Das Feuer im Gottesdienste beförderte vor allem die Spende zu den Göttern. Zu ihren himmlischen Höhen sandte man ihnen mit dem emporwirbelnden Rauch und der aufsteigenden Flamme die Opferspeise hinauf, und der liebliche Geruch des verbrannten Opfertieres lockte sie an, sich dem Menschen huldreich zu nahen. Zwar nicht jede Spende wurde dem Feuer übergeben; in den heiligen Quell warf man ein mit Blumen geschmücktes Gebäck als Opfergabe hinein, streute Körner in die Luft oder ließ Früchte des Feldes für sie stehen, aber im allgemeinen bildete das Feuer den wesentlichsten und wichtigsten Bestandteil des deutschen Opferfestes.
Dieses Opferfeuer, der Bote zwischen der göttlichen und menschlichen Welt, ist natürlich verschieden von den großen Feuern, die an bestimmten Festtagen, besonders an denen der Tag- und Nachtgleiche und der Sonnenwende sowie bei ungewöhnlichen Gelegenheiten, auf Bergen und Höhen und Feldern, aufflammten. Sie reichen bis in die indogermanische Urzeit zurück. Denn als man schon längst eine bequemere Art der Feuerbereitung gefunden hatte, wurden noch bei Indern, Griechen, Römern und Germanen das sühnende Feuer in der ursprünglichsten Art hergestellt und durch Drehung gewonnen, indem ein Stab entweder in einen anderen gebohrt und so hin- und hergedreht wurde, oder ein solcher durch eine Scheibe, Tafel oder die Nabe eines Rades gebohrt wurde. In Deutschland werden diese Feuer urkundlich im 8. Jhd. erwähnt. Die unter Karlmann 742 unter dem Vorsitze des Bonifatius abgehaltene Synode gebot den Bischöfen und Grafen, gottlose Feuer zu unterdrücken, die sie „niedfyr“ nennen. Auch der Indiculus handelt de igne fricato de ligno i. e. nod/yr (Nr. 15). Ignis fricatus ist die wörtliche Übersetzung von Notfeuer, ahd. hnotfiur (niinvau, nüan reiben). Auf dem Eichsfelde heißt es das „wilde Feuer“, in England ‘„Willfire“.
Wenn unter dem großen und kleinen Vieh eine böse Seuche ausbrach und die Herde dadurch bereits großen Schaden gelitten hatte, oder wenn ein großes Sterben die Bevölkerung fortraffte, wurden die Bewohner schlüssig, ein Notfeuer herzurichten. Nachdem alle andern Feuer im Hause und auf dem Herde ausgelöscht waren und die .Gemeinde früh vor Sonnenaufgang auf den für die heilige Handlung bestimmten Platz gezogen war wurde nach uralter, mühevoller, aber darum um so ehrwürdigerer Art neues Feuer geweckt. Unter feierlichem Stillschweigen, das der Priester der Opferversammlung, wie nach Tacitus (Germ. 11) der Volksversammlung , gebot, setzten zwei keusche Jünglinge zwei trockene Hölzer, vom Eichbaume, vom roten Erlenholz, oder von verschiedenen Holzarten durch Aneinanderreiben in Brand. Mit dem so gewonnenen Feuer zündete man den Holzstoß an, zu dem aus jedem Hause Stroh und Buschholz dargebracht war, stellte mancherlei Weissagungen an auf die Fruchtbarkeit de3 kommenden Jahres in Feld und Flur, das Gedeihen der Herden, den Gesundheitszustand der Menschen, ja selbst Uber Liebe, Ehe und Tod. Dann jagte man das Vieh, Kühe, Schweine, Gänse nebst den Pferden mit Stecken und Peitschen zwei- bis dreimal durch die Flammen und trieb es dann wieder in den Stall oder auf das Feld. Unter Gesang alter Lieder umtanzte man darauf den Holzstoß, warf Gaben hinein, um durch die Opfer die Gottheit geneigt zu machen, sprang Uber die Flammen und schwärzte sich dabei gegenseitig das Gesicht mit den heilkräftigen Kohlen, riß brennende Scheite aus der Glut heraus und beräucherte damit die Felder, Wiesen und Fruchtbäume. Sodann ward der zusammengobrachte Holzstoß wieder zerstört, aber zuvor nahm jeder Hausvater einen Brand mit sich, um das erloschene Herdfeuer damit wieder anzuzünden, löschte ihn daheim und legte ihn in die Klippe; denn er erhoffte davon Gedeihen für das Vieh. Die Asche des Notfeuers wurde sorgfältig gesammelt als Heilmittel bei Krankheiten, oder als Mittel gegen Raupenfraß und Mißwachs auf die Felder zerstreut.
Text aus dem Buch: Deutsche mythologie in gemeinverständlicher darstellung (1906), Author: Paul Herrmann.
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