jahrhundert überhaupt überdauerte.
Die bisherige Betrachtung galt allein dem Gebiet der Ritterschaft, doch darüber darf man nicht außer acht lassen, daß das Domanium, der dem Landesherrn gehörige Bereich, im allgemeinen ein bei weitem andersgeartetes Bild bot. Das Herzogshaus war schon aus volks- wie wehrund steuerpolitischen Rücksichten heraus im Grunde stets dem Bauernstand freundlich gesonnen gewesen, da ein gesunder Bauernstand die einzige Macht gebildet hätte, auf die es sich gegen die Anmaßung der Ritterschaft stützen konnte. Freilich fehlte es ihm seit dem Abschluß des unseligen Erbvergleiches an der notwendigen Macht, solchen Anschauungen gleich den Hohenzollern im ganzen Lande Geltung zu verschaffen, allein dafür ließ es sich umsomehr im eigenen Gebiet die Hebung des Bauernstandes angelegen sein. So zeitigt diese Politik für Mecklenburg schon im Jahre 1753 während der Regierungszeit Herzog Christian Ludwig II. (1747—1756) unter dem Einfluß des bauernfreundlichen Kammerdirektors Wachenhusen in der sogenannten Büdnersiedlung den ersten größeren Versuch zu innerer Kolonisation. Um der nach den Wirren der Karl-Leopold-Zeit einsetzenden Massenauswandenmg nach Rußland zu steuern, suchte man zielbewußt im Domanium in den Büdnerstellen einen neuen lebensfälligen Kleinbesitz zu schaffen, der die ärmeren Teile der Landbevölkerung fest an die heimische Scholle band. Diesem Bemühen blieben Erfolge auch nicht versagt. Im Jahre 1800 gab es bereits 4000 derartiger Stellen, drei Jahrzehnte später 5300. 1801 wurden von neuem aus einstigen Bauernhufen eine beträchtliche Reihe von Büdnereien geschaffen, 1809 die ganze Siedlung neu geregelt. Auch das Strelitz’sche Gebiet blieb am Ausgang des 18. Jahrhunderts hinter dieser Entwicklung nicht zurück. Sieben neue Siedlungsdörfer wurden dort angelegt. Nur die Ritterschaft sträubte sich, wie nicht anders zu erwarten, krampfhaft gegen alle derartigen Bestrebungen, da sie für ihre großen Begüterungen fürchtete.
Dieser Gegensatz wirkte um so auffälliger, als die Zeit immer stärker gegen das Fundament der feudalaristokratischen Lebensordnung, die Leibeigenschaft, Sturm zu laufen begann. Schon der Kammerdirektor Wachenhusen hatte diese als das Haupthindernis allen Fortschrittes bezeichnet. Und diese Stimmen mehrten sich, je mehr die naturrechtlichen Lehren der Aufklärung auch in Mecklenburg vor allem in den Kreisen der Gebildeten Eingang gewannen. 1781 hielt anläßlich einer zu Ehren des Herzogshauses veranstalteten Festlichkeit der Rostocker Professor der Morkl und der Rechte Jakob Friedrich Rönnberg (1738 —1809), der sich als Verfechter der Menschenrechte fühlte, eine aufsehenerregende Rede über die Notwendigkeit der Aufhebung der Leibeigenschaft und deren Umwandlung in eine Art Erbpacht. Die Monatsschrift „Von und für Mecklenburg“ als Vertreterin des aufgeklärten Bürgertums stieß in das gleiche Horn. Von noch tiefgehenderem Einfluß war 1784 Karl Leopold Eggers’ Schrift „über die gegenwärtige Beschaffenheit und mögliche Aufhebung der Leibeigenschaft“. Selbst der Adel fehlte jetzt in diesem Chorus nicht mehr. An der Spitze neben einem Baron Langermann und einem v. Engel einer der bedeutendsten Vertreter der damaligen Domanialverwaltung, der Geheime Rat Klaus Detlof v. Oertzen (1736—1822) in Bützow, der sich auch auf landwirtschaftlichem Gebiet durch die Veredelung der Schafzucht und die Einführung der Impfung des Rindviehs zur Bekämpfung der Kuhpocken große Verdienste erwarb.
Schon 1778 fielen im Domanium infolgedessen die Hofdienste für die Bauern fort. Im Jahre 1783 gingen der Baron Biel auf Stoffersdorf und Herr v.’Bülow in Wahr-storf und Hohenkirchen dazu über, ihre Bauern freizulassen und in Erbpächter umzuwandeln. Freilich handelte es sich bei beiden bezeichnenderweise um Adelige, die im auswärtigen Dienst standen. Die Französische Revolution, deren letzte Ausläufer in den Rostocker und Güstrower Butterkrawallen selbst bis nach Mecklenburg brandeten, ließ die Hoffnungen aller Aufgeklärten noch höher schwellen. 1790 hob der erste mecklenburgische Gutsbesitzer, Hofrat Schnelle auf Gottmannsförde, die Leibeigenschaft auf, doch noch 26 Jahre sollten vergehen, bevor sich ein echter Ritter, der Erblandmarschall Ferdinand v. Maltzahn, zu diesem Schritt entschloß.
Fürs Erste galt noch immer für den weitaus größten Teil Mecklenburgs das Bild, das im Jahre 1811 eine anonym erschienene Schrift von seiner Bevölkerung entworfen hatte. Danach bestand diese zumeist aus „unmutigen Leibeigenen, hungrigen Tagelöhnern, elenden Kossäten und wenigen ausgemergelten Bauern“. Das Porträt des Gutsherrn liefert dazu der Graf Schlitz-Karstorff in seinen Memoiren, wenn er dort einen Herrn v. M. auf Detershagen schildert: Einen himmelhohen Mann im langen roten Rock, in der Rechten einen langen dicken Knüppel, der des öfteren bereits entzwei geprügelt sein mußte, denn an den Bruchstellen war er reichlich mit Leder umwickelt. Die Kriegsnöte der Franzosenzeit und der wirtschaftliche Druck der Kontinentalsperre hatten eine neuerliche Verschlechterung aller Lebensverhältnisse zur Folge. Die allgemeine Unsicherheit nahm erschreckend zu; die großen Diebsbanden jüdischer Hehler, der Schön Afrömchen und Blind Leibchen, setzten das flache Land in Unruhe und Schrecken, bis 1812 die Errichtung eines regelrechten herzoglichen Gendarmeriekorps allmählich diesem Unwesen Einhalt gebot.
Während in anderen Gebieten Europas die französische Oberherrschaft vielfach den neuen politischen Ideen zum Durchbruch verhalf, verharrten die mecklenburgischen Stände nach wie vor in ihrer schroffen Ablehnung jeder Neuordnung, somit wohl ein Bild stolzen Unabhängigkeitssinnes gegenüber den fremden Bedrückern bietend, andcrerseits aber auch das Abbild jeder Reaktion. Wohl äußerte 1808 Herzog Friedrich Franz I. (1785—1837) die Absicht, die Leibeigenschaft aufzuheben, doch die reforma-torische Partei, voran der Erbprinz Friedrich Ludwig (1778—1819), der im Sinne Rousseaus erzogen war, ein wohl einsichtiger aber nicht eben fester Charakter und der Warmer Drost v. Suckow, sein Mentor, waren zu schwach, um ihren Ansichten Geltung verschaffen zu können. Erst nach den Freiheitskriegen ward diese Frage auf das Drängen der Landschaft, also der bürgerlichen Vertreter der Landstädte, endlich ernsthaft angepackt. Die Ritterschaft, an der Spitze als Häupter der Reaktion die Grafen v. Schlitz und v. Bothmer, für die noch 1816 das Wort Leibeigenschaft nichts war als „die gehässige Bezeichnung einer an sich zum großen Teil wohltätigen Einrichtung“, sträubte sich freilich in der Mehrzahl immer noch auf das Heftigste gegen jede Reform. Doch dank dem Geschick des Kammerrates Heinrich Ludolf v. Lehsten gelang es schließlich nach zweijährigen Verhandlungen auf den Landtagen der Jahre 1818 und 1819 auf Grund des Gesetzes vom 18. Januar 1820 die Aufhebung der Leibeigenschaft durchzusetzen.
Bildete dieses Gesetz einen Markstein in der innerpolitischen und sozialen Entwicklung des Landes, so war der Grund zu dem neuerlichen Aufschwung der mecklenburgischen Landwirtschaft, des Hauptzweiges der heimischen Wirtschaft, schon weit früher gelegt worden. Das Hauptverdienst dafür gebührt einem Manne, der heute fast völlig in Vergessenheit geraten ist: Franz Christian Lorenz Karsten (1751—1829). Geboren als Sohn eines ritter-schaftlichen Gutspächters, war er anfangs Professor der Landwirtschaft in Bützow, später, nach der Wiedervereinigung der beiden Hochschulen, in Rostock. Bereits 1785 trat er mit einer Abhandlung „über den Zustand der gegenwärtigen Aufklärung in der Ökonomie“ für eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft ein. 1793 begründete er in Rostock aus eigenen und geliehenen Mitteln auf dem linken Warnowufer vor dem Kröpeliner Tor eine landwirtschaftliche Versuchs- und Lehranstalt, Neuenwerder benannt, die erste derartige Lehranstalt auf deutschem Boden überhaupt. Ihr Zweck sollte darin bestehen, den mecklenburgischen Landwirten, vor aUem dem Nachwuchs, die Kenntnis wissenschaftlicher Betriebsmethoden zu vermitteln. Aber auch in praktischer Hinsicht bemühte er sich um die Einführung aller möglichen Neuerungen und Verbesserungen. Auf ihn gehen 1797 die ersten Versuche zur Dünenbepflanzung in Warnemünde zurück. Weiterhin beschäftigten ihn Untersuchungen über die Fruchtfolge so gut wie über die Herstellung feuerfester Dächer für landwirtschaftliche Gebäude. Er empfahl einen Kartoffelpflug und eine Dreschmaschine, wie sie damals Pastor Pessler konstruiert hatte. Und all dieses rastlose Streben ist um so höher zu bewundern, als er ständig mit den furchtbarsten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um sein Neuenwerder zu erhalten, und zudem ein Großteil seines Schaffens in die Kriegsnöte der Franzosenzeit fiel. Ohne Zweifel war er einer der größten Idealisten seiner Zeit. Erst nach jahrelangem bitterem Ringen wußte er sich durchzusetzen, während ein anderes Lehrinstitut, die 1804 begründete Landwirtschaftsschule des Gutsbesitzers Karl Schröder in Sophienhof der Not der Kriegsjahre von 1806/07 zum Opfer fiel. Dann freilich gewann er einen Ruf, der bis weit über die Grenzen des deutschen Vaterlandes hinausging. Die russische Universität Kasan, an der damals zwei berühmte Landsleute Karstens, Christian v. Frähn und Friedrich Franz Erdmann, als Orientalisten lehrten, bemühte sich, ihn als Lehrer zu gewinnen. Der König von Dänemark, der Herzog v. Holstein-Beck interessierten sich für seine Arbeiten. Den größten Ruhm aber erwarb er sich durch die Gründung des ersten landwirtschaftlichen Berufs-Verbandes in Mecklenburg, der Mecklenburgischen Landwirtschaftlichen Gesellschaft, die er 1798 gemeinsam mit dem Grafen Schlitz-Kar-storff ins Leben rief und die 1817 zum Patriotischen Verein erweitert wurde.
Der neue Verein, für den Lorenz Karsten seit 1805 auch eine Fachzeitschrift, die nachmaligen „Annalen“ des Patriotischen Vereins, herausgab und den er als Generalsekretär bis an sein Lebensende betreute, wurde einer der beiden Grundpfeiler der künftigen Entwicklung der Landwirtschaft. Zum ersten Mal war nun die Basis für eine Zusammenarbeit aller mecklenburgischen Großgrundbesitzer gegeben. Allerorts regte sich neues Leben. Die Schaffung des Wollmarktes in Güstrow im Jahre 1819 lieh der Schafzucht mächtigen Auftrieb. In Rostock suchte Friedrich Hennings 1821 mit seiner „Landwirtschaftskammer“ für eine Modernisierung der Betriebsmethoden zu wirken, und Dr. Gerke auf Frauenmark, einer der bekanntesten Gutsbesitzer, veröffentlichte em zweibändiges Werk über seine landwirtschaftlichen Erfahrungen.
Der zweite Grundpfeiler des Aufschwunges, die Schaffung eines gemeinschaftlichen Kreditinstitutes, war in seiner Entstehung auf das engste mit der landwirtschaftlichen Konjunktur verknüpft. Ausgangs des 18. Jahrhunderts hatten der Verfall der spanischen und portugiesischen Landwirtschaft, die beginnende Industrialisierung Englands sowie eine Reihe von Mißernten in Mitteleuropa für die mecklenburgische Landwirtschaft eine noch nicht dagewesene Hochkonjunktur zur Folge gehabt. Sie bot Anreiz genug zu einer immer stärkeren Intensivierung, wie sie bereits durch die holsteinische Koppelwirtschaft eingeleitet worden war und bewirkte schließlich eine stete beträchtliche Überproduktion, die ausschließlich auf den Export angewiesen war. Um so heftiger imd folgenschwerer war der Rückschlag, als die Besetzung des Landes durch französische Truppen 1806, die napoleonische Kontinentalsperre und endlich um 1820 die englische Schutzzollpolitik fast alle bisherigen Absatzmärkte versperrten. 1811 befanden sich bereits 60 ritter-schaftliche Landgüter in Konkurs. Seit 1806 bestand ein Moratorium, das immer von neuem verlängert werden mußte. Und für den verarmten Landmann fehlte es dabei angesichts der herkömmlichen Kapitalarmut des Landes und des Mangels an größeren leistungsfähigen Bankinstituten an jeder Kreditmöglichkeit. Dieser Lage verdankte im Jahre 1819 der Ritterschaftliche Kreditverein seine Entstehung, um dessen Schöpfung sich besonders der Ritterschaftsassessor Georg v. Blücher auf Wasdow verdient machte. Nunmehr besaß nicht nur der finanziell bedürftige Landwirt Aussicht auf wirksame Hilfe, die es ihm ermöglichte, Krisenzeiten zu überwinden, sondern es standen jetzt auch denjenigen, welche ihre Wirtschaft zu verbessern und auszubauen wünschten, die dafür notwendigen Kapitalien zur Verfügung.
Auf dieser Basis entfaltete sich eine neue Blüte in der Landwirtschaft. Vor allem die mecklenburgische Pferdezucht erlebte jetzt ihre größte Zeit. 1812 war das Landgestüt Redefin geschaffen worden zur züchterischen Betreuung der im bäuerlichen Besitz befindlichen Stuten. Um 1820 begannen die Brüder v. Biel auf Zierow und Weitendorf zur Veredelung der Zucht in großem Umfange englisches Vollblut einzuführen. Baron Gottlieb v. Biel-Zier ow (gest. 1831), der sich auch theoretisch in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten mit der Zucht des edlen Pferdes beschäftigte, wurde geradezu der Vater der mecklenburgischen Vollblutzucht. In Zierow und Weitendorf, beim Grafen Hahn in Basedow und beim Grafen Plessen in Ivenack, wo der weltberühmte Schimmelhengst Herodot deckte, entstanden große Gestüte, die sich nur noch mit der Vollblutzucht befaßten und vielfach von englischen Stallmeistern betreut wurden. 1822 wurde ein Verein zur Hebung der mecklenburgischen Pferdezucht ins Leben gerufen und die erste Rennbahn ganz Deutschlands in Doberan angelegt, auf der noch im gleichen Jahre die ersten Wettrennen gelaufen wurden. 1827 erhielt auch Güstrow eine Rennbahn, 1828 Neubrandenburg. 1829 schuf sich Graf Hahn in Basedow eine eigene Rennbahn. Um 1830 war die mecklenburgische Pferdezucht auf ihrem Höhepunkte angelangt. Mecklenburgische Hengste waren in ganz Deutschland, Frankreich und Belgien geschätzt. Um so jäher war der Absturz von dieser Höhe infolge zu starker Überzüchtung und Verfeinerung. Als Abhilfe versuchte man wahllos mit Kaltblut zurückzukreuzen, doch die Folge war nur ein grauenhafter Mischmasch aller möglichen Schläge, zu dessen Überwindung es Jahrzehnte bedurfte.
In sozialer Hinsicht war es dabei für die gesamte fernere Entwicklung höchst charakteristisch, wie von dem soeben behandelten Gebiet abgesehen, aller Fortschritt zumeist nicht vom Adel, sondern von den bürgerlichen Besitzern ausging. Der alte Feudaladel ging immer weiter zurück. Von 83 altadeligen landgesessenen Familien, die 1755 den Erbvergleich unterzeichnet hatten, befanden sich 1909 nur noch 33 im Besitz ihrer Güter. Dagegen wurden Männer wie Dr. Samuel Schnelle auf Buchholz, bei dem der Dichter Hoffmann v. Fallersleben für eine Zeitlang eine Zuflucht fand, der mißtrauischen Polizei gegenüber als Kuhhirt bezeichnet, und Theodor Stever auf Wustrow im Verein mit den Führern der Rostocker Liberalen, den Brüdern Julius und Moritz Wiggers, zu Trägern nicht nur des wirtschaftlichen, sondern auch des politischen Fortschritts, dem Erstarken des Bürgertums in diesem Jahrhundert entsprechend. Selbst auf dem Gebiete des Pferdesportes überflügelten die bürgerlichen Besitzer allmählich den Adel. 1843 wurde Heinrich Stever auf Niekrenz der erfolgreichste Rennreiter Deutschlands.
Vor allem aber ist es hier notwendig, einer Familie zu gedenken, welche Mecklenburg eine Reihe seiner bedeutendsten Männer geschenkt hat, der Pogges. Der Stammvater der Dynastie, Karl Pogge auf Roggow (1763—1831) hatte begonnen als Pächter des Grafen v. Wallmoden-Gimborn. Eng befreundet mit Johann Heinrich v. Thünen, konnte er für einen der tüchtigsten und fortschrittlichsten Landwirte der Zeit gelten. Er nahm die erste Wiesenbekarrung in Mecklenburg vor und legte mit einer von den Gütern des Fürsten Lichnowsky in Schlesien bezogenen Merinoherde die erste Stammschäferei in Mecklenburg an. Seine Söhne, Friedrich Pogge auf Zierstorf (1791—1843) und Johann Pogge auf Roggow (1793—1854) setzten diese Überlieferung würdig fort. Der erstere studierte bei Lorenz Karsten in Rostock die Landwirtschaft, gründete gleichfalls eine berühmte Stammschäferei, welche zum Ausgangspunkt der gesamten mecklenburgischen Edelschafzucht wurde, führte die Berieselung in Mecklenburg ein, gehörte mit Baron Gottlieb Biel zu den Begründern der heimischen Vollblutzucht und machte sich in politischer Hinsicht durch seine Bemühungen um die Hebung des einstmals leibeigenen Bauernstandes einen Namen. Der zweite, den der Generalleutnant Graf Schlieffen auf Schwandt als eine in vieler Hinsicht unübertroffene Persönlichkeit bezeichnete, wurde im Vormärz zum unerschütterlichen Vorkämpfer für eine mecklenburgische Verfassung. Daneben wirkte er bahnbrechend in der Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen im Betrieb und vertrat als erster in Theorie und Praxis den Gedanken, Feldbahnen anzulegen. Noch größeren Ruhm erwarb sich der Sohn Friedrich Pogges, Paul Pogge auf Zierstorf (1838—1884), der als Afrikaforscher die Erschließung Innerafrikas einleitete. Neben dem Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg gehört er zu den bedeutendsten Pionieren des deutschen Kolonialgedankens, die Mecklenburg dem Reich schenkte.
Wie im 18. Jahrhundert überwog noch immer der wirtschaftliche Fortschritt. In sozialer Hinsicht hatte dagegen auch die Aufhebung der Leibeigenschaft keine wesentliche Verbesserung der Lage der Bauern und Landarbeiter zur Folge gehabt. Gewiß war der Bauer jetzt rechtlich frei, aber den Besitzstand seiner Vorfahren, der ihm das Leben in der Freiheit erst wert gemacht hätte, hatte ihm die Reform nicht gegeben. Infolge der Bestimmung, daß diejenigen, denen der Gutsherr kündigte, entweder als Heimatlose ins Landesarbeitshaus überwiesen oder zwangsweise einem anderen Herrn zugewiesen werden sollten, war der Bauer wie der Tagelöhner noch immer der Willkür des Gutsherrn ausgeliefert. Und was dessen Ansichten und Sitten betraf, so paßten sie sich nur langsam und zögernd den Forderungen der Zeit an, wie es bei dem konservativen Sinn des Landmannes nicht anders zu erwarten war. Wohl hatte Mecklenburg 1813 im Freiheitskampf als erstes außerpreußisches Land ein erhebendes Beispiel der Vaterlandsliebe gegeben. Wohl fehlte es nicht an mancher bedeutsamen Gestalt in der Ritterschaft, wie dem geistigen Vater des Blücherdenkmals in Rostock, August v. Preen auf Dummerstorf, dem bekannten landwirtschaftlichen Schriftsteller Christian v. Ferber, dem Kunsthistoriker Graf Schack, dem Vizekanzler Karl Friedrich v. Both, dem Komponisten v. Flotow oder jenem Hermann v. Maltzahn, der als Naturforscher europäischen Ruf gewann. Allein für eine beträchtliche Zahl ihrer Standesgenossen galt leider noch immer das Wort des Dichters Hoffmann v. Fallersleben:
„Wir sind mit dem zufrieden,
Mit dem, was uns beschieden
Die alte gute Zeit . . .“
Die Verfassung von 1849 blieb eine rasch verwehendes Zwischenspiel, das kaum merkliche Spuren zurückließ. Friedrich der Große hatte bereits seinem Spott über das staatlose Junkertum in Mecklenburg die Ziegel schießen lassen, Bismarck meinte, bei einer derartigen Unabhängigkeit eines einzelnen Standes könne kein Staat bestehen, Treitschke nannte das altständische Mecklenburg ein Chaos von Privatinteressen. Doch viele der adeligen Herren auf den großen Gütern fuhren unbekümmert fort, der Zeit und ihren Errungenschaften Fehde anzusagen. Sie stemmten sich gegen den Bau von Chausseen zur verkehrstechnischen Erschließung des Landes, weil sie das Eindringen des Siedlungsgedankens fürchteten. Sie versteiften sich stolz auf ihre wendische Abkunft, als sei es eine Schande, von deutschen Rittern zu stammen. Sie fuhren fort, nach alter Sitte Bauern zu legen. Ein 1849 erlassenes Verbot dieses Unwesens wurde 1851 wieder aufgehoben. Nur Dörfer mit 3 und weniger Bauern sollten nicht mehr gelegt werden. Zwischen 1820 und 1858 verringerte sich die Zahl der ritterschaftlichen Bauern weiter von 1434 auf 1333. Mecklenburg blieb fürs Erste das Land der „Normaljunker“. Selbst die Prügelstrafe feierte nach dem 48er Jahr ihre Auferstehung. Noch 1846 sagten etliche „Ritter“ der Stadt Hagenow regelrecht Fehde an; ein v. Ahrenstorff überfiel nach alter Raubritterart Mirow, weil dessen Bürger einen seiner Reitknechte angehalten hatten, und ein Plan wie der Friedrich Pogges auf Zierstorf, durch die Abhaltung von Bauernversammlungen die Masse der mecklenburgischen Landbevölkerung mit den wirtschaftlichen und kulturellen Errungenschaften der Zeit bekannt zu machen, erregte im Landtag bei den Herren im roten Frack, den adeligen Gutsbesitzern, nur Gelächter.
Dafür schlugen unbekannte Täter 1828 einen Plessen auf Nepersdorf im Bette buchstäblich mit Knüppeln tot. Der unmenschliche Gutsbesitzer Haberlandt wurde 1838 von seinen Tagelöhnern mit Scheren, Messern und Nadeln langsam zu Tode gefoltert. Im Revolutionsjahr von 1848 entlud sich der Haß des gequälten Landvolkes in mannigfacher Weise. In Torgelow ward das Schloß des Herrn v. Behr-Negendanck niedergebrannt, der Besitzer von Alt-Sührkow, Lembke, das Vorbild für Fritz Reuters „Pomuchelskopp“, mußte sein Gut verlassen. Und noch 1868 führten Tagelöhner den imbeliebten Gräfl. Hahn’schen Pächter in Dem-zin gewaltsam nach Malchin vor Gericht.
Solche Akte waren Ausbrüche einer wilden Verzweiflung. Zumeist aber äußerte sich die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen in anderer, noch weit verhängnisvollerer Weise. Das Problem der Landflucht taucht jetzt in seinem ganzen furchtbaren und tödlichen Ernst auf. Ohne Zweifel handelte es sich zum Teil um eine Folgeerscheinung der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung. Um die Jahrhundertmitte entstand beim Übergang Deutschlands vom Agrar- zum Industriestaat ein starker Bedarf an industriellen Arbeitskräften. Für dessen Deckung bildeten die rein agrarischen, bevölkerungspolitisch meist leistungsfähigen Gebiete gewissermaßen das naturgegebene Reservoir, zumal die Landwirtschaft sich gegenüber der Industrie bei dem Kampf um die Arbeitskräfte, was die Löhne anbelangte, stets im Nachteil befand. Aber in Mecklenburg erhielt das Problem doch noch ein besonderes Gewicht erst durch die soziale Schuld der Vergangenheit. Die ungesunde Verteilung des Bodenbesitzes und der soziale Unverstand mancher Großgrundbesitzer trugen nun, wo die Industrie dem armen Tagelöhner bessere Lebens- und Verdienstmöglichkeiten zu bieten schien, Früchte, die sich wider die Nutznießer dieser Mißstände selbst kehrten. Die oftmals menschenunwürdigen, halbzerfallenen und windschiefen Lehmkaten der ländlichen Arbeiter, die weit schlechter untergebracht waren als das Vieh ihres Herren, die meist völlig im argen liegenden Schulverhältnisse, das Fehlen auch der elementarsten Bil-dungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten bewirkten bei jenem Teil der Landbevölkerung, der noch Tatenlust und Unternehmungsgeist besaß, eine massenweise Abwanderung in die Städte. Während im Domanium die Bevölkerung in den Jahren von 1819 bis 1851 um 65 000 Köpfe zunahm und dieser Zahl nur eine Abnahme von 14 000 Köpfen gegenüberstand, gehörte die Ritterschaft bald zu den am dünnsten bevölkerten Gebieten ganz Deutschlands. 1851 lebten hier 150511 Menschen, 1890: 127 636, 1905: 125 732. Am deutlichsten kam diese Entwicklung in der ständigen Abnahme der Zahl der Landarbeiter zum Ausdruck. 1907 zählte man deren noch 107 847, 1925 nurmehr 97 706. Weltkrieg und Inflation hatten nur ein vorübergehendes Nachlassen aus Ernährungsrücksichten gezeitigt. Insgesamt wanderten in den Jahren zwischen 1871 imd 1900 80 000 Menschen vom Lande in die heimischen Städte und 120 000 in die Fremde. Dabei betrug die Gesamteinwohnerzahl Mecklenburgs im Jahre 1871 360 000 Menschen! Und diese Frage ward um so brennender, als infolge des steigenden Anbaues von Hackfrüchten gleichzeitig sich ein erhöhter Bedarf an landwirtschaftlichen Arbeitskräften bemerkbar machte, der nun durch das zweischneidige Hilfsmittel land- und bald auch volksfremder Wanderarbeiter gedeckt werden mußte.
Ganz eindeutig trat dabei immer wieder zutage, daß das gesamte Problem im Grunde eine Frage der Wohnung und damit der allgemeinen kulturellen Lebensbedingungen war. Einzelne erfreuliche Ausnahmen, Begüterungen wie das dem Kammerherrn Graf Bassewitz gehörige Lühburg oder das Blüchersche Jürgenstorf oder die Sloman’sche Besitzung Bellin bestätigten nur diese Behauptung. Denn die hier gezeigte Einsicht war nicht die Regel. So weitete sich denn angesichts des seit 1815 sich ständig mehrenden Bevölkerungsüberschusses die Landflucht vielfach zur Auswanderung nach Ubersee ans. John Brinckman verfaßte dagegen im Aufträge des Patriotischen Vereins seine „Fastelabendpredigt för Jehann, de nah Amerika führt will“, die in 10 000 Exemplaren im ganzen Lande verbreitet wurde. Aber des Dichters mahnendes „Jehann bliew hier, bliew hier Jehann“ nutzte nicht viel, um so mehr als dieser an anderer Stelle mit den bitteren Versen:
„Sie weigern mir den eigenen Herd Sie haben immer recht . . . .“ selbst die tiefere Ursache dieser neuen Völkerwanderung geißelte. Kein Geringerer als Fritz Reuter lieh in dem Versdrama „Kein Hüsung“ dem gleichen Problem ebenfalls erschütternden Ausdruck. So verlor Mecklenburg zwischen 1871 und 1914 ein volles Siebentel seiner Bevölkerung. In einzelnen besonders krassen Fällen wie in Kowalz bei dem als Reaktionär verschrienen Landrat Josias v. Plüskow verlangte die gesamte Gefolgschaft des Gutes den Auswanderungsschein. Einen Großteil der Auswanderer nahmen Nord-und Südamerika auf. Ihre Spur verlor sich zumeist rasch wie die jener Obdach- imd Erwerbslosen, welche man aus dem Landesarbeitshaus in Güstrow und den städtischen Asylen holte, um sie als Kolonisten und Soldaten nach dem damaligen Kaiserreich Brasilien zu verschicken, wo sie sich, zu deutschen Fremdenbataillonen zusammengestellt, im Kriege gegen Argentinien verbluteten. Und diese Auswanderer bildeten noch eine Ausnahme, denn in der Regel waren es die Tüchtigsten und Besten, die sich in die bestehenden engen Verhältnisse nicht schicken mochten und der Heimat den Rücken kehrten.
Einzig im Domanium unternahm man während dieser Periode der allmählichen Industrialisierung einen ernsthaften Versuch, den Abfluß wertvoller Bevölkerungsteile zu verhindern. 1846, unter der Regierung des Großherzogs Friedrich Franz II. (1842—1883), schuf man hier den Begriff des Häuslers, um der untersten Schicht der auf dem Lande lebenden Bevölkerung, den sogenannten Einliegern, und den Tagelöhnern die Möglichkeit zu geben, sich einen eigenen kleinen Besitz zu schaffen und sie auf diese Weise vor der Abwanderung in die Großstädte zu bewahren. Diese neue Form der Häuslersiedlung, mit der Mecklenburg allen anderen deutschen Ländern voranging, war volkswirtschaftlich gesehen äußerst bedeutsam, da sie eine wichtige soziale Aufstiegsmöglichkeit darstellte. Indem sie die Liebe zur eigenen Scholle weckte, erhielt sie beträchtliche Mengen von tüchtigen Landarbeitersöhnen und landlosen Bauernsöhnen dem Lande. Und in diesen Rahmen gehört auch die zweite Großtat der Regierungszeit Friedrich Franz II., die Durchführung der Vererbfachtung für sämtliche Domanialbauern in den Jahren von 1865 bis 1875. Angeregt bereits 1773 durch eine Denkschrift Herzog Friedrich des Frommen und 1805 durch den Schwaaner Amtshauptmann Manecke, bewirkte diese Maßnahme jetzt endlich wieder die feste Verknüpfung des Bauern mit seiner Scholle und weckte damit in ihm wieder den Besitzerstolz seiner Ahnen, so daß man ihre Bedeutung nicht hoch genug veranschlagen kann.
Unterdes hatte längst, während diese Fragen die Allgemeinheit der Landwirte bewegten, jener Mann in Mecklenburg seine Wirksamkeit begonnen, der als echter Revolutionär der gesamten deutschen Landwirtschaft den Weg zu völlig neuen Lebens- und Wirtschaftsformen wies. 1810 hatte Johann Heinrich v. Thünen (1783—1850), einer der Klassiker der deutschen Volkswirtschaft, der Sohn einer ostfriesischen Adelsfamilie, das Gut Tellow bei Laage erworben. Für die Landwirtschaft ward er einer der größten Reformatoren aller Zeiten, gleich groß als Organisator wie als Volkswirt, als umfassend gebildeter Gelehrter wie als gütiger, hilfreicher und sozialdenkender Mensch. Tellow entwickelte sich rasch nicht nur zu einer Musterwirtschaft, sondern wurde auch für Jahrzehnte die großartigste Versuchsstation für sämtliche landwirtschaftlichen Betriebsfragen. Studierende aus aller Herren Ländern, Russen, Franzosen, Griechen, Engländer suchten das Gut auf. Thünen wurde zum Wegweiser der Intensitätslehre in der Landwirtschaft und damit zum Vater jeglichen modernen Landbaues. Sein Hauptwerk „Der isolierte Staat“ wurde zum Standardwerk jeder betriebswissenschaftlichen Forschung. Dabei erwies er sich durch seine von geradezu sozialistischem Geist getragene Einstellung gegenüber seiner Gefolgschaft als erster typisch deutscher Sozialökonom. Als einer der ersten erkannte er die grundlegende nationale Bedeutung einer gerechten Lösung der Arbeiterfrage. In seinem eigenen Betriebe führte er ein soziales Sparsystem ein. Sämtliche Gefolgschaftsmitglieder wurden nach ihren Arbeitsleistungen an den Erträgen des Gutes beteiligt, gemäß seiner Lehre vom „natürlichen Arbeitslohn“, welche besagte, daß bei steigendem Arbeitsertrag auch der Lohn zu steigen habe.
Alle diese Ideen eilten freilich der Zeit weit vorauf. In geistiger Hinsicht wurde Thünens Lebenswerk zunächst nicht fortgeführt, wenn auch vor dem Weltkriege der jüdische Volkswirtschaftler Professor Richard Ehrenberg in Rostock sich der Thünenschen Gedanken zu bemächtigen suchte. Aus diesem Umkreis gingen die betriebswissenschaftliche Vereinigung mecklenburgischer Landwirte sowie 1907 die Kommission für Landarbeit und Kleinbesitz hervor, ferner der Verein für ländliche Wohlfahrtspflege, dessen Hauptbetreuer, ökonomierat Dr. h. c. Seemann-Breesen infolge seiner liberalistischen Grundhaltung freilich eine recht umstrittene Persönlichkeit war. Ebenso eine Schriftenreihe über Fragen der Wirtschaftsforschung, das Thünenarchiv. Ihre Untersuchungen sind auch heute noch von großem Wert, denn Ehrenberg selbst setzte hier vielfach nur seinen Namen vor die Arbeiten einer Reihe der besten Köpfe der damaligen mecklenburgischen Landwirtschaft, darunter Männer wie Dr. Friedrich Dettweiler und Domänenrat Brödermann-Knegendorf.
Um so stärkere Beachtung verdient neben diesen theoretischen Betrachtungen der Versuch, den Anton v. Blücher (1843—1917) auf Jürgenstorf bei Stavenhagen zur Verwirklichung der Thünenschen Gedanken machte. Nach der Übernahme des Gutes im Jahre 1869 beteiligte er nach dem Beispiel Thünens, wie es damals dessen Sohn in Tellow fortführte, sämtliche Arbeiter und Angestellten am Gewinn des Gutes, indem ihre Anteile in Sparkassenbüchern angelegt wurden. Gegebenenfalls vermochten diese sogar zu Eigenbesitz zu gelangen. Dieses Verfahren bewährte sich jahrzehntelang vortrefflich, so daß 1917 heim Tode des alten Blücher der Sohn, Friedrich v. Blücher, es übernahm, obwohl es dem Wirtschaftsdenken der Zeit weit vorauseilte. Erst durch die Inflation erfolgte der Zusammenbruch unter wüsten Ausschreitungen der um ihr Geld gekommenen und von Kommunisten aufgehetzten Landarbeiter. Daß aber der Gedanke fortlebte, bewies die Wiederaufnahme ähnlicher Bestrebungen durch den Besitzer von Hof-Malchow (dem heutigen N.S. Musterbetrieb), Burgwedel, im Jahre 1926. Und im Geiste Thünens, der von Anbeginn an für eine gesunde Siedlungspolitik eingetreten war, handelte auch ein Mann wie Adolf v. d. Lühe auf Rohlstorf, Hornstorf und Kalsow, als er nach dem Weltkriege seine Güter zu Siedlungs-zwecken zur Verfügung stellte und als einer der ersten mecklenburgischen Nationalsozialisten sein Vermögen für Deutschlands Wiederaufbau gab.
Die Gestalt Thünens steht in der Mitte jener Reihe bedeutender Männer, die im 19. Jahrhundert das Antlitz der modernen mecklenburgischen Landwirtschaft prägten. Sie beginnt mit Lorenz Karsten und schließt ab mit dem Professor für Landwirtschaft an der Universität Rostock A r m i n Grafen zur Lippe-Weißenfeld (1825—1899). Geboren zu Oberlößnitz bei Dresden, hatte dieser die Landwirtschaft erlernt und in Jena Land- und Volkswirtschaft studiert. Als Besitzer des Gutes Thum bei Dresden hatte er bereits in Sachsen an dem dort blühenden landwirtschaftlichen Vereinswesen lebhaften Anteil genommen und sich durch eine Reihe von Veröffentlichungen über landwirtschaftliche Buchführung und andere Berufsfragen einen geachteten Namen erworben. Als er daher 1872 einen Ruf als Professor für Landwirtschaft nach Rostock erhielt, faßte er hier sogleich den Plan, die selbständigen Bauern und die Erbpächter, also die große Masse der mecklenburgischen Landwirte, zu Vereinen zusammenzufassen, da er erkannte, daß nur durch die Schaffung einer Grundlage für eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit die Einführung wissenschaftlicher Betriebsmethoden und eine intensive Wirtschaftsführung zu erreichen waren. Der Patriotische Verein hatte es als Vertreter des Großgrundbesitzes niemals für notwendig befunden, sich auch die Betreuung der kleinen Landwirte angelegen sein zu lassen. Und der Gedanke der Bauernversammlungen Friedrich Pogges hatte vor 1848 angesichts der Junkerherrschaft nicht Wurzel fassen können. Erst spät war jetzt die Möglichkeit einer Sammlung aller Landwirte gegeben. Am 12, Dezember 1872 rief Graf Lippe in Warin die erste Vereinigung kleiner Landwirte ins Leben, der zwei Tage später die Gründung eines ähnlichen Vereins für Rostock und Umgegend folgte. Rund 80 weitere Vereine schlossen sich an diese Gründungen an, ein Zeichen, wie sehr diese einem längst empfundenen Bedürfnis entsprachen. Der Gedanke, der ihren Schöpfer leitete, war der, daß alle Mitglieder sich als Teile eines Großen Ganzen fühlen sollten, zu dessen Gedeihen der Einzelne nach Kräften beizutragen hatte. Die Mittel zur Verwirklichung dieses Strebens erblickte er vor allem in gegenseitigem Meinungsaustausch, öffentlichen Lehrvorträgen für Landwirte zur beruflichen Schulung und Leistungsschauen für alle betrieblichen Erzeugnisse. 1873 rief er auch eine Fachzeitschrift für Kleinlandwirte, das „Landwirtschaftliche Vereinsblatt“, ins Leben. Zwei Jahre darauf, 1875, brachte er eine Planung zur Ausführung, mit der sich der Patriotische Verein schon lange vergeblich beschäftigt hatte, die Schaffung einer landwirtschaftlichen Versuchsstation in Rostock.
Die Quertreibereien des Patriotischen Vereins, dem die neue Bewegung der Kleinlandwirte natürlich ein Dorn im Auge war, sowie gesundheitliche Rücksichten ließen ihn freilich seines Lebens in Rostock nicht froh werden und zwangen ihn dazu, 1879 der Stadt und Mecklenburg überhaupt für immer den Rücken zu kehren und sich auf sein schlesisches Gut zurückzuziehen. An der Table d’höte im Hotel de Russie in Rostock fertigte ein bekannter adeliger Großgrundbesitzer sein Schaffen mit der arroganten Bemerkung ab, ganz soviel Schaden, wie er es befürchtet habe, habe der Graf Lippe doch nicht angerichtet. Um so höher aber hielten seine Schüler und Verehrer unter den kleineren Landwirten sein Andenken. Aus seiner Schule ging eine Reihe der tüchtigsten mecklenburgischen Landwirte hervor. So vor allem der Rostocker Stadtgutspächter Ritter-Damerow, Lippes Nachfolger in der Führung des Landwirtschaftlichen Vereins; weiter der Hofbesitzer Beutin-Biestow, der als erster auf den Rat Graf Lippes im Rostocker Kreis in großem Maßstabe Kartoffeln anbaute. Ferner der Hofbesitzer Matthes in Broderstorf, der die erste Molkereigenossenschaft in Rostock gründete und damit zum Vater des mecklenburgischen Genossenschaftswesens wurde, und endlich der ökonomierat Ohloff -Kösterbeck, einer der Gründer der Rostocker Aktien -Zuckerfabrik, der 1910 als erster Bauer vom Großherzog wegen seiner hervorragenden Verdienste um die mecklenburgische Landwirtschaft zum ökonomierat ernannt wurde und nach dem Weltkriege Präsident der 1916 gegründeten mecklenburgischen Landwirtschaftskammer wurde.
Die Tätigkeit des Grafen zur Lippe, die landwirtschaftliche Versuchsstation sowie die gleichfalls auf Anregung des Grafen Lippe ins Leben gerufene landwirtschaftliche Fachschule in Rostock, das Thüneninstitut, bildeten die Grundlage für die Modernisierung der Betriebsführung innerhalb der heimischen Landwirtschaft. Das Hauptkennzeichen der ferneren Entwicklung wird jetzt die starke Vermehrung des Anbaues von Hackfrüchten und die steigende Verwendung von Maschinen. Auf Grund der ersten Tatsache vollzieht sich allmählich der Übergang von der Schlagwirtschaft zur reinen Fruchtwechselwirtschaft, der vollkommensten Form geregelter Bodenbewirtschaftung, die wir kennen, welche den regelmäßigen Wechsel zwischen samenerzeugenden und anderweitigen Nutzpflanzen zur Voraussetzung hat. Die Kartoffel hatte bereits der Rostocker Professor Peter Lauremberg (1585—1639) in seinem botanischen Garten angepflanzt. Ihre Kultur in größerem Umfange war durch einen mecklenburgischen Adeligen, der sie als Offizier eines im englischen Solde stehenden dänischen Regiments in Schottland kennengelernt hatte, zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufgekommen, während der feldmäßige Anbau auf das Jahr 1765 zurückgeht, wo der Gutspächter Pütt in Kl. Belitz die ersten Schläge mit Kartoffeln bestellte. Seit 1867 trat eine weitere neue Kultur hinzu, die der Zuckerrübe. 1875 gründet der Malchiner Stadtgutpächter Conrad Wilbrandt-Pisede, ein Bruder des berühmten Dichters Adolf Wilbrandt, in Dahmen am Malchiner See die erste Zuckerfabrik in Mecklenburg, nachdem bereits 1831 ein Versuch des Gutsbesitzers Röhl-Kölzow, auf seinem Gute im Fabrikbetriebe Zucker aus Rüben zu gewinnen, an der damaligen imvernünftigen Gewerbebeschränkung gescheitert war. Weitere Pioniere auf diesem Gebiet werden Anton v. Blücher-Jürgenstorf, der die Zuckerfabrik in Stavenhagen gründet und ökonomierat Ohloff-Kösterbeck.
Graf Lippe-Weißenfeld, der große Mentor aller mecklenburgischen Landwirte, ist auch als Begründer des rasch aufblühenden Molkereiwesens in Mecklenburg anzusehen. Auf seine Anregung hin stellte 1876 der Graf Schlieffen-Schüeffenberg sein bei Laiendorf gelegenes Gut Raden dem Schöpfer der modernen Molkereiwissenschaft, Professor Fleischmann, als Versuchs- und Forschungsstätte zur Verfügung. In der Folge entstand hier die erste Milchkontrollstation Deutschlands. Von noch größerer Bedeutung aber wurde die Tatsache, daß Graf Lippe 1875 den späteren Geheimen ökonomierat Professor Reinhold Heinrich (1845—1917) auf Grund seiner Arbeiten über Düngemittel als Leiter der .Landwirtschaftlichen Versuchsstation nach Rostock zog. Wenn auch der Lehrstuhl eines ordentlichen Professors der Landwirtschaft nach Lippes Fortgang einstweilen bezeichnenderweise nicht wieder besetzt wurde, so ward Professor Heinrich doch als Leiter der Versuchsstation dessen würdiger Nachfolger. Sein Hauptforschungsgebiet wurde die Pflanzenzucht. 1880 begann er den nach ihm benannten Prof.-Heinrich-Roggen zu züchten, eine Zucht, welche später ein bäuerlicher Besitzer aus Mönchhagen, Wilhelm Brandt, fortführte und als Domänenpächter in Toitenwinkel bei Rostock zur Hochzucht weiterentwickelte. Heute zählt Toitenwinkel, das einstige Stammgut der Ahnen Hellmut v. Moltkes, des gewaltigen Schlachtenlenkers, infolgedessen zu den bekanntesten Saatgutwirtschaften des Reiches. Neben Brandt-Toitenwinkel, der 1902 in Gemeinschaft mit Professor Heinrich eine Saatzuchtgenossenschaft ins Leben gerufen hatte, beschäftigte sich seit 1897 auch ein anderer führender Kopf der mecklenburgischen Landwirtschaft, Dr. h. c. Hans Lembke in Malchow auf Poel mit pflanzenzüchterischen Problemen. Aus einem alten bäuerlichen Geschlecht stammend, das seit dem Jahre 1600 auf Poel ansässig war, wurde er dank seiner Versuche mit der bislang nur in England betriebenen Gräserzucht zum Vater der deutschen Gräserzuchtwirtschaft. Und diese sowie andere Züchtungen von Raps, Rübsen.
Rotklee, Weizen und Kartoffeln reihten auch Malchow in die Zahl der bekanntesten deutschen Saatgutwirtschaften ein.
Die hohe Tradition der Versuchsstation führte als Nachfolger Professor Heinrichs Professor Franz Honcamp (1875—1934) fort, nächst dem Grafen Lippe unstreitig einer der bedeutendsten Förderer moderner Betriebsmethoden innerhalb der mecklenburgischen Landwirtschaft. Seine Untersuchungen galten vor allem der Düngungsweise und der Futtermittelfrage, und die von ihm aufgestellte Düngetabelle gilt noch heute als vorbildlich in ganz Deutschland.
Alle diese Männer wurden zu Pionieren nicht nur der heimischen sondern auch der gesamtdeutschen Landwirtschaft. Ihre Verdienste sind um so höher zu veranschlagen, als die Jahre von 1885 bis 1905 nach dem Hochstand der Getreidepreise i,n den 70er Jahren infolge der ausländischen Konkurrenz eine neue schwere Krise für die heimische Landwirtschaft brachten. Erst mit der Einführung von Schutzzöllen fand sie allmählich ihr Ende. Einer der Väter des Zollgedankens war der Führer der mecklenburgischen Landwirtschaft im Reichstage, Domänenrat Meno Rettich (1839—1918), der Sohn eines angesehenen Gutsbesitzers auf Rosenhagen bei Dassow und Bruder des bekannten Landschaftsmalers Karl Rettich. Als Hauptsekretär des Patriotischen Vereins galt er als eines der angesehensten Reichstagsmitglieder. Außer ihm, der bis 1893 auch das väterliche Gut Rosenhagen bewirtschaftete und dort eine berühmte Stammschäferei für Oxfordshire-Böcke anlegte, dem Saatzuchtforscher Professor Paul Hillmann(1867—1927) und dem bekannten Wirtschaftspolitiker Professor Heinrich Dade (1866—1923), der während des Weltkrieges als Generalsekretär des deutschen Landwirtschaftsrates einer der führenden Männer der deutschen Ernährungswirtschaft war, sind in diesen Jahren besonders noch zwei Männer zu nennen, die zu den Führern der mecklenburgischen Landwirtschaft zählten: Zum ersten der große Schafzüchter und Theoretiker Domänenrat Ernst August Brödermann in Knegendorf und zum zweiten Domänenrat Karl Pae-tow in Laiendorf. Vor allem der letztere wurde um 1900 zum Vorbild eines neuen Typus des mecklenburgischen Landwirts. Unter reichlicher Verwendung von Maschinen und leider auch von fremden Wanderarbeitern bewirtschaftete er seinen Besitz fast wie ein industrieller Unternehmer und verstand es auf diese Weise trotz der schlechten Zeiten für seine Erzeugnisse enorm hohe Absatzpreise zu erzielen.
Handelte es sich bei Karl Paetow noch um einen gebürtigen Mecklenburger aus alter Landfamilie, so verkörperte er doch schon gleichsam die nun aufkommende Generation der „Industrie-Gutsbesitzer“. Westdeutsche Industrielle wie die Thyssen und später der ölmagnat Sir Henry Deterding sowie die hamburgischen und bremischen Patrizierfamilien, die Sloman, Kulenkampff, Gildemeister begannen in den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg in zunehmendem Maße mecklenburgischen Güterbesitz zu erwerben und vielfach nach den neuesten und rationellsten Methoden zu bewirtschaften. Ein Mann wie Sloman-Bellin erwarb sich durch sein soziales Verantwortungsgefühl, das ihn als erstes den Bau gesunder menschenwürdiger Landarbeiterwohnungen betreiben ließ, einen bleibenden Platz in der Geschichte der mecklenburgischen Landwirtschaft. Und ein anderer dieser Männer, Gildemeister-Dummerstorf, ist aufs engste mit der Entwicklung der heimischen Tierzucht verknüpft. Gemeinsam mit dem ersten mecklenburgischen Landestierzuchtinspektor, Dr. Friedrich Dettweiler, begann er planmäßig deren Verbesserung in Angriff zu nehmen. Durch die Kreuzung südamerikanischer Schafe, welche er von seinen brasilianischen Besitzungen einführte, mit heimischen Schlägen züchtete er in Dummerstorf ein wetterfestes Schaf von hervorragender Qualität. Auch die Schweinezucht erfuhr durch die Zucht des sogenannten „Lockenschweins“ einen grundlegenden Auftrieb. Und weiterhin wurde Dr. Dettweiler der Schöpfer des schwarzweißen mecklenburgischen Herdbuchviehes und somit der Neubegründer der mecklenburgischen Rinderzucht, die bislang stets das Stiefkind der heimischen Landwirtschaft gewesen war. 1920 von Kommunisten als aufrechter und national denkender Mann furchtbar mißhandelt, verließ er Deutschland und ging anfangs nach Bulgarien, wo er das sogenannte Balkanrind züchtete und später nach Kleinasien, wo er zum Reformator der türkischen Viehzucht wurde. Dank seinem Wirken aber wurde Dummerstorf zu einer der hervorragendsten Heimstätten der deutschen Tierzucht, so daß Mecklenburg nicht nur zwei der bekanntesten Saatgutwirtschaften birgt, sondern auch in Gestalt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für Tierzuchtforschung, der heutigen Besitzerin von Dummerstorf, die hervorragendste tierzüchterische Forschungsstätte.
Diese Entwicklung leitet bereits hinüber in die Jahre nach dem Weltkrieg, bis zur Machtübernahme im Jahre 1933 vielleicht die trübste und schwerste Zeit, welche die mecklenburgische Landwirtschaft jemals erlebt hat. Wohl wurde jetzt bereits die Korrektur des ungesunden Besitzstandes der Vergangenheit in Angriff genommen. 34 Domänen und 76 ritterschaftliche Landgüter wurden bis 1932 auf geteilt, zumeist solche Betriebe, die der Schuldenlast der furchtbaren Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen waren. Aber die Siedler, die hier angesetzt wurden, waren vielfach schlecht gewählt und untauglich, die Absatzkrise sowie die Reparationen verhinderten jeglichen Aufstieg und das Grundproblem der Landflucht, der Bau von Arbeiterwohnungen und die allgemeine kulturelle und soziale Förderung der landarbeitenden Schichten wurde überhaupt nicht in Angriff genommen, da es den marxistischen Regierungsgewaltigen und Gewerkschaftsbonzen gar nicht darauf ankam, wirkliche Zufriedenheit und einen beständigen Arbeitsfrieden zu erzeugen, so daß die Lösung all dieser schwierigen Fragen dem Nationalsozialismus Vorbehalten blieb.
Text aus dem Buch: Des Reiches unbekanntes Land Mecklenburg, Author: Goerlitz, Walter.
Siehe auch:
Mecklenburg – Mittelalter und Renaissance
Mecklenburg – Feudalismus und Leibeigenschaft
Mecklenburg – Das 19. Jahrhundert und die neuere Zeit
Mecklenburg – Universität und geistiges Leben
Mecklenburg – Schiffahrt und Industrie
Textübersetzung aus dem Kunstmuseum Hamburg